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Ramsau.

1. Die Kirchengemeinde.

Samuel Karl Tobias Hirschmann, als erster Seelsorger an der Gemeinde Ramsau der erstberufene Toleranzpastor in Steiermark überhaupt, mußte die Wahrheit des Sprichwortes genugsam an sich erfahren: „Aller Anfang ist schwer." Sein Amt in der einsamen, abgelegenen evangelischen Gebirgsgemeinde, ferne von der Heimat, glich in der That einer anfänglich stürmischen Fahrt auf den Wogen der Nergeleien und Anfeindungen, die von vier Seiten, nemlich von den benachbarten katholischen Pfarrämtern zu Haus, Schladming, Kulm und Pichl auf seine Amtsführung eindrangen. Ignaz Eßtendorfer, Dechant in Haus, Georg Dibattistis, Vikar in Schladming, Jakob Hussik, Vikar in Kulm und Joh. Nep. Nowak, Vikar in Pichl, sollen nach Hirschmanns Aufzeichnungen die Evangelischen in den Stolgebühren überfordert haben, überdies widersetten sich Eßtendorfer und Dibattistis besonders heftig den Beerdigungen im eigenen Friedhofe der Ramsauer evangelischen Gemeinde, die derselben doch außer den Bestimmungen des Toleranzediktes noch durch eine kreisämtliche Specialerlaubniß zugestanden waren. Hirschmann sah sich begreiflicher Weise nicht veranlaßt, mehrfachen Aufforderungen der katholischen Geistlichkeit, er solle sich über die Begräbnißbefugniß vor ihr legitimiren, nachzukommen; einen bei Gelegenheit der vierten im evang. Friedhofe abgehaltenen Beerdigung (Regina Schrempf, Stockertochter am Vorberg) eingelangten Brief Eßtendorfers mit dem Inhalte: „Hirschmann solle sich nicht unterstehen, diese Leiche zu beerdigen, er (Eßtendorfer) protestire dagegen!" las Hirschmann gemüthlich

erst nach erfolgter Bestattung. Doch ließ man ihm nicht länger Ruhe, als bis er um des lieben Friedens willen sich endlich durch Vorzeigung der kreisämtlichen Erlaubniß legitimirte.

Unterdessen wurde mit und ohne Hirschmann's Verwendung und Vermittlung die Gemeinde mit reichlichen Büchersendungen, vornehmlich Bibeln und Postillen, aus Nürnberg versehen. Der allbekannte vielgenannte Wohlthäter der Evangelischen in Oesterreich, Johann Tobias Kießling, trug auch die Glaubensgenossen auf der Ramsau recht warm auf dem fürsorglichen Herzen; die vorhandenen Briefe an den alten Lehrer Thomas Tritscher und an Maria Mayerhoferin, die ,,alte Grabnerin," sind dessen ein dankenswerthes Zeugniß und Denkmal noch heute.

Am 11. Oktober 1786 wurde im Auftrage des k. k. Consistoriums A. C. zu Wien die erste Kirchen visitation durch den hiezu vom Superintendenten Fock delegirten Senior J. G. Gotthardt in Ramsau vorgenommen. Der Herr Senior fand allerlei Mängel abzustellen und hat deswegen einen ausführlichen „Visitationsreceß“ hinterlassen, aus welchem nur das Eine hervorgehoben sei, daß dem Pastor die möglichste Abkürzung des Gottesdienstes bei einer halbstündigen oder höchstens 3/4stündigen Dauer der Predigt dringend anbefohlen wurde, damit den katholischen Dienstboten wegen des Mittagessens kein Aergerniß gegeben werde!

Zu Ende Dezember 1786 bekam Hirschmann einen Ruf an die Pfarrei Gastenfelden-Hagenau im Markgrafenthum Ansbach. Der Ruf aus der Heimat wurde um so lieber von Hirschmann um seiner Gattin willen angenommen, da dieselbe sich nicht angewöhnen konnte und Klima wie Lebensweise der Gesundheit nachtheilig fand. Nach fünfjähriger Amtsführung schied Pastor Hirschmann am 10. Mai 1787 von der Ramsau; doch nicht lange sollte ihm die Luft seiner theuren Heimat zu athmen vergönnt sein, er ist wenige Jahre nach seinem Abschiede von der Ramsau ganz von diesem Erdenhause geschieden, um einzugehen in die Wohnungen des ewigen Friedens.

Mit welchen Gedanken der erste Seelsorger von der Gemeinde Ramsau sich trennte, das ist in seinem eigenen lezten Herzenserguß niedergeschrieben: Gott segne meine liebe Gemeinde, die ich ungern verlasse, in Zeit und Ewigkeit! Er unterhalte stets ihre Begierde nach seinem seligmachenden Worte,

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mache sie zu rechtschaffenen Christen und einst zu seligen Bewohnern seiner besseren Welt. Er verleihe mir das Glück, daß ich sie einmal Alle unbefleckt von dieser argen Welt vor seinem Throne wiederfinde und mit ganzer Zustimmung meines Herzens sagen könne: Herr hier bin ich und die du mir gegeben hast, es ist unser Keines verloren!"

Hirschmanns Nachfolger im Amte war Johann Georg Overbeck, geboren zu Lübeck am 22. Dezember 1759, als ein Sohn des dortigen Doktors beider Rechte und Hessendarmstädtischen Hofrathes Georg Christian Overbeck. Der talentirte Knabe ward frühzeitig von seinen Eltern dem geistlichen Stande, der auch seine Neigung war, gewidmet und besuchte zur Vorbereitung auf den künftigen Beruf das Gymnasium seiner Vaterstadt. Nachdem Overbeck im Alter von neunzehn Jahren bereits die Kanzel zu Reinsfelde bei Lübeck bestiegen und da öffentlich gepredigt hatte, bezoger die Universität Jena, wo er Eichhorn's, Griesbach's, Danov's und Döderlein's Schüler war und namentlich mit Eichhorn und Danov innigeren Verkehr pflog. Von Jena aus besuchte Overbeck auch Herder in Weimar und trat noch als Jüngling mit einem beifällig anfgenommenen literarischen Versuch über das Evangelium des Johannes vor die Oeffentlichfeit. Bei Gelegenheit einer Anwesenheit in Leipzig erhielt Overbeck den Antrag, eine Hofmeisterstelle bei dem (katholischen) k. k. Hofrathe von Birkenstock in Wien zu übernehmen und so ward des jungen Mannes Wunsch, in österreichischen Landen einen Wirkungskreis zu erhalten, erfüllt. Allein verschiedene, leicht begreifliche Mißlichkeiten verleideten Overbeck nach kurzer Zeit die Hofmeisterstelle in einer österreichischen katholischen vornehmen Familie zu jener Zeit; der Hofmeister begehrte nach einer Pfarre und Superintendent Fock veranlaßte sofort seine Berufung nach Weißbriach in Kärnthen. Von 1784 bis 1787 war Overbeck Pastor in Weißbriach, nicht ohne viel Noth unter den Wühlereien der ihm aller Orten auffässigen katholischen Geistlichkeit. Nachdem seine Bewerbung um die Predigerstelle an der evangelischen Militärgemeinde zu Olmüz aus dem Grunde vergeblich gewesen war, weil die Nachricht von der Gründung einer solchen Gemeinde überhaupt erfunden gewesen, nachdem ferner das Gerücht von dem Abtreten des Pfarrers Arnold in Triest von seiner dortigen Stelle sich als leer erwies, nahm Overbeck als dritten Griff den ihm wirklich

zugegangenen Ruf in die Gemeinde Ramsau an und traf am 12. Mai 1787 im 28. Jahre seines Alters in Mitten der ihn mit herzlicher Freude willkommen heißenden Ramsauer ein. Auch Overbeck hat in genauen Aufzeichnungen eine ausführliche Geschichte seiner hiesigen Amtswirksamkeit hinterlassen. Wie er selbst vermeldet, hat er in den Gemeindeverhältnissen und im Gottesdienste Alles recht wohl eingerichtet gefunden und in lezterer Beziehung nur einiges Wenige abzustellen oder einzuführen sich veranlaßt gesehen.

Abgestellt wurde von Overbeck im Einvernehmen mit der Gemeinde im Jahre 1788 die bisher übliche Austheilung des Abendmahles an die Kommunikanten zu 3 und 3, welche Gewohnheit viel Zeit in Anspruch nahm, wogegen durch das Hinzutreten so vieler Theilnehmer, als Plag finden (durchschnittlich 12) die heilige Handlung nicht an Ernst verlor, die Gemeindeglieder aber an Zeit gewannen. Eingeführt wurde. durch Overbeck im Jahre 1789 die auch in der Schladminger Gemeinde bereits üblich gewesene Vorsegnung der Wöchnerinnen, der Opferumgang um den Altar an den hohen Festen, am Erntefest und am Toleranzfeste (heute Reformationsfest); das Brennen der Lichter beim hl. Abendmahl, welche Sitte der Senior Gotthardt bei Gelegenheit seiner Visitation 1786 abgeschafft hatte; endlich die Klingelbeutelsammlung während des vor der Predigt gesungenen Liedes.

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Von Sehr

Wie wohl schon am 12. Mai zu Ramsau eingetroffen, wurde Overbeck doch erst am Trinitatissonntage durch Pastor Schmal von Schladming installirt, -unter Theilnahme sehr vieler Glaubensgenossen aus der Nachbargemeinde. weltlichen Behörden war diesmal Niemand erschienen. bald ließ der neue Pastor sich die Verschönerung des Gotteshauses angelegen sein. Zu diesem Zwecke wurden die Ausgangsöffnungen zu beiden Seiten des Altars und die Kanzelöffnung mit weißen Vorhängen versehen; desgleichen verwendete man den Erlös von einigen verkauften Bibeln und Arndt'schen Andachtsbüchern mit J. T. Kießlings Genehmigung dazu, daß das Altarbild, welches eine anstößige Darstellung der auf Felsen gegründeten und den Pforten der Hölle trogenden Kirche enthielt, mit der noch gegenwärtig den Altar nicht eben verschönernden „Kreuzabnahme" übermalt wurde. Ein Theil des übrigen Geldes wurde zur Anschaffung einer noch heute in Gebrauch stehenden, sehr altersschwachen und doch — grünenden

fupfernen vergoldeten" Abendmahlskanne verwendet; die vergoldete Hostienbüchse wurde von einem Einwohner am Kreuzfäulergute, Namens Franz Röttesser gewidmet, das übrige Inventar wurde aus der Kirchenkasse beschafft. Im Jahre 1795 wurde dem Pastor eine nothwendige und gebührende Erweiterung seiner beschränkten Wohnung dadurch zu Theil, daß Lehrerwohnung und Schule in dem eigenen neuerbauten Hause untergebracht wurde. - Ein weiterer, bisher empfindlich gefühlter Mangel, der namentlich an kalten Wintertagen den Kirchenbesuchern hart anlag, war die fehlende Stätte, wo die oft aus weiterer Entfernung herbeigekommenen Gemeindeglieder sich wärmen und restauriren konnten, es fehlte nemlich der Kirchenwirth. Es mag sonst mit dem wohlbekannten Sprichwort von der Kirche und der Kapelle daneben seine Richtigkeit haben, allein in solcher Gegend ist ein dem Kirchgänger vor und nach dem Gottesdienst geöffneter Erquickungsort ein Erforderniß der Natur. Daß das Maß des Gehörigen nicht überschritten wurde, dafür sorgte die Selbst= zucht der Gemeinde. Nach 15jährigem vergeblichen Prozeffiren, Bitten und Vorstellen beim Kreisamte, beim Gubernium und bei der Hofstelle, nach mehrmals versuchtem, aber immer wieder mißlungenen Vergleich mit dem Wirth in Kulm konnte endlich zum Schlusse 1797 mit obrigkeitlicher Bewilligung eine Gastwirthschaft auf dem Perhabgute unmittelbar beim evangelischen Bethause errichtet werden. (Damals dürfte schon jene Vereinbarung mit dem Kulmwirth zu Stande gekommen sein, nach welcher gegenwärtig alle Todtenzehrungen" und Hochzeiten aus Häusern östlich vom „Graben“ in Kulm, und aus dem westlichen Theile der Ramsau beim Perhab ('Pehaben") abgehalten werden.

Overbeck schreibt, daß er hier im Genuße der Liebe und Verehrung von Seite der Gemeinden ein recht vergnügtes Leben führte; unverheirathet war er hier angekommen, doch im Herbst 1792, im 33. Jahre seines Alters, führte er die Demoiselle Marie Babette Bingel von Wien als Pfarrfrau nach Ramsau. Es fehlte nicht an häuslichem Glück, doch auch nicht an Ungemach. Im Sommer 1793 zog sich ein schwarzes Ungewitter über Overbecks Haupte zusammen und drohte seinem Glücke und seiner Lebensstellung den gänzlichen Untergang. Die Ramsauer, als Grenzbewohner bei den Behörden nicht sonderlich gut angeschrieben, fanden in ihrem

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