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Achtes Capitel.

Katherinas Regierung unter Potemkins Einfluß; - großartige Pläne Constantinopel zu erobern und ein griechisches Reich herzustellen.

Aufhebung der Kosaden-Verfassung; Einführung der Leibeigenschaft in Klein-Ruß

Katherinas Bündniß mit Joseph II.;

Unterwerfung der Krimm;

land.

ihr Triumphzug nach Kiow und Cherson; Rußlands Krieg mit der Türkei und Schweden; Friedensschlüsse zu Werelä und zu Jassy.

Die zweite Hälfte der Regierung Katherinas sollte unter dem Einfluß neuer Günstlinge und anderer Vertrauten, wenn sie auch in dem äußeren Gang der Begebenheiten den Anschein einer gewissen Aehnlichkeit mit der ersten Hälfte bewahrte, doch in Beziehung auf die bestimmenden Motive der Handlungen einen wesentlich anderen Charakter annehmen. Als Katherina die Regierung antrat, hatte sie eine Politik friedlichen Glanzes im Sinn, zu der auch Panin rieth; auch der Herrschaft in Polen hätte sie sich gern in friedlicher Weise bemächtigt. Nur die Gewalt der Umstände zeg sie in unerwünschte Kriege hinein.

Jest nahm ihr Ehrgeiz eine andere Wendung; wir sehen sie auf gewaltsame Eroberungen bedacht in das Maßlose gehen, die Initiative ergreifen und absichtlich von Weitem her neue Kriege herbeiführen. Und, wie das unter einer weiblichen Regierung öfter vorgekommen ist, war diese Wandelung auch diesmal durch die intimesten persönlichen Verhältnisse beringt.

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Es wäre hier nicht am Ort, die Armseligkeiten aller Hofintriguen im Einzelnen zu erzählen. Nur im Allgemeinen dürfen wir daran erinnern, daß Katherina, der brutalen Tyrannei Gregor Orlows müde, das Joch abzuschütteln suchte, und sich doch nur mit Mühe davon befreite. sendete ihn zur Zeit der Pest sehr gegen seinen Willen nach Moskau und seine zahlreichen Feinde verbargen kaum die Hoffnung, daß er nicht wiederfehren werde. Die Kaiserin suchte ihn fern zu halten, als er zurück kam, er aber suchte das Feld zu behaupten und wollte nicht weichen, obgleich er sich in ihrer persönlichen Gunst durch einen unbedeutenden jungen Gardeoffizier Namens Wassiltschikow abgelöst sah.

Da sich Katherina der Nullität dieses jungen Mannes nach einiger Bernhardi, Rußland. II. 2.

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Zeit schämte, wußte der vielbesprochene General Gregor Alexandrowits Potemkin der Kaiserin schon seit den Tagen ihrer Kämpfe mit ihrem Gemahl bekannt, den günstigen Augenblick wahrzunehmen und sich in faj: gewaltsamer Weise in die lang ersehnte Stellung ihres erklärten und anerkannten Günstlings vorzudrängen. Auch ihm suchten die Orlows die Herrschaft über die Kaiserin und über Rußland noch eine Zeit lang streitig zu machen, aber sie mußten endlich weichen und zogen sich nach der alten Hauptstadt des Reichs zurück, die immer noch die National-Hauptstadt, di: Hauptstadt des Alt-Russenthums geblieben war und der Zufluchtsort aller derer, die Gründe hatten den Hof zu meiden.

Vicles tritt in diesem Treiben charakteristisch für Zeit und Ort hervor. Als Gregor Orlow die gefährliche Reise nach Moskau antreten mußte, hofften, wie gesagt, sehr Viele, er werde nicht wiederkehren, und als man ihn gesund und wohlbehalten wiedersah und befürchten mußte, ba er die verlorene Stellung in der Gunst der Kaiserin wieder gewinn könne, wußte mancher gewiegte Mann seine Verstimmung nicht zu verbergen. Der ausgezeichnete deutsche Arzt Namens Tode, dem die in Moskau gegen die Pest zweckmäßig getroffenen Anstalten eigentlich zuzuschreiben waren, blieb nicht nur unbelohnt, sondern konnte lange Zeit nicht einmal Schadenersatz für seine verlorene Garderobe erhalten und als er am Ende seine Verwunderung darüber aussprach, soll ihm einer der Se natoren durch die trockene Bemerkung: „Ja! warum haben Sie den Grafen lebend zurückgebracht!" das Räthsel gelöst haben. Dann, als Greger Orlow sich in Moskau vermählt hatte, war im Senat ganz ernsthaft rie Rede davon, daß man die Ehe als eine frevelhafte trennen und beide, den gefallenen Günstling und seine Frau, in Strafklöster sperren müsse, weil e in verbotenem Grade miteinander verwandt seien. Die Kaiserin, die ihrem ehemaligen Freund wie zum Trost und Abschied den Fürstentitel verlieben hatte, war empört über diesen Beschluß und hieß ihn aufheben. Troy dieses Schutes aber, der ihm zu Theil wurde, endete Gregor Orlow einige Jahre später (1783) sehr unglücklich. Er starb im Wahnsinn, eines, wie die Ueberlieferung will, nicht natürlichen Todes. Auch eine der räthselhaften Begebenheiten, die nie vollständig aufgeklärt worden sind.

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Ueber Potemkin aber, den Fürsten der Finsterniß, wie er später auj seinen Namen anspielend genannt wurde, lebte die sonst so scharf sehende Kaiserin Katherina in der seltsamsten Täuschung. Er war der Sohn eines unbedeutenden smolenskischen, als Major verabschiedeten Edelmanns und trug einen Namen, den die Geschichte Rußlands bis dahin nicht ge nannt hatte; ein Mann von sehr zweifelhaften Fähigkeiten, sehr unwissent und in der That durch nichts ausgezeichnet als durch eine maßlose und vollkommen gewissenlose Selbstsucht; durch ein unermeßliches Verlangen nach rohem, verschwenderischem Lebensgenuß und die ruchlose Energie, mit der er die Zwecke seiner Selbstsucht verfolgte. Zu dem Lebensgenuß ge

herte aber für ihn vor allem die Befugniß, eine schrankenlose Willkürherrschaft zu üben, und diejenigen, die ihm huldigten, mit Füßen treten zu Ennen, so gut wie diejenigen, die sich widersetzen wollten.

Die Kaiserin aber, die in weiblicher Weise und in dem Bewußtsein ihrer unberechtigten Stellung das Bedürfniß eines energischen Schutzes empfand, sah in dem Mann, dessen fast riefenhafter Gliederbau ein_titanisches Wesen anzukündigen schien, wirklich etwas ganz Außerordentliches und glaubte ihn selbst den größten Aufgaben gewachsen. So behauptete sich Potemkin im Besit der Herrschaft, selbst als er sich unter dem Vorwant andauernder Kränklichkeit ihrer intimesten Gunst wieder entzogen und allerhand hübsche, unbedeutende junge Leute vorgeschoben hatte, die, Einer nach dem Anderen, mit Reichthümern überschüttet wurden.

Potemkin wußte das Mißtrauen, mit dem die Kaiserin ihren Sohn betrachtete, zu steigern und beständig wach zu erhalten. Er ließ sie glauben, daß sie beständig von Gefahren umgeben sei; daß nur Er sie schützen fenne, besonders aber, daß nur Er allein sie auch unter allen Bedingungen werde schützen wollen. -Auf der anderen Seite schmeichelte er ihrer Eitelkeit mehr noch als ihrem Ehrgeiz durch Pläne von abenteuerlicher Großartigkeit, durch phantastische Bilder von Ruhm und Größe, die er ihr vorspiegelte. So zeigte er der Kaiserin die Eroberung von Constantinopel, die Vertreibung der Türken aus Europa, die Gründung eines griechischen Reichs am Bosporus, nicht etwa als Triumphe, die in Zukunft einmal zu hoffen seien, sondern als Dinge, die unmittelbar schon in den nächsten Jahren erreicht werden könnten und sollten.

Der Gedanke im Allgemeinen war nicht eigentlich Potemkins Eigenthum. Schon der Feldmarschall Münnich hatte die Kaiserin Katherina auf Constantinopel als das nothwendige Ziel russischen Strebens verwiesen. Toch hatte damals, was so fern lag in der Zeit wie im Raum, nur geringes Interesse erregt. Jetzt schien Alles in die unmittelbarste Nähe gerückt; die Kaiserin selbst sollte noch bei ihrem Leben die Krone des neuen griechischen Reichs tragen; da ergriff sie den Gedanken mit Feuereifer. Selbst dadurch, daß kein besonnener Staatsmann auf diese Ideen und Pläne eingehen wollte, wuchs Potemkin in ihren Augen; seine Zuversicht erheb ihn weit über die alltägliche Mittelmäßigkeit der Anderen.

Der älteste Enkel der Kaiserin erhielt den Namen Alexander, der weite den nicht minder bedeutsamen Constantin. Dieser sollte dereinst die griechische Krone von seiner Großmutter erben. Man ließ es sich, in einer Weise, die an Uebertreibung grenzte, angelegen sein Vorbedeutungen zu machen oder aller Welt die großartigen Pläne anzukündigen, mit denen man sich trug. Der junge Prinz wurde nicht nach russisch griechischem Ritus getauft, sondern nach dem etwas abweichenden orientalisch-griechischen, wie er in den Kirchen seines künftigen Reichs üblich war; man dachte daran, eine Griechin als Amme für ihn herbeizuschaffen und da das nicht

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gelingen wollte, wählte man wenigstens eine Amme, die Helene hieß. Junge Griechen wurden seine Spielgefährten und er lernte das Neugriechische gewissermaßen als Muttersprache.

Katherinas Gefühl der Unsicherheit, der Schuß, den Potemkin vers sprach und die weiten Aussichten, die er ihrem Ehrgeiz eröffnete -: darauf beruhte der Zauber, den er übte. Eines aber ist dabei wohl geeignet uns in Verwunderung zu seßen, nämlich, daß weder die Kaiserin noch Potemkin zu ermessen wußten, wie wenig die wirkliche Macht, über die das damalige Rußland verfügen konnte, ausreichte, so riesenhaften Plänen gegenüber. Daß Potemkin das nicht zu beurtheilen wußte, läßt sich allenfalls erklären, denn er war ein unwissender Mann, dem alle Elemente einer politischen Berechnung fehlten und nichts weniger als ein Denker. Aber wie konnte Katherina sich darüber täuschen, die ernstere Studien gemacht und zu der Zeit bereits eine vielfache Erfahrung erworben hatte! Wie konnte es ihr entgehen, daß namentlich die verhältnißmäßig sehr schwachen Finanzkräfte des Reichs am wenigsten reichen würden, besonders da noch dazu damit nichts weniger als gut Haus gehalten wurde!

Man verließ sich leichtsinnig auf den Zauber der Banknoten-Preise und dadurch ist in Rußland wie in manchem anderen Lande unsägliches Unheil angerichtet worden.

Dies Unheil stand aber nicht allein; ja es ist überhaupt nicht als eine selbständige Erscheinung zu betrachten, sondern als Eine aus einer ganzen Reihe nothwendiger Folgen des verfrühten Strebens, für Rußland eine Weltrolle von solcher Tragweite und Bedeutung in Anspruch zu neh men, che seine Macht im Innern gehörig entwickelt oder zu einer ent sprechenden Reife gediehen war. Der Umstand, daß die Kräfte des Reichs fortan fast ausschließlich darauf verwendet werden mußten, die auswärtige Politik zu unterstüßen, daß für Entwickelung der Intelligenz und Industrie, wenn überhaupt irgend etwas, doch nur wenig, so zu sagen nebensächlich geschehen konnte, daß an die nothwendigsten Reformen gar nicht gedacht werden konnte --: das Alles hat dem russischen Reich nicht einen so sichte baren, greifbaren Schaden gethan, als die Ueberschwemmung mit einem unfundirten, zum Voraus der Entwerthung verfallenen Papiergeld, der Sache nach aber einen gewiß nicht geringeren, vielleicht größeren. Indem Rußland auf die um sich greifende Politik Potemkins einging, begann es seine Zukunft gleichsam zum Voraus auszugeben und zwar nach einem Maßstab, der zu dem wirklichen Gewinn, der erreicht werden konnte und schließlich erreicht wurde, in gar keinem Verhältniß stand. Die Uebel aber, die daraus hervorgingen, haben fortgewirkt bis auf die neueste Zeit herab. Da in solcher Weise immer von neuem die Keime einer künftigen Macht aufgeopfert wurden, um eine gegenwärtige hervorzuzaubern, die über die wirklich vorhandenen Mittel hinausging, wurde der wirkliche Fortschritt des Reichs gelähmt und aufgehalten, und selbst die gegenwärtige Macht,

in deren Bewußtsein man sich gefiel, blieb zum Theil Schein, dem das Besen nicht durchaus entsprach. Als später für Rußland die Nothwenbigkeit eintrat, an den gewaltigen Kämpfen um das Geschick GesammtEuropas Antheil zu nehmen, war dann seine Macht nicht gesammelt, gereift und auf den entscheidenden Augenblick aufgespart wie beispielsweise die Macht Preußens durch Friedrich Wilhelm I. —; seine Zukunft war vielmehr bereits durch eine sehr bedeutende Last beschwert und vielfach verpflichtet, die innere Entwickelung war zurückgeblieben, die Finanz-Zustände waren erschüttert. Es wurden immer neue fieberhafte Anstrengungen nothwendig, die stets weit über das Maß dessen hinaus gingen, was die Gegenwart wirklich vermochte, stets von neuem die innere. Entwickelung Hemmten und die Zukunft weiter und weiter hinaus verpflichteten und verbrauchten.

Daß die Schülerin Montesquieus und Beccarias ihre früheren, schüchternen Versuche, die Fesseln der Leibeigenschaft in Rußland zu lösen oder zu erleichtern, unter dem Einfluß eines Mannes wie Potemkin nicht erneuerte, versteht sich von selbst. Dergleichen lag jetzt weit hinter ihr, Der Beachtung nicht werth; ihr Geist war auf Anderes und scheinbar Größeres gerichtet.

So wurde denn das Schicksal Klein Rußlands in dieser zweiten Periode der Regierung Katherinas sogar in einem gerade entgegengeseßten Sinn entschieden.

Daß die Ukraine auch unter der Kaiserin Elisabeth eigentlich nur durch eine Personal - Union mit dem alten moskowitischen Reich in Verbindung stand und seine selbständige kriegerische Verfassung behalten hatte, obgleich die Stelle eines Hetmans, nachdem Apostol gestorben war, unbesezt blieb und die Angelegenheiten Klein-Rußlands nicht mehr dem Collegium der auswärtigen Angelegenheiten, sondern dem Senat überwiesen waren, dessen ist bereits gedacht worden. Zur Zeit, als Alexey Grig. Rajumowsky auf der Höhe der Gunst stand, bewarben sich die kleinTusichen Kosacken stets von neuem um die Erlaubniß, dem alten Brauch gemäß und wie ihre Verfassung bestimmte, wieder aus ihrer Mitte einen Hetman wählen zu dürfen. Das konnte vielerlei Bedenken haben, doch, Dank der Fürsprache Rasumowskys, wurde die Bitte endlich gewährt. Durch faiserliche Gnade wurden im Herbst (16. Oct.) 1749 die Angelegenheiten der Ukraine wieder aus dem Senat an das Collegium der auswärtigen Angelegenheiten verwiesen, das alte Verhältniß also ganz wieder hergestellt und zugleich gestattete Elisabeth den Kosacken ihren Hetman ganz frei unter den Ihrigen zu wählen. Die vollkommenste Freiheit der Wahl wurde gewährt, zugleich aber den Kosacken in allerdeutlichster Weise begreiflich gemacht, daß ihre Wahl unmöglich auf jemand anders, als auf den jün

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