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Sechster Jahrgang.

No 46. Samstag, 17. Nov. 1883.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Bajel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnabe und Wahrheit.
Oecolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 19, abholen.

Rückblick auf die Lutherfeier.

Es kann nicht anders sein, als daß Luthers Lebenswerk, welches die letzten Tage in tausenden von Schriften, Neden, Liedern und Bildern der ganzen gebildeten Christenheit vor Augen gestellt wurde, bei dieser einen großen Segen zurückläßt. Denn in Tagen, wie die unsern sind, wo die materiellen Interessen auf's Aeußerste anspannen und wo bei ähnlichen geistigen Kämpfen so viel Unglaube, Zaghaftigkeit und Feigheit sich offenbart und es oft ist, als sähe Jeder nur auf seinen eigenen Weg, da muß es auf Alle miteinander wie luftreinigend wirken, vor einen Mann hingestellt zu werden, der an frommer Gotteszuversicht und Unerschrockenheit gegenüber Menschen kaum seines Gleichen findet; mir hat die Feier das Gewissen gereinigt, hat ein Aufrichtiger gestanden und tausend Andere haben das Gleiche erfahren.

In Basel machten sich vor der Feier einige kleinliche Intriguen geltend, denen der Kirchenrath nicht ganz gewachsen war, Intriguen, die in ihrer Kleinlichkeit im denkbar größten Gegensatz standen zu dem graden, großdenkenden Mann, dem die Feier galt; aber schließlich nahm Alles einen angemessenen und würdigen Verlauf. Die Hauptfeier am Samstag Abend im Münster bot nur fast zu viel des Schönen auf einmal; die prachtvolle von der Liedertafel vorgetragene Motette von Klein: „Wer unter dem Schirm des Höchsten wandelt“ und die Cantate von J. Seb. Bach, diesem musikalischen Luther, machten die Feier zu einem Kunstgenuß, der allein schon das Münster anzufüllen vermocht hätte; es war daher eine halbe Stunde vor Beginn höchstens noch ein Stehplatz zu erobern. rede des Antistes Stockmeyer, welche sich darauf beschränkte, die Entwicklung Martin Luthers bis zum Reichstag in Worms zu erzählen,

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Die Fest=

machte einen guten Eindruck und wir haben bei diesem Anlaß wieder erlebt, wie sehr unser geistlicher Primas es unter seiner Würde hält, abweichende Ansichten an heiliger Stätte zu kränken. Das Schönste für unser Gefühl bildete aber doch der von Tausenden kraftvoll und schön vorgetragene Lutherchoral und es war gewiß das erste Mal seit vielen Kampfesjahren, daß Orthodoxe und Reformer so harmonisch miteinander ein religiöses Lied gesungen haben. Möge es nicht das letzte Mal bleiben.

Die im Münster veranstaltete Schlußfeier am Sonntag Abend, welche wieder eine sehr große Gemeinde in gespannter Andacht zwei Stunden zusammenhielt, trug ein schlichtes Gewand; statt der Töne herrschte das Wort vor. Herr Prof. Dr. P. Schmidt beleuchtete in großem Styl die bleibenden Segnungen von Luthers Reformation und der Schreiber dies stellte der Festgemeinde den Luther von 1530 vor die Augen, zum Beweis, daß der ältere Luther trotz seiner gegen Zwingli und die Bauern bewiesenen Schroffheiten durch sein „Trauen auf den höchsten Gott und sich nicht fürchten vor der Macht der Menschen" die von ihm begonnene Reformation in schwerer Stunde gerettet hat. Beide Vorträge sollten am frommen Heldenmuth Luthers unser kleines Geschlecht messen, das arm an Gottesfurcht und lahm durch Menschenfurcht ist.

Bei der geselligen Vereinigung drängte sich Jedermann das Gefühl auf, die schöne Lutherfeier dürfe nur das Vorspiel für eine größere Zwinglifeier am 6. Januar sein. Der Kirchenrath hat als Festredner bereits Herrn Obersthelfer Zwingli Wirth bezeichnet und zwei Gesangvereine haben ihre Mitwirkung zugesagt.

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Wie Zwingli zu Luther stand.

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Die Basler Staatskanzlei sandte uns zum Luthertag eine sehr hübsche Denkschrift“, welche Luther und die Reformation in der Schweiz, namentlich in Basel behandelt, verfaßt von Jakob Kündig, Pfarrer in Arlesheim. Schon das der Schrift vorangesetzte Lutherbild verleiht ihr einen großen Werth, denn dieser Lutherkopf, gezeichnet von Julius Schnorr, ist ein wahrer Lobpsalm auf des Reformators Glaubenskraft und Geistestiefe, während andere Bilder, die in den letzten Tagen an die Oberfläche gespült wurden, gar übel gerathen sind und eines besonders, hübsch frisirt und das weiße Händchen auf der Brust, sieht beinahe aus wie ein höchst selbstgefälliges und eingebildetes lutherisches Pastörchen aus der Gegenwart, mit gutem Gehalt, aber nicht innerem. Auch der Jnhalt der Kündig'schen Schrift, die in Basel gratis vertheilt worden ist, hat uns in jeder Be

ziehung sehr gefreut; man kann die Beziehungen der schweizerischen Reformation zu Luther nicht wohl einfacher und klarer und mit milderm Geiste beleuchten. Wir verdanken darum die Gabe herzlich und lassen Kündig über Zwingli's Beziehung zu Luther Folgendes sagen:

Ist schon Dekolampad Luther gegenüber selbstständiger als Keßler, so ist dies noch mehr der Fall mit Zwingli, dem eigentlichen Reformator der Schweiz. Wäre er ein Schüler Luthers gewesen, hätte er sein Bestes ihm zu danken gehabt dann würde Luther fast auch unser Reformator heißen können. Dies ist nun aber nicht der Fall.

Zwingli, nur einige Wochen jünger als Luther, konnte schon um des gleichen Alters willen nicht ein Schüler Luthers sein, wie Keßler es war; und da er ferner schon frühe zu festen, durchgebildeten Ueberzeugungen gelangt war, so ist er auch nicht in der Weise durch Luther bestimmt worden, wie sein Freund und Mitstreiter Dekolampad. Zwingli ist auf selbstständigem Wege zu evangelischer Ueberzeugung gelangt und hat in evange Lischem Sinne gepredigt, ehe er von Luther wußte. Das bezeugt er selbst ausdrücklich, das geht aus seiner ganzen Denfart und Wirkungsweise hervor. Er hat auch stets seine Unabhängigkeit von Luther betont, namentlich denen gegenüber, welche ihn einen Lutherischen nennen wollten. Er bezeugt: „Ich habe, ehe noch ein Mensch in unserer Gegend etwas von Luthers Namen wußte, angefangen, das Evangelium Christi zu predigen, im Jahr 1516. Wer schalt mich damals lutherisch? Sagen sie: Du mußt wohl Lutherisch sein, du predigst ja, was Luther schreibt; so antworte ich: Ich predige ja auch wie Paulus, warum nennst du mich nicht vielmehr einen Paulisten? Ja, ich predige das Wort Christi, warum nennst du mich nicht vielmehr einen Christen? Ich will keinen Namen tragen als meines Hauptmanns Jesu Chrifti, dessen Streiter ich bin. Es kann kein Mensch sein, der Luther höher achtet denn ich. Aber ich bezeuge vor Gott und allen Menschen, daß ich meiner Lebtage nie an Luther geschrieben habe, noch er an mich; nicht weil ich mich fürchtete, sondern um zu zeigen, wie gleichförmig der Geist Gottes sei, da wir so weit von einander entfernt und doch einmüthig sind, aber ohne alle Verabredung, obwohl ich ihm nicht ebenbürtig bin; denn Jeder thut, so viel ihn Gott weiset."

So steht Zwingli zu Luther nicht im Verhältniß eines Schülers, oder durch ihn wesentlich bestimmten Mannes, sondern eines ebenbürtigen, auf eigenem Wege zu demselben Ziel gelangten Mitarbeiters, der zwar den Andern in christlicher Demuth weit höher achtet als sich selbst, auch seine größere Begabung und Bedeutung willig anerkennt, aber sich dessen stets bewußt bleibt, daß er seine evangelische Erkenntniß nicht von Luther hat, sondern aus derselben Quelle wie dieser, aus der heil. Schrift und der Erleuchtung durch den Geist Gottes; daß er auch den Kampf gegen Nom begonnen, ohne noch von ihm zu wissen, und nicht etwa erst in denselben zog, nachdem Luthers Vorangehen ihn ermuthigt hatte.

Mit all dem ist nun aber nicht ausgeschlossen, daß Zwingli Manches von Luther gelernt und ihm viel zu verdanken gehabt hat. Er hat Luthers Gang und Geschick aufmerksam verfolgt und seine Freude daran gehabt;

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das Auftreten dieses großen, ja, wie sich bald erwies, größern Mitstreiters konnte ihn nur ermuthigen, anspornen, zum Beharren ermuntern; der Eindruck, den Luther durch seine Schriften und seine Thaten auch in der Schweiz hervorrief, kam ja Zwingli's Wirksamkeit sehr zu gut. Er würde gewiß niemals so viel ausgerichtet haben, wenn nicht die Herzen vielfach auch durch Luther für das Evangelium wären gewonnen worden. Zwingli's Freunde in Basel sandten ihm stets alle in dieser Stadt herausgekommenen Schriften Luthers zu und baten ihu, durch Empfehlung von der Kanzel und sonst für deren Verbreitung behülflich zu sein. Daß er dies wirklich that, bezeugt die Aeußerung eines Freundes, welcher, nachdem er wieder eine solche Aufforderung an ihn gerichtet, mit den Worten fortfährt: doch was soll ich dem, der von selbst läuft, den Sporn geben? Dagegen bezeugt Zwingli, daß er wenig von Luthers Schriften lese, um nicht zu sehr in Abhängigkeit von ihm zu gerathen, und um stets, der Sache des Evangeliums zu Nuß und Frommen, diese Unabhängigkeit geltend machen zu können. Zwingli wollte nicht eines Menschen sich rühmen, und die Sache des Evangeliums nicht an einen Menschen knüpfen. Dieser hohe, freie Sinn spricht auch aus einer Aeußerung, die er in einem Brief an Oswald Myconius that, als Luther vom Bann bedroht war, 1520, und man für sein Leben fürchtete, und in der Schweiz ihm einen Zufluchtsort verschaffen wollte. Er hofft, es werde nicht zum Erlaß des Bannes kom men, oder wenn es doch dazu käme, werden die Deutschen ihn verachten, für Luthers Seele fürchte er nicht, denn die Bannstrahlen könnten nur seinem Leibe Schaden bringen. „Uebrigens, fährt er fort, sei gutes Muthes! Niemals wird es in unsrer Zeit an Männern fehlen, die Christum in deutscher Sprache verkünden und für Ihn gerne ihr Leben einsehen, selbst wenn man sie uoch nach ihrem Tode Kezer, Verführer, Nichtswürdige nennen sollte." Wie groß und wahrhaft apostolisch spricht Zwingli hier hohe Achtung vor Luther aus, und doch daneben die Gewißheit, daß die Sache nicht sein, sondern Christi, und deßhalb an keinen Menschen gebunden sei! Gerade bei dieser Gesinnung Zwingli's hat Luther für ihn von großem Segen sein müssen; denn je mehr wir Christo allein die Ehre geben, desto mehr können wir auch durch Menschen in der rechten Art und im rechten Maaß gesegnet werden, nach dem Wort: Alles ist euer, ihr aber seid Christi." A.

Ein kirchlicher Segen.

In diesen Tagen hat so ziemlich überall der kirchliche Confirmations unterricht begonnen, der letzte zusammenfassende Religionsunterricht, welcher einem Knaben oder Mädchen vor dessen Eintritt in das Alter der Erwach senen zu Theil wird.

Die Ansichten über diesen Confirmandenunterricht sind sehr verschieden; die einen Eltern betrachten denselben oberflächlich als etwas, was einmal sein muß, unter Umständen als eine zeitweilige Last, die andern als eine

wichtige für ihre Kinder segensreiche Zeit; im Ganzen herrscht bei uns die Gewohnheit nicht nur, sondern das bewußte oder unbewußte Gefühl, daß es für die Kinder ein Schaden sein möchte, wenn sie diesen Unterricht versäumen. Obschon in Hinsicht auf die civilen Verhältnisse ein Confirmationsschein nicht mehr gefordert wird, wird dennoch die Confirmation, und der vorhergehende Unterricht fast allseitig gewünscht, auch da, wo der vorhergehende mehrjährige Religionsunterricht vielfach versäumt worden ist.

Wir erkennen in dieser Thatsache den Beweis, daß der genannte Unterricht allseitig noch als etwas Wünschenswerthes, als etwas Nothwendiges und Gutes betrachtet wird. Wir sagen mehr: es ist geradezu ein firchlicher Segen, und jedes Jahr kehrt bei Beginn desselben diese Ueberzeugung mit erneuter Stärke bei uns ein.

Warum ein kirchlicher Segen? Darum, weil Niemand anders als die Kirche, und zwar vorwiegend die protestantische Kirche, diesen Unterricht für unsere Kinder eingeführt hat. Ohne Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse und Standesunterschiede, auch ohne Rücksicht auf die bessere oder geringere Schulung, besteht er für alle unsere Kinder, sofern deren Eltern sich nicht absolut dagegen sträuben. Wir sehen darin, so wenig wir sonst alle kirchlichen Einrichtungen und Gebräuche vertheidigen möchten, einen Segen unserer Mutterkirche.

Man denke sich in die Sache recht hinein! Da sind Kinder aus den verschiedensten Familien und Umgebungen; in der Familie schon werden sie mehr oder weniger absichtlich gruppirt nach den Vermögens- oder Bildungsstufen; nach einigen Schuljahren theilen sie sich wieder in solche, die ein höheres und in solche, die ein beschränkteres Schulziel anstreben; kommt die Zeit des Confirmandenunterrichts, so stehen sie sich wenigstens wo nicht die Kirche selbst sich zur Sklavin und Schmeichlerin der Bevorrechteten hergiebt wieder gleich, angesichts des Gottes, der aller Vater, und angesichts des Evangeliums, das für alle dasselbe ist.

Und was nachher? Sie gehen wiederum auseinander, weiter als je vorher, weil für sie nun das Leben im Ernst beginnt; das vornehme Kind wird in die Welt eingeführt, das ́ unbemittelte muß verdienen lernen, unter fremde Leute gehen, sich in andere, vielleicht ungewohnte und harte Verhältnisse schicken; -die Kinderschuhe sind ausgetreten, die Schule der Erfahrung beginnt, die Zeit des geistigen und sittlichen Kampfes und Selbstverantwortlichkeit, wo kein Vater, keine Mutter, kein Lehrer und kein Pfarrer mehr hinter ihnen steht, ihnen zu rathen und sie zu leiten. Und dieser Kampf ist für alle derselbe, denn die Vornehmheit und der Reichthum sind eben so ernste Proben der sittlichen Kraft wie die Armuth und die Niedrigkeit.

In diese Wendezeit hinein hat die Kirche einen ernsten zusammenfassenden und abschließenden Religionsunterricht gestellt, in welchem die Wahrheiten und Grundsäge unserer Religion den jungen Leuten eingepflanzt werden sollen als Mitgabe ins ernste versuchungsvolle Leben!

Ist es nicht ein Segen, daß die Kirche dafür gesorgt hat, daß jedem, auch dem geringsten Kinde selbstverständlich und unentgeltlich solch eine Mitgabe ins Leben geboten wird?

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