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Die Erwachsenen sind besser daran, sie können sagen, wo es ihnen fehlt. Mir gab ein Gott zu sagen, was ich leide. Aber wir mögen es doch nicht immer sagen und sagen wir es, so werden wir nicht immer verstanden. Wollen wir eine Wahrheit offen gestehen, so ist es diese: wir machen aus den kleinen Leiden fein Hehl, aber die größern zu offenbaren fällt uns überaus schwer, und die tiefsten Schmerzen in intimen Herzens angelegenheiten, die verschweigen wir am allerehesten, bieten sogar alle Mittel auf, sie zu verdecken, und erfinden ein kleines Unwohlsein, um damit den Verdacht von einem großen Kummer abzuleiten. Darum wissen wir in der Regel außerordentlich wenig, was in einem Menschen vorgeht und sogenannte gute Freunde sind sich ein siebenfach versiegeltes Räthsel. Du begegnest dem Freund auf der Straße und frägft ihn: ist dir nicht wohl? Du siehst so verstört aus! Er versichert dich mit einem bereitwilligen Lächeln, o nein, es gehe ihm ganz gut, und später erst wirst du inne, daß der lächelnde Mann über die leßten verzweifelten Anstrengungen nachdachte, wie er den Zusammenbruch seines Geschäftes aufhalten und seine Bürgerehre retten könnte! Du beschwerst dich über das reizbare und launenhafte Wesen eines Bekannten, kannst dir gar nicht erklären, woher die Ausbrüche seiner Leidenschaft, die ärgerlichen Scenen bei jedem geringfügigen Anlaß; er wird dir widerlich und du gehst ihm aus dem Wege, bis plöylich eine mühsam verhaltene Krankheit bei ihm ausbricht, und wenn die Aerzte seine Leiche seziren, so sagen sie zu einander: der gute Mann muß Fürchterliches ausgestanden haben, warum hat er es auch nicht früher geklagt? Du meinst umgekehrt manchmal von einem Menschen voll Unruh und düstern Gedanken, er müsse körperlich leiden; aber Blut und Nerven, Alles ist in gesundem Stande bei ihm, es ist ein Saul, über den der böse Geist des Neides und der Eifersucht und der brennenden Nachbegierde gekommen ist, oder es ist ein David, dem ein schwerer Fehltritt die Harmlosigkeit genommen und das klare Auge getrübt und das fröhliche Herz mit einem Alpdruck belastet. Ja, wir wissen im Allgemeinen sehr wenig, was in den Menschen um uns her vorgeht, sie verstecken ihr innerstes Wesen vor uns, bald aus Eitelkeit und Stolz, bald aus Neue und Scham, gelegentlich auch aus Zartgefühl und aus Rücksichten der Liebe. Das Auge, welches ins Verborgene sieht und das Ohr, welches den unterdrückten Seufzer der gebrechlichen Kreatur hört, sie vernehmen Millionen mal täglich Dinge, die sonst kein Auge zu sehen und kein Ohr zu hören bekommt.

Und selbst in dem Fall, wo unser Leid von selbst offenbar wird und wir es freiwillig gestehen, werden wir dann immer verstanden? Ich will nicht reden von den gleichgültigen und herzlosen Menschen, die sehr vergnügt sind, wenn nur immer die andern Menschen ihr Vermögen verlieren und Enttäuschungen erleben und an Gräber geführt werden, denen нoch nie eines Andern Schmerz weh gethan hat. Ich will nur sagen, es sei für die Guten, Weichherzigen, Mitleidigen eine enorm große und recht seltene Kunst, Klagen auf die rechte Art zu begegnen. Es ist ja in sehr vielen Fällen das beste, ihnen überhaupt nicht zu begegnen, sie nicht geschweigen zu wollen, sie ungehindert ausströmen zu lassen und frischweg mit darein zu stimmen. Und wer den Mund zum Trösten aufthut, muß erst wieder bedenken, ob

er denjenigen auch kenne, den er trösten möchte, sonst macht er bei allem ` guten Willen das Leiden gar oft noch schlimmer. Wie ja der Arzt die Natur seines Patienten kennen muß, um dessen Krankheit wirksam zu begegnen, so auch der Tröster den Trostbedürftigen. Und darum machen die Leidenden wohl die Erfahrung, daß der menschliche Trost im Allgemeinen eine schmale oder unverdauliche Kost ist, die keine Seele vom Tode errettet. Wenn man sie zusammenzählt diejenigen, welche in dunkeln Stunden ohne menschliche Theilnahme sind, und diejenigen, welche bei schweren Geschicken die sogen. Freunde fliehen sehen wie die Ratten vom sinkenden Schiff, und diejenigen, denen Steine geboten werden statt Brod und eingelernte Redensarten statt einem mitfühlenden Herzen und unausführbare Rathschläge statt eines vernünftigen Anhalts, gemalte Stüßen statt eines wirklichen Stabs- ja dann ist man froh, daß es außer den Menschen auf Erden noch einen andern Tröster gibt, den heiligen Geist, das Vertrauen auf den Gott, der durch's Dunkel zum Licht, durch vergängliches Leid zu unvergänglicher Herrlichkeit leitet, der denen, die ihn lieben, alle Dinge zum besten gereichen läßt. Das ist schließlich doch der einzig solide Tröster, der von innen aus einem gottergebenen, glaubensfrohen Herzen herausquillt: „Dein Geist spricht meinem Geist manch süßes Trostwort zu!" Wer den hat, der kann sich darein schicken, daß die irdischen Stüßen, eine um die andere, brechen und es im Allgemeinen immer wieder heißt: „Wir haben euch geklagt und ihr wolltet nicht weinen!"

Lieber Leser! Was ich da aus Erfahrung geschrieben, wird wohl im Ganzen mit deinen Erfahrungen zusammen stimmen. Wir Menschen verderben einander, wie die Kinder auf dem Markte, gar oft das Spiel, in der Freude wie im Leide. Daraus ergibt sich uns einmal die sittliche Aufgabe, daß wir allen Ernst anwenden, um mehr als bisher der großen apostolischen Mahnung nachzuleben: Frenet euch mit den Fröhlichen und weinet mit den Trauernden! Es ergibt sich daraus aber ferner auch die ebenso große religiöse Aufgabe, Herz und Gemüth immer fester zu gründen auf den Grund: Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde! Auf diesem Grunde baute sich Jesu Christi weltüberwindende Kraft, sein unzerstörbarer Lebensmuth und seine siegesgewisse Todesfreudigkeit auf. Es ist in feinem Andern das Heil. Er mache uns immer mehr ihm ganz zu eigen!

A.

Es ist nicht mehr als billig. Ein jüngst verstorbener großer Fabrikant im Toggenburg, Kanton St. Gallen, hat testamentarisch über 200,000 Fr. (circa 1/10 seines Vermögens) für Kirchen- und Schul- und Armenzwecke vermacht. Jedem Schuldner schenkte er einen Jahreszins und jeder Gemeinde der ganzen Thalschaft so viele Franken als dieselbe Köpfe zählt. Wir erwähnen hier die wackere That aber nicht wegen der großen Summe, um die es sich handelt, denn in Basel und anderwärts gibt es dergleichen große Schenkungen auch und noch viel größere, sondern: was der Aufzeichnung werth ist, besteht vielmehr in dem gefunden Gedanken, mit welchem der Teftator seine Schenkung motivirt. Er schreibt nämlich: „Da meine Vorfahren und ich unser Vermögen mit Hülfe des arbeitenden Volkes angesammelt haben, so ist es nicht mehr als

billig, daß ein Theil des Erwerbs auch wieder dem Volke und den Fabrikarbeitern zu gute kommt." Diesem christlichen Sozialismus des wackern Toggenburgers wünschen wir die weiteste Verbreitung.

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Die Heilsarmee verboten. Die Regierungen von Genf, Neuenburg und Bern haben die religiösen Versammlungen der Heilsarmee auf dem ganzen Gebiet ihres Kantons untersagt, ähnlich wie in frühern Jahren die St. Gallische Regierung die sogen. Jesuitenmissionen verbot. Die Freunde der Heilsarmee sehen in jenem Verbot eine Verletzung des § 50 der Bundesverfassung, wornach die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen innerhalb den Schranken der Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung gewährleistet ist." Dagegen berufen sich die Regierungen auf ihre Pflicht, „zur Handhabung der Ordnung und des öffentlichen Friedens unter den Konfessionen die geeigneten Maßnahmen zu treffen." Sie werfen der Heilsarmee vor, daß ihre Aufführungen aufreizender Natur seien und aus gewinnsüchtiger Absicht hervorgehen; die Empörung dagegen in der Bevölkerung sei derart stark, daß die Störung nur durch ein militärisches Aufgebot hätte verhindert werden können.

Wir in Basel hören diese Dinge mit Erstaunen, denn in unserer Stadt fanden sehr ähnliche Aufführungen mehrere Wochen hindurch statt, die pietistische Partei gab ihre Lokale dazu her und betheiligte sich lebhaft daran, ein Geistlicher der Landeskirche unterstüßte sogar die Sache persönlich. Nach unserer unmaßgeblichen Meinung würde die Heilsarmee in Basel von der Regierung nicht verboten, wir sind dergleichen Dinge gewohnt; dagegen wären wohl die Besonnenen unter den Orthodoren selber in die Lage gekommen, sich von einem Treiben loszusagen, das sie bereits ein durchaus unevangelisches genannt haben, und das hielten wir für einen großen Gewinn. Aber das Schlimmste, was der Heilsarmee begegnen konnte, ist, daß die Gräfin de Gasparin soeben. die Statuten veröffentlicht hat unter dem Titel: Lisez et jugez! Mit dieser Enthüllung der in der Heilsarmee herrschenden Grundsätze ist das ganze Treiben moralisch vernichtet für immer. Wir trauten unsern Augen kaum, als wir in diesen Statuten eine genaue Copie der jesuitischen Theorie und Praris, fanden. So schlimm hatten wir uns die Sache doch nicht vorgestellt. Lisez et juget. Wir sind gespannt, ob der „Christliche Volksbote“ und die hiesige Stadtmission jezt noch an der Sache festhalten.

Basler Kirchenzeddel Sonntag den 11. Februar.
St. Peter St. Leonhard | St. Theodor
Böhringer

Münster

Morgenpredigt 9 Uhr Stockmeyer

Kinderlehre 11

Abendpredigt 3

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Preiswerk
Wirth
Wirth

A. Linder

A. Wenger

Th. Stähelin E. Stähelin

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Confirmations-Gedenkblätter mit und ohne Bibelsprüche, neue Pracht

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Sprüche à 20 Cts. (Eremplare der frühern Ausgabe, so lange Vorrath à 15 Cts.), Stück à 25 Gts., beide in prachtvollem Farbendruck

Trauungs-Andenken nach den Originalen der Frau Prof. Alw. Schrödter

empfiehlt als sinnige Gaben bestens

(H 137 Z)

Caspar Knüsli's Kunstanstalt, Zürich.

NB. Spruchverzeichnisse auf Verlangen franke.

Druck und Erpedition von J. Frehner, Steinenvorstadt 12, Basel.

Sechster Jahrgang.

No 7.
7. Samstag, 17. Februar 1883.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Decolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Ein neues Chriftusbild.

Gute Bilder als Schmuck der Zimmerwände darf man auch in Schuß nehmen, wie Jesus das Weib mit dem köstlichen Nardenwasser gegen den Vorwurf der Verschwendung vertheidigte. Gute Bilder sind gute Freunde, die fortwährend erheiternd oder warnend zu unserm Herzen reden, sie machen lachen und trocknen Thränen, je nach unserm Bedürfniß. So ein gutes Bild hängt vor mir. Es ist ein Bild, wie es erst unser Jahrhundert zu schaffen vermochte, ein Christusbild, welches genau dasjenige künstlerisch dar ́stellt, was die wissenschaftliche Bibelforschung in Bezug auf die Person Jesu zu Tage gefördert hat, das erste Christusbild, das uns befriedigen kann, weil wir uns sagen dürfen: so kann der geniale jüdische Reformator_ausgesehen haben. Die bisherigen Christusbilder waren in der Regel unglaubwürdig, inspirirt von der orthodox kirchlichen Dogmatik, übernatürliche, mondscheinhafte, fleisch- und blutlose Wesen, wie sie die Erde nie getragen haben kann, sofern die Naturgeseze gelten. Hingegen der „Christus vor Pilatus" von Munkacsy (und von dem ist hier die Rede) dringt durch die mythische Schale auf den festen geschichtlichen Kern. Da steht ein wirklicher Mensch vor uns, aber ein Mensch, auf dessen Angesicht der königliche Beruf leuchtet, für die Wahrheit zu zeugen. Mit dem Ausdruck unaussprechlicher Hoheit und Siegesgewißheit schaut er auf seinen Richter, den Landpfleger Pilatus mit dem harten, herzlosen Paragraphengesicht. Wer hier der Sieger bleibt, ob der schlauberechnende Jurist im Statthalterstuhl oder der leidenschaftliche Jünger der Wahrheit im zerlumpten Gewande, gefesselt und barfuß das fühlt im ersten Augenblick jeder Beschauer und freut sich darob. Und nicht weniger köstlich ist die um diese beiden Hauptfiguren gruppirte Menge gezeichnet: anklagende, streitende, grübelnde Theologengestalten, stille und laute Lente aus dem Volk, fromme, mitleidige Seelen und dumme, rohe, fanatische Schreier, die sichtbar darum so wüst thun, weil sie wissen, daß die geistlichen Herren diesen Eifer für die gute Sache des Väterglaubens mit Wohlgefallen vermerken! Sieh dir diesen Hohepriester mit dem gegen Christus ausgestreckten rechten Arm an so pathetisch hat selten in der Synode ein Zionswächter gegen den Abfall von der heilsamen Ordnung der Kirche geeifert! Schau in das Gesicht des breiten Kirchenraths, der seine feiste Faust auf das fest vorgestreckte Bein stüßt und Jesum

in vornehmer Gleichgültigkeit ein wenig von der Seite anblinzelt sicherer als er fühlt sich Niemand im Alleinbesitz der göttlichen Offenbarung, an welcher jede Neuerung zerschellen muß! Sieh diese Schriftgelehrten, die ihr armes Hirn am Buchstaben zerquälen und nichts merken von der Gegenwart des Herrn, welcher der Geist ist todte Todtengräber! Sieh auch die paar in der Menge zerstreuten aufrichtig suchenden Hörer - Christus hat sie gewonnen, aber sie kämen um Ansehen und Brod, wenn sie nicht ihre Ueberzeugung versteckten! Sieh auch den Schreier mit zum Himmel erhobenen Armen und weit aufgerissenem Mund- wären die Kirchenräthe und Pilatus auf Jesu Seite, so würde er den gleichen Lärm für ihn, wie jezt gegen ihn machen! Sieh endlich auch die Frau mit ihrem Kind im Arm sie fühlt, was Millionen seit Jahrhunderten fühlten, daß im Angeklagten alle rettenden Mächte liegen für das, was verachtet ist vor der Welt. Er steht da, mit seinem Blick das ganze römische Weltreich zerschmetternd und über allen ihn umtobenden Frrthum der Jahrtausende hinausrufend: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit zeugen soll" das ist unser Christusbild und keine Passionspredigt hat uns je besser erbaut.

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Die protestantische Orthodoxie und Bibel.

(Aus: Felix Pécaut, le christianisme et le miracle.)

II.

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Wir haben in vorlegter Nummer die sehr eingehenden und klaren Beweisführungen Pecaut's mitgetheilt, in welchen er nachweist, daß wir den Inhalt der Bibel unmöglich als eine übernatürlich gegebene göttliche Offenbarung betrachten können. Hören wir ihn heute die Unmöglichkeit einer solchen von einem andern Gesichtspunkt aus klarlegen.

Nachdem er ausgeführt hat, daß zur deutlichen Unterscheidung dessen, was in der Bibel göttliche und menschliche Lehre sei, wiederum eine zwingende übernatürliche Autorität nöthig wäre, ja daß überhaupt, wenn man für eine sogenannte göttliche Offenbarung Glauben verlangt, irgend eine übernatürliche Legitimation durch ein Wunder oder so etwas nöthig wäre, fährt er, diesen Gedanken verfolgend, ungefähr so fort:

Versuchen Sie einmal nur einen Augenblick sich vorzustellen, daß ein solches Wunder wirklich geschähe, sofort würde sich ihr religiöses und sittliches Gefühl dagegen sträuben. Ich frage Sie aufrichtig: würden wir es heutzutage ertragen, daß man von uns Glauben an irgend eine Lehre fordert auf ein augenfälliges Wunder, auf die Vorführung irgend einer übernatürlichen That hin? Würden wir wirklich den Worten eines Gottgefandten eher lauschen, weil etwa auf seinen Befehl hin vor unsern Augen sich die Brode vermehrten, die Fische massenhaft in das Netz des Fischers schwämmen, das Wasser sich in Wein verwandelte, der Lahme seine Krücken wegwärfe, oder der Todte seine modernden Gebeine zusammennähme und den Grabstein aufhöbe? - Nein, tausendmal nein! Gott sei Dank, unsere geistige Bildung ist doch zu weit gefördert, als daß wir in solchen Erscheinungen eine Legitimation sehen könnten, die gotteswürdig und der religiösen Wahrheit angemessen wäre. Weit entfernt uns anzuziehen, würde ein solches

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