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Herz und Geist gieng aus dem Einen Grundton: trauen auf den höchsten Gott und sich nicht fürchten vor der Macht der Menschen!

Worte Leffing's über Luther.

A.

„Luther, großer, verkannter Mann! du hast uns vom Joch der Tradition erlöset, wer erlöset uns von dem unerträglichen Joch des Buchstabens ? Wer bringt uns endlich ein Christenthum, wie du es jezt lehren würdest, wie es Christus selbst lehren würde!

Der wahre Lutheraner will nicht bei Luthers Schriften, er will bei Luthers Geiste geschäßt sein; und Luthers Geist erfordert schlechterdings, daß man keinen Menschen in der Erkenntniß der Wahrheit nach seinem eigenen Gutdünken fortzugehen hindern muß. Aber man hindert Alle daran, wenn man auch nur Einem verbieten will, seinen Fortgang in der Erkenntniß Andern mitzutheilen. Denn ohne diese Mittheilung im Einzelnen ist kein Fortgang im Ganzen möglich.

Herr Pastor (der orthodoxe Göße ist gemeint), wenn Sie es dahin bringen, daß unsere lutherischen Pastores wieder unsere Päpste werden; daß diese uns vorschreiben können, wo wir aufhören sollen, in der Schrift zu forschen, daß diese unserm Forschen, der Mittheilung des Erforschten Schranken seßen dürfen, so bin ich der Erste, der die Päpstchen wieder mit dem Papste vertauscht. Hoffentlich werden Mehrere so entschlossen denken wie ich, wenn gleich nicht Viele so entschlossen reden dürften. Und nun, Herr Pastor, arbeiten Sie nur darauf los, so viele Protestanten wieder in den Schooß der katholischen Kirche zurückzuscheuchen. Sie sind ein Politikus wie ein Theolog!"

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Worte Heinr. Heine's über Luther. *)

„Die erlauchten Leute, die anno 1521 im Reichssaale zu Worms versammelt wareu, mochten wohl allerlei Gedanken im Herzen tragen, die im Widerspruch standen mit den Worten ihres Mundes. Doch ein Mann war dort, von dem ich überzeugt bin, daß er nicht an sich dachte, sondern nur an die göttlichen Interessen, die er vertreten sollte. Dieser Mann war Martin Luther, der arme Mönch, den die Vorsehung auserwählt, jene römische Weltmacht zu brechen, wogegen schon die stärksten Kaiser und kühnsten Weisen vergeblich angekämpft.

Wie von der Reformation, so hat man auch von ihren Helden sehr

*) Zum Beweis, wie selbst ein Mann, der über die Religion viel spottete, von Luther's That groß dachte.

falsche Begriffe in Frankreich. Die nächste Ursache dieses Nichtbegreifenz liegt wohl darin, daß Luther nicht bloß der größte, sondern auch der deutscheste Mann unserer Geschichte ist; daß in seinem Charakter alle Tugen= den und Fehler der Deutschen auf's Großartigste vereinigt sind, daß er auch persönlich das wunderbare Deutschland repräsentirt. Dann hatte er auch Eigenschaften, die wir selten vereinigt finden, und die wir gewöhnlich sogar als feindselige Gegensätze antreffen. Er war zugleich ein träumerischer Mystiker und ein praktischer Mann in der That. Seine Gedanken hatten nicht bloß Flügel, sondern auch Hände; er sprach und handelte. Er war nicht bloß die Zunge, sondern auch das Schwert seiner Zeit. Auch war er zugleich ein kalter scholastischer Wortklauber und ein begeisterter, gottberauschter Prophet. Wenn er des Tags über mit seinen dogmatischen Distinktionen sich mühsam abgearbeitet, dann griff er des Abends zu seiner Flöte, und betrachtete die Sterne und zerfloß in Melodie und Andacht. Derselbe Mann, der wie ein Fischweib schimpfen konnte, er konnte auch weich sein wie eine zarte Jungfrau. Er war manchmal wild wie der Sturm, der die Eiche entwurzelt, und dann war er wieder sanft wie der Zephyr, der mit Veilchen kost. Er war voll der schauerlichsten Gottesfurcht, voll Aufopferung zu Ehren des heiligen Geistes, er konnte sich ganz versenken in's reine Geistthum; und dennoch kannte er sehr gut die Herrlichkeiten dieser Erde und wußte sie zu schätzen.

Ruhm dem Luther! Ewiger Ruhm dem theuren Manne, dem wir die Nettung unserer edelsten Güter verdanken, und von dessen Wohlthaten wir noch heute leben! Es ziemt uns wenig, über die Beschränktheit seiner Ansichten zu klagen. Der Zwerg, der auf den Schultern des Riesen steht, kann freilich weiter schauen als dieser selbst, besonders wenn er eine Brille aufgesezt; aber zu der erhöhten Anschauung fehlt das hohe Gefühl, das Riesenherz, das wir uns nicht aneignen können. Es ziemt uns noch weniger, über seine Fehler ein herbes Urtheil zu fällen; diese Fehler haben uns mehr genußt, als die Tugend von tausend Andern. Die Feinheit des Erasmus und die Milde des Melanchthon hätten uns nimmer so weit gebracht wie manchmal die göttliche Brutalität des Bruder Martin. Ja, der Irrthum in Betreff des Beginnes, wie ich ihn oben angedeutet, hat die kostbarsten Früchte getragen, Früchte, woran sich die ganze Menschheit erquickt. Von dem Reichstage an, wo Luther die Autorität des Papstes läugnet und öffentlich erklärt: „daß man seine Lehre durch die Aussprüche der Bibel selbst oder durch vernünftige Gründe widerlegen müsse! “ da beginnt ein neues Zeitalter in Deutschland. Die Kette, womit der heilige Bonijaz die deutsche Kirche an Rom gefesselt, wird entzwei gehauen. Diese Kirche, die vorher einen integrirenden Theil der großen Hierarchie bildete, zer

fällt in religiöse Demokratien. Die Religion selber wird eine andere. Die Menschen wurden tugendhafter und edler. Der Protestantismus hatte den günstigsten Einfluß auf jene Reinheit der Sitten und jene Strenge in der Ausübung der Pflichten, welche wir gewöhnlich Moral nennen; ja, der Protestan= tismus hat in manchen Gemeinden eine Richtung genommen, wodurch er am Ende mit dieser Moral ganz zusammenfällt, und das Evangelium nur als schöne Parabel gültig bleibt. Besonders sehen wir jezt eine erfreuliche Veränderung im Leben der Geistlichen. Mit dem Cölibat verschwanden auch fromme Unzüchten und Mönchslaster. Unter den protestantischen Geistlichen finden wir nicht selten die tugendhaftesten Menschen, Menschen, vor denen selbst die alten Stoiker Respekt hätten.

Indem Luther den Satz aussprach, daß man seine Lehre nur durch die Bibel selber, oder durch vernünftige Gründe, widerlegen müsse, war der menschlichen Vernunft das Recht eingeräumt, die Bibel zu erklären und sie, die Vernunft, war als oberste Richterin in allen religiösen Streitfragen anerkannt. Dadurch entstand in Deutschland die sogenannte Geistesfreiheit, oder, wie man sie ebenfalls nennt, die Denkfreiheit. Das Denken ward ein Recht und die Befugnisse der Vernunft wurden legitim.

Aber Martin Luther gab uns nicht bloß die Freiheit der Bewegung, sonderu auch das Mittel der Bewegung, dem Geist gab er nämlich einen Leib. Er gab dem Gedanken auch das Wort. Er schuf die deutsche Sprache.

Dieses geschah, indem er die Bibel überseßte.

In der That, der göttliche Verfasser dieses Buchs scheint es eben so gut wie wir Andere gewußt zu haben, daß es gar nicht gleichgültig ist, durch wen man überseßt wird, und er wählte selber seinen Uebersezer, und verlieh ihm die wundersame Kraft, aus einer todten Sprache, die gleichsam schon begraben war, in eine andere Sprache zu überseyen, die noch gar nicht lebte.

Wie Luther zu der Sprache gelangt ist, worin er seine Bibel überseßte, ist mir bis auf diese Stunde unbegreiflich. Aber ich weiß, daß durch diese Bibel, wovon die junge Presse, die schwarze Kunst, Tausende von Exemplaren in's Volk schleuderte, die lutherische Sprache in wenigen Jahren über ganz Deutschland verbreitet und zur allgemeinen Schriftsprache erhoben wurde. Diese Schriftsprache herrscht noch immer in Deutschland und gibt diesem politisch und religiös zerstückelten Lande eine literarische Einheit. Ein solches unschätzbares Verdienst mag uns bei dieser Sprache dafür entschädigen, daß sie, in ihrer heutigen Ausbildung, etwas von jener Innigkeit entbehrt, welche wir bei Sprachen, die sich aus einem einzigen Dialekt gebildet, zu finden pflegen. Die Sprache in Luthers Bibel entbehrt jedoch durchaus nicht einer solchen Innigkeit, und dieses alte Buch ist eine ewige Quelle der Verjüngung

für unsere Sprache. Alle Ausdrücke und Wendungen, die in der lutherischen Bibel stehen, sind deutsch, der Schriftsteller darf sie immerhin noch gebrauchen; und da dieses Buch in den Händen der ärmsten Leute ist, so bedürfen diese keiner besondern gelehrten Anleitung, um sich literarisch aussprechen zu können.

Luthers Originalschriften haben ebenfalls dazu beigetragen, die deutsche Sprache zu firiren. Durch ihre polemische Leidenschaftlichkeit drangen sie tief in das Herz der Zeit. Ihr Ton ist nicht immer sauber. Aber man macht auch keine religiöse Revolution mit Orangenblüthe. Zu dem groben Kloz gehört manchmal ein grober Keil. In der Bibel ist Luthers Sprache aus Ehrfurcht vor dem gegenwärtigen Geist Gottes, immer in eine gewisse Würde gebannt. In seinen Streitschriften hingegen überläßt er sich einer plebejischen Rohheit, die oft eben so widerwärtig, wie grandios ist. Seine Ausdrücke und Bilder gleichen dann jenen riesenhaften Steinfiguren, die wir in indischen oder ägyptischen Tempelgrotten finden und deren grelles Colorit und abenteuerliche Häßlichkeit uns zugleich abstößt und anzieht. Durch diesen barocken Felsenstyl erscheint uns der kühne Mönch manchmal wie ein religiöser Danton, ein Prediger des Berges, der, von der Höhe desselben, die bunten Wortblöcke hinabschmettert auf die Häupter seiner Gegner.

Merkwürdiger und bedeutender als diese prosaischen Schriften sind Luthers Gedichte, die Lieder, die, in Kampf und Noth, aus seinem Gemüthe ent sprossen. Sie gleichen manchmal einer Blume, die auf einem Felsen wächst, manchmal einem Mondstrahl, der über ein bewegtes Meer hinzittert. Luther liebte die Musik, er hat sogar einen Traktat über diese Kunst geschrieben, und seine Lieder sind daher außerordentlich melodisch. Auch in dieser Hinsicht gebührt ihm der Name: Schwan von Eisleben. Aber er war nichts weniger als ein milder Schwan in manchen Gesängen, wo er den Muth der Seinigen anfeuert und sich selber zur wildesten Kampflust begeistert. Ein Schlachtlied war jener troßige Gesang, womit er und seine Begleiter in Worms einzogen. (?) Der alte Dom zitterte bei diesen neuen Klängen, und die Raben erschracken in ihren obskuren Thurmnestern. Jenes Lied, die Marseiller Hymne der Reformation, hat bis auf unsere Tage seine begeisternde Kraft bewahrt: Ein' feste Burg ist unser Gott!

Ein' feste Burg ist unser Gott. *)
(Entstehung und Geschichte des Lutherlieds.)

In ganz besonders festlicher Stimmung werden am 10. November dieses Jahres Millionen Protestanten aller Länder und Zungen, in Kirche, Schule und Haus, den Choralgesang anstimmen: „Ein' feste Burg ist unser Gott."

Wie kein anderer drängt sich aber auch, bei Gelegenheit der 400jährigen Geburtsfeier Luthers, dieser Gesang uns auf. Gehört er doch zu jenen sechs und dreißig geistlichen Dichtungen, durch welche der Refor= mator den Grund zu jenem reichen Liederschaze legte, für dessen Besig wir ihm, als dem geistigen Vater des evangelischen Kirchenliedes und der evangelischen Kirchenmusik, ewigen Dank schulden.

Noch erklingt dies Lied, kräftig und hehr, wie am Morgen des ersten Tages, wo der Nürnberger Meistersänger, Hans Sachs, den neuen Dichter mit den Worten begrüßte:

Die Wittenberger Nachtigall,

Die man hört jezt überall.

Du stimmst mit Freuden mit ein, lieber Christ, in das fromme und muthige Glaubenslied: „Ein' feste Burg ist unser Gott!" Erlaube mir aber mit Philippus die Frage: Verstehst du auch, was du singst?

Es hat sich im Lauf der Jahrhunderte gar Manches in der Denkweise der Menschen wie in ihrer Sprache verändert, und ist deßhalb für uns fremd und dunkel geworden. Um zu einem richtigen Verständniß dieses Lutherliedes wieder zu gelangen, thut es noth, das Gedächtniß der längst vergangenen Lage seiner Entstehung aufzufrischen, und uns, so viel als möglich, in den Geist jener Zeit hineinzuleben.

Man sollte meinen, kein Zweifel könne darüber herrschen, wann und bei welcher Veranlassung das Lied Luthers entstanden ist. Wie bei manchem großen Manne ist aber auch hier Zeit und Ort der Geburt in Dunkel gehüllt; es fehlt an sichern Urkunden.

Unbegründet ist jedenfalls die Behauptung, der Reformator habe auf seiner Reise nach Worms zum Reichstag, im Jahr 1521, das Lied ge= dichtet, denn wie wäre zu erklären, daß lezteres keine Aufnahme in dem von Luther selbst im Jahr 1524 herausgegebenen „Handbüchlein geistlicher Gesänge" gefunden hat? Soll ferner hier die Legende Erwähnung finden: Luther habe es auf der Wartburg geschrieben, und nach Abschluß aus Versehen das Tintenfaß darauf gegossen, worüber der Teufel gelacht!

*) Aus dem Festbüchlein des lieben A. Erichson, Direktor des theol. Studienstifts in Straßburg.

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