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Zweites Buch.

Die Zersetzung der protestantischen Partei in Deutschland.

Der Protestantismuş im Heich.

Mit den Augsburger Beschlüssen von 1555 war der neue Zustand Deutschlands auf dem Papiere fertig. Es kam nun darauf an, ihn lebendig, wirksam zu machen und zu versuchen, wie er sich in der rauhen Welt der Thatsachen bewähren würde. Die Maschine war construirt, nun mußte sie arbeiten und sich erproben.

Der Charakter, der dem Reiche nunmehr gegeben war, nöthigte es, von dem Schauplatz der allgemeinen Geschichte zurückzutreten.

Zunächst blieb das allgemeine Ruhebedürfniß, das zum Frieden geführt hatte, auch nach seinem Abschluß das herrschende. Die Gegensäße, die sich vordem mit leidenschaftlicher Erbitterung gegenübergestanden und bekämpft hatten, schienen sich an wechselseitige Duldung und freundliche Nachbarschaft gewöhnen zu wollen. Zugehörige der alten und der gereinigten Lehre wohnten friedlich beisammen. Ein Bericht aus jenen Jahren erzählt, daß in den von Anhängern beider Kirchen bewohnten Orten wenig darauf gesehen wurde, ob man protestantisch oder päpstisch war; selbst in einer und derselben Familie sei das Bekenntniß gemischt gewesen, es habe Häuser gegeben, wo die Kinder auf die eine, die Eltern auf die andere Weise lebten; wo Brüder verschiedene Religion hatten. Protestanten und Papisten hätten sich unter einander geheirathet: Niemand hätte darauf geachtet oder sich daran gestoßen.

Dabei aber war der Protestantismus im entschiedenen Uebergewicht und in stetem Fortschreiten. In manchen Territorien, wie in Desterreich und in Bayern, gewann er erst jezt rechten Boden.

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Die drei weltlichen Kurfürsten waren evangelisch. Von den übrigen weltlichen Fürsten alle bis auf Desterreich, Bayern, Cleve und zwei von den vier welfischen Linien. Aber auch diese hingen an einem seidenen Faden." Bei den Welfen von Wolfenbüttel und von Grubenhagen brachte der nächste Regierungswechsel evangelische Fürsten ans Regiment. König Ferdinand von Desterreich und Herzog Albrecht V. von Bayern sahen sich durch ihre, der gereinigten Lehre zugethanen weltlichen Stände zu immer neuen Zugeständnissen in evangelischem Sinn genöthigt. Schon 1556 mußte Ferdinand den niederösterreichischen Landständen den Gebrauch des Kelches beim Abendmahl nachgeben. Zu der gleichen Concession mußte sich, um größere Aufregung in seinem Lande zu verhüten, Herzog Albrecht verstehen. Beide mußten sich bequemen, die Berufung verheiratheter Priester zu dulden.

Auch in den geistlichen Fürstenthümern drang die gereinigte Lehre mächtig vor. Vor allem in den norddeutschen Bisthümern. Die evangelischen Fürsten waren nicht gemeint, mit Rücksicht auf den geistlichen Vorbehalt darauf zu verzichten, daß sich hinfort die Wahlen der Capitel auf Angehörige ihres Hauses lenkten. Sie konnten sich, wenn anders sie überhaupt jener Bestimmung des Religionsfriedens Beachtung schenkten, bei solchem Vorgehen mit der Wendung abfinden, daß der Religionsfriede nur bestimme, daß ein gewählter geistlicher Fürst, wenn er zum neuen Glauben übertrete, sein Bisthum verliere, nicht aber verbiete, daß ein evangelisch gewordenes Capitel einen evangelischen Bischof wähle. Nicht immer in Güte, mehrfach vielmehr durch Drohungen und selbst mit Gewalt wurde von ihnen, wenn das Capitel sich widerspenstig erwies, die Wahl erzwungen. So war das Erzbisthum Magdeburg in den Händen eines brandenburgischen Prinzen, das Erzbisthum Bremen in denen eines braunschweigischen. Die Bisthümer Osnabrück, Halberstadt, Lübeck, Razeburg, Verden, Minden, sowie Merseburg, Naumburg, Meißen, Brandenburg, Havelberg, Lebus, Schwerin, Camin gelangten, soweit sie nicht schon protestantische Herren hatten, unter die Herrschaft von Bischöfen, welche dem Evangelium zuneigten oder ihm gar öffentlich anhingen und sich die Durchführung des Protestantismus in ihrem Gebiet angelegen sein ließen. Aber selbst in Osnabrück und in Paderborn gelang es dem altgläubigen Bischof aus dem Grafengeschlecht Hoya nicht, dem Fortgang der neuen Lehre Einhalt zu thun. Man kann sagen, daß die geistlichen Gebiete Norddeutschlands, soweit sie nicht schon 1555 protestantisch waren, bald hernach völlig protestantisirt wurden. Der geistliche Vorbehalt blieb zunächst ohne jede practische Wirkung. Die Kaiser Ferdinand I. sowohl wie Maximilian II. waren so wenig im stande, der herrschenden Strömung entgegen zu treten, daß sie vielmehr diese evangelischen Bischöfe, die natürlich vom Papste nicht bestätigt wurden, durch Lehnsindulte in ihrem Besiz anerkannten und damit selber den geistlichen Vorbehalt, wenn auch nicht geradezu aufhoben, so doch umgingen. Natürlich, daß im Süden und Westen, wo die papistischen Fürsten von Bayern und Desterreich und die drei geistlichen Kurfürsten stärkeren Einfluß übten, die Fortschritte des Protestantismus nicht so umfassend waren. Eindringen und vordringen aber that er auch hier. Die der alten Lehre angehörigen geistlichen Herren vermochten es nicht zu verhindern, daß die Bevölkerung der Städte wie des platten Landes, daß auch der Adel, ja vielfach die bischöflichen Beamten selbst zahlreich zur neuen Lehre übertraten. Im Bambergischen waren fast alle Landpfarren mit lutherischen Geistlichen beseßt.

Selbst da aber, wo sich die alte Lehre noch hielt, sogar in den geistlichen Territorien, war es nur ein kümmerliches Dasein, das sie fristete. Der neue Geist war auch hier tief in die Herzen eingedrungen. Das Streben nach Toleranz und Beseitigung anstößiger Dogmen und Sitten war allgemein. Der Klerus selber lehnte sich gegen die Sazungen der römischen Kirche auf. Die Lehre vom Fegefeuer verlor an Kraft, Processionen und Wallfahrten kamen außer Gebrauch, die Heiligenbilder blieben in ihren Schreinen verborgen. Die

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Vorherrschen des Protestantismus.

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Klöster verödeten, denn die Mönche wurden Pfarrer und heiratheten. Wie denn ein Zeitgenosse behauptet, daß von hundert Pfarrern kaum einer unverheirathet war, so daß in unzähligen Fällen der Gottesdienst altgläubiger Gemeinden von verheiratheten Priestern versehen wurde. Und auch die Ehrfurcht vor dem Haupt der römischen Kirche hatte bei ihren Anhängern einen starken Stoß erlitten. Vormals wurde" so urtheilt der Reichsvicekanzler Seld in einem für Kaiser Ferdinand abgefaßten Gutachten der römische Stuhl beinahe angebetet: jezt wird er verachtet; vormals fürchtete man den päpstlichen Bann mehr als den Tod: jezt lacht man desselben. Das römische Leben und Wesen ist jest in der ganzen Welt so wohl bekannt, daß beinahe jedermann, er sei wer er wolle, der alten oder der neuen Religion, einen Abscheu davor hat." Kurz: ganz Deutschland war vom Protestantismus erfüllt. Auf neun Zehntel der Bevölkerung wurden damals (1558) seine Anhänger geschäßt.

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Der Protestantismus beherrschte die Bildung. Das Schulwesen verdankte ihm seinen staunenswürdigen Aufschwung. Alle Universitäten von Bedeutung waren Vorkämpfer der protestantischen Idee; fast alle studirten Leute waren evangelisch. Es gab einen wirklichen protestantischen Gelehrtenstand, während die ordentlichen altkirchlichen Universitätslehrer förmlich ausstarben und die altkirchlichen Geistlichen, bis hinauf zu den Bischöfen, mit wenigen Ausnahmen wahre Muster von Kenntnißlosigkeit und Unbildung darstellten. Der Papismus, darf man sagen, erschien in Deutschland nur noch als eine im Absterben begriffene Anomalie.

Bei solchem Zustande mochte es wohl scheinen, daß dem Religionsfrieden von 1555 feine lange Dauer beschieden sei; daß dem in naher Zukunft völlig protestantisirten Reich neue Grundlagen geschaffen werden müßten, die sich nicht mehr aus dem paritätischen Gegenüberstehen zweier Confessionen, sondern aus der Alleinherrschaft einer einzigen entwickelten.

Allein die Dinge nahmen einen sehr andern Gang. Allzu früh schon machten sich Hemmnisse und Hindernisse geltend, an denen sich die starke und gesunde Strömung brach.

Das eine lag in der Persönlichkeit der Kaiser.

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