Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

selbst regieren, sich selbst beschränken, sich selbst in der Zucht halten, sich selbst ein Gesetz sein können. Aber verwechseln wir nicht oft Freiheit mit Ungebundenheit, als ob es über uns kein Geseß, keine höhere Ordnung, kein Heiliges gäbe, vor dem wir uns beugen müssen? Sind nicht da und dort in Folge gefälschter Freiheitstheorien die Fundamente des Familienlebens, Treue und Glaube zwischen den Ehegatten, Autorität und Pietät zwischen Eltern und Kindern, Vertrauen und Redlichkeit zwischen Herrschaften und Dienstboten dahin? Verstehen nicht Viele im gesellschaftlichen Leben die Freiheit so, als ob sie in der Ablegung aller Scham und allen Anstandes, aller Zucht und Sitte bestünde? Jassen nicht Viele die Freiheit des gesprochenen und des gedruckten Wortes so auf, als ob das neunte Gebot: Du sollt kein falsches Zeugniß reden wider deinen Nächsten!“ aufgehoben und es nun gestattet sei, jeden unbequemen Gegner nach Herzensluft zu verfeßern und sich aus giftigen Höllenkrügen schwanke Rathsherrn= size zu erschreiben? Besteht nicht für Viele die Freiheit in religiösen Dingen darin, Alles mit schnödem, wüstem Hohn zu übergießen, was nur von ferne nach Religion aussieht? Geht nicht mit dieser Ungebundenheit Hand in Hand ein armseliger Indifferentismus, eine bleierne Gleichgültigfeit gegen Alles, was die Gemeinde, die Vaterstadt, die Schule, die Kirche, die sittlichen Zustände, die Armen, das Wohl und Wehe des Gesammtvaterlandes angeht? Sind nicht viele Herzen verödet durch jenen Eigennuß, welcher nur dem Verdienst und dem Genuß, dem Brod und dem Spiel nachgeht und das Vaterland Vaterland sein läßt? Gegen diese Feinde, ob sie sich geltend machen in der eigenen Bruft oder in der Brust unserer Mitbürger, müssen wir ankämpfen mit begeistertem Mannesmuth, müssen dagegen wachen und beten, damit sie uns nicht eines Tages verderben.

O. B.

Aus der Jugendzeit eines katholischen Geistlichen.*

[ocr errors]

III.

Eines der ersten Lieder, die wir als Kinder in der Schule singen lernten, besang in wenig Worten unsere Luft an Wald und Feld, und wir sangen deßhalb jeweils aus Leibeskräften:

[blocks in formation]

So zieh' ich durch die Wälder,
So eil' ich durch die Felder
Wohl hin den ganzen Tag.
Halli, Hallo!

Das Vaterhaus und die Straßen und Gassen der Heimath legen der Kinderfröhlichkeit noch eine gewisse Konvenienz auf. Sie muß sich mehr oder weniger an „Piano“ halten; ihr „Fortissimo“ aber feiert sie in Feld und Wald. Eine lustige Knabenschaar im freien Feld oder im grünen Wald, die spielt aus vollen Registern die große Orgel des Jugendhimmels. Sommer und Winterszeit hatten wir Fühlung mit dem Urwald. Wenn Schnee und Eis im Thale lagen und schneidigkalt der Ostwind über die Berge pfiff, da fuhren wir Schlitten an den Abhängen und durch die steilen

* Aus dem Büchlein von Dr. H. Hansjakob: Aus meiner Jugendzeit.

Hohlwege des Urwalds herab. Und wie mühsam ward der Schlitten am Strick wieder den Berg hinaufgezogen! Aber ruhe und raftlos ging's den Berg hinauf und hinunter, und wenn Schweiß und Durst uns überkamen bei dieser Sysiphus-Arbeit, so galt eine Hand voll Schnee als Labetrunk, ohne daß einer je die Lungen oder den Magen sich erkältet hätte. Mäntel, Pelzmügen und Handschuhe kannten wir nicht in jenen Urwaldstagen. Und doch waren alle Freuden der erwachsenen Menschen an Winterbällen und Bierabenden nicht zu vergleichen mit dem Kinderjubel, den wir mit unsern Schlitten am Urwald aufführten, während der Schnee unsere Eisenbahn und die Restauration in einer Form war. Und die Verzierung bei unserm Winterball besorgte der Wald mit seinen schneeblühenden Tannen und den kristallenen Eiszapfen am Waldrande hin. Und die Schlitten, die hatten wir alle selbst gemacht mit erbettelter Hülfe nachbarlicher Handwerksleute. In jenen Tagen hatten Vater und Mutter kein Geld für Schlitten und Schlittschuhe, selbst wenn die Eltern nicht arm waren. Die ersten Schlittschuhe kaufte ich von einem Schlosserlehrling, der sie selbst gefertigt hatte, um 18 Kreuzer, an denen ich zwei Jahre lang zu zahlen hatte, bis die Schlittschuhe mein waren. Und die Riemen dazu „heischte“ ich beim Nachbarn Schuhmacher. Jezt hangen die Schlittschuhe aller Systeme an den Christbäumen.

Man kann es nicht genug wiederholen, daß die Seligkeit der Kinderzeit vor Allem darin besteht, daß das Kind seine höchsten Freuden in den einfachsten Dingen sucht und findet. So erregt ein Vogelnest, im Walde gefunden, in der Kindesseele eine ganze Batterie elektrischer Freudenströme. Wer vermag die herrlichen Stunden zu zählen, welche wir im „Bächlewald" verlebten, wenn wir in den düstern, jungen Tannenschlägen umherkrochen, um Nester von Amseln und Drosseln zu suchen, und die hocherregten Herzschläge, wenn wir ein Nest gefunden und die getüpfelten Eilein oder die jungen Vögelein vor den gierig geöffneten Kinderaugen lagen, während der Körper an den Tannenzweigen zitternd hing!? Nur zum Zwecke der NesterSuche sah uns der Bächlewald in seinem Walddom, zum Spiel war er zu finster, hatte keine Felsen und Brunnen und es fehlten ihm die Kinderfrüchte. Da hatte uns der liebe Gott im Sommer wieder seinen Tisch im Urwald gedeckt in den Heidelbeerschlägen und in dem Himbeerwald. Was das für ein Vergnügen ist für ein Knabenherz und welche Delikatesse für seinen Magen, so einen Nachmittag, wenn die Sonne draußen sengt und brennt, im fühlen Wald in einem Heidelbeerfeld liegen, das kennen die Kinder in großen Städten nicht. Arme Land- und Bettelkinder, die sie selbst lieber gegessen hätten, bringen diese Waldbeeren in die Städte. Ich möchte keine davon; es hängt Kinderblut daran, das Herzblut oft der armen Kleinen, die im Wald für Andere sammeln müssen, was der liebe Gott recht eigent= lich für sie hat wachsen lassen! Darum, ihr Stadtmenschen, bedenkt es, wenn ein abgehärmtes Bauernfind erschrocken an eure Thüre klopft und Erdbeeren feil bietet, bedenkt es, daß das Kind sein Liebstes euch verkaufen muß, schachert nicht um sein Herzblut, und versüßt ihm noch durch irgend eine andere Gabe seinen Verlust!

Ich wohnte vor Jahren einmal einer Religionsprüfung in der Kirche

der Vaterstadt an. Der Unterlehrer examinirte einen zweijährigen Schüler auf sokratische Lehrweise über die nothwendige innere und äußere Ausstattung des Menschen im Gotteshaus. So fragte er auch nicht sehr geistreich den angehenden Haslacher Bürger: „Was hast du, wenn du in der Kirche bist?" Der Lehrer erwartete als Antwort: „Ein Gebetbuch." Der Knabe aber sagte frischweg: „Langeweile!" Mir gefiel dieses offene Bekenntniß des Jungen über alle Maßen, es entsprach ganz den Erfahrungen meiner eigenen Jugendzeit. Der Kirchenbesuch ex officio mit dem für Kinder langen sonntäglichen Gottesdienst machte mir in der That viele Langeweile. Meine Gebete sprach ich am liebsten und kindlichsten in den Muttergottesfapellen mit der „Lenebas". Lange Predigten, welche die Kinder in der Regel gar nichts angehen, sind für erwachsene Menschen nichts Angenehmes, für Kinder aber, die immer still sein sollen, eine Qual. „Je länger die Predigt, um so kürzer der Erfolg," das dürften sich alle jene Kanzelredner merken, die zu keinem Ende kommen, und ihre Zahl ist leider noch Legion. So kam es, daß, um uns im Zaune zu halten, in meiner Jugendzeit strenge „Kirchenvögte“ über die Knaben gesezt waren, die mit sogenannten Ohrfeigen jeden, den sie in flagranti am Schwagen oder Spielen ertappten, reichlich regalirten. Zum Glück für mich war in unserer Abtheilung mit diesem Amte der „Kappenmaurer" betraut, mein Freund vom „Herrgottstag" her, wo ich seine militärischen Strapazen ihm versüßte, sonst hätte ich jeden Sonntag Schläge in Folio bekommen. Gleichwohl hat er mir mehr als einmal sein altes Gebetbuch um den unruhigen Knabenkopf geschlagen, was aber unserer Freundschaft feine Stunde lang Eintrag that.

Ich bewahre den längst todten Stadtherren meiner Schulzeit ein dankbares Andenken um der Freude willen, die sie uns Kindern jedes Jahr bereitet: Wenn an Ostern die Prüfungen vorüber waren, so öffnete sich die Thüre des Schulzimmers und herein traten der „Stadtbot“ und die „Sicherheit“, jeder mit einem Riesenkorb voll großer Brezeln. Ein „Vater der Stadt" nahm die Ehrengabe der Bürgerschaft an die Schuljugend in Empfang und stellte sich an den Körben auf. Nun begann das Defiliren: Männlein für Männlein und Weiblein nach Weiblein marschirte vorüber und jedes erhielt eine Brezel. Das war die große allgemeine Preisvertheilung und die versüßte uns mit einem Mal all das Bittere des ganzen Schuljahres. Welcher Jubel in allen Gassen, durch welche die Kinder mit ihren Brezeln heimsprangen! Jedes hatte seinen „Preis" erhalten, keines war vor dem andern bevorzugt und darum alle voll gleicher Glückseligkeit. Wer das Jahr über nichts gelernt, hatte dafür seine Prügel; am Schlusse aber erwies der Stadtrath allen seine väterliche Liebe und gab dem guten wie dem schlechten Schüler seine Brezel und das war weise und wohlgethan. Ich gebe überhaupt nicht viel auf die Preisvertheilung an Schüler. Ich habe die Ueberzeugung, daß diejenigen, welche Preise erhalten, auch ohne dieselben das Ihrige leisten würden, und auf der andern Seite kenne ich viele Menschen, die nie einen Preis bekommen haben und doch im Leben. zu den tüchtigsten gezählt werden müssen. Den talentlosen, fleißigen Schüler dagegen beelendet es, wenn er gar oft andere, die viel weniger arbeiten, preisgekrönt sieht. Ich selbst habe zu den Zeiten, da ich unter die ersten

zählte, viel weniger „studirt“, als da ich zu den lezten der Klasse gehörte. Auch beim Lehrer war ich nicht hoch taxirt. Zum Studiren hielt er mich ganz entschieden „für zu dumm“, als mein Vater ihm einmal davon sprach. Und er hatte nach meinen Proben in der Volksschule sicherlich recht, denn meine Leistungen im Rechnen waren null, im Schreiben und im Styl mittelmäßig, wie heute noch, und nur im Lesen gut. Und es war „des Schickhals Tücke", die mich troß dieses Ausspruches zum Studiren gelangen ließ, bei dessen Anbeginn es allerdings elend genug herging. Ich dachte in jenen ersten Zeiten in Rastatt oft thränenden Auges des weisen Urtheils meines Lehrers in der Volksschule. In seinen alten Tagen erlebte er noch Vieles an mir, was ihn freute und was ihn nicht freute. Nicht freute es ihn, daß ich so extrem ultramontan war, während er alles Heil im Liberalismus erblickte. Sonst war er „stolz auf seinen Schüler“. Meine Bekehrung vom extremen Ultramontanismus hat er nicht mehr erlebt, sonst hätte ich am Abend seines Lebens sein vollstes Wohlgefallen mir errungen.

Jezt ist er todt und die gute Frau „Lehrerin“ ist auch todt und der brave Kamerad Julius ist auch todt. Alles todt, und da soll man nicht elegisch werden, wenn man seiner Jugendjahre gedenkt!"

Die Vielseitigkeit der Dinge.

G. S.

Darüber macht Mathilde Lammers im „Nordwest" folgende treffende Bemerkungen:

Unsere Lebensaufgaben würden sich wesentlich dadurch erleichtern, wenn wir immer bedenken wollten, daß die uns gerade in die Augen fallende Seite der Dinge nicht ihre einzige ist, und daß man weise daran thut, mit den übrigen Seiten auch zu rechnen. Denn ungleich dem Monde, der den Erdbewohnern seit Aeonen immer dieselbe Seite zukehrt, verschieben sich die irdischen Dinge in unserem Gesichtskreis fortwährend, wie die Theile einer Landschaft, die wir aus den Fenstern eines Eisenbahnwagens beobachten. Das Ferne rückt nahe und das Nahe wird fern; jest decken sich dieser Baum und jener Kirchthurm, und jezt scheinen Meilen zwischen ihnen zu liegen; der Berg, der eben wie ein Kegel emporragte, zeigt jezt einen breiten langgestreckten Rücken, und der finstere schauerliche Tunnel, in dem uns Hören und Sehen verging, hat uns nur eine mühselige Steigung erspart. Daß es im menschlichen Leben nicht anders ist, können wir alle aus eigener und täglicher Erfahrung wissen; wir vergessen es nur allzu leicht und verrechnen uns dadurch.

Wir vergessen, daß jedes Ding in einem gegebenen Augenblick immer nur eine von der Sonne beleuchtete und eine nicht beleuchtete Seite haben. kann, daß die eine Seite nur deswegen im Schatten ist, weil die andere gerade Licht hat und umgekehrt. Ziehst du in deinem Zimmer die Morgensonne vor, so mußt du Abends früher die Lampe anzünden als dein Nachbar, der nach Westen blickt. Ist dir die Mittagslage werth, so mußt du darauf gefaßt sein, daß deine Möbeln rasch verbleichen und daß es im Sommer

manchmal heiß bei dir wird, und bist du ein Maler und kannst nur Nordlicht gebrauchen, so mußt du mit Kellerluft vorlieb nehmen, wenn du auch im dritten Stockwerk wohnst. Viele Enttäuschungen würden uns erspart werden, wollten wir uns bei Menschen und Dingen von vornherein darauf gefaßt machen, daß jeder Lichtseite eine Schattenseite zu entsprechen pflegt, und uns die Schattenseite gefallen lassen, weil wir die Lichtseite nicht entbehren mögen. Frau 3. preist sich glücklich, daß sie endlich einmal ein geschicktes, arbeitsames, leistungsfähiges, energisches Dienstmädchen gefunden hat; aber sie will nicht einsehen, daß ein Mädchen dieser Art, das mit Naturnothwendigkeit viel Erfahrung und einen starken Willen besigt, nicht in jedem einzelnen Falle geneigt sein wird, seine Einsicht und seinen Willen dem der Frau 3. unterzuordnen. Die Familie K. wird aus Norddeutschland nach Süddeutschland verseßt und kann nicht genug das liebenswürdige Entgegenkommen der Leute rühmen, welche die Fremden wie alte Bekannte aufnehmen und mit Freundschaftsversicherungen bei der Hand sind; daß zunächst jeder andere Fremde denselben liebenswürdigen Empfang findet und daß man nach Austausch einiger überschwänglicher Redensarten noch nicht gleich geneigt ist, Blut und Leben für einander einzuseßen, erscheint den lieben Leuten wie Falschheit, denn sie waren der festen zähen Zuverlässigkeit der Norddeutschen gewohnt, deren vorsichtige Zurückhaltung gegen Fremde von ihnen als Stolz und Mißtrauen gebrandmarkt wurde. Die unglücklichen weiblichen Wesen in reiseren Jahren, welche keinen Beruf gefünden haben, leiden unter diesem Mangel an einem Lebenszweck mehr als irgend Jemand beurtheilen kann, der sie nur von weitem beobachtet; aber ihre verspäteten Bemühungen, sich noch einen Wirkungskreis zu schaffen, scheitern in der Regel daran, daß sie die Bindung eines Berufslebens und die schrankenlose Willkür einer nur auf sich gestellten Existenz neben einander behalten möchten; daß sie bei jeder Schwierigkeit, die ihnen in der Ausführung übernommener Pflichten aufstößt, meinen, sie hätten es ja doch eigentlich nicht nöthig, sich solchen Schwierigkeiten auszusehen, während doch kein Mensch ohne Schwierigkeiten zur Entwicklung seiner Kräfte gelangen kann, und daher ein Leben ohne Kampf gar kein Leben, sondern ein Vegetiren ist.

Darum singt der Dichter mit Recht: Hüt' dich vor Wünschen, Menschenkind! und das weise Märchen erzählt die Geschichte von dem Manne, der die Feengabe, sich dreierlei wünschen zu dürfen, nicht besser zu verwerthen wußte, als daß er eine Bratwurst an die Nase seiner Frau und wieder herunter wünschte. Sind die Kinder klein, so wünscht man, daß sie nur erst groß wären, und sind sie groß, so bedauert man, daß sie nicht immer klein bleiben konnten. Hat eine Mutter eine Reihe Töchter, so wünscht sie, daß sie alle einen Mann bekommen was man ihr nicht verdenken kann! und verheirathen sie sich, so klagt sie, daß sie keine im Hause behalten hat. Man kann seinen Pudding nicht zugleich aufessen und behalten, sagt das praktische englische Sprichwort. Wer nach Reichthum und Ansehen strebt, strebt nach Verantwortlichkeit. Wer Verantwortlichkeit scheut, muß auf Einfluß und Herrschaft verzichten. Wer im schönen Süden leben will, muß mit Staub und Schmuß und Sonnenbrand vorlieb nehmen, und

[ocr errors]
« ZurückWeiter »