Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Erbgüter. Mit dem Unterschiede überhaupt schwanden aber auch die wenigen Beschränkungen, die dem Herrn bisher in Beziehung auf die Bauern seiner Dienstgüter vorgeschrieben waren. Da diese Bauern nunmehr eben auch unter allen Bedingungen, überall und selbst als HausSclaven dem Staat ein und dasselbe leisten mußten, hatte die Regierung kein Interesse mehr ihre frühere Sonderstellung zu wahren. Der Herr verfügte fortan auch über diese Bauern ganz so willkürlich wie über die seiner Erbgüter, und verkaufte sie auch gelegentlich gleich diesen, einzeln als Sclaven.

Während die adeligen Grundherren mit einem gewissen Recht geltend machen konnten, daß die Bauern, für deren Leistungen sie in so mancher Beziehung zu haften hatten, dafür auch in wirksamer Weise verhindert werden müßten, sich ihrer Botmäßigkeit zu entziehen, steigerte sich im Gegentheil ein Uebel, an dem Rußland ohnehin krankte, in dem Maß wie die Leibeigenschaft drückender wurde: ein massenhaftes Vagabundiren der Landleute nämlich, die sich durch unstätes Leben allen Verpflichtungen zu entziehen suchten.

Dem Uebel zu steuern, alle in die Revisionslisten eingeschriebenen Leute in wirksamer Weise an ihre Wohnsitze zu fesseln, wurde im Jahr 1724 ein eigenthümliches Paßwesen eingeführt. Kein Leibeigener - gleichviel ob Bauer oder Dienstknecht — durfte sich fortan ohne eine schriftliche Erlaubniß seines Herrn von seinem Aufenthaltsort entfernen. Mit dieser Maßregel war der Kreis der unter Peter dem Großen verfügten Neuerungen abgeschlossen und der russische Bauer war, ohne daß eigentlich ein Gesetz sein Schicksal bestimmt hätte, durch eine Reihe von Verwaltungsmaßregeln, thatsächlich in einen Zustand verseßt, der wohl eher Sclaverei als Leibeigenschaft genannt werden müßte. Dabei ist es dann im Wesentlichen bis auf die neueste Zeit herab geblieben.

Doch hatte Peter der Große das eigentlich nicht gewollt. Er hatte allerdings nur den Staatszweck im Auge, dem seiner Ansicht nach, alle Sonderinteressen rücksichtslos aufgeopfert werden mußten er sah in den Menschen nur Mittel für den Staatszweck und gewiß hat er nie auch nur entfernt daran gedacht etwa die Leibeigenschaft aufzuheben diesen der Verwaltung bequemen Mechanismus, vermöge dessen man sich immer nur an die Classe der Grundherren zu halten brauchte, um alle Mittel und Kräfte des Landes in Bewegung zu bringen. Aber eine der griechisch-römischen oder der asiatischen verwandte Sclaverei, wie mancherlei Mißbrauch schon vor ihm begonnen hatte einzuführen, und wie sie sich dann unter seinen Händen weiter ausbildete, hatte er nicht beabsichtigt. Aus manchen seiner Worte und Verfügungen scheint vielmehr hervorzuleuchten, daß er die Gleichstellung der beiden hörigen Stände lieber in gerade umgekehrter Weise bewirkt hätte; dadurch nämlich, daß er die Knechte

Dworowye - den Bauern gleichgestellt und aus rechtlosen Sclaven

zu Leibeigenen nach europäischem Recht gemacht hätte. Und überhaupt war er nicht gesonnen den Herren weitere Befugnisse über ihre Leibeigenen einzuräumen, als der Staatszweck zu fordern schien. Die CriminalGerichtsbarkeit war und blieb den Grund- und Leibherren vorenthalten, und namentlich auch war dem Kaiser in hohem Grade anstößig, daß Leibeigene persönlich und einzeln, getrennt von ihrer Scholle verkauft wurden.

Dem wollte Peter der Große gesteuert wissen. Er richtete deshalb einen Ukas an diejenige Behörde, die er an die Spitze der gesammten Regierung gestellt hatte, an den „dirigirenden Senat“. — „Es ist in Rußland herkömmlich," sagt der Kaiser in dieser Urkunde,,,Menschen zu verkaufen wie das Vieh, indem man selbst die Eltern von ihren Kindern trennt und vermählte Ehegenossen von einander, was sonst nirgends in der Welt geschieht und viele Thränen vergießen macht. Darum befehlen wir dem Senat ein Reglement zu entwerfen, um den Verkauf der Leute ohne die Scholle, die sie bewohnen, zu verbieten;" dann aber scheinen ihm die Schwierigkeiten eingefallen zu sein, die aus mancherlei Verhältnissen, namentlich aus dem Dasein der landlosen Haussclaven, hervorgehen könnten, und er fügt hinzu -: „oder, wenn es unmöglich sein sollte solchen Verkauf ganz zu verbieten, wenigstens zu verhindern, daß dabei die Mitglieder einer und derselben Familie von einander getrennt werden.“

[ocr errors]

Aber! Der Senat befolgte ganz einfach diesen Befehl des Selbst= herrschers nicht; er hat das verlangte Gesetz nie entworfen. Er bestand eben aus Leuten, die selbst Leibeigene besaßen; die Interessen, welche die Senatoren durch ein solches Gesetz gefährdet sahen, waren ihre eigenen und ihnen so theuer, daß sie es darauf ankommen ließen, ob der durch die auswärtige Politik, Krieg und Bauten so vielfach in Anspruch genommene Kaiser sich werde hinhalten lassen oder ob seine Geduld reißen werde. Und, was auch charakteristisch ist, der Senat hat dann den betressenden Ukas so vollständig in Vergessenheit zu bringen, so sorgfältig in seinen Archiven zu verbergen gewußt, daß unter Peters Nachfolgern niemand eine Ahnung von dessen Dasein hatte. Er wurde erst unter Alexander I., als der junge Kaiser und die Gehülfen seiner ersten Regierungszeit darauf bedacht waren, die Leibeigenschaft erst zu mildern und dann aufzuheben, zu allgemeiner Ueberraschung wieder entdeckt.*)

Auch manches andere Gebot, das der große Kaiser in der Absicht erließ, die Leibeigenschafts-Verhältnisse zu mildern, blieb erfolglos. Zwar gehorchte man ihm wirklich als er verfügte, daß es fortan nicht gestattet sein solle den Leibeigenen anstatt seines Herrn auf die Schuldfolter zu bringen. Das geschah nicht mehr. Ganz ohnmächtig blieb dagegen der Befehl, Leibeigene nicht zur Heirath zu zwingen. Im Interesse des Grund

*) N. Tourgeneff, La Russie et les Russes II, 104.

herrn lag es, daß die Zahl der „Haushaltungen“, die ihm zu bäuerlichen Leistungen verpflichtet waren und nebenher für sich selbst sorgen mußten, sich in seinem Gebiet möglichst vermehrte. Es war ihm demnach daran gelegen, daß die Landleute früh heiratheten, und noch unter dem Kaiser Nicolaus war es in einem großen Theil Rußlands auf den Besitzungen des kleinen und selbst des mittelmäßig begüterten Adels eine gar nicht ungewöhnliche Erscheinung, daß den jungen Burschen befohlen wurde zu heirathen, sobald sie hinlänglich herangewachsen schienen. Es wurde dann wohl als eine besondere Gnade des Herrn, als Belohnung für gutes Betragen geltend gemacht, wenn der junge Landmann seine Braut wählen durfte.

Eine andere Verfügung des Kaisers, der zufolge die Statthalter in den Provinzen diejenigen Herren, die ihre Macht mißbrauchten, unter Curatel stellen sollten, blieb ebenso ohne Erfüllung. Die Statthalter wußten eben niemals etwas von solchen Herren. Es gab dergleichen. officiell gar nicht.

Wie wenig aber auch Peter der Große gewillt war die Hörigkeit des Bauern zu einer strengeren zu machen, er verfuhr in Beziehung auf die wichtigen Verhältnisse, um die es sich hier handelte, nicht nach einem umfassenden und durchdachten Plan, beschränkte sich auf einzelne Verordnungen, wie sie der Augenblick zu fordern schien, und thatsächlich geschah das gerade Gegentheil von dem, was er wollte; der Bauer wurde in bestimmterer Weise als zuvor in die Rechtsverhältnisse der Haussclaven hinabgedrückt. Ein Beweis, was unter Umständen die geräuschlose, aber zähe Macht bestehender Verhältnisse und Interessen vermag, auch einem Selbstherrscher gegenüber und selbst wenn dieser ein Mann ist wie Peter der Große.

Der Unterschied im Recht der beiden Classen höriger Leute - das heißt jeder wirkliche Unterschied - war thatsächlich aufgehoben. Daß die Leibeigenen in ihren Pässen und allen sonstigen Documenten dennoch fort und fort, je nachdem, als gefestete Leute", (Krepostnye) Bauern, oder als Haussclaven bezeichnet wurden, wollte wenig bedeuten; es geschah, weil eben keine andere Bezeichnung üblich geworden war, welche die beiden ehemals verschiedenen Classen gemeinschaftlich umfaßt hätte. Es war jetzt durch die herkömmlichen Benennungen eigentlich nur das ökonomische Verhältniß ausgesprochen, in dem die Leute zu ihrem Herrn standen, und in der großen Mehrzahl der Fälle auch ihre Abstammung.

So unwesentlich dergleichen aber auch war, behauptete sich doch, ungeachtet aller nivellirenden Neuerungen, im Bewußtsein des Volks selbst die Vorstellung, daß Bauern und Hofgesinde wesentlich verschiedene Stände seien, und sie übte auch einen wirklichen, fühlbaren, wie die Umstände sich gestaltet hatten, nicht durchaus vortheilhaften Einfluß auf das ökonomische Leben Rußlands. Daß der Herr nach Belieben den Einen und den An

deren aus der Dorfgemeinde herausnahm und zu seinem Haussclaven machte, dem konnten die Bauern nicht wehren; sie hatten sich sogar gewöhnt die Befugnisse des Herrn in dieser Beziehung anzuerkennen und dergleichen nicht als ein Unrecht zu empfinden. Sie glaubten ihren Herrn berechtigt ihnen Arbeit in Fabriken aufzuerlegen, ja sie etwa zum Betrieb eines Bergwerks in Masse in eine ferne Gegend zu versetzen und wenn sie sich empörten, so war es gegen einen harten Druck, nicht gegen eine Verlegung des Rechts. - Dagegen einen Menschen aus der Classe der Haussclaven in die Dorfgemeinde, in die Bauerschaft zu versezen, ihm ein Recht der Mitbenüßung der Feldflur des Dorfs zuzuerkennen, das ist vielleicht nie versucht worden. Die Bauern hätten sich widersett und hätten gewiß nicht ohne sehr ernsten Zwang bestimmt werden können, den Haussclaven in ihren Gemeinde - Versammlungen mit rathen und stimmen zu lassen. Auch die Haussclaven hätten sich kaum willig einer jolchen Neuerung gefügt; sie achteten sich durchaus nicht berufen den Acker zu bauen. Erst spät und einzeln verfielen sie darauf, städtische Gewerbe zu treiben und die Erlaubniß dazu von ihrem Herrn für einen verhältnißmäßig hohen Zins zu erkaufen. Im Wesentlichen blieb es dabei, daß sie das überaus zahlreiche und, wie sich danach von selbst versteht, größtentheils sehr müßige Hausgesinde ihrer Herren bildeten. Das Dasein dieser Leute wurde ein Krebsschaden Rußlands, denn es veranlaßte eine Verschwendung von Arbeitskräften, die in dem armen und dünn bevölkerten Lande doppelt schädlich empfunden werden mußte. Man wird den Umfang dieses Uebels ermessen können, wenn man sich erinnert, daß sich zur Zeit Kaiser Alexanders I. in dem immer noch sehr schwach bevölkerten Reich über zwei Millionen dieser Leute (männliche Seelen) in die Revisionslisten eingetragen fanden, mit ihren Familien also zwischen vier und fünf Millionen Individuen, die ohne eine irgend nennenswerthe eigene productive Thätigkeit ernährt und versorgt werden mußten. Sie verzehrten in unfruchtbarster Weise einen sehr bedeutenden Theil dessen, was der Bauernstand producirte und seinen Herren entrichtete.

Daß eine wirkliche, veredelnde Bildung nicht möglich ist, wo die Hauptmasse des Volks in solchen Verhältnissen lebt, die nebenher auch noch die Productivität der Nationalarbeit auf ein verhältnißmäßig geringes Maß beschränken, das bedarf keiner Erklärung. Doch lag in den Zuständen Rußlands, wie sie sich thatsächlich gestaltet hatten, auch Ein und Anderes, das den bösen Einfluß einer solchen Leibeigenschaft zu mildern, ja theilweise aufzuheben geeignet war, und wer den slawischen Osten Europas wirklich kennt — oder vielmehr gekannt hat, zur Zeit, als dort die alten Zustände noch unberührt waren, der wird unbedingt einräumen müssen, daß die Hörigkeit in Rußland niemals einen solchen herabwürdigenden und corrumpirenden Einfluß auf das Landvolk geübt hat, als in dem benachbarten Polen.

Das hatte seine nachweisbaren Gründe in den allgemeinen Verhältnissen. Der polnische Adel war der wirkliche Souverain seines VaterLandes; die Regierung des Landes lag in seiner Hand, gab ihm aber doch im Ganzen wenig zu thun, weil das Land eben gar nicht regiert wurde. Er hauste viel auf seinen Gütern, die großen Herren umgeben von einer zahlreichen Clientel, die dem kleinen Adel angehörte. Zwangsarbeit war die Grundlage aller ökonomischen Verhältnisse; die Leistungen der Bauern bestanden im ganzen Reich ohne Ausnahme der Hauptsache nach in Frohndiensten und zwar in ,,ungemessenen", wie der technische Ausdruck lautet, d. h. in Diensten, die kein Gesetz regelte oder auf ein bestimmtes Maß beschränkte, die der Herr stets willkürlich fordern konnte, in welcher Ausdehnung er wollte. So hatte denn jede adelige Besigung ihren Herrenhof, dessen Felder durch die Bauern bestellt wurden. Die großen Herren hatten einen solchen in jedem der zahlreichen, ihnen unterworfenen Dörfer; ihre Güter wurden durch gewissenlose Beamte verwaltet, die für ihre Person dem kleinen Adel angehörten und im Namen des Herrn auch. Polizei und Rechtspflege, ganz willkürlich, ohne Controle, in einer Weise übten, die im Allgemeinen nicht dazu angethan war, das sittliche Bewußtsein, das Selbst= gefühl der Bauern zu heben.

Der russische Adel dagegen war durchaus ein Dienstadel und lebte im Dienst des Landesherrn; ein sehr großer Theil des Landbesizes, den er inne hatte, war eine Ausstattung, die er vom Regenten des Landes erhalten hatte, um den Dienst leisten zu können, zu dem die Edelleute persönlich verpflichtet waren. Wie das diese Verhältnisse mit sich brachten, konnte nur ein geringer Theil des Adels - und zwar des ärmeren, eigentlich nur der Bojarenkinder, die außer der Heeresfolge im Landesaufgebot zur Zeit keine Verpflichtungen hatten auf den Dörfern leben. Die größeren Herren waren von jeher und schon zur Zeit der Theilfürstenthümer durch den Dienst an den Wohnsiz und Hof ihres Fürsten gebunden - fie weilten jezt in Moskau oder, als Wohewode oder zu dessen zahlreichem Anhang gehörig, in den Provinzstädten.

In Folge dessen besaß regelmäßiger Weise nur der kleine Landadel und ein Theil des mittelmäßig begüterten eigene Meierhöfe; -Herrenhöfe, die durch Frohndienste bestellt wurden, und bei der Willkür, die auch hier dem Herrn gestattet war, lebten die Bauern dieser Besizungen wohl zum Theil unter einem Druck, der an polnische Zustände streifte, doch ohne sie ganz zu erreichen. Denn das naheliegende Beispiel der Bauern auf den Domänen der Krone, den Besitzungen der Kirche und der Großen nöthigte doch immer zu einem gewissen Maßhalten. Auf den unermeßlichen Besitzungen der Krone, auf den Gütern der Bisthümer und Klöster, die sich gleich Fürstenthümern ausdehnten, und selbst auf denen der Bojaren gab es im Allgemeinen weder Herrenhöfe noch Frohndienste. Hier war die gesammte Feldflur einer Ortschaft gegen einen Zins (Obrok), der nach

« ZurückWeiter »