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die Quelle der Etsch tief verborgen unter den grünen Wogen des kleinen Sees, der nach jenem Dorfe genannt wird.

Gegen Süden breitet sich die, in einem früheren Briefe geschilderte Thaleinsenkung des Ober-Vintschgaus, von beiden Seiten durch hohe Bergzüge eingeschlossen, als eine sumpfige, unfreundliche Ebene mit drei zusammenhängenden kleinen Seen, dem Reschen-, Mitter- und Heide-See, aus. An dem Ostende der Thalebene, deren Breite auf Meile durchschnittlich angenommen werden kann, liegt das Dorf Graun, da, wo der Carolin-Bach seine wilden milchgrauen Gletscherwasser von dem Gebatscher Ferner durch das Langtauferer Thal dem zweiten Seebecken zuführt. Noch weiter südlich zwischen dem Mitter- und dem Heide-See liegt die dritte Ortschaft Heide, mit ihren dazu gehörigen Fischerhäusern; aber die ganze Gegend ist eintönig, kalt und unfreundlich. Kein Baum, kein Strauch gedeiht auf dieser, dem kalten Windzuge und im Winter den furchtbarsten Schneestürmen ausgesetzten Landschaft; die Dörfer, eine Gruppe einförmiger grauer Häuser, ohne Gärten, werden allein noch durch die freundlichen Gotteshäuser einigermafsen gehoben, denen die kräftigen und frisch aussehenden Bewohner der Umgegend an jedem Sonntage in zahlreichen Haufen zuströmen. Man sieht es diesen Leuten an, dafs sie trotz ihres rauhen, dürftigen, unfruchtbaren Heidelandes zufrieden sind.

Es war am 10. September, als ich diese Gegend passirte, und so eben erst fing man die kümmerliche Erndte einiger Roggenfelder an. Bei uns würde man eine solche Erndte kaum der Bearbeitungskosten werth halten; aber hier ist freilich jeder Bauer reich, wenn er nur so viel gewinnt, wie zu seinem eigenen Bedarf nöthig ist.

Trotz dieses vorherrschenden Charakters einer kalten, ernsten Einförmigkeit, ist die Landschaft nicht ohne grofse Schönheiten. Dazu gehört vor allen der majestätische Hintergrund gegen Süden, gebildet durch die Gletscher und Schneegipfel der MartellSpitz und des hohen Ortles, welche, immer höher aufsteigend,

je näher man ihnen kommt, einen unvergleichlichen Anblick gewähren. Zwar sind die hohen Berge zu beiden Seiten des Thals nur die Vorberge zu den dahinter liegenden Hochgebirgsketten und Fernern, aber selbst diese, besonders die gegen Westen, bieten durch ihre malerischen Formen und Felsabhänge manch' schönes Bild. Zahlreiche Wildbäche, die sich von jenen Berghöhen als schäumende Wasserfälle herabstürzen, von Weitem wie ein durchbrochenes Silberband glänzend, das, bald in enger Felsschlucht zwischen hohen Bäumen versteckt, bald mehrere hundert Fufs an senkrechter Felswand hängend, bis es sich in dem See, der unmittelbar am Fufse der Berge liegt, verliert, — haben mich ganz besonders angezogen, weil sie durchaus neue, nur den Hochgebirgen eigene Erscheinungen sind. Einer der schönsten Wasserfälle dieser Art stürzt sich von einer schwindelnden Höhe hinab, auf dessen Vorsprung ein Kirchlein, St. Martin genannt, so poetisch und malerisch liegt, dafs sich das Auge unwillkührlich davon gefesselt fühlt. Est ist dies unstreitig einer von den lieblichsten Punkten, welche man in den Alpen als Andachtsorte für die Senner so häufig findet.

Von Reschen bis am Südrande des Heide-Sees ist die, etwa 2 Stunden lange Thalebene von fast unmerklichem Fall; hier verlässt die Etsch, schon zu einem reifsenden und wasserreichen Flusse angewachsen, den letzten See, und eine ganz neue, grofsartige Landschaft breitet sich vor dem entzückten Auge aus. Ein breiter, grüner Wiesenabhang fällt in ziemlich starker, gleichmässiger Böschung und in einer Ausdehnung von beinahe 3 Stunden, nach Süden zu der Ebene von Glurns ab. Zahlreiche, von der Etsch gespeiste Bewässerungs-Kanäle geben diesem Abhange, der unter dem Namen: die Malser-Heide, so bekannt ist, eine seltene Frische und Fruchtbarkeit. In der Mitte desselben liegt der uralte Flecken Mals mit seinen mittelalterlichen Bauresten, und zu beiden Seiten, da, wo die schiefe Ebene mit den hohen Gebirgsabhängen, die sie wie einen Rahmen einschliefsen, zusammentrifft, sieht man die freundlichsten

und reichsten Dorfschaften mit schönen, weit hin glänzenden Kirchen und Thürmen. In der Tiefe endlich breitet sich die Thalsohle der nun ruhiger fliefsenden Etsch immer weiter aus, und das alte Städtchen Glurns mit seinen wohlerhaltenen Umfassungsmauern zeigt sich als Hauptpunkt des Thals, an dessen Rändern sich hohe, stattliche Burgen und Schlösser erheben. Im Hintergrunde endlich dieses reichen herrlichen Bildes steigt die pyramidale Schneespitze des Ortles mit ihren umliegenden Gletschern und Schneefeldern und mit zahlreichen, ihr untergeordneten Zacken und Eisdomen, hoch und scharf gezeichnet, in der ganzen Fülle ihrer Majestät, hellglänzend in den blauen Aether auf.

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Das ist der erste Blick in Süd-Tirol hinein, ein Blick, der das kälteste Herz erwärmen mufs; aber man mufs hier mit eigenen Augen sehen; Schilderungen und selbst bildliche Darstellungen sind nur matte Anklänge von dem vollen Accorde, den die Wirklichkeit gewährt.

Die Strafse führt da, wo die Etsch das dritte Seebecken verläfst, über die sogenannte Hoch-Brücke auf das rechte Ufer, und folgt nun dem, in wilder Eile über Felsblöcke abwärts tobenden Flusse zwischen diesem und den Felsabstürzen des rechten Thalrandes. Wie mannigfaltig die Bilder sind, welche sich beim Hinabfahren, bei den verschiedenen Wendungen des Weges dem Auge darstellen, kann man sich denken, aber vor allen ist mir eins fest in der Erinnerung geblieben.

Kurz vor dem Dorfe Burgeis nämlich, da, wo das Felsbette der Etsch am steilsten abfällt, und der Flufs seine schäumenden Wogen mit brausendem Getöse in fortwährenden Katarakten hinabstürzt, sieht man plötzlich theilweise über die Häuser, theilweise zwischen denselben durch, in dem untern Theile der Ebene die lieblichen Dörfer Schleifs und Laatsch, an malerische Bergabhänge gelehnt, unter sich; daneben steigt auf der Höhe über Burgeis das Benediktiner-Stift Mariaberg mit seiner schönen, hohen, doppelthürmigen Klosterkirche und seinen Ka

pellen und Stationspunkten auf, während sich etwas unter demselben die Fürstenburg in ihrer alterthümlichen Bauart erhebt. Dies alles mit dem unveränderlichen Hintergrund des hohen Ortles in der abendlichen Beleuchtung, wie ich es sah, macht inmitten des donnernden Geräusches eines wild tobenden Wasserfalles einen Eindruck, der über alle Beschreibung ist.

Doch vorher noch ein paar Worte zur Charakteristik des ganzen Etsch-Thales, welches ich nun so bald nicht mehr verlasse.

Es giebt in dem ganzen Alpengebirge keine, von Anfang bis zu Ende so scharf markirte und tief eingeschnittene breite Thalebene wie die der Etsch. Während der Inn eigentlich erst von Landeck abwärts eine breite Thalsohle bildet, denn vorher ist sein Lauf mit wenigen Ausnahmen von hohen Bergmassen eingeengt, erscheint das Etsch-Thal von seinem Ursprunge auf der Reschen-Heide bis zu seinem Austritt in das Lombardische Tiefland bei der Chiusa di Rivoli, als eine ununterbrochene, stetig zwischen bis Meile breite Ebene, in 14 einer Gesammtausdehnung von 28 geograph. Meilen. Keine Thalengen oder sogenannte Querthäler stellen sich dem Laufe des Flusses entgegen, nur verschiedene Stufen, ebensoviel Katarakten bildend, zeugen im obern Laufe von seiner Alpennatur, und bilden zugleich wichtige Thalabschnitte, sowohl für die Naturformen, als für die zunehmende südliche Kultur des Bodens und den Reichthum wie die Ausdehnung seiner Bevölkerung.

Man kann dies, eben so merkwürdige wie in seiner Art einzige Thal in 3 Abschnitten sich denken. Der erste begreift die Wiege des Stromgebiets in den 3 Seen der schon oft gedachten Hochebene von Reschen und die, in gleicher südlicher Normalrichtung daran stofsende Malser-Heide bis zur sumpfigen Niederung unterhalb Glurns, eine Strecke von etwa 4 Meilen.

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Man nennt diesen Theil das obere Vintschgau.

Durch die Masse des Ortles-Gebirgs in seinem Lauf nach Süden aufgehalten, wendet sich das Thal dann, fast genau unter

einem rechten Winkel gegen Osten, und zieht in dieser Richtung in den südlichen Ausläufern des dicht dahinter liegenden CentralGebirgsstocks, der Oetzthaler Ferner, hin. Es ist dies das ungefähr 6 Meilen lange untere Vintschgau.

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Endlich wendet sich der Flufs, nachdem er in der Gegend von Meran seine letzten Katarakten von der Töll-Höhe herab gebildet und die von Norden kommende Passer aufgenommen hat, wieder unter einem rechten Winkel in seine ursprüngliche Normalrichtung gegen Süden, und weicht nun von dieser, mit Ausnahme einer kleinen, durch das etwas vorspringende MendelGebirge veranlassten Ausbiegung gegen Osten bei Botzen, nicht mehr ab, bis er durch die Chiusa di Rivoli - der einzigen Verdie Ebene von Verona erreicht. engung seines Thals Dieser dritte und bedeutendste Abschnitt der Thal-Ebene liegt schon so tief, dafs die Höhe der Etsch bei Meran kaum 1200 Fufs über dem Spiegel des Adria-Meeres beträgt, so dafs gerade durch diese eigenthümliche Gestaltung des, gegen Süden offenen Tiefthales, die wunderbar schönen Kontraste hervorgerufen werden, welche sich bei Meran zeigen, wo der warme Süden und der eisige Norden ganz nahe einander benachbart sind. In diesem untern Theile, wo die Etsch keine Katarakten mehr bildet, sondern wo leider noch viel schönes fruchtbares Tiefland als grofse Sumpfstrecken unbebauet liegen, concentrirt sich die ganze Wichtigkeit und Bedeutsamkeit von Süd-Tirol. Es ist der eigentliche Kern des ganzen Landes und wird mit dem allgemeinen Namen: das Etschland, bezeichnet, während es die Bewohner der daran stofsenden Hochthäler gewöhnlich, im Gegensatz zu ihren Bergen, das „Landl" zu nennen pflegen.

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Nach diesen allgemeinen Zügen werden sich nun die Einzelnheiten des Etschthales von der Hoch-Brücke auf der Malser Haide durch das romantisch-schöne Vintschgau bis Meran leichter einweben lassen.

Gern verweilte ich noch länger bei den, an Naturschönheiten so reichen Umgebungen von Burgeis, Mals, Glurns, aber dieser

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