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nach Langs Tode tapfersten und zielbewußtesten Vorkämpfers Bizius in Bern; er starb recht eigentlich den ehrlichen Soldatentod auf der Bresche, nach dem vollen Manneskampf mit dem Glauben eines Kindes in des Vaters Arm. Makellos und heldenhaft leuchtet seine Gestalt in unserem Andenken fort und bei Wenigen so wie bei ihm haben wir das Gefühl, als ob er noch lebe, noch uns rathe, noch über unsre Schultern schaue, was wir lesen und schreiben; keiner unsrer Freunde ist uns geistig stetsfort so nahe, wie er; have pia anima!

Es ist natürlich, daß in einem Basler Blatt der Errungenschaften auf baslerischem Kirchenboden vornehmlich gedacht werde. Wir vergessen dabei nicht, daß Bern im Jahre 1882 einen ersten Reformpfarrer und in letter Zeit in dessen Gemeinde einen vorwiegend freisinnigen Kirchenvorstand errungen hat; auch nicht, daß Zürich das schöne Werk einer Bildungsanstalt für nicht pietistische Diakonissen vollenden konnte, aber man wird uns nicht verdenken, wenn wir uns speziell unsrer Synodalwahlen vom Frühjahr und der Synodalverhandlungen des Sommers dankbar erinnern. Wenn gleich einer unsrer Freunde in einem ostschweizerischen Blatt seine Unzufriedenheit darüber ausgesprochen, so macht doch eine Schwalbe noch keinen Sommer, und wir stehen nicht an, den Abschluß der genannten Verhandlungen und das daraus hervorgegangene Produkt einer neuen, auch von vielen Orthodoren angenommenen Kirchenordnungen als ein Anzeichen geordneter und friedlicherer Verhältnisse zu bezeichnen. Wenn auch faktisch einige Zeit noch Alles ungefähr so bleiben wird, wie es bisher gewesen, (Dank der in Basel üblichen Formel: in der Regel ist u. s. w., es kann aber auch u. s. w.“), so enthält doch die neue Ordnung eine Reihe von Grundsäßen, welche sich über kurz oder lang auch in der kirchlichen Praxis einleben und Geltung verschaffen müssen. Man schilt jezt noch von mancher Seite auf sie, aber es sind ächt christliche Grundsäße, hergenommen aus der Anschauung, daß der Buchstabe tödte, der Geist aber lebendig mache, oder daßz die Liebe größer sei, als der dogmatische Glaube.

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Trotz allen gegnerischen Befürchtungen wird also das Jahr 1883 ein Jahr des Heils sein. So nannten unsre Vorfahren die Jahre seit Christi Geburt, um damit ihre Freude auszudrücken, daß jedes Jahr, ob im Nebrigen ein mageres oder ein fettes, eine Zeit sei, wo die Freudenbotschaft des Christenthums verkündigt werde Allen, die sie hören wollen. Auch künftig wird sie verkündigt werden, in verschiedenen Auffassungen zwar, aber hüben und drüben Christenthum. Ja, wir wollen meinetwegen auch die Erweckungsversammlungen hinzurechnen, insofern sie es ehrlich meinen und Christum in ihrer Weise predigen wollen. Nur sollen sie uns mit ihren

Zudringlichkeiten und ihrem Hochmuth verschonen, nur sollen sie uns keine Heilsarmee, keine Uniformen und keine Hallelujahmädchen vorführen, nur sollen sie es nicht bis zum Skandal treiben! Dann lassen wir sie gerne gewähren. Hat doch auch die Zeit vor der Reformation ihre Sonderbarkeiten und Extravaganzen, ihre Beginenschaaren und Flagellantenzüge gehabt, und die Reformation ist doch gekommen!

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Das neue Jahr bringt uns neue Synodalwahlen. Mögen sie ebenso günstig für uns ausfallen, wie die leßten, nämlich den Parteien gerecht, aber ohne proportionale Wahl ! und der Kirche zum Heil! Der Kampf

ist noch nicht beendet, der Sieg nicht gesichert,

darum standhaft im

Kampf für die freisinnige Richtung! es ist der Kampf für die Wahrheit, für die Freiheit und für die Gerechtigkeit!

L.

Die Bedeutung Jefu für uns.*)

Jesus ist unser Meister; wir sind seine Schüler. Seine Name ist der unsre; auf dem ganzen Gebiete des religiösen Lebens kennen wir keinen größern. Und wenn man von uns eine noch deutlichere Erklärung verlangt, warum wir diesen Namen, dieses Vorbild, diese Lehre zu der unsrigen machen, und warum uns gerade diese Seite des Christenthums so besonders werthvoll ist, so haben wir darauf eine kurze und einfache Antwort. Wir glauben, daß Gott unser himmlischer Vater, daß die Menschen unsre Brüder seien; wir glauben an das ewige Leben, an unsern heiligen Beruf; wir glauben an Alles das nach dem Beispiele Jesu, aus den gleichen Beweggründen, wie er, und mit dem gleichten Rechte, wie er; wir glauben, weil wir es so wahrnehmen, und in dem - freilich oft so geringen Maße, wie wir es wahrnehmen. Wir eignen uns in diesen Punkten das Wort Jesu an, aber doch nur, weil es unserer eigenen, klaren Erfahrung oder unsern uns bewegenden Gefühlen entspricht; dabei aber vergessen wir niemals, daß seine Stimme die unsrige geweckt hat, wie andere Stimmen die seinige; daß wir seinem, durch die Evangelien und die christliche Entwicklung von Jahrhundert zu Jahrhundert fortgepflanzten Einfluß das Beste dessen verdanken, was wir wissen und was wir sind; daß er mit einem Wort der Anführer, der Bahnbrecher ist in den Dingen des geistigen Lebens, und wir nur seine Schüler.

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*) Aus der Schrift eines der freiesten und frommsten Theologen unsrer Zeit: Felix Pécaut, le christianisme et le miracle, Paris 1869.

Aber wenn wir nun sagen: Jesus ist ein Meister, der größte aller derer, die auf geistigem Gebiete gewirkt haben; er hat der ganzen, christlichen Entwicklung seinen Stempel aufgedrückt; unsre weitgehendsten, reli= giösen und sittlichen Bestrebungen führen zu ihm und stammen von ihm; er hat durch seine Lehren die ewig gültigen Grundlagen für Religion und Sittlichkeit gelegt, wenn wir das bekennen, folgt dann daraus, daß er der einzige und der vollkommene Meister, und daß seine Lehre in allen Punkten die vollendete und absolute Wahrheit sei? Wir sizen zu den Füßen dessen, der sanftmüthig war und von Herzen demüthig, wir lernen von ihm, daß Gott Geist ist und im Geist und in der Wahrheit angebetet sein will, daß der Inbegriff aller Gesetze ist: Gott lieben von ganzem Herzen und unseren Nächsten, wie uns selbst, daß in der Nangordnung des Himmelreichs Derjenige der Größte ist, der in demüthiger Liebe der Diener Aller wird, daß die bis zur Selbsthingabe gesteigerte Liebe das höchste Gut ist, das lernen wir von ihm, aber haben wir uns denn damit verpflichtet, auch alle die jüdischen Vorstellungen anzunehmen, welche der Meister, wie es scheint, gehabt hat über den Teufel und seine Wirksamkeit in der Welt, über das Besessensein durch böse Geister, über das Messiasreich, über seine eigene einstige Herrschaft über die Welt, über seine nahe Wiederkunst und über seine Stellung als Mittler zwischen Gott und Menschen? Sicherlich nicht! Denn noch einmal sei's gesagt: Wenn wir sein Wort annehmen, so thun wir es nicht in dem Sinne, daß wir unter seinem Einfluß den freien Gebrauch unsrer Vernunft und unsers Gewissens preisgegeben hätten; im Gegentheil: weil seine Worte in unsrer Vernunft und unserm Gewissen Widerhall und Zustimmung finden. Seine Autorität beruht auf der Wahrheit, die er gesprochen; seine Lehre ist wahr für uns, nur insoweit sie dem innern Wahrheitsgefühl entspricht, das Jeder in sich trägt, und nach welchem schließlich doch Jedermann sein eigenes Urtheil bildet. Jesus hat gesprochen, weil er glaubte; er hat geglaubt, weil er erkannt hat; uns ist es durchaus nicht geboten, zu glauben, was wir nicht erkennen; die Klarheit seiner Anschauung, die Tiefe seines Gefühls geben ihm eine ganz außerordentliche Bedeutung für uns, aber diese richtet sich doch immer nach der Beurtheilung durch unsre eigene, sittliche, religiöse oder geschichtliche Erfahrung. Der gleiche Beweggrund, der uns veranlaßt, diese seine Autorität in einem Punkte anzuerkennen, veranlaßt uns auch, sie in einem andern zu verwerfen; es gibt eben etwas, das höher ist, als wir, höher als das Christenthum, höher auch, als Jesus selbst, das ist die Wahrheit als solche, es ist die von Gott gesezte Ordnung, es ist Gott selbst, nach dieser Autorität müssen wir uns Alle richten, Kleine und Große, Meister und Schüler, Christen und Christus.

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Der Gedanke liegt uns also durchaus ferne, Jesus von Nazareth, den Sohn Josefs und der Maria, gekreuzigt in Jerusalem unter Pontius Pilatus, anzusehen und zu verehren entweder als den ewigen Gott, oder als den Herrn der Heerschaaren, als den Schöpfer und Erhalter der Welt, oder als den jüdischen Messias, der berufen ist, das jüngste Gericht zu halten. und alsdann die Herrschaft über das sichtbare Reich Gottes zu übernehmen, oder überhaupt als einen übernatürlichen Mittler, der über unsern Glauben und unser sittliches Thun unbeschränkte Vollmacht hätte. Es wäre sehr leicht, all diesem Wunderglanz gegenüber, mit welchen ihn die Kirche ausgeschmückt hat und dessen erste Spuren sich allerdings schon in den evangelischen Erzählungen finden, alle die Einwürfe geltend zu machen, welche in alter und neuer Zeit erhoben wurden, und die unzähligen Schwierigkeiten hervorzuheben, welche der Glaubwürdigkeit einzelner Erzählungen oder der Wunder überhaupt entgegenstehen. Eine einzige Thatsache genügt uns und diese schließt alles andere in sich und ist jedem von uns unmittelbar gewiß: Wir können nun einmal nicht mehr an wunderbare Vorgänge glauben. Unsere moderne Anschauung von Gottes Regierung, von der Natur und ihren Gesezen, vom Menschen und seiner Stellung im Weltall ist durchaus verschieden von der Anschauung jener Zeit, in welcher sich fortwährend der Glaube an Wunder erzeugte. Wir machen Ernst mit der Wahrheit einer allgemeinen Weltordnung; wir betrachten dieses unendliche All als in allen Theilen feststehenden Geseßen untergeordnet, und eben diese sind der Ausdruck des göttlichen Wollens und des göttlichen Thuns. Das religiöse Gefühl führte unsere Vorfahren dahin, Wunder zu sehen; das gleiche Gefühl, natürlicher und sittlicher geworden, führt uns dahin, deren keine zu sehen. Ehemals verlangte man von einem Apostel, daß er Wunder und Zeichen thue, von einem Gottgesandten, daß er sich als Gottes Sohn im übernatürlichem Sinn des Wortes erweise; heutzutage würde eine solche Behauptung uns verlegen und abstoßen. Von jedem, der zu uns im Namen Gottes und im Interesse unseres Seelenheils reden will, verlangen wir nur eines: daß er mächtig sei in Worten und Werken, daß er etliches in seinem Innern lese und auch uns in uns selbst lesen lehre, was dazu beitragen kann, das Menschheitsideal, das nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, zu fördern und zu bereichern.

Von diesem Gesichtspunkt aus, der im Grunde derjenige aller unserer Zeitgenossen ist, sagen wir's ohne Zögern und Gewissensbisse, als etwas Selbstverständliches und Gefahrloses: Jesus war der Unsern einer! Er verbarg nicht unter einer menschlichen Figur wie unter einer bloßen Schale ein ganz anderes und höheres Wesen; wie er erschien, so war er

auch; seine Existenz war keineswegs ein trügerisches Blendwerk; seine Seele war eines Menschen Seele, seine Bedürfnisse menschliche Bedürfnisse, seine Kämpfe ächt menschliche Kämpfe, sein Beten und sein Gottesdienst menschlich; ja auch seine Schwächen und Unvollkommenheiten durchaus menschlicher Art. Denn alles das: Bedürfnisse, Leiden und Sterben, Kampf und Sieg, Stärke und Schwäche, Unvollkommenheit und Größe, alles das gehört ja sicherlich zur wirklichen menschlichen Natur.

Jesus ist sonach unser Meister; er ist nicht unser Gott; er ist nicht die vollkommene Wahrheit. Seine Größe bestand darin, daß er mit dem Auge des Glaubens Gott erkannt hat als seinen himmlischen Vater, den Menschen als seinen Bruder, daß er in seiner unvergleichlichen Liebe beide in sein Herz schloß, und daß er uns in seiner Person ein bis dahin unerreichtes Vorbild gegeben hat von reiner geistiger Frömmigkeit, von Demuth, von Selbstverleugnung, von einer Liebe, die sich steigert bis zur Selbstaufopferung. In der Schule dieses Mannes der Schmerzen hat die Kirche und die Menschheit gelernt, daß es etwas höheres gibt als Genießen, nämlich leiden aus Liebe; daß es etwas edleres gibt als die Freude, selbst wenn sie erlaubt ist, es ist der freiwillige Opfertod für den Nächsten, ja für den Sünder. Im Anschauen dieses reinen Opfers wurde der Mensch der christlichen Zeit von Schrecken erfüllt über seine elende Selbstsucht, aber zugleich auch von einer glühenden Begeisterung, ihr zu entsagen.

Das sind, in schwachen Zügen ausgedrückt, die Lehren, die vom Kreuze ausgehen; das ist die Krone des Meisters. In diesem Sinn ist er für uns ein Mittler, nämlich ein Vorbild, ein Helfer, ein Führer zu Gott und der Wahrheit; Mittler in hervorragender Weise, aber nicht der vollkommene und nicht der einzige. Das Ideal, das er in sich trug, war größer als er selbst, und das Menschheitsideal wiederum ist größer und reicher als das Ideal Jesu. L.

Auch eine Weihnachtsfeier.

(Aus dem Brief eines jungen Baslers.)

Lieber Vater! Ich will dir noch ein kleines Bild unserer Weihnachten in hier vorführen. Ich fange mit der Mitternachtsmesse an, von Sonntag auf Montag. Wie ich dir schon früher berichtet, so wurden die besten Sänger der Stadt und von auswärts engagirt und haben solche auch wirklich prachtvoll gesungen, es war erhebend, diese wundervollen Stimmen von Männern und Frauen und besonders die Engelschöre der Knaben zu hören; ich habe noch nie schönern Gesang gehört, in dem wir Basler doch auch nicht ganz zurück sind; die italienischen Stimmen klingen aber ganz anders wie unser hartes Deutsch. Aber ich bin ordentlich aus meinen Himmeln heruntergefallen durch das auch mindestens gesagt anstandslose Benehmen der Zuhörer; solche lachen während der Messe, spazieren in der Kirche herum und amüsiren sich nach Convenienz; ja es ist die Mode hier, wie Narren herum zu rennen und mit Schellen zu läuten; warum dies ist, konnte ich nicht erfahren.

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