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den 4. December nach Cour und Spiel, in einem der inneren Gemächer der Prinzessin Elisabeth, die sie dorthin zu sich beschied. Elisabeth betheuerte unter endlosen Thränen ihre Unschuld und daß sie zuviel Religion habe, ihren Eid zu brechen. Die Regentin beruhigte sich dabei.

Elisabeth soll indessen doch so erschreckt gewesen sein, daß sie das ganze gewagte Unternehmen aufgeben wollte. Das sieht ihr ähnlich; sie war nicht zu heroischen Thaten geschaffen. Lestocq aber sah natürlich ein, daß nun, wenigstens für ihn selbst und die sonstigen Genossen, eine rasch entschlossene Ausführung des Anschlags, die einzige Möglichkeit der Rettung gewährte. Er nimmt für sich das Verdienst in Anspruch, die Prinzessin nun endlich dadurch zu Entschluß und That bewogen zu haben, daß er ihr vorstellte, sie habe nun nur noch zwischen dem Thron und dem Kloster die Wahl.

Wie leicht die Ausführung gelang ist bekannt. Elisabeth begab sich in der Nacht vom 5. zum 6. December, von Lestocq, Schwarz und Weronzow begleitet, in die Kaserne, in der die Soldaten der Preobrashenskischen Garde, ohne Offiziere, ohne Aufsicht hausten; sie stellte sich ihnen, mit dem Andreas-Orden bekleidet, ein Offizier-Esponton in der Hand als die Tochter des großen Kaisers, als ihre rechtmäßige Kaiserin vor und forderte sie auf in ihr die Kaiserin anzuerkennen und ihr zu folgen. Eine Anzahl der Soldaten war bereits durch Grünstein vorbereitet und gewonnen, ihrer dreihundert folgten dem Ruf; die Prinzessin führte sie selbst nach dem nahen Winterpalast und ließ die Regentin und die Ihrigen, von denen niemand einen Widerstand oder auch nur ein Wort des Widerspruchs wagte, als Gefangene nach dem Palast bringen, den sie selbst bis dahin bewohnt hatte.

Ostermann, der Baron Mengden, Vater der Hofdame, und Münnich, der seit drei Vierteljahren verabschiedet gar nichts mit der bestehenden Regierung zu thun hatte, für dessen Verhaftung es gar keinen Vorwand gab, wurden noch in der Nacht ergriffen und auf die Citadelle gebracht, Golowkin, Löwenwolde und noch viele Andere als Gefangene in ihren eigenen Wohnungen von Wachen umgeben. Am frühen Morgen des anderen Tages standen die sämmtlichen Garderegimenter vor dem Palast der Prinzessin Elisabeth und huldigten ihr, der neuen Kaiserin und die Hauptstadt erfuhr, wie es scheint ohne allzu große Verwunderung, wie sich über Nacht die Scene verändert habe. Elisabeth stellte die Garden unter die Befehle des Prinzen von Hessen-Homburg, der seit lange russischer General, sich keines guten Rufs erfreute. Dem wurde aufgetragen für die Ruhe der Hauptstadt zu sorgen. Das machte keine Schwierigfeiten. Der Senat, der Synod, die Generalität, alle folgten dem Beispiel der Garden und leisteten, wie allen bisher einander ablösenden Regierungen so auch dieser willig und mit derselben rührenden Einstimmigkeit den ver

langten Eid als Pfand einer sehr zweifelhaften Treue. Keine Hand regte, feine Stimme erhob sich für die gestürzte Familie.

„Die Adeligen, die etwas zu verlieren haben, stimmen in der Regel für das, was eben besteht und schwimmen mit dem Strome" — bemerkt der englische Gesandte Finch bei dieser Gelegenheit. Uebrigens, so leicht es wenige Stunden früher - noch den Abend vorher gewesen wäre der Revolution vorzubeugen, so unmöglich war es jezt sich ihr zu widersezen. Die Garden standen unter den Waffen und unter ihnen, wie unter der Bevölkerung der Straßen war Elisabeth sehr beliebt. Endlich aber war diese Umwälzung auch der Geistlichkeit und unter gewissen Bedingungen auch den Altrussen sehr genehm, so wenig sie etwas dazu gethan hatten und so unerwartet sie ihnen kam.

Das Schicksal des gestürzten Hauses und seines Anhangs war natürlich ein schreckliches, das müßte man sich denken, auch wenn kein Bericht darüber vorläge. Wie dem Verfasser ron competenter Seite mitgetheilt werden ist, soll das Archiv des Cabinets noch einen kleinen Zettel von der Hand der Kaiserin Elisabeth bewahren, der, in den ersten Tagen ihrer Regierung geschrieben, die wenigen Worte enthält: „Anna Leopoldowna fragen, wo ihre Juwelen sind; wenn nicht (d. H. wenn sie es nicht sagen will) werde ich sie foltern lassen." (CпpocuтI у Апн еопо.1ДOBнLI гдѣ ея алмазы То я буду ее пытать.) Die gut= müthige Elisabeth hatte in ihrer naiven Rohheit wahrscheinlich gar kein Bewußtsein davon, daß dergleichen unmenschlich sein könnte. Den kleinen Iwan Antonowitsch, der noch nicht achtzehn Monate zählte, hatte die Kaijerin

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zwar geherzt und geküßt, als er ihr gebracht wurde und dabei gesagt: „Ru bift in nidts mulbig" (Ты не въ чемъ не виноватъ); aber fie trennte ihn wenige Monate später von seinen Eltern und ließ ihn nach Schlüsselburg bringen, wo er sein elendes Dasein bis an das Ende in einem engen Gefängniß ohne Tageslicht verlebte, ohne daß ihm je auch nur ein Blick in das Freie gegönnt gewesen wäre; zwei Offiziere, die ihn - mit ihm eingesperrt in diesen Raum - bewachten, hatten von der Raiserin Elisabeth Befehl ihn zu ermorden, sowie ein Versuch gemacht werte, ihn zu befreien. Die Eltern dieses zum Unglück Geborenen, wie in päter Katherina II. nur zu treffend nannte, mußten bekanntlich ihr Leben in Cholmogor im hohen Nerden elend vertrauern. Doch war bas Geschick gütiger gegen Anna Leopoldowna als die Menschen; sie starb jden 1746 faum achtundzwanzig Jahre alt.

Die Verbrecher Münnich, Ostermann, Löwenwolde, Golowfin, Mengden und viele Andere wurden, wie sich von selbst versteht, „dem Gericht übergeben" nämlich einer Commission, die aus Senatoren und anderen vornehmen Herren bestand. Neid und Haß konnten sich nun an ten Deutschen" rächen. Sie wurden sämmtlich zu qualvollen Todesstrafen verurtheilt; Ostermann sollte gerädert, Münnich geviertheilt, nur

die Uebrigen sollten einfach geköpft werden. Erst auf dem Richtplat wurden sie alle zu einfacher Todesstrafe begnadigt und erst nachdem Ostermann den Kopf auf den Block gelegt hatte, noch weiter, zur Verbannung nach Sibirien.

Wie die Gründe beschaffen waren, auf die sich das Urtheil stüßte, das ist wohl zur Genüge dadurch charakterisirt, daß Ostermann beschuldigt wurde, Er, nicht Dmitry Galiyyn, nicht die Familie Dolgorukh habe nach dem Tode Peters II. die Prinzessin Elisabeth von der Thronfolge ausgeschlossen und Anna Iwanowna auf den Thron erhoben; Er — nicht Biron, nicht der Senat habe dann die Dolgorukys hinrichten lassen. Gegen Münnich vollends mußten die allerungereimtesten Dinge vor gebracht werden. So mußte ein Gardesoldat — einer der dreihundert — der dafür bezahlt wurde, gegen ihn aussagen, als er Biron verhaftete, habe er die Soldaten getäuscht und sie glauben lassen, es handele sich darum, die Prinzessin Elisabeth auf den Thron zu erheben. Darin wußten die Richter ein Verbrechen zu finden, das mit dem Tode bestraft werden mußte. Der eiserne Feldmarschall zeigte sich durchaus heldenhaft. Da er wohl sah, in welcher Weise die Untersuchung geleitet wurde und wohin sie führen sollte, gab er seinen Richtern in den Verhören seine Verachtung ganz unverholen zu erkennen. Er sagte ihnen am Ende, sie möchten sich die Antworten auf die ihm vorgelegten Fragen selber machen. Die Herren nahmen ihn beim Wort und thaten das wirklich. Der Tradition zufolge, die in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts in den Petersburger Kreisen noch lebendig war, hätte er auch auf dem Nichtplaz den Versuch Ihn mit dem Tode zu schrecken, Ihn dadurch strafen zu wollen, daß man ihn die Todesangst erdulden ließ, mit Verachtung be handelt. Als man ihm seine Begnadigung ankündigte, soll er wegwerfend gesagt haben: „,C'était la peine de nous faire venir ici!" Wahrscheinlich russische Worte, die ungefähr diesen Sinn hatten.

Das Vermögen der Verurtheilten wurde natürlich confiscirt und unter ihre Richter vertheilt. Nach dem Zeugniß der Zeitgenossen war das sogar in den Augen der Richter die Hauptsache.

Ostermann starb nach sieben Leidensjahren in Sibirien, im Elend; Münnich verlebte dort zwanzig Jahre in stoischer Haltung. Beide waren Männer, denen Rußland großen Dank schuldig war. Biron dagegen, von dem man das nicht eigentlich sagen kann, wurde aus Sibirien zurückberufen, aus keinem anderen Grunde, als weil die neue Regierung beflissen war in allen Dingen das Gegentheil von dem zu thun, was die Regentin oder die Kaiserin Anna verfügt hatten. Biron verlebte darauf eine Reihe von Jahren in sehr leidlicher Verbannung zu Jaroslaw.

Auch die Republikaner von 1730", wie man sie nannte, die Leute, die zehn Jahre früher Elisabeth, als unehelich geboren, von der Thronfolge ausgeschlossen hatten, die Galighns und Dolgorukys, so viele ihrer

noch übrig waren, durften wieder bei Hof erscheinen und wurden sogar sehr gütig empfangen. Der alte Feldmarschall Dolgoruky gewann selbst wieder einen gewissen Einfluß.

Die unmittelbaren Gehülfen der neuen Kaiserin wurden natürlich gleich in den ersten Tagen sehr reichlich belohnt. Von Grünstein und Schwarz war weiter nicht viel die Rede, Lestocq aber wurde ein vornehmer und reicher Mann, der großen Einfluß übte. Die dreihundert Grenadiere bildeten eine Leib-Compagnie, erhielten sämmtlich Offiziersrang und wurden auch, insofern sie nicht adeliger Abkunft waren, sämmtlich geadelt. Man begegnet in Rußland hin und wieder auch heute noch den Nachkommen des Einen und des Anderen von ihnen, zum Theil selbst in ansehnlichen gesellschaftlichen Stellungen. Sie sind leicht an ihren Siegeln zu erkennen, denn alle diese Grenadiere erhielten ein und dasselbe Wappen: eine Grenadiermüge und eine weiße Stieflette im rothen Schilde.

In dem neuen Cabinet, das Elisabeth bildete, blieb der alte Fürst Tscherkasky an seiner gewohnten Stelle, die Hauptrolle aber spielte darin als Bicekanzler der zweideutige Alexey Petrowitsch Bestushew - Riumin, den die Regentin Anna in der letzten Zeit in einer gutmüthigen Laune ohne irgend einen ersichtlichen Grund begnadigt hatte.

La Chetardie aber trat sofort, nachdem der Streich gelungen war, unverhohlen als der Magus hervor, der das erfreuliche Wunder bewirkt hatte. Er verkehrte auf das Freundschaftlichste mit den Garde-Soldaten, die er bei jeder Gelegenheit öffentlich umarmte, unterstüßte die Kaiserin und ihr Cabinet mit seinem Rath und war, wie die Zeitgenossen sagen, eine Zeit lang in der That der leitende Premier-Minister Rußlands, so daß die Einheimischen sich vielfach mit ihren Bitten und Beschwerden an

ibn wendeten.

Bernhardi, Rugland. II. 2.

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Fünftes Capitel.

Elisabeths Regierung; - Zufriedenheit der Kirche; - Unzufriedenheit im Lande; wirkliche und angebliche Verschwörungen; - Vermählung der Kaiserin mit Rafumowsky; Krieg und Friede mit Schweden.

Bestushews Sturz;

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Ruf

Gründung der

Kampf des Kanzlers Bestushew, erst mit Leftocq, dann mit den Schuwalows;
lands Antheil am siebenjährigen Kriege;
Akademie der Künste; Vorherrschen französischer Bildung.
Peters III. furze Regierung und sein Untergang; - Katherina II. Kaiserin.

Das Mißvergnügen, das zur Zeit der Kaiserin Anna herrschte, hat in der späteren Darstellung dieser Periode russischer Geschichte bis auf die Gegenwart herab seinen Widerhall gefunden und zwar in solcher Weise, daß das Urtheil über diese Zeit dadurch ein befangenes und nicht durch aus gerechtes geworden ist. Die gerade entgegengesetzte Erscheinung tritt uns in Beziehung auf die Regierungszeit der Kaiserin Elisabeth entgegen. Auch unter dieser Kaiserin herrschte vielfach Unzufriedenheit im Lande, auch sie hatte sich mehrfacher Verschwörungen und manches bösen Anschlags zu erwehren, auch sie mußte die eigene Erhaltung zur Hauptaufgabe ihrer Regierung machen: in der Erinnerung aber ist diese Unzufriedenheit verstummt und Alles erscheint im rosigsten Licht.

In der Erinnerung der alten Herren, deren Knabenzeit noch in die Tage der Kaiserin Elisabeth gefallen war, die bis in die ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts hineinlebten und denen die Traditionen auch des elterlichen Hauses gegenwärtig waren — in den Augen dieser „Staroshily“, wie man in Rußland die Leute nennt, die in den Erinnerungen einer vergangenen Periode leben, war nicht die glänzende Zeit Katherinas II., sondern die Regierung der Kaiserin Elisabeth das goldene Zeitalter; die schöne Vergangenheit, bei deren Bild man mit Vorliebe verweilte.

Die Lösung dieses Räthsels liegt sehr nahe -: es war unter der Kaiserin Elisabeth folgerichtig durchgeführter Grundsay, niemanden zu den hohen Würden der Regierung und des Hofs, überhaupt zu glänzenden Stellungen zu erheben, als echte Russen reinen Bluts und griechischer Religion. Das Nationalgefühl war befriedigt, wie auch sonst die Dinge gehen mochten, und besonders in der Erinnerung war das Nationalgefühl befriedigt. In etwas seltsamem Zusammenhang mit dieser Befriedigung

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