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heit der einander gleichstehenden Schlachtizen gewählte König, aus dessen Krone die Edelleute durch die pacta conventa, dieser einem jedem Neugewählten vorgelegten Wahlcapitulation, immer weitere Hoheitsrechte ausbrachen, bis ihr endlich kaum eines blieb und sie völlig zum Spielball einer eigenmächtigen Magnatenpartei herabgewürdigt war. Es waren Verhältnisse ähnlich wie sie in Deutschland herrschten, nur daß sich der deutsche Fürstenstand über den Kreis privater Interessen erhob, während der polnische Adel ganz in ihnen aufging. So daß denn das polnische Staatswesen in dem Maß, in welchem sich die Magnaten in dem Besitz der staatlichen Macht befestigten, an staatlichem Charakter verlor. In Deutschland waren es die landesherrlichen Territorien groß und klein, in die sich das Reich zergliederte, aus denen es sich förderativ zusammenseßte, in Polen waren es die adligen Gütercomplexe von den Latifundien der Magnaten bis herab zu den verfallenden Gehöften verarmter Schlachtizen, deren Summe den Staat bildete. Nicht Landesherren, sondern Gutsherren leiteten mit dem Monarchen, oder über ihm und trotz ihm, dieses polnische Staatswesen.

Wie nahe hätte es gelegen, daß die Krone, um sich über diese Adelsanarchie zu erheben und eine starke Monarchie zu gründen, sich auf die unteren Bevölkerungsschichten stüßte, und deshalb damit begann, sie zu mitzählenden Gliedern der „Nation“ zu machen, ihnen die Bedeutung und die Stellung von Ständen zu geben. Aber dazu besaßen die polnischen Könige, die wir kennen lernten, dazu besaß am wenigsten König Sigismund die Energie, die Macht und den Willen. So kam es, daß die Städte, den Eingriffen und Uebergriffen des Adels schußlos preisgegeben, immer mehr zurückkamen, daß ihr Handel, ihre Industrie, ihr Wohlstand reißend schnell abnahm, daß die privilegirte städtische Rechtspflege aufhörte, das deutsche Bürgerthum sich immer mehr aus den städtischen Mauern zurückzog. Und vollends der Bauernstand, dessen Lage fast überall im damaligen Europa beklagenswerth erscheint, versank in ein geradezu menschenunwürdiges Dasein. Für ihn gab es weder König noch Staat, sondern nur den Edelmann mit seiner Patrimonialgerichtsbarkeit und dessen Verwalter und Pächter. Er lebte ein völliges Sklavenleben und kein Wunder, daß ihm da alles Nationalgefühl abhanden kam, denn der Sklave ist immer Kosmopolit.

War der Adel mit seiner Freiheit und seiner Herrschaft der eine Krebsschaden des polnischen Staats, so kam das Jesuitenthum als zweiter hinzu, durch den die Grundpfeiler der staatlichen Kraft noch mehr erschüttert, der bisher herrschend gewesene Grundsaß der religiösen Toleranz vernichtet und der einst so stolze polnische Volksgeist so weit entmannt wurde, „daß er allem eignen Leben, aller freien Wissenschaft und Arbeit entsagte, um sich völlig dem Getriebe des kirchlich-clerikalen Wesens einzufügen.“

Polen und Spanien waren zu Beginn der Epoche, die wir betrachten, die weitaus mächtigsten Staaten im Südwesten und Nordosten Europas. Beide übernahmen die Aufgabe, dem Ultramontanismus zum Siege zu ver

Die neue schwedische Monarchie.

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helfen. Und beide begannen über der Lösung dieser Aufgabe von ihrer stolzen Höhe herabzusinken und einem Verfall entgegen zu treiben, aus dem sie sich nie wieder zu erheben vermochten.

Wie anders Schweden, das sich bis tief ins Jahr 1611 der zwar harten und despotischen, aber segensvollen Regierung König Karls IX. zu erfreuen hatte. Während Sigismund die Kraft Polens in unfruchtbaren Eroberungsprojekten erschöpfte, ohne dessen innerem Verfall Halt zu gebieten, verlegte Karl den Schwerpunkt seiner Thätigkeit ganz in die Sorge für die innere Entwickelung seines Reiches, das, kaum gegründet, der Zerrüttung anheim gefallen war und eigentlich erst durch ihn die Segnungen staatlicher und socialer Ordnung empfing. Vor allem stellte er die Krone wieder in den Mittelpunkt des Staats und rettete Schweden vor der Gefahr einer Adelswirthschaft, wie sie in Polen herrschte, indem er den großen Geschlechtern, die herrschbegierig und anspruchsvoll immer neue Schwierigkeiten machten, immer neue Hemmungen schufen, mit rücksichtsloser Schroffheit und blutiger Strenge gegenübertrat. Wenn das Recht und die Verfassung des Reichs niedergeschrieben werden sollte, so cassirte er den Entwurf des Reichsraths, weil es in ihm hieß, daß der König in dem, was der Reichsrath der Krone und dem Reich nüßlich erachte, folgen und gehorchen müsse. Zum Abschluß einer Verfassung kam es freilich nicht; aber der König besaß Macht und Energie genug, die wichtigsten Maßregeln auch ohne sie durchzuseßen. Er ordnete die gesammte untere Verwaltung und knüpfte sie an die Krone, indem er sie durch königliche Beamte handhaben ließ. Damit gewann Schweden eine Organisation, wie sie damals kein anderer Staat besaß. Es hörte alle anarchistische Mitregiererei der Lehnsbesizer auf, der Adel war in der Wurzel seiner Stellung und seiner Gutsherrlichkeit unterschnitten. Der von früherem Druck befreite, zur Mitbetheiligung an der staatlichen Arbeit herangezogene Bürger- und Bauernstand wurde ein Grundpfeiler der neuen schwedischen Monarchie. Der König stellte die Ordnung der Kirche fest, indem er ihr, wie es seiner persönlichen Ueberzeugung entsprach, neben der augsburgischen Confeffion den Heidelberger Katechismus zu Grunde legte. Er unternahm es, die Rechtspflege zu verbessern, die Lehnsfolge neu zu ordnen, das Heerwesen und den Kriegsdienst neu zu organisiren. Und dabei war die Hebung der materiellen Wohlfahrt seines Landes nicht minder der Gegenstand seiner unermüdlichen Sorge. Der Handel und Verkehr, die Industrie, zumal der Bergbau nahm dank seiner Einwirkung einen erstaunlichen Aufschwung, neue Städte wurden von ihm gegründet, altbestehende blühten überraschend empor. Vielfach konnte er bei diesem Bemühen an die Arbeit seines großen Vaters anknüpfen, vielfach aber waren es neue Gedanken, welche angeborenes Verständniß für die Bedingungen staatlichen Wohlergehens ihm eingab, glühende Vaterlandsliebe und eiserne Willenskraft ins Werk richtete. Nicht als ob er sich ausschließlich diesem landesväterlichen Beruf hätte hingeben können. Er wußte, daß die große

nordische Frage der Ostseeherrschaft noch immer der Lösung harre und daß Schwedens Stellung zu ihr in dem Maße, als es sich selbstständiger und mächtiger entwickelte, schwieriger wurde; daß es stets gefaßt sein müsse, die Position, die es sich in dem nunmehr abgelaufenen Jahrhundert erkämpft hatte, mit den Waffen zu behaupten. Schon früher hatte er einmal gesagt: „Die Schweden haben drei Nachbarn: Dänen, Polen, Russen. Mit den Dänen können wir in Frieden leben, wenn wir ihnen Schwedens rechtliches Wappen, die drei Kronen, abtreten und was wir von Alters her in der Lappmark besessen, ihnen freien Handel mit unsern Erzbezirken erlauben und künftig nicht mehr von Unrecht reden, das sie uns seit dem Stettiner Frieden auf mancherlei Weise zugefügt haben. Mit den Polen können wir sofort zum Frieden kommen, wenn wir ihnen Pernau und Dorpat wiedergeben und die Hauptsache unausgemacht lassen. Wobei zu erwägen ist, was die Krone Schweden dabei gewinnen mag. Mit den Ruffen können wir gut Freund sein, sofern wir ihnen Narwa und Reval und ferner Viborg dazu geben wollen; und damit würde der Friede halten, solange er mag."

Mit Polen hat er den Kampf fortseßen müssen, mit Dänemark ist er am Ende seiner Tage in Kampf gerathen, auch gegen Rußland hat er noch einmal die Waffen erhoben. Und dabei schweiften seine Blicke weiter hinaus

über Europa hin, um die Glieder eines künftigen großen Bundes gegen das Papstthum und das Haus Habsburg zu mustern. Denn ihm erschien die nordische Frage als ein Stück der großen Bewegung seiner Zeit. Schon 1599 ging er Elisabeth von England, die sich selber mit dem Plan trug, den spanisch-polnischen Bestrebungen gegenüber eine große nordische Allianz zu gründen, um ein Bündniß an; mit Heinrich IV. von Frankreich stand er in vertraulichen Verhandlungen; mit dem Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, dem Landgrafen Moriß von Hessen und andern evangelischen Fürsten des Reichs pflog er freundschaftlichen Verkehr“; die Niederländer ermahnte er kurz bevor sie ihren Stillstand mit Spanien schlossen, sich „der papistischen Superstition und der spanischen Ambition zu widersehen," denn ihre Sache betreffe alle Mächte. Er bot ihnen, falls sie den Kampf gegen Spanien fortseßten, Hülfstruppen an. Er besaß den Blick des großen Politikers, der die Gegenwart umspannt und beherrscht und in das Dunkel der Zukunft dringt. Er hatte Schweden fähig gemacht, in ihr eine entscheidende Rolle zu spielen. Nicht in dem glaubensverwandten Dänemark, nicht in dem griechisch-gläubigen Rußland sah er den Feind, den Schweden an erster Stelle niederzuwerfen habe, sondern in Polen, der papistischen Macht Nordeuropas, die verwandtschaftliche Beziehungen und gemeinsame Interessen mit dem Haus Habsburg verbanden. Sich der polnisch- habsburgisch-ultramontanen Strömung entgegen zu werfen, erkannte er als die europäische Mission seines Reichs, die er seinem Sohn als sein politisches Vermächtniß hinterließ. Auf des jungen Gustaf Adolfs Haupt seine Hand legend, hat er gesagt: „Der wird es thun. Ille faciet."

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