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Am besten aber konnte Katherina sich von neuem über ihr Verhältni zum Lande und zum russischen Volk belehren, als sie im Spätjahr 1767 und bis in den Januar des folgenden Jahres in Moskau weilte. Die dort hausenden Großen zwar versäumten nicht ihre Ergebenheit in den herkömmlichen Formen darzuthun, das Volk aber verhehlte seine Abneigung nicht, blieb stumm wo sie erschien und umringte dagegen auch diesmal wie früher, ihren Sohn, den vierzehnjährigen Großfürsten Paul Petrowitsch, in dem es den Urenkel Peters des Großen und seinen echten Kaiser erkannte, überall mit lautem Zuruf und Jubel. Ein junger Offizier Namens Tschoglokow, der durch seine Mutter von einem Bruder der Kaiserin Katherina I. (einem zum Grafen Hendrikow ernannten lettischer. Bauern) abstammte und mit einem der im 3. 1762 verurtheilten Garde offiziere (Roßlawlewl) verschwägert war, plante einen Anschlag auf das Leben der Kaiserin. Er wurde nach Sibirien verbannt. Ob sonst jeman und zwar jemand von Bedeutung, dabei betheiligt war, ist unbekann geblieben, da Katherina auch diesmal wieder jede tiefer gehende Unter suchung vermied. Sie war aber in dem Grade verstimmt durch die peinlichen Erfahrungen, daß sie den Behörden, namentlich dem Gubernater von Nowgorod befahl, sich um den Großfürsten Paul auf dessen Rückrei nach Petersburg nicht zu kümmern, ihm nicht entgegen zu reisen, woraus der Gubernator natürlich zu entnehmen hatte, daß er den jungen Brin zen überhaupt nicht feierlich empfangen dürfe, daß Alles so geräuschles wie möglich verlaufen müsse. — Erregte der Knabe doch ohnehin die all gemeine Aufmerksamkeit schon mehr als nöthig!

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Siebentes Capitel.

Die Angelegenheiten Polens; das Haus Czartoryski und seine Pläne; Stanislaus August Poniatowski zum König von Polen erwählt; Rußlands Einmischung zu Gunsten der polnischen Dissidenten; vergeblich versuchte Verfassungs-Reformen die Conföderation zu Radom und ihr Sieg; die Conföderation zu Bar und ihre Zwecke.

in Polen;

Krieg dieser Conföderation gegen Poniatowski und Rußland;

nischen Kron-Armee;

Neutralität der pol=

Türkenkrieg; die Pest in Moskau. Befihnahme der Zips von Seiten Oesterreichs; — Preußens und Desterreichs angebotene Friedensvermittelung; Theilung Polens; der Friede zu Kutschuk-Kainardschi. Berbesserte Organisation der Provinzial-Regierungen im Innern Rußlands; angebliche Verschwörung der Großfürstin Natalie.

die

Katherinas Regierungs-Programm um einen Ausdruck zu brauchen, der uns Neueren geläufig geworden ist - war, während dieser ersten Beriode, unter Panins Einfluß, ein friedliches. Panin war der Meinung, daß Rußland eine arge Thorheit begangen habe sich in den siebenjährigen Strieg zu verwickeln, um Schlesien mit russischem Blut für Desterreich zu erobern; Rußland müsse nie Bündnisse schließen, die es als bloße Hülfsmacht in Kriege verwickeln könnten; es könne, arm und wenig bevölkert, besonders die Opfer an Menschenleben, die der Krieg fordert, nicht wohl vertragen, und dürfe daher, ohnehin unermeßlich weit, nicht Kriege führen, um Eroberungen zu machen, sondern nur wenn die Vertheidigung seiner unmittelbaren Interessen sie nothwendig machten. Das war Panins System. Sein Gegner, Gregor Orlow, hatte nur Leidenschaften — und unter anderen auch die, nach Laune und Willkür despotisch zu gebieten ein politisches System aber hatte er nicht; dazu reichten weder seine Fähigkeiten noch seine Kenntnisse.

Die polnischen Wirren aber führten aus diesem Programm hinaus, indem sie erst einen in dem Augenblick sehr unerwünschten Türkenkrieg und dann die Theilung Polens herbeiführten.

Katherina sah sich schon früh unmittelbar nach dem Antritt ihrer Regierung veranlaßt hier einzuschreiten, und zwar in einer Weise, die erathen ließ was sie beabsichtigte, indem sie kund gab was sie nicht wollte.

König August III. von Polen-Sachsen hatte, mit Zustimmung des

kurländischen Adels, einen seiner jüngeren Söhne, den Prinzen Karl von Sachsen, zum Herzog von Kurland gemacht -: jezt mußte Biron, der wieder am russischen Hof erscheinen durfte, auf Katherinas Geheiß, unmittelbar nach dem Sturz Peters III. — schon am 20. Juli 1762 -, seinen geliebten Unterthanen in Kurland schriftlich bekannt machen, daß er die Regierung im Herzogthum wieder persönlich übernehmen werde. Vergebens wendete sich der sächsische Hof mit den demüthigsten Vorstellungen und Bitten nach Petersburg, Prinz Karl mußte weichen, russische Truppen führten Biron in sein Herzogthum zurück und sorgten mit großem Nach druck dafür, daß der geliebte Herzog Ernst Johann dort mit lauter Freud und dem erforderlichen Jubel empfangen wurde. Der russische Gesandt Simolin kündigte dem Magistrat von Mitau an, daß die Stadt Militär Execution zu gewärtigen habe, wenn sie etwa ihre Freude über das glüc liche Ereigniß nicht glänzend und geräuschvoll genug an den Tag leger wollte.*)

In Kurland war damit an die Stelle der im Recht begründete Oberherrlichkeit Polens eine thatsächliche, auf reale Macht gegründet Oberherrlichkeit Rußlands getreten, und es ließ sich darnach vorherseher daß Katherina, vorkommenden Falls, einen fremden Fürsten, der doc immer einen Anspruch auf Selbständigkeit mitbrachte auf den Thron, i Polen so wenig dulden werde als in Kurland. Am wenigsten eine Fürsten des sächsischen Hauses, der durch so vielerlei Beziehungen dara angewiesen war, seine Stüße in Oesterreich und Frankreich zu suchen un Polen dem Einfluß dieser Mächte dienstbar zu machen.

Nun starb August III., Kurfürst von Sachsen und König von Pole (5. October 1763), und sofort trat in Polen selbst eine zahlreiche Parte hervor, die nicht seinen Nachfolger im Kurfürstenthum, Friedrich Christian überhaupt nicht einen fremden Fürsten, sondern einen „Piasten“, einer einheimischen polnischen Edelmann, zum König erwählt wissen wollte. D Fürsten Czartoryski, Brüder, Michael, Großkanzler von Litthauen, un August, Palatin von „Rußland“ — das heißt einer Provinz des mit Peler vereinigten Roth-Rußlands, die amtlich diesen etwas zu umfassenden Namer führte diese beiden Magnaten standen an der Spitze der Partei, di solche Pläne zu verwirklichen strebte oder vielmehr sie bildeten mi ihrem zahlreichen Anhang, der fast ein Viertheil des kleinen Adels um faßt haben soll, diese Partei.

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Der Augenblick schien im Allgemeinen der Ausführung günstig un wurde es besonders dadurch, daß Christian Friedrich den Vater nur ur wenige Monate überlebte, und starb, als die Unterhandlungen über der erledigten Thron kaum begonnen hatten (am 17. Dec. 1763), sein Erb

*) Barteniew, das achtzehnte Jahrhundert, I. 466 -- 480.

im Kurfürstenthum aber, Friedrich August, zur Zeit ein dreizehnjähriger Knabe war.

An sich aber war der beabsichtigte Versuch in vielfacher Beziehung ein sehr gewagter — selbst abgesehen davon, daß jedes einheimische Haus, das sich der polnischen Krone bemächtigte, gewärtig sein mußte alle anderen großen Häuser des Landes zu Feinden zu haben und zu seinem Untergang verschworen zu sehen. Denn der Kurfürst von Sachsen brachte doch eine Hausmacht, auch eine militärische mit, die immerhin für Polen und seine Interessen eintreten konnte, wenn es die hadernden Parteien im Innern dieses Reichs zuließen: auf sich selbst angewiesen dagegen, war Polen jezt noch entschiedener als je zuvor wehrlos. Doch der Unverstand und Dünkel der Polen im Allgemeinen sah darüber hinweg, die Czartoryskis aber, die sich selbst als die künftigen Könige Polens dachten, versprachen sich im Stillen dem Uebel abzuhelfen. Sie wollten die Verfassung der Republik ändern und die Macht der Krone wenigstens in so weit steigern als nöthig war, um Polen einigermaßen wehrhaft und dessen Selbständigfeit möglich zu machen.

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Sie durften allerdings auf die Krone Anspruch machen, denn waren sie auch nicht Piasten im eigentlichsten Sinn des Worts, nicht Nachkommen der alten, einheimischen Könige von Polen, denen diese Benennung gebührte, so waren sie doch gleichen Ursprungs mit den Jagelonen, gleich diesen litthauische Fürsten aus dem Geschlecht Gedymins : ein Vorzug, den sie indessen freilich in Polen mit den Fürsten Sanguszko theilten und in Rußland mit den Galiyyns, Kurakins, Chowanskys und Trubezkoys. Sollten sie aber wie wir doch annehmen müssen so durchgreifende Reformen beabsichtigt haben, daß daraus ein wirklich und wesentlich besserer Zustand ihres Vaterlandes hervorgehen konnte, dann müßten nir es eine seltsame Verblendung nennen, daß sie glaubten, nicht nur die Wahl eines der Ihrigen, sondern auch diese weiter gehenden Pläne mit Rußlands Hülfe durchführen zu können. Auf den Beistand dieses Nachbarreichs waren sie dabei unbedingt angewiesen, denn sie bedurften dazu einer wingenden realen Macht, und wenn sie auch einer sehr zahlreichen Partei in Bolen geboten, so war doch selbst die zahlreichste Partei in Polen eben nicht eine wirkliche Macht, an deren Spize man etwa ernste Schwierigfeiten bekämpfen konnte. Die Czartoryskis hofften Rußlands Macht zu ihrem Werkzeug und ihren Plänen dienstbar zu machen, und das — während sie selbst in russischem Solde standen! während sie ihren fürstlichen Aufwand zum Theil mit den reichen Jahrgeldern bestritten, die ihnen Katherina gewährte! Offenbar hatten die Herren ein großes Vertrauen zu der eigenen Verschlagenheit und List!

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Sie sollten bald erfahren, mit wem sie es zu thun hatten und in welchem Grade sie abhängig seien. Katherina hätte sich der Leitung der polnischen Königswahl womöglich bemächtigen müssen, auch wenn sie nicht

von den Czartoryskis dazu aufgefordert war; das war eine Nothwendigkeit. Denn Polen und die Königswahl sich selbst überlassen, das hieß, wie die Dinge einmal lagen, wie Ssolowiew sehr richtig bemerkt, sie dem Einfluß irgend einer Macht überlassen, die ein Interesse dabei hatte, einen ihrer Clienten auf den Thron der Piasten zu erheben. Im gegenwärtigen Fall hätten dann Oesterreich und Frankreich, zu Rußlands und namentlich auch zu Preußens Schaden über die polnische Krone verfügt. Außer dem aber war Katherina auch von den Czartoryskis ausdrücklich und dringend aufgefordert, sich einzumischen, und sie gewährte ihnen natürlich sehr gern ihren Beistand, insofern es sich um die Wahl eines einheimis schen Königs handelte. Sie sah in einer solchen Wahl ein Mittel, die gebietende Stellung, die Rußland während des siebenjährigen Krieges in Polen eingenommen hatte, für immer zu wahren, jeden Einfluß anderer Mächte auszuschließen, mit einem Wort Polen, wenn auch mittelbar, doch sicher zu beherrschen.

Die Kaiserin eröffnete ihren Anhängern in Polen, den eng verbundenen Familien Czartoryski und Poniatowski, bei Zeiten, daß sie einen aus ihrer Mitte auf den Thron zu erheben gedenke. Damit war der ehemalige Günstling Katherinas, der,,Stolnik" (Truchseß) Stanislaus August Poniatowski in der That schon als der künftige König bezeichnet. Den geheimen Wünschen der Ezartoryskis konnte eine solche Wahl nicht eigentlich entsprechen, wenn auch Poniatowski ihr Neffe war, und da er von Vaters Seite dem unbedeutenden und armen polnischen Adel angehörte, der im Dienst der Magnaten sein Fortkommen suchte, nur als der Sohn einer Fürstin Czartoryska zu irgend welcher Bedeutung in der Welt kommen fonnte. Auch wollten sie nicht ohne Weiteres verstehen und machten noch einen schüchternen Versuch, der Sache vielleicht eine andere Wendung zu geben. Sie schlugen nicht ihrerseits Poniatowski vor, wie die Kaiserin ohne Zweifel wünschte, wahrscheinlich auch erwartete, sondern sie kamen unter sich überein Katherina zu bitten, sie möge erklären, wem von ihnen sie den Vorzug gebe. Es konnte von Stanislaus August Poniatowski oder auch von Adam Casimir Czartoryski, dem Sohn des Fürsten August, die Rede sein. Katherina entschied natürlich für den, der am wenigsten Bedeutung hatte, nämlich für Poniatowski, und abhängig wie sie waren, mußten sich die Czartoryskis fügen.*) Sie fügten sich, als Leute von Welt, in den elegantesten Formen, ob sie aber damit auch wirk lich und für immer der Hoffnung entsagten, schließlich doch ihr eigenes Haus auf den Thron zu erheben, das ist gar sehr die Frage. Ja es ist im Gegentheil sehr wahrscheinlich, daß sie nur den geraden Weg zum Ziel aufgaben, und nun darauf bedacht waren, auf Umwegen dahin zu gelangen; daß ihnen ihr unvermählter und kinderloser Neffe nur einstweilen als

*) Raumers Beiträge III. 353.

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