Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

eigenen Glauben; Bileam, der auszog zu fluchen, ich höre ihn immer deutlicher segnen!

Mit ein paar Andeutungen soll diese Thatsache belegt werden.

Wir Reformer haben in Pastoralgesellschaften und Synoden mehr als einen Sturm der Entrüstung damit erregt, daß wir die Freiheit verlangten, bei der Taufe nicht mehr jenes Bekenntniß zu lesen, welches, von katholischen Konzilien mühsam zusammen gearbeitet, als Hauptgegenstand des Christenglaubens die unbefleckte Empfängniß Jesu, seines Leibes Höllenfahrt und Auferstehung und Himmelfahrt und Wiederkunft bezeichnet. Und jezt? Jetzt nennt ein orthodoxer Professor den Glauben der ersten Chriften an eine baldige Wiederkunft Jesu eine freundliche Täuschung des himmlischen Vaters. Jezt lesen wir in einem gegnerischen Blatt Erklärungen der Auferstehung Jesu, die wir Wort für Wort unterschreiben. Jezt bekämpfen Solche, die nicht zu uns gehören wollen, die kraßheidnische Vorstellung, daß das vergossene Blut Jesu unsere Sünden hinwegnehme, besser und kräftiger, als wir es vermochten. Jüngst gieng mein Freund in eine Kirche auf dem Land, um bei der Taufe Pathe zu stehen und was las der orthodore Pfarrer für ein Bekenntniß? Das unsrige, obschon er kurz vorher eine gegen uns gerichtete Proklamation in guter Parteidisziplin mitunterschrieben hatte. Was wollen wir mehr? Mit der Allmacht der Ueberzeugung bricht die Wahrheit überall durch, daß das Christenthum etwas unendlich viel Größeres ist, als das Fürwahrhalten einiger Wundergeschichten, nämlich ein Leben und Lieben und Leiden im Geiste Jesu.

Und nicht bloß etwa auf unserm Schweizerboden, wo demokratische Selbstregierung zu Haus und etwas Rationalismus Jedem angeboren ist, zeigen sich solche erfreuliche Fortschritte, sondern auch in dem protestantischen Preußen, wo nach Kommando ererziert und geglaubt wird, kommen ganz erstaunliche Botschaften von Fortschritten in kirchlichen Kreisen. Wir Reformer sind vor Jahren bei jeder Gelegenheit gesteinigt worden, weil wir sagten, das wahre Gebet verlange keine Wunder und die Naturgeseße seien eine gott= gesezte Schranke in der Erhörung unserer Bitten; ein recht herzinniges Beten trage den Segen der Erhörung in sich selber, indem es in Gott ein froher Untergang sei, der Sieg Gottes über den Sturm unserer Seele. Das war damals eine gotteslästerliche Rede. Und heute? Im vergangenen Monat August tagten in Berlin die rückläufigsten preußischen Pastoren mit Stehkragen und weißer Cravatte, und einer der Ihrigen sagte ihnen, nämlich Prediger Fürer, über die Gebetserhörung wörtlich Folgendes: es sei gut, daß die Naturgeseße als unüberwindliche Schranke da seien; „denn könnte der Mensch das Gebet als Wünschelruthe gebrauchen, so wäre die

Folge davon ein allgemeines Chaos. Nur die Gebete dürfen auf Erhörung rechnen, deren letztes Ziel die Gemeinschaft mit Gott, seine Ehre und sein Wille ist. Was die Bitten um irdische Dinge betrifft, so weiß Gott allein, was uns frommt und es gibt eine Erhörung auch im Verneinen; wenn wir aber demüthig und gläubig geistliche Güter von Gott erbitten, so fällt das Gebet mit der Erhörung zusammen."

Wie wahr und schön ist das! Wo bleibt da die unüberbrückbare Kluft zwischen den „zwei Religionen“ der Orthodoxen und Reformer?

Freilich, dieselben, welche uns so völlig aus dem Herzen reden, werden fortfahren, uns die Hand zu verweigern. Was wollen wir dazu sagen? Wir müssen es leiden, aber wir leiden nicht umsonst. Der Erste, der eine Wahrheit ausbringt, wird immer erschlagen. Schlagt zu den Leib könnet ihr tödten, die Seele nicht! die Seele erhält Euch das Leben. Es ist doch gut, daß es Reformer gibt, es muß solche geben und eben darum sind wir es, bleiben wir es, mit Freuden!

Zum Bau einer Kapelle am Müllerweg.

A.

Seit Jahren sind in Basel alle Bauten zum Zweck religiöser Versammlungen entweder von der pietistischen Richtung oder von Sekten ausgegangen. Die Methodisten haben ihre hübsche Kapelle an der Wallstraße, die Frvingianer die ihrige an der Feierabendstraße, die Pietisten ihre Vereinshäuser am Petersgraben, an der Klingenthalstraße, an der Blauenstraße, an der Schweizergasse und an der Engelgasse gebaut, ohne jede Hülfe des Staates. Neuerdings ist nun auch noch vom Bau einer großen Kirche an der Holbeinstraße für die römisch-katholische Gemeinde, welche ebenfalls eine freie Gemeinde ist, aus ihren eigenen Mitteln die Rede. Ebenso verlautet, daß für die Uebungen der Heilsarmee am untern Rheinweg eine große Halle erstellt werden soll. Der Staat Basel dagegen hat sich mit der Restauration seiner ihm zugehörenden Kirchengebäude begnügt; die St. Elisabethenkirche ist ihm geschenkt worden.

Diese große Bauthätigkeit der extremsten religiösen Richtungen und auf ihre eigenen Kosten sind ein Zeichen von dem regen kirchlichen Eifer in den betreffenden Kreisen; aber dabei ist zu bedenken, daß die reformirte Landeskirche in allen solchen durch freiwillige Geldopfer erstellten Gebäuden nicht das geringste Recht hat, ja unter Umständen durch sie gefährdet werden könnte. Wenn dem Staat an der Erhaltung der Landeskirche etwas gelegen ist, so darf er das Kirchenbauen nicht zum Monopol der

extremsten Parteien werden lassen, sondern muß selbst, wo sich wirkliche Bedürfnisse zeigen, ihre Befriedigung sich angelegen sein lassen.

Dies steht nun in Aussicht. Der Kirchenvorstand von St. Leonhard ist nämlich schon längere Zeit einstimmig bei der Regierung um den Bau einer Kapelle in der Nähe des Müllerwegs eingekommen, welche den äußern. Quartieren der St. Leonhardsgemeinde, zunächst für Sonntagskinderlehren und bei Beerdigungen dienen soll.

Für Sonntagskinderlehren zunächst. Bekanntlich hat die orthodore Partei vom Kirchenvorstand die Erlaubniß erhalten, an jedem Sonntag, wo ihren Geistlichen um 11 Uhr keine Kinderlehre trifft, eine solche um 8 Uhr Morgens einzurichten. Sie besteht bereits seit zwei Jahren, be: friedigt aber wegen der ungünstigen Stunde ihre Veranstalter nicht und genirt auch häufig die Besucher der Neunuhrpredigt, indem diese vor der Thüre häufig warten müssen, selbst in Sturm und Kälte. Da nun die Gemeinde und die Entfernung von der Kirche für das ganze um den Müllerweg liegende Gebiet sehr groß ist, da ferner die Freisinnigen im Kirchenvorstand und in der Gemeinde St. Leonhard ihren orthodoren Mitkirchgenoffen in jeder möglichen Weise entgegenzukommen entschlossen sind, so gieng von ihnen der Gedanke an den Bau eines zweiten Lokals aus; die Orthodoren erklärten sich damit zufrieden, und wenn nun Regierungsrath und Großer Rath ebenso einig entgegenkommen, und die Kapelle gebaut ist, so wird die St. Leonhardsgemeinde jeden Sonntag um 11 Uhr zwei Kinderlehren halten, die eine in der Kirche und die andere in der Kapelle, womit allen Bedürfnissen im Frieden genügt ist.

Die Kapelle wird aber ohne Zweifel auch bei Leichenanlässen benüßt werden. Es war schon lange sehr ungeschickt, daß Leichen aus dem Bachlettenquartier und aus der Umgegend des Müllerweges bis zum Spalenthor in die Stadt hinein und von da wieder aus derselben hinaus geführt werden mußten. Eine Kapelle in der Nähe des Müllerwegs wird eine große Weg- und Zeitersparniß ergeben. Außerdem ist sehr leicht denkbar, daß sie auch für Bibelstunden und Vorträge an den langen Winterabenden gute Dienste leisten wird, und zwar nicht bloß einer Partei, sondern der ganzen Gemeinde.

Wie Luther heirathet und haushält. *)

ช.

Er war gebannt, er war geächtet und vom Volke verflucht. Auch viele wohlmeinende Männer hatten seinen Sturm gegen Cölibat und Kloster= leben nicht gebilligt. Die Landedelleute drohten den Geächteten auf der Landstraße aufzuheben, weil er die Nonnenklöster vernichtet hatte, in welche, ähnlich wie in Findelhäuser, die ehelichen Töchter des armen Adels schon in früher Kindheit geworfen wurden. Die römische Partei triumphirte, der neuen Keßerei war genommen, was sie bis dahin mächtig gemacht hatte. Luthers Leben und seine Lehre schien dem Untergang nahe.

*) Der berufenste Beschreiber des Lebens Martin Luthers ist Gustav Freitag. Aus seinem erst kürzlich erschienenen Doctor Luther (bei S. Hirzel Fr. 2. 70) ist fol= gende Schilderung.

Da beschloß Luther zu heirathen. Zwei Jahre hatte Katharina von Bora im Hause des Stadtschreibers, späteren Bürgermeisters Reichenbach zu Wittenberg gelebt, ein kräftiges, stattliches Mädchen, auch sie die verlassene Tochter einer Familie des meißnischen Landadels. Zweimal hatte sich Luther bemüht, ihr einen Gatten zu werben, wie er in väterlicher Sorge schon mehreren ihrer Gefährtinnen gethan hatte, endlich erklärte Katharina, sie werde keinen Mann freien, wenn nicht Luthern selbst oder seinen Freund Amsdorf. Luther war verwundert, aber er entschloß sich kurz. Von Lukas Kranach begleitet, hielt er um sie an und ließ sich auf der Stelle mit ihr trauen. Dann bat er die Freunde zum Hochzeitsschmaus, suchte bei Hofe um den Wildbraten nach, den der Landesherr seinen Professoren bei Hochzeiten zu schenken pflegte, und empfing von der Stadt Wittenberg den Tischwein als Festgeschenk. Wie es damals in Luthers Seele aussah, möchten wir gern verstehen. Sein ganzes Wesen war auf das höchste gespannt, die wilde Urkraft seiner Natur stieß nach allen Seiten, tief war er erschüttert über das Unheil, das rings um ihn aus verbrannten Dörfern und erschlagenen Männern aufstieg. Wäre er ein Fanatiker seiner Ideen gewesen, er hätte jetzt wohl in Verzweiflung geendigt. Aber über der stürmischen Unruhe, die bis zu seiner Vermählung in ihm erkennbar ist, glänzte ihm wie ein reines Licht gerade jezt die Ueberzeugung, daß er Hüter des göttlichen Rechtes unter den Deutschen sei, und daß er, um bürgerliche Ordnung und Sitte zu schützen, die Meinung der Menschen zu leiten habe, nicht aber ihr zu folgen. Wie heftig er im einzelnen eifert, gerade jezt erscheint er vorzugsweise konservativ, fester als je in sich ge= schlossen. Daneben hatte er allerdings die Ansicht, daß ihm nicht mehr lange zu leben bestimmt sei, und in manchen Stunden erwartete er mit Sehnsucht das Martyrium. So schloß er auch seine Ehe im völligen Einklang mit sich selbst. Er hatte sich vollständig in die Nothwendigkeit und und Schriftmäßigkeit der Ehe hineingetrieben, seit den lezten Jahren hatte er alle seine Bekannten zum Heirathen gedrängt, zuletzt sogar einen alten Gegner, den Erzbischof von Mainz. Er selbst gibt zwei Gründe an, die ihn bestimmt haben. Er hatte seinen Vater auf lange Jahre des Sohnes beraubt, es war ihm wie eine Sühne, dem alten Hans einen Enkel zu hinterlassen, wenn er selbst sterbe. Auch Troß war dabei: die Gegner triumphirten: Luther sei gedemüthigt, alle Welt nahm jezt Aergerniß an ihm, er wollte ihr noch mehr Aergerniß geben in seiner guten Sache.

Er war von kräftiger Natur, aber es war keine Spur von roher Sinnlichkeit in ihm. Und wir dürfen annehmen, daß der beste Grund, den er keinem Freunde gesteht, zuletzt doch der entscheidende war. Lange hatte das Geschwäß der Leute mehr gewußt als er, jezt wußte auch er, daß Katharina ihm hold war. „Ich bin nicht verliebt und nicht in Leidenschaft, aber ich bin ihr gut," schreibt er einem seiner liebsten Freunde. Und diese Ehe, gegen die Meinung der Zeitgenossen unter dem Hohngeschrei der Gegner geschlossen, wurde ein Bund, dem wir Deutsche eben so viel verdanken als den Jahren, in denen er, ein Geistlicher der alten Kirche, für seine Theologie die Waffen getragen hatte. Denn von jetzt an wurde der Gatte, der Vater, der Bürger auch Reformator des häuslichen Lebens

seiner Nation, und grade der Segen seiner Erdentage, an welchem Protestanten und Katholiken gleichen Antheil haben, stammt aus der Ehe zwischen einem ausgestoßenen Mönch und einer entlaufenen Nonne.

Immer reiner trat mit den Jahren in seiner Seele das Bedürfniß hervor, alles Holde, Gute und Herzliche, was ihm die Welt entgegentrug, als göttlich zu empfinden. In solchem Sinne war er immer fromm und immer weise, in der Natur, in ehrbarer Fröhlichkeit unter seinen Genossen, wenn er seine Frau neckte, seine Kinder im Arm hielt. Vor dem Fruchtbaum, den er voll Obst hängen sah, stand er vergnügt über die Pracht: „Wenn Adam nicht gefallen wäre, hätten wir immer alle Bäume so bewundert." Eine große Birne nahm er erstaunt in die Hand: „Seht, vor einem halben Jahre war sie tiefer unter der Erde, als sie lang und groß ist, und saß im äußersten Wipfel der Wurzel. Diese allerkleinsten und unachtsamsten Creaturen sind die größten Wunderwerke. Gott ist in der geringsten Creatur, als in einem Baumblatt oder Gräslein!" Zwei Vöglein machten in des Doktors Garten ein Nest und flogen am Abend heran, oft von den Vorübergehenden gescheucht; er rief ihnen zu: „Ach du liebes Vöglein, fliehe nicht, ich gönne dir's von Herzen wohl, wenn du mir's nur glauben könntest. Aber so vertrauen auch wir unserm Gott nicht.“ Große Freude war ihm die Geselligkeit mit treuen Männen, dann trank er vergnügt seinen Wein, die Unterhaltung flog lebendig über Großes und Kleines, er urtheilte mit prächtiger Laune über Feinde und gute Bekannte, lachte und erzählte lustige Schwänke und wischte dabei, wenn er in Erörterungen fam, mit der Hand über seine Knie denn dieser Gestus war ihm eigen oder er sang wohl selbst, schlug die Laute und richtete eine Cantorei auf. Was Menschen in Ehrbarkeit fröhlich machte, war ihm lieb, die herrlichste Kunst die Musika; mild urtheilt er über den Tanz und sprach - fünfzig Jahre vor Shakespeare wohlwollend von der Komödie, denn sie lehre gleich einem Spiegel, wie sich ein jeglicher halten soll.

[ocr errors]

Wie liebenswürdig ist er als Vater in der Familie. Als seine Kinderlein vor dem Tisch standen und mit allem Fleiß auf das Obst und die Pfirsichen sahen, sagte er: „Wer da sehen will das Bilt eines, der sich in Hoffnung freut, der hat hier das rechte Conterfei. Ach daß wir den jüngsten Tag so fröhlich ansehen könnten! Adam und Eva werden viel besseres Obst gehabt haben, unseres sind eitel Holzäpfel dagegen. Auch die Schlange, meine ich, war damals die schönste Creatur, freundlich und holdselig, noch trägt sie ihr Krönlein, aber nach dem Fluch hat sie die Füße und ihren schönen Leib verloren." So sah er seinem dreijährigen Söhnchen zu, welches spielte und mit sich selbst plauderte: „Dies Kind ist wie ein Trunkener, es weiß nicht, daß es lebet, und lebet doch sicher und fröhlich dahin, springet und hüpfet. Solche Kinder sind gern in großen weiten Gemächern, wo sie Raum haben." Und er zog das Kind an sich: „Du bist unseres Herrgotts Närrchen, unter seiner Gnade und Vergebung der Sünden, nicht unter dem Gesez, du fürchtest dich nicht, bist sicher und bekümmerst dich um nichts; wie du es machst, so ist's unverderbt. Die Eltern haben die jüngsten Kinder allezeit am liebsten; mein kleiner Martin ist mein liebster Schat, solche Kinderlein bedürfen der Eltern Sorge und Liebe am meisten.

« ZurückWeiter »