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Die Monarchien des sechzehnten Jahrhunderts.

Um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts hatte Europa eine neue Gestalt angenommen.

Im Mittelalter hatte durch lange Zeiträume hin die Anschauung geherrscht, daß die gesammte abendländische Christenheit einer allgemeinen Monarchie, einem heiligen Weltreich angehöre, in welchem Kaiser und Papst die Oberherrschaft führten und das hierarchische und feudalistische System die geistlich-sociale Ordnung bilde.

Aber dann war eine Zeit gekommen, in der unter dem Vordringen neuer Anschauungen die Ordnungen des Feudalismus und das System der Hierarchie erschüttert wurden. Mit dem modernen Geist des Humanismus, der das Recht und die Freiheit der Persönlichkeit betonte, Entwickelung individueller Eigenart auf sein Banner schrieb, vertrugen sich nicht die Gestaltungen eines uniformen Universalismus. An Stelle der lateinischen Weltsprache begannen. die Landessprachen emporzukommen; das Nationalgefühl verbreiterte und vertiefte sich.

Und das in einer Epoche, in welcher jene beiden Obergewalten des Mittelalters ohnehin, und nicht zum wenigsten durch erbittertes Ringen wider einander, Macht, Ansehen, Bedeutung verloren hatten. Beide waren in völligem Verfall, in trostloser Entartung. Es gab eine kaiserlose Zeit, eine Zeit päpstlicher Gefangenschaft; dann wieder eine, in welcher die Christenheit drei Kaiser und drei Päpste auf einmal hatte.

Beide Gewalten hatten abgewirthschaftet.

Die feudalen Institutionen hatten sich überlebt, die Kirche war in ihren religiösen Grundfesten erschüttert, entsittlicht, entchristlicht.

Das fünfzehnte Jahrhundert ist die Epoche der Ausbildung nationaler Staaten und nationaler Kirchen.

Wenn noch Kaiser Sigismund, erfüllt von dem Gedanken des „Imperiums," sich entschloß, die christliche Universalmonarchie wieder herzustellen und damit zugleich die Kirche aus ihrem Verfall zu retten, so mußte er es erleben, daß ihn Frankreich, England, Spanien nicht mehr als obersten Herrn anerkannten, und daß zu Constanz die Kirche nicht reformirt wurde.

Noch im fünfzehnten Jahrhundert gewahrt man in allen staatlichen Bereichen Zerrissenheit, Zusammenhangslosigkeit, ein buntes Gewirr gleichstehender, selbständiger Gebiete mit besonderen Rechten, Verfassungen, Interessen; Gebiete

die sich in den Händen geistlicher und weltlicher Vasallen befanden, welche im Lauf der Zeit zu Macht und Unabhängigkeit gelangt waren. So war es in Deutschland, so fast überall, zumal in der westeuropäischen Welt, die in ihrer Entwickelung dem Osten weit voranschritt und als die eigentlich tonangebende jenes Jahrhunderts genannt zu werden verdient.

Aber wie verschieden gestalteten sich dann die Verhältnisse in Spanien, Frankreich, England und hingegen in Deutschland. Dort überall gelang es der monarchischen Gewalt, sich in den Mittelpunkt des Regiments zu sehen, und zwar indem sie die Macht des Staats über die Freiheiten der Stände erhob, und indem sie, bei aller Anhänglichkeit an die bestehende Kirche, den Einfluß des Papstes auf die kirchlichen Zustände in ihren Staaten, gegen den hier und da schon in früheren Zeiten und mehrfach mit Erfolg angekämpft worden war, in engere Grenzen einschränkte. Ich möchte sagen, die westeuropäischen Monarchen verstaatlichten ihr Land und nationalisirten die Kirche desselben. Nichts trug zur Steigerung der königlichen Prärogative in diesen drei Reichen mehr bei, als daß sie die ausgedehnten Rechte, den tiefeingreifenden Einfluß des Bischofs von Rom, damals schon mehr fast ein italienischer Landesherr als das geistliche Oberhaupt der Christenheit im Bereich ihrer Herrschaft wenn nicht ganz zu beseitigen, so doch bedeutend zu mindern und eine Reihe entscheidender Befugnisse, die er bisher ausgeübt hatte, an sich zu bringen vermochten.

In Spanien geschah das durch das Concordat von 1482, durch welches der Papst dem Könige die Besetzung der wichtigsten Kirchenämter überließ. In Frankreich war dem Papst schon durch die pragmatische Sanction von 1438 eine Reihe wichtiger Rechte, namentlich jeder Einfluß auf die Bischofswahlen, entrissen worden. Und wenn König Franz I. dann (1516) in einem neuen Concordat, um im Kampfe gegen das Haus Habsburg den Heiligen Vater mit seinem kirchlichen Segen und seiner territorialen Macht auf seiner Seite zu haben, in wesentlichen Punkten auf sie verzichtete, so gewann er dagegen Zugeständnisse, die für seine dynastischen Zwecke um vieles schwerer ins Gewicht fielen: er erhielt das Recht der Besehung der Erzbisthümer, Bisthümer und Abteien in seinem Reich, was denn einer ungeheuren Steigerung der königlichen Gewalt gleich kam. Denn damit war, genau wie in Spanien, der erste Stand, der nicht durch Erbrecht, sondern nur durch die Gnade der Ernennung bestand, und mit ihm der größte Theil des heimischen Grundbesizes ganz von der Krone abhängig. Hier wie dort beugte der Klerus in tiefster Devotion das Knie vor dem Monarchen, in welchem er nun seinen Herrn und Meister erkannte, dem er die Existenz verdankte. In England aber löste der gutkatholische Heinrich VIII. die Kirche seines Landes ganz von der päpstlichen Herrschaft, indem er sich selber zu ihrem Haupt machte und sich den Suprematseid leisten ließ.

Ueberall hier wurden die alten Stände in ihrer Selbständigkeit und Präponderanz von der Krone gebrochen. In Spanien wurde dieses Werk

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durch Karl I. (V.) in dem Kriege gegen die Communidades (1520-21) vollendet, in welchem die Granden und die Städte gegen einander kämpfend sich gegenseitig schwächten und es der Krone erleichterten, sich über beide zu erheben, die Freiheiten der Communen, die Rechte der Granden zu vernichten, indeß der höchst kirchlich gesinnte Klerus in unselbständiger Abhängigkeit von der Krone verharrte. In Frankreich war es vor allem Ludwig XI., der, ge= stüzt auf die popularen Elemente, die großen Vasallen niederwarf und eine Unumschränktheit der Krone stabilirte, welche mit der Spaniens wetteiferte. In England errichtete Heinrich VII., der König der armen Leute, auf den Trümmern des altständischen Wesens die starke Monarchie.

Und denselben Weg schlugen bald hernach die nordischen Könige ein. Auch sie bedienten sich der popularen Elemente ihrer Staaten, um ihre Krone über die vorherrschende Macht der privilegirten Klassen, zumal des Klerus, zu erheben.

Weit anderer Art der Verlauf und die Entwickelung in Deutschland. Auch hier eine Fülle localer und territorialer Freiheit und Selbständigkeit in den kleinen und kleinsten Bereichen, und ihr gegenüber die Schwäche der öffentlichen Macht. Die alten Beamtungen im Reich wie in den Territorien erblich oder in todter Hand; nur die oberste Reichsgewalt wählbar, und jede neue Wahl mit neuen Opfern der kaiserlichen Prärogative verbunden. Die Kaiserkrone brachte keine Macht; wer sie tragen wollte, mußte anderweit mächtig sein. Dem Reiche fehlten Mittel und Organe zur Handhabung von Frieden, Recht und Ordnung. Die Einheit des Reichs war ein bloßer Name, sein Zustand die in Permanenz erklärte Anarchie, sein Schicksal ewige Gefährdung, immer neue Verluste an allen Grenzen.

Ein Wandel der staatlichen Zustände that in Deutschland nicht minder noth als in den westlichen Reichen: eine Reform des Reichs, wie sie in ihnen allen von der Krone ausging und in deren Interesse durchgeführt wurde. Wie es in Frankreich, in England, demnächst in Dänemark und Schweden geschah, hätte Kaiser Maximilian I., gestüßt auf die niederen Stände, die popularen Elemente, eine starke Monarchie errichten können. Denn Adel, Bürger und Bauern waren über die Herrschaft und den Druck der vielen übermächtigen geistlichen und weltlichen Herren voll Unwillen, in Gährung, vielfach in offener Auflehnung. Ueberall in den tieferen Schichten erscholl das Verlangen nach Ordnung, nach Einheit und nationaler Gestaltung des Reichs. Und überall hier sah man in dem Kaiser den Retter und Reformator.

Aber Maximilian, ganz aufgehend in seinem österreichisch-dynastischen und seinem europäischen Machtinteresse, erfüllte die Erwartung der Nation nicht. Er ließ die Gelegenheit zur Gründung einer starken nationalen Monarchie unbenust vorübergehen. Die Summe der heftigen Verfassungskämpfe zwischen ihm und den ständischen Gewalten, die seine Regierung erfüllten, war der Sieg der reichsfürstlichen Oligarchie über die Krone, des ständischen Princips über das monarchische. Jene Errichtung des Reichsregiments von 1500 war

nichts Anderes als die Einleitung zur Souveränität der territorialen Gewalten. Das war das directe Gegentheil von der Entwickelung in den westlichen Staaten, wo diese Gewalten gleichsam säcularisirt wurden, und die Krone sich in stolzer Macht über sie erhob.

Ganz erfüllt von dem Gedanken der „Monarchie," wie er, dank ihm, in Spanien soeben sich verwirklichte, trat nach Maximilians Tode der spanische Karl, „das jung edle Blut von Castilien," die Regierung des deutschen Reichs an.

Ein tragisches Geschick, daß unsere Nation in jener Zeit, da sie auf der Mittagshöhe ihres geschichtlichen Berufes an die Lösung ihrer wichtigsten Aufgabe ging, einen Herrscher an ihrer Spiße sah, der alles eher war als deutsch! Karl V. war wie nach Herkunft, so nach Gesinnung ein Spanier. Es lag ihm ganz fern, sich in das, was die Gemüther der Deutschen bewegte, zu versenken. Ihm galten die deutschen Reichsfürsten, auch die, denen er seine Wahl verdankte, um keinen Deut mehr, denn spanische Granden oder niederländische Edelleute: als Unterthanen, die zu pariren hätten. Die in seiner Wahlcapitulation enthaltenen Beschränkungen der königlichen Prärogative war er entschlossen, nicht zu achten. Durchdrungen von der Unantastbarkeit der kaiserlichen Machtvollkommenheit und von der Alleingültigkeit der römischen Kirche, haßte er in gleichem Maß jede reformatorische Bestrebung auf staatlichem wie kirchlichem Gebiet. Im Besiß einer nie gesehenen Macht, einer unermeßlichen Herrschaft, in welcher die Sonne nicht unterging, wie hätte er zweifeln sollen, daß es ihm gelingen werde, Deutschland zu einer Provinz seines Reichs zu machen, die Herrschaft über Europa zu gewinnen, die alte kaiserliche Universalmonarchie zu erneuern!

Allein er stieß auf Gewalten, auf die er nicht gerechnet hatte: der Geist der Zeit und die unwiderstehliche Kraft eines nationalen Willens war gegen ihn. Denn aus der Mitte des deutschen Volks war der Weckruf der Reformation des Glaubens und der Kirche erschollen und hatte gewaltig gezündet: der Kirche, die so entartet, des Glaubens, der so entstellt war. Dem aus tiefster Not nach dem ewigen Heil schreienden Gemüth konnte eine geistliche Institution nicht mehr Befriedigung bieten, welche, statt Mittel zu bleiben, Ziel und Zweck geworden war; die sich in das Verhältniß des Menschen zu seinem Gott eingedrängt, es endlich völlig zerstört hatte. Es galt, den Gläubigen das ihnen von der Kirche schmählich entrissene Recht ihres freien Christenthums zurückzugewinnen, sie wieder zu lebendigen Gliedern der gereinigten Kirche Christi zu machen. Das allgemeine Priesterthum aller Christen, die Gemeinschaft der Gläubigen galt es gegenüber dem Priesterstande der mittelalterlichen Kirche durchzusetzen.

Auf ihren Kaiser hoffte die deutsche Nation, wie sie auf ihn bei ihrem Verlangen nach Reichsreform gehofft hatte, auch hier. Er müsse sich an die Spitze der kirchlichen Bewegung stellen, dann werde sie gelingen. Aber auch dieser großen nationalen Aufgabe und Pflicht gegenüber, deren Erfüllung der deutschen Monarchie die festesten Wurzeln gegeben haben würde, versagte das

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Die deutsche Reformation.

Reichsoberhaupt. Was war diesem kalten, blassen Spanier das aus der innersten Tiefe des Gemüths emporquellende Heilsbedürfniß! Er, der papistische Absolutist, sah in den Anfängen der deutschen Reformbewegung ein Mönchsgezänk, in ihrem Fortgang eine um sich greifende Revolution.

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Daß er ihr, statt sich an ihre Spitze zu stellen, feindlich den Rücken kehrte, ist vielleicht der verhängnißvollste Moment unserer Geschichte. Denn die Folge war, daß nun schon in der Mitte der zwanziger Jahre die allgemeine Ueberzeugung völlig umschlug. Da der Kaiser versagte, sah die Nation die einzige Stüße der reformatorischen Bewegung, die einzige Rettung der geistlichen Freiheit bei denselben ständischen Gewalten, gegen die sich noch jüngst das populare Verlangen nach politischer Reform des Reichs gerichtet hatte. Was Kaiser und Reich nicht gewährten, erhoffte man nun von den einzelnen Territorien und deren Öbrigkeiten. Daß die Stände des Reichs ihre Libertät troh Kaiser und Reich besaßen, erkannte man jezt als eine Rettung des Evangeliums. Und diese ständischen Gewalten traten an die Spitze der evangelischen Bewegung, denn sie kräftigte und rechtfertigte ihren Widerstand gegen die monarchische Politik des Kaisers.

Das Torgauer Bündniß vom Mai 1525, in welchem der neue Kurfürst Johann von Sachsen und der junge Landgraf Philipp von Hessen verabredeten, sich in Sachen des Evangeliums zu verständigen und zu schüßen, und dem bald andere Fürsten sich anschlossen, hat darin seine große Bedeutung, daß in ihm zuerst sich dieser große Umschwung offenbart. Dem Kaiser erlaubten es die auswärtigen Verhältnisse nicht, so dringend er es gleich wünschte, so entschieden er es beabsichtigte, gegen den Bund aufzutreten. Vielmehr sah er sich auf dem Speirer Reichstage von 1526 zu dem großen Zugeständniß genöthigt, daß in Sachen der Religion ein jeder Stand es bis zu einem allgemeinen Concil so halten solle, wie er es gegen Gott und kaiserliche Majestät zu verantworten sich getraue. Damit war durch einen legislatorischen Act zum ersten Mal anerkannt, daß in Sachen der deutschen Kirche weder der Papst, dessen in dem Abschiede nicht einmal gedacht war, noch der Kaiser zu entscheiden habe, sondern daß die Entscheidung lediglich den territorialen. Gewalten zustehe.

Und sofort begann nun in einzelnen Territorien die Einrichtung der neuen Kirche vor allem in Sachsen und Hessen. Den Bischöfen wurde die Jurisdiction genommen, die Landesherren selber traten als „Nothbischöfe" ein. Das Kirchengut wurde von ihnen eingezogen und zur Besoldung der Pfarrer, zur Dotirung von Schulen, Spitälern und dergleichen verwandt.

Es liegt auf der Hand, daß der Zuwachs der kirchlichen Befugnisse und die Uebernahme des Kirchenguts die Macht des Fürstenthums um ein Bedeutendes hob.

Der Fortgang der so glücklich begonnenen Entwickelung war nicht mehr aufzuhalten, geschweige denn zu unterdrücken. Mochte gleich der Speirer Reichsabschied von 1529 die Zurücknahme jenes vor drei Jahren gefaßten

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