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Differenzen der protestantischen Lehrmeinungen.

Für den gedeihlichen Fortgang der Protestantisirung Deutschlands mußte alles darauf ankommen, daß das evangelische Wesen selber gesund und voll treibender Kraft blieb. Daß es schon früh an mehr als Einem inneren Schaden zu erkranken begann, war ein weiteres Moment der rasch eintretenden traurigen Gestaltung der deutschen Verhältnisse.

Dem reformatorischen Saß von dem allgemeinen Priesterthum aller Christen entsprach es, daß die Gemeinde die Grundlage des kirchlichen Lebens bildete: daß ihr die Ausübung der Kirchenzucht zustehe; daß sie das Kirchengut zu verwalten befugt sei; daß sie selber ihre Pfarrer zu wählen habe. Das geistliche Amt galt nur als ein Dienst, den der Einzelne im Auftrage der Gemeinde verwaltete. Aber nur in der Kirche Calvins fanden diese Gedanken Verwirklichung. Da, wo das lutherische Bekenntniß die Herrschaft gewann, war von einer aktiven Theilnahme der Gemeinde an dem kirchlichen Leben bald kaum noch oder gar nicht mehr die Rede. Sie verhielt sich nur noch passiv, als Empfängerin des Sacraments und des Segens. Selbst in jenen praktischen Angelegenheiten der Kirche hatte sie nicht mitzureden. Sie wurde, wie es in einer mecklenburgischen Kirchenordnung von 1570 heißt, zum gemeinen Pöbel, der unter der Zucht des Worts und der Polizei des Regiments steht."

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Vielmehr war das kirchliche Regiment ganz in die Hände des Landesherrn gelegt, der nunmehr in seiner Person den „Nothbischof" Luthers darstellte. Er, das praecipuum ecclesiae membrum, das vornehmste Glied der Kirche, war zugleich der Kirchenherr geworden, der summus episcopus in seinem Territorium. Was denn zur unausweichlichen Folge hatte, daß sich die evangelische Kirche Deutschlands, statt einheitlich zu bleiben und damit ein nationales Gemeingut zu werden, in eine Reihe evangelischer Landeskirchen auflockerte. Denn fast in jedem Territorium gestaltete sie sich etwas anders, wie in der Lehre, so in den Gebräuchen. Sie wurde zu einer berechtigten. Eigenthümlichkeit desselben; und in den bald kleineren bald größeren dynastischen und politischen Rivalitäten der regierenden Fürstenhäuser bildeten die confessionellen Differenzen ein fast unvermeidliches Ferment. Es war zu dem staatlichen ein kirchlicher Territorialismus.

Die evangelischen Theologen..

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Den Fürsten zur Seite die Berufstheologen. Daß sie es gewesen waren, die in der Bewegung des vorausgehenden Menschenalters in erster Reihe gestanden hatten, mußte ihr Selbstgefühl steigern. Sie betrachteten sich als die eigentlichen Schöpfer der neuen Zustände in Staat wie Kirche, und da der größte Theil der Nation der Reformation zugefallen war, als die Vertreter der öffentlichen Meinung. Bei solchen Empfindungen genügte ihnen auf die Länge nicht die bescheidene Rolle, die ihnen nach dem reformatorischen Princip gebührte. Sie beanspruchten eine ähnliche Stellung, wie sie der römische Klerus in seiner ständischen Geschlossenheit und in seiner unbedingten geistlichen Autorität spielte. Sie wollten die Leiter und geistigen Beherrscher wie der Gemeinde so des Fürsten sein. Indem sie es unternahmen, das Schwergewicht des Glaubens in das dogmatische Element zu legen, gelang ihnen das nur zu wohl. Denn nun begann eine Zeit, in welcher die Lehre immer mehr aufhörte, Mittel zum Glauben und dem durch den Glauben geheiligten Leben zu sein, und immer mehr Ziel und Selbstzweck wurde. Die einfachen und verständlichen kurzen Säße des Bekenntnisses wurden durch das weitläuftige, umfangreiche und dunkle System der orthodoxen Dogmatik verdrängt, das in volu minösen Bekenntnißschriften niedergelegt war, auf welche die Laien verpflichtet wurden. Die Theologen als die Priester dieses qualificirten Glaubens" hatten die Entscheidung darüber, ob der einzelne Protestant rechtgläubig oder ein Keber sei und also Vergebung der Sünden oder Bannfluch verdiene. So verkehrte sich die Glaubensfreiheit in Glaubenszwang, die Rechtgläubigkeit verdrängte den Glauben und an Stelle des Priesterthums aller Christen entwickelte sich eine lutherische Hierarchie von immerhin glaubenseifrigen und überzeugungsstarken, aber auch rechthaberischen und herrschsüchtigen Theologen; eine Priesterkaste, die noch unleidiger, drückender, rücksichtsloser als die papistische erscheint, weil sie mit dem ganzen pharisäischen Hochmuth des Wissens und der allein richtigen Einsicht" auftrat.

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Luther hatte das Fundament geschaffen, auf dem sich eine neue Kirche auferbauen konnte. Aber hinausgeführt hatte er den Bau nicht. Oftmals hatte er in seinen Lehren und Schriften den höchsten Standpunkt genommen, bisweilen aber auch beschränkte Ansichten verkündet und an ihnen dann mit der ganzen Zähigkeit seines Wesens festgehalten. Auch hatte er wohl im Gedränge des reformatorischen Kampfes widersprechende Säße behauptet oder seine frühere Meinung stillschweigend aufgegeben.

Darauf kam es an, daß nach dem Tode des großen Reformators in seinem Geiste weiter gearbeitet und so der evangelische Gedanke voll und ganz ins Leben eingeführt wurde. In diesem Sinn wirkte Melanchthon; und von anderem Standpunkt aus strebte Calvin demselben Ziele zu.

Aber Melanchthon fehlten die Eigenschaften, welche die Geister bändigen. und fesseln, sie gleichsam zur Ergebung auf Gnade und Ungnade zwingen; jene dämonischen Eigenschaften, die Luther eine so überwältigende Stärke gaben. Die Unbeugsamkeit des Willens, die Rücksichtslosigkeit des Handelns,

das stürmische Vorwärtsdringen, der heilige Kampfesmuth und Kampfeszorn, das felsenfeste Vertrauen auf sich und seine heilige Sache, das alles war der weicheren und zaghafteren Seele des überlebenden Genossen fremd. Ihn zierten sanftere Eigenschaften. War er doch neben dem „groben Waldrechter“ der stille Gärtner, der, allem Kampf und Streit abhold, fein säuberlich und stille daherfuhr, baute und pflanzte, säete und begoß: ein sinniges Gemüth, milde und rücksichtsvoll, ein fein angelegter Denker, in den Classikern wie in der Bibel bewandert; eine echte, sensible Humanistennatur. Indem er darauf aus war, dem neuen Glauben seine dogmatische Fassung zu geben, erfüllte ihn zugleich der Wunsch, als Mittler zwischen den verschiedenen reformatorischen Richtungen aufzutreten. Der freiere dogmatische Standpunkt, den er einnahm, schien ihn zu diesem Werk besonders geeignet zu machen. Selbst einen Ausgleich mit der alten. Kirche hat er, dem Versöhnlichkeit und Eintracht, man möchte sagen über Gebühr Herzenssache war, für möglich gehalten und sich, gleichsam seines verstorbenen großen Freundes und seiner reformatorischen Pflichten vergessend, für ihn bemüht.

Hatte Luther alle Abweichungen von seiner Lehre unerbittlich zurückgewiesen und alle Ausschreitungen mit festem Griff gebändigt, so konnte sich einem Charakter wie Melanchthon gegenüber der Widerspruch dreist hervorwagen; vollends wenn er sich dessen freieren vermittelnden Tendenzen gegenüber auf die alleinige Autorität Luthers berief. Ein solches orthodoxes Lutherthum keimte gleichsam aus dem Grabe des großen Reformators empor: eine Richtung, die sich mit einseitiger Starrheit an Luthers Namen und Lehren anklammerte, jedes seiner Worte für unumstößlich erklärte, nur seine Schriften als rechtgläubig hinstellte, von Weiterbildung und Ausbau seiner Ansichten nichts wissen wollte und den Stab über den Lehrer Germaniens" brach, dessen Lehre sie als Verfälschung der lutherischen und als kezerisch verdammte und mit einer Heftigkeit zu bekämpfen unternahm, die von christlicher Liebe weit entfernt war.

An der Spize dieser ultralutherischen Epigonen stand Matthias Flacius (Illyricus) aus Albona in Istrien, der 1522 geboren und seit 1544 Professor der hebräischen Sprache in Wittenberg war; schon in jungen Jahren von stupenden Kenntnissen, rastloser Thätigkeit und rücksichtsloser Energie, Verfasser jener heute noch geschäßten kirchenhistorischen Werke, die ein staunenswerthes Zeugniß seines Fleißes sind und in ihrem ungeheuerlichen Umfange wie weite Lagerräume aufgespeicherter Gelehrsamkeit erscheinen. Aber er war zugleich ein äußerst fanatischer Mann, in dessen Adern das leicht erregbare Blut seiner südlichen Heimath pulsirte, höchst intolerant, fremden Ansichten gegenüber stets auf Kriegsfuß und stets bereit, Streit anzufangen: ein echter theologischer Heißsporn.

Er hatte sich als Siebenundzwanzigjähriger (1549) mit mehreren Genossen, die sich gleich ihm muthig den Bestimmungen des Interims zu unterwerfen weigerten, von Wittenberg nach Magdeburg begeben, dem Sammelplag der

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um des Interims willen aus ihren Stellungen vertriebenen Prediger, der exules Christi, und hatte von hier aus den Kampf gegen Melanchthon eröffnet.

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Das unter Melanchthons Autorität entstandene (Leipziger) Interim bildete den Anlaß zum Angriff. Daß es der alten Kirche so weit entgegen kam und die Anwendung dogmatisch gleichgültiger Gebräuche, der sogenannten Adiaphora,

Mitteldinge, zuließ, erschien Flacius und den Orthodoxen als Verrath an dem eigenen Glauben. Nachgiebigkeit in diesen für das Seelenheil werthlosen Dingen würde um so schlimmer sein, als nach der päpstlichen Lehre eben diese Dinge zum Heil nothwendig seien. Es wurde von Magdeburg aus eine Anzahl von Schmähschriften gegen die Theologen des Kurfürsten Morit, des „Mamelucken, Renegaten und Apostaten," in die Welt gesezt.

Damit kam ein tiefer Riß in die junge evangelische Kirche Deutschlands, ein Parteigegensaß, der auch da noch fortdauerte, als mit dem Passauer Vertrage das Interim gefallen war.

Es waren namentlich zwei Streitpunkte, an denen der Gegensaß sich rasch verschärfte, zwei Glaubenslehren, in denen vor anderen die gesammte evangelische Partei von Anbeginn der Reformation an im schärfsten Gegensatz zur päpstlichen gestanden, die Lehre von der Rechtfertigung und die vom Abendmahl. Ueber beide herrschte schon zwischen Luther und Calvin verschiedene Meinung, und selbst die Ansicht Melanchthons wich in betreff ihrer von der Luthers ab. Beide gewannen ein Beweis für die theologische Richtung des Zeitalters eine weittragende und verhängnißvolle politische Bedeutung: mit den Differenzen der Evangelischen über die Rechtfertigungslehre verband sich der Gegensatz zwischen den Albertinern und Ernestinern, aus den Differenzen über das Abendmahl entwickelte sich die Sonderstellung der Pfalz im Reich.

Gegenüber der von der römischen Kirche gelehrten Verdienstlichkeit der sogenannten guten Werke, d. h. äußerlicher, von der Kirche vorgeschriebener Handlungen, zur Sündenvergebung und Erlangung der Seligkeit hatte Luther erklärt, daß derartige Werke zur Seligkeit unnöthig seien. Er hatte sich voll und ganz auf den augustinischen Standpunkt gestellt, von welchem aus die Erbsünde die Substanz der menschlichen Seele ist, und hatte sein ge= waltiges Wort von der Rechtfertigung allein durch den Glauben verkündet. Diese Lehre hatte dann Melanchthon, über Luther hinausgehend und von ihm abweichend, dahin gedeutet, daß der Mensch nicht ohne eigene Arbeit der Sündenvergebung und Rechtfertigung theilhaftig werde; daß er sich bei dem Werk seiner Besserung nicht wie ein todter Kloß verhalte, sondern daß sein Wille der göttlichen Gnade entgegen kommen müsse. Es lebe in dem Menschen eine „mitwirkende," eine synergistische Kraft, und diese müsse sich in wahrhaft guten Werken, d. h. in der ganzen sittlichen Haltung des Gläubigen äußern. Von ganz anderem Ausgangspunkt war Calvin zu demselben Resultate gekommen: auch er forderte von den Gläubigen einen gottgefälligen Wandel.

Für diese Ansichten Melanchthons traten mehrere seiner Anhänger und Schüler in die Schranken. Sein alter Genosse Georg Major, Superintendent der mansfeldischen Kirchen zu Eisleben, entwickelte in einer Schrift (von 1552), daß gute Werke zur Seligkeit nöthig seien. Natürlich, daß er nicht gute Werke im Sinn der römischen Kirche, sondern im Sinn Melanchthons, wahrhaft gute Werke, wie sie dem sittlichen Wandel entsprießen, meinte. Nicht als ob der Mensch sich durch sie die Rechtfertigung verdiene: gerechtfertigt

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