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Einsichtige urtheilten damals, daß die Hugenotten verloren seien, wenn die Verhandlungen Frankreichs mit England und den deutschen Protestanten nicht rasch zum Ziele führten.

Am 24. August 1572, in der Bartholomäusnacht, brach über die Hugenotten jene entsetzliche Katastrophe herein, durch welche, dank der unerhörten Treulosigkeit der französischen Regierung, die Blutthaten Albas auf französischen Boden verpflanzt wurden. Es muß dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die Zurückhaltung der Deutschen, das Schwanken Englands zu ihr mitwirkte, und ob sie die Ausführung eines lange vorbereiteten teuflischen Planes oder eines rasch gefaßten frevelhaften Entschlusses war. Sie erfüllte die Welt des Papismus mit Siegesgefühl und Jubel, die protestantische Welt mit Entrüstung und Schrecken. Nun werde die Execution des Tridentiner Concils," die in den Niederlanden begonnen, in Frankreich fortgesezt worden, in Deutschland vollendet werden. Vor allen der Pfalzgraf erkannte sich und sein Land unmittelbar bedroht. Verlautete doch bald, daß von Rom aus der Kaiser angespornt worden sei, jezt endlich dem Pfälzer Calvinismus ein Ende zu machen und den Pfalzgrafen der Kur zu berauben.

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Es galt ihm, die Deutschen zur Vertheidigung zu einigen und nach der hugenottischen Katastrophe wenigstens die Niederlande durch Unterstüßung Oraniens zu retten. Aber gleich sein erster unionistischer Versuch schlug fehl. Die Vertreter der benachbarten Fürsten von Simmern, Ansbach und Baden, die auf seine Ladung schon im September nach Heidelberg kamen, lehnten alle seine Anträge ab. Seine Hoffnung stand auf den sächsischen Kurfürsten. Von ihm erwartete er, daß er in der Stunde der dringendsten Gefahr nun auch vor entscheidenden Schritten, die er sonst stets widerrathen hatte, nicht zurückschrecken werde. Er sollte eine bittere Täuschung erleben.

Der Sturz des Philippismus in Sachsen.

Der Gegensatz, in welchem Kurfürst August zu den flacianischen Ernestinern stand, hatte es der theologischen Richtung Melanchthons, wie sie zu Wittenberg und Leipzig herrschte, erleichtert, die Herrschaft im Kursächsischen zu gewinnen. Daß August, von weit anderem Schlage als Friedrich III., weder Neigung noch Fähigkeit besaß, sich selbständig in theologische Lehrdifferenzen zu versenken, ist schon gesagt worden. Er ließ sich leicht überreden, daß die Philippisten so gute Lutheraner seien wie er selber, und ließ sie um so lieber gewähren, als sie gegen die auch ihm so widerwärtige flacianische Form des Lutherthums mit Nachdruck auftraten. In seiner Umgebung waren die Melanchthonianer vorherrschend: seine Rathgeber hingen insgesammt der gemäßigten Glaubensrichtung an. Vor allen Caspar Peucer, Melanchthons Schwiegersohn, Professor der Mathematik und Geschichte in Wittenberg, den der Kurfürst zu seinem Leibarzt ernannte und mit außerordentlichen Gunstbeweisen Er anvertraute ihm, seinem Erzcalvinisten," wie er ihn scherzend nannte, die Pathenschaft bei einem seiner Kinder. Neben ihm der Geheime Kammerrath Dr. Craco, ein Pommer, Bugenhagens Schwiegersohn, der erprobte langjährige Leiter der sächsischen Politik. Dazu mehrere Theologen, namentlich Christian Schüß (Sagittarius), Hofprediger zu Dresden, und Johann Stößel, Superintendent zu Pirna.

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Freilich war neben dem maßvollen Melanchthonismus auch die streng Lutherische Richtung im Sächsischen vertreten, und gerade am Hofe hatte sie ihren hauptsächlichsten Siz. Hier waren es die fürstlichen Damen, die besonders eifrig theologisirten und für den orthodoxen Glauben Propaganda zu machen suchten. Die Kurfürstin Anna selber stand an der Spize dieses „Gynecäum,“ dem ihre Mutter, die verwittwete Königin Dorothea von Dänemark, und ihre Tante, die Herzogin Elisabeth von Mecklenburg, zugehörten, und das mit der Mehrzahl der Dresdener Geistlichen nahe Beziehungen unterhielt. Es galt ihnen, den Kurfürsten dem Einfluß seiner Rathgeber zu entziehen, selber den maßgebenden Einfluß auf ihn zu gewinnen und diesen Einfluß dann zu benußen, um die Philippisten zu stürzen und dem reinen Lutherthum im Lande den Sieg zu verschaffen. Aber fürerst waren all' ihre Bemühungen umsonst, denn die Philippisten verstanden es, den Kurfürsten bei der Meinung zu erhalten, daß sie stramm lutherisch seien.

Im Jahre 1571 gab die theologische Facultät zu Wittenberg einen Katechismus heraus, der nur einen Auszug aus dem melanchthonischen corpus doctrinae, der landesherrlich und geseßlich sanctionirten Lehrnorm für die kursächsische Kirche," enthielt und nur für den Schulunterricht bestimmt war. Die lutherischen Orthodoxen schlugen natürlich Lärmen über diesen neuen Versuch, für den Melanchthonismus Propaganda zu machen und benutzten ihn als neuen Beweis der Calvinisterei der Philippisten. Es kam wieder zu einem heftigen litterarischen pro und contra. Der Kurfürst, der viel tausend Gulden darum gegeben hätte, wenn die neuen Bücher nicht gedruckt worden wären," wurde doch aufmerksam und beschied seine Universitätstheologen und die Mehrzahl seiner Superintendenten nach Dresden, damit sie sich von dem Verdacht des Calvinismus reinigten und ein gut lutherisch Zeugniß“ ihres Abendmahlsbekenntnisses ablegten. Die Versammelten kamen dem Verlangen nach, indem sie (am 10. Dct. 1571) den sog. „Dresdner Consens" abfaßten

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Medaille mit dem Bildniß der Kurfürstin Anna von Sachsen.
Originalgröße.

und dem Kurfürsten überreichten. In ihm war der Nachweis versucht, daß die Lehre Melanchthons mit der Luthers Eins und nur deren Fortentwickelung und Läuterung sei. Die Täuschung erfüllte ihren Zweck: der Kurfürst gab sich zunächst zufrieden. Als aber die Heidelberger den Consens als Zustimmung zu ihrem Bekenntnisse begrüßten, wurde er doch stuhig und forderte von seinen Theologen eine kurze und bündige Darlegung des Unterschiedes zwischen ihrer und der Heidelberger Lehre. Aber statt, wie es Ehre und Wahrhaftigkeit forderten, offen zu bekennen, daß, zumal in dem wichtigsten Punkte der Abendmahlslehre, kein Unterschied bestehe, und daß, wenn die eine calvinisch sei, die andere gleichfalls calvinisch genannt werden müsse, machten sich die Wittenberger, um nur den Kurfürsten auf ihrer Seite zu halten, wieder einer Täuschung schuldig, indem sie einen Unterschied künstlich zurecht klügelten. Und da der Kurfürst, dem diese Darlegung nicht genügte, die Gegenüberstellung der entscheidenden Lehren auf Einem Blatte forderte, gab sich Superintendent Stößel dazu her, auch dieses Verlangen nicht der Wahrheit, sondern dem Interesse seiner Partei entsprechend zu erfüllen, und Hofprediger Schüß erklärte sich zustimmend zu den Ausführungen des Amtsgenossen. Durch eine so feige

Kurfürst Augusts Reise nach Wien (1573).

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und unehrliche Handlungsweise, durch solchen fortgeseßten Verrath an ihrer religiösen Ueberzeugung gelang es diesen Geistlichen noch einmal, die Bemühungen ihrer Gegner zu vereiteln. Wie der Kurfürst ihnen vordem geglaubt hatte, daß sie gut lutherisch seien, so glaubte er ihnen nun auch, daß sie mit den Calvinisten nichts gemein hätten und gab sich zufrieden.

Dann aber wurde von noch anderer Seite auf ihn eingewirkt. Längst erfüllte es ihn mit Bedauern, daß er mit dem Kaiser auseinandergekommen sei. Er hatte ihm deshalb schon vor der Bartholomäusnacht zu verstehen gegeben, daß er nicht gewillt sei, die pfälzische Politik zu der seinigen zu machen. Um ihm einen Beweis für die Aufrichtigkeit seines Wunsches der Wiederannäherung an ihn zu geben, unternahm er im Februar 1573 mit seiner Gemahlin eine Reise nach Wien. Und nun waren die alten freundschaftlichen Beziehungen rasch wieder hergestellt. Der Kurfürst, der noch vor kurzem im Verdacht gestanden, daß er gegen die Wahl eines Habsburgers zum römischen König agitire, ging auf Maximilians Lieblingswunsch, seinen ältesten Sohn Rudolf zu seinem Nachfolger in der Regierung des Reichs gewählt zu sehen, bereit willigst ein. Es ist nicht zu bezweifeln, daß Maximilian bei seinem heftigen Widerwillen gegen den Calvinismus seinen Gast wider die Heidelberger einzunehmen gesucht hat, und daß es ihm, mit freundlicher Beihülfe der beiden fürstlichen Frauen, namentlich der „Mutter Anna,“ die stark am Wagen schob,“ gelang, ihn von neuem gegen seine Theologen mißtrauisch zu machen und zu dem Entschluß zu bewegen, sich ihrer zu entledigen, wenn sich nun doch ihr Zusammenhang mit den Heidelbergern ergeben sollte. Daher die Besorgniß, mit der man in den Kreisen der Reformirten auf diese Reise blickte; ihre Furcht, daß die Schlange das Weib und das Weib den Mann aufheße." Freilich, was August nach seiner Rückkehr von Wien zunächst unternahm, schien eher ein Zeichen dafür zu sein, daß er im Geiste der Wittenberger zu handeln als gegen sie vorzugehen beabsichtige.

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Am 3. März 1573 war Herzog Johann Wilhelm von Weimar, der Hort der Flacianer, gestorben. August machte sich kein Gewissen daraus, das Testament des Verstorbenen zu cassiren und die Vormundschaft über dessen beide unmündigen Söhne, die derselbe in erklärlichem Mißtrauen gegen den Albertiner andern, befreundeten Fürsten übertragen hatte, an sich zu reißen und die Huldigung zu ertrozen. Und der Kaiser gab zu einer so widerrechtlichen Handlungsweise seine Bestätigung.

Der neue Regent aber ließ es sein Erstes sein, gegen das flacianische Unwesen im Thüringischen einzuschreiten. Heßhus und Wigand wurden Landes verwiesen, Superintendent Rosinus in Weimar und Hofprediger Gerhard wurden abgesezt, eine Kirchenvisitation im ganzen Lande angeordnet, und an alle Geistlichen die Aufforderung gerichtet, den Dresdner Consens bei Strafe der Landesverweisung zu unterschreiben. Die meisten zogen es vor, Märtyrer ihrer Ansicht zu werden und wanderten aus; die leer gewordenen Stellen wurden mit jungen Wittenbergern besezt. Es war der Sturz des flacianisch

ernestinischen Lutherthums und die Einführung des melanchthonisch-albertinischen, wie dasselbe in des Kurfürsten Vorstellung lebte: die gesammten sächsischen Lande waren damit endlich einmal in kirchlicher Richtung einig und eins.

Bald aber sollten dem Kurfürsten die Augen nun auch über das Wesen des Melanchthonismus in seinem Lande geöffnet werden.

Seit Georg Listenius, ein strenger Lutheraner, (1572) zum Hofprediger in Dresden ernannt worden war, erhob sich hier, unter den Augen des Kurfürsten, eine Theologenzänkerei, die lebhaft an die heßhusischen Zeiten Heidelbergs erinnert. Listenius begann mit seinem Collegen Sagittarius (Schüß) ein förmliches Ringen um den Einfluß bei Hof. Er hielt Predigten gegen ihn und die Wittenberger in der uns bekannten flacianischen und heßhusischen Tonart und wies von der Kanzel der Dresdner Schloßkirche herab auf ihn als „Arrianer, Sakramentsschwärmer, Verführer, Wolf, Miethling, groben Schüßen.“

Da erschien nun zur Michaelismesse 1573 eine Schrift über die Abendmahlslehre unter dem Titel „Exegesis" (Exegesis perspicua et ferme integra controversiae de sacra coenac.), von ungenanntem Verfasser, in welcher diese Lehre, so wie sie das corpus doctrinae enthielt, also in melanchthonischem Sinne, entwickelt wurde. Wenngleich sie die Verschiedenheiten von der lutherischen Auffassung vom Abendmahl hervorkehrte, so war doch ihre Tendenz weniger polemisch als vermittelnd: der Verfasser empfahl eine Concordia zwischen den Calvinisten und Lutheranern. An sich würde die Schrift keinen größeren Eindruck gemacht haben, als so viele andere, die in jener Zeit über denselben Gegenstand erschienen waren. Aber in dem gegenwärtigen Moment war es von großer Bedeutung, daß der von den Wittenbergern wiederholt abgeleugnete Gegensatz zwischen der melanchthonischen und lutherischen Doctrin unverhohlen und in aller Schärfe öffentlich ausgesprochen wurde.

Sobald die Schrift, die ein Genfer Druckerzeichen trug, auf französischem Papier gedruckt und auswärts auf den Markt gebracht worden war, in Dresden bekannt wurde, hieß es sofort, daß sie aus dem Kreise der Wittenberger stamme. Der Kurfürst, der eben mit dem Flacianismus fertig geworden war und beschlossen hatte, nun mit dem Calvinismus ebenso aufzuräumen, war leicht gegen die Wittenberger, ob sie gleich jeden Antheil an der Schrift auf das entschiedenste in Abrede stellten, in Zorn gebracht. Von allen Seiten gelangte die Aufforderung an ihn, der Sache auf den Grund zu gehen und rücksichtslos einzuschreiten. Die Nachforschung ergab, daß der Buchhändler Magister Ernst Vögelin in Leipzig der Verleger sei. Er wurde verhaftet und gerichtlich vernommen und bezeichnete den vor kurzem (im Jan. 1573) verstorbenen Glogauer Arzt Joachim Curaeus als Verfasser. Damit schienen die Wittenberger noch einmal der Gefahr entronnen.

Aber der Kurfürst, nunmehr ganz voll Argwohn, beruhigte sich nicht dabei. Er wandte sich mit dem Verlangen, ihm alles zu berichten, was er über das geheime Einverständniß zwischen den sächsischen und pfälzischen Theologen wisse, an den Hofprediger seiner nach Heidelberg verheiratheten Tochter

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