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auf seinem mühevollen Lebensweg. Sie zeigte mir oft den Stock und die große, schwere Kiste, die der Großvater getragen, nnd knüpfte daran Be trachtungen, wie man sich's im Leben sauer werden lassen müsse, um sein ehrliches Fortkommen zu finden. Freilich fielen diese Moralpredigten damals auf ziemlich dürres Erdreich. Denn neben der Kiste des Großvaters auf dem Speicher stund der Großmutter „Schnißtrog" und während ihrer Lobrede auf den Großvater hing mein ganzes Herz an den gedörrten Aepfelschnigen, Pflaumen und Zwetschgen. Hatte die Großmutter ihre Rede zu Ende, so hub ich regelmäßig an: „Aber jetzt bekomme ich ein paar Schnitze!" Später wußte ich jedoch die Predigt vor des Großvaters Stock und Kiste wohl zu würdigen und der Gedanke an sie hat mich in der Studienzeit oft vom. Leichtsinnigen Schuldenmachen abgehalten.

die

Wenn das Kind gerne bei jedem Handwerksmann weilt Schneider vielleicht ausgenommen, so wird eine Schmiede seine Phantasie vorab in hohem Grade beschäftigen, denn da gibt's Feuersgluth, und Feuer ist das dem Kinde am meisten imponirende aller Elemente. Schon das lallende Kind streckt seine Hand mit großer Vorliebe nach einem Lichtlein aus. Das helle, lebige, glänzende Ding zieht seine volle Aufmerksamkeit auf sich). Es möchte mit der Flamme spielen, wie mit dem Wasser. Das Feuerlein, von Knaben hinterm Haus angezündet, das so manch Unheil schon augerichtet, ist der Kulminationspunkt des Kinderspieles in den ersten Jahren der Knabenzeit. Das Feuer auf dem Felde, das Aepfel und Kartoffeln bratet, war uns Hirtenknaben die süßeste Frucht des Hütens. Kinderhimmel, mit wie wenig Herrlichkeit bist du tapezirt und doch wie glücklich machst du!

Alle Kinder, nicht bloß die Böhmen, sind geborene Musikanten; aber nur auf der Jahrmarkstrompete, auf der Mund- oder Handharmonika oder auf den aus Weidenrinde selbstgefertigten Musikwerken. Sobald jedoch die ausübende Musik in die Bande des Systems und der Theorie gekleidet werden soll, da weichen die meisten Kinderherzen zurück. Das Kind will musiziren wie der Vogel auf dem Zweig, wie es gerade in die Kehle kömmt, dann hat seine Seele Freude. Das Notenmäßige ist ihm Zwang und deßhalb den meisten Kindern verhaßt. So ging es auch mir. Lambert, der Schmied, sollte mich auf Wunsch der Mutter flöten lehren. Aber es war umsonst. Der Meister gab sich alle Mühe, ich lernte nichts, weil mir das Blasen nach Noten entsetzlich langweilig war. Schließlich ward ich entlassen, der Lehrer meinte, ich hätte kein Gehör, und ich war der Ansicht, es fehle mir der Geschmack. Später stellte mich der Großmutter Wille nochmals an's Klavier. Abermal ohne Erfolg. So hab ich aus meiner Jugendzeit nichts gerettet, als das vom Vater vererbte Pfeifen.

In unsern Tagen ist Musik ein Stück allgemeiner sogenannter Bildung geworden, und die Kinder der bessern und wohlhabendern Stände werden alle ohne Erbarmen in die Klavierstunde getrieben. Zur Aussteuer eines jeden jungen Mädchens gehört unbedingt ein Pianino, wenn auch nie oder herzlich schlecht darauf gespielt wird. Ich halte dies für unnöthigen Zeit- und Geldverlust. Es gibt eben einmal zahllose Menschen, die für ausübende Musik so wenig Talent haben als für's Seiltanzen. Solche

Menschenkinder sollte man nicht plagen und dem lieben Gott nicht in seine Schöpfung pfuschen wollen, der in diesem Punkte die einen zu Musikanten und die andern zum Zuhören erschaffen hat.

Wenn wir Menschenkinder in stillen, einsamen Stunden des spätern Lebens an die Jugendzeit zurückdenken, so stehen im öffentlichen Leben in erster Linie neben uns unter dem Himmelszelt der Kindheit die Freunde und Kameraden jener unsterblichen Tage. Unter Freunden verstehe ich jene ältern Menschen, denen das Kinderherz nächst den Eltern und Großeltern Hausgenossen und Nachbarn zugethan war, und unter Kameraden die gleichalterigen Spielgenossen, die Mitseligen im Kinderhimmel. An beiden fehlte es in meiner Kinderzeit nicht, und eine Kindesseele ist groß genug, sie hat Naum für Alle, welche mit Liebe, Wohlwollen oder gleicher Gesinnung ihr nahen. Eine der ersten Freundschaften verband mich mit dem kleinen, alten Jakob, welcher die Gänse der Bürgerschaft zu hüten das städtische Amt hatte und deßhalb kurzweg der „Gänsjokele" hieß. Er war ein zwergartiges, steinaltes Männlein, das am frühen Morgen mit seinem Kühhorn blasend durch das Städtchen zog, aus den Häusern seine Pfleglinge in Empfang nahm und hinaustrieb auf den „Steinrucken" an der Kinzig, eine Wüste von Sand, Kies, Pfügen und grünen Oasen. Er war ein häßlicher, triefäugiger Mensch, der Gänsjokele, und doch liebten wir ihn. Darin steht die Seele des Kindes hoch über den erwachsenen Menschenseelen. Ein Kind läßt sich von alten, häßlichen Leuten herzen und küssen, hängt voll Liebe an ihnen, während wir oft mit Abschen uns von derlei Personen abwenden. Allein dem Kind gilt eben die ihm wohlwollende, freundliche Seele des Nebenmenschen Alles, das Uebrige, die Schale dieser Seele, ist ihm völlig gleichgültig. Die Kindesseele ist in dieser Hinsicht deßhalb ein viel reineres Ebenbild Gottes, der nicht auf das Ansehen und Aussehen der Person schaut.

Das Spiel ist die Blume der Kindheit, die Quintessenz der Kinderseligkeit. Und das hat die Kinderseele vor allen Menschenseelen beim Spiele voraus: sie erreicht, was sie will, während die andern Menschen spielen, wagen, hetzen und jagen und nichts erreichen, als vermehrte Sorge, vermehrtes Defizit und vielfach den ganzen Bankerott. Heutzutage würde „Räuberlesspielen" der Jugend als Sozialdemokratie und das Königsspiel als Majestätsbeleidigung ausgelegt von gewissen Pädagogen, Humanisten und Patrioten. Auch blickt man mit Gräuel zurück auf die Zeiten eines Rinaldo und Schinderhannes, und rühmt, wie viel besser es geworden in punkto des Raubsystems. Jch aber muß offen gestehen, daß mir eine Räuberbande im Walde viel lieber ist als eine Gründerbande in der Stadt, die auf gesetzlichem Wege mehr Unheil anrichtet, als die Räuber auf ungeseßlichein.

Aber die Kinder spielen auch nicht mehr so viel wie früher. Es hat dies nach meiner Ansicht zwei Gründe. Einmal sind die Kinder überfüttert durch's Christkindle" mit in der Fabrik gemachtem Spielzeug, wodurch sie den eigentlichen Kinderwiß im Spiel verlieren und blasirt werden. Zu meiner Zeit war ein hölzernes Pferd oder ein Wägelchen das höchste Spielzeug und gab noch Naum genug zu eigener Phantasie. Sodann müssen die Fleinen Weltbürger jetzt viel mehr studiren als wir; es fehlt die Zeit zum Spiel. Das „Gassenjungenthum“ der Jugend ist verpönt von Eltern und

Lehrern; denn dabei wird der kleine Monsieur wild und ausgelassen, schlüpft in allen Gäßchen und Winkeln herum und kommt beschnußt nach Hause. Deßhalb spielen jezt die Kinder, namentlich in größeren Städten, wie ich mich selbst überzeugt, so weit ihnen übermäßige Schülerarbeit Zeit läßt, welk und blaß und dazu noch revaccinirt, in den Stuben ein verkümmertes Spiel und verkümmertes Jugendleben.

Gebt den Kindern, ihr Eltern und Lehrer, ihre glücklichste Freiheit wieder, die „Gassenfreiheit“, und macht sie nicht zu Treibhaus- und Kellerpflanzen und nicht zu blassen, gelben Kanarienvögelchen, die ihre Jugend schon im Käfig vertrauern und nie kennen lernen den freien Flug! O die Zeit kommt früh genug, wo das Weltleben dem Menschen seine Jugendflügel beschneidet und ihm das „Gassenjungenthum“ nur noch zurückläßt als selige Erinnerung.

Owie wohlig war es uns auf der Gasse im Spiel, wie wohlig in den Schlupfwinkeln des alten Städtchens, wie wohlig, wenn wir den Reif schlugen auf der Landstraße, mit der „Windmühle" auf und ab rannten, auf Stelzen durch die Bäche und Bächlein wateten, oder Könige, Räuber und alle Stände der Welt nachahmten im lustigen Gassen- und Waldspiel. Und auch die Wermsten und Nothdürftigsten unter uns waren in diesem Spiel glücklicher als wirkliche Könige. Sie vergaßen, die armen Buben aus dem „Kloster" und "Spital", das häusliche Elend, sie vergaßen, daß daheim in der Tischlade oft kein Brod war für sie und waren selig und satt im Kinderspiel.

Owie liebenswürdig und bescheiden ist die Kindheit, selbst in ihrem Stolze! Die großen Menschen segen ihren Hochmuth in Geld, Wissen, Schönheit, Ehre und Ansehen, und die Kinder in einen grünen Palmen, in ein Paar neue Stiefel oder Hosen. Wer ist der Gescheidtere ?

Fast alle kirchlichen Feste haben für das Kinderherz nur in soweit eine Bedeutung, als sie zugleich Festtage für seine eigene Lust, sein Spiel, seinen Genuß sind. In diesem Sinn hielten wir, nach Umfluß der kinder= freudigen Fastenzeit, Ostern - um der Ostereier willen. O heiliger Osterhaas, du stets gesuchter und nie gesehener Götterfreund der Jugendzeit! Wie hast du alle Jahre unserer Kindheit in den frühlingssonnigen Ostertagen unsere Phantasie beschäftigt über deine Existenz, dein Wohnen und Weilen und vorab über dein Eierlegen! Wer den Kindern den „Osterhaas“ erdacht hat, war ein hochfeiner Kenner des Kinderherzens; denn dieser Osterhaas ist für eine Kinderseele ein wunderbares Phantasiestück, umgeben vom ganzen Zauber des Unbegreiflichen. Aber das liebt ja die Kinderseele über alle Maßen. Je geheimnißvoller ihr etwas erscheint, um so lieber versenkt sie sich darein. Eine „Osterhenne" wäre nackteste Prosa für das Kind, aber der „Osterhaas“, der schneeweiße, rothäugige und doch nie geschaute Eierleger am Ostertage, der ist ein herrliches Phantasma für die Seele des Kindes.

Meine Taufpathen, der „Fürstenbergerhof-Wirth" und die Frau „AdlerWirthin", hatten wahre Paradiesgärten mit dunkeln, grünen Buchseinfassungen an den Betten hin. In diesen kühlen Nabatten legte mein Osterhaas seine Eier und ich mußte seine Nester drinn aufsuchen. Wer nach

langer Reise in der Südhiße Afrika's die Quellen des Nils entdeckt, kann unmöglich freudiger erregt sein, als mein Kinderherz, wenn es ein Neft vom Osterhaas fand und die buntgefärbten Eier ihm entgegenlachten. Ein halbes Dußend Eier, gelegt vom mysteriösen Osterhaasen, können ein Kind in den siebenten Himmel verzücken, so sehr wirken das ungelöste Räthsel und die bunten Eierschaalen auf seine Seele. O selig, ein Kind noch zu sein und an den „Osterhaasen“ zu glauben und an sein Nest im Garten des Ostertages!" E. G.

Nimm und lies!

Selten habe ich ein Buch mit so großem Interesse und mit solcher Erbauung von Anfang bis zu Ende gelesen, wie die Briefe und Gedenkblätter von Charles Kingsley, herausgegeben von seiner Gattin. (Dritte Auflage. Gotha, Perthes. 1883. Preis 8 M.) Es ist nicht nur eine im besten Sinne des Wortes fesselnde Lebensbeschreibung, sondern durch die eingestreuten Auszüge aus Reden und Briefen Kingsley's wird sie zu einer wahren Fundgrube der tiefsten Gedanken und Betrachtungen über die verschiedensten Dinge des Lebens, über Leibliches und Geistiges, Zeitliches und Ewiges, Alles verklärt durch den Goldglanz eines innig religiösen, sogar strenggläubigen, aber durchaus edlen, ächt christlichen, in keiner Weise fanatischen Gemüthes. Für gebildete Leser gibt es kaum eine anregendere Lektüre als dieser Lebensabriß des Verfassers des viel zu wenig bekannten geistvollen Romanes „Hypatia". Auch das „Protestantenblatt hat schon wiederholt Aussprüche und Betrachtungen Kingsley's gebracht, die oft so viel werth sind wie ganze Bücher. Wie viel ist z. B. schon geschrieben worden über die offenkundige leibliche Verwandtschaft des Menschen mit den höchstorganisirten Thieren, z. B. den Affen. Gedankenlose Naturforscher und ihre Nachbeter haben daraus den Schluß gezogen, daß also der Mensch nichts als ein höherer Affe sei, daß von einer Seele neben dem Leibe bei ihm gerade so viel oder wenig die Rede sein könne wie bei dem Affen. Kingsley dagegen, der ein begeisterter Anhänger Darwin's und seiner Forschungen war, meint, gerade der himmelweite Unterschied der Welt des Menschen und der Welt des Affen bei fast gleicher körperlicher Anlage sei eben ein Beweis, daß der Mensch neben dem Leibe noch etwas anderes habe, das den Leib durchdringe, ihn erst zu seinem wahren Werthe bringe und den Menschen dadurch in der schärfsten Weise auch vom höchsten Thiere trenne. „Ich weiß wohl, daß das Affengehirn und die Affenkehle denen des Menschen beinahe auf ein Haar gleichen und was be= weist das? Daß der Affe ein Narr und ein armer Schlucker ist, der Handwerkszeug hat, welches fast so gut wie das des Menschen ist, ohne es gebrauchen zu können, während der Mensch, nach dieser Seite dem Affen so wenig überlegen, mit dem seinigen die fabelhaftesten Dinge leistet. Hätten die Menschen die Leiber der Affen gehabt, so wären sie schon ganz leidlich damit zurecht gekommen, weil sie eben durch menschliche Seelen das Triebwerk in Bewegung gesezt hätten. Dagegen wäre eine Affenseele in einem menschlichen Körper nur noch ein unfläthigerer Nichtsnuß als sie ohnehin ist. Es ist mit Seele und Leib wie mit dem Arbeiter und der

Art. Der Arbeiter gebraucht die Art, und obgleich er freilich mit einem guten Instrument mehr schafft als mit einem schlechten, liegt doch der Kern der Frage darin: was ist es für ein Arbeiter? ist es eine Affenseele oder eine Menschenseele? So bin ich der Ansicht, daß das Ziel der Naturwissenschaft nicht das ist, die Allmacht der Materie, sondern die des Geistes zur Herrschaft zu bringen." Vor Allem aber sei das Buch jungen Theologen und solchen, die es werden wollen, empfohlen, und nicht zum wenigsten euch Eltern, die talentvolle Söhne haben. Trotz der bescheidenen Lebensstellung und den kirchlichen Kämpfen gibt es doch auch heute noch keine schönere Tribüne als die Kanzel und keinen Beruf, der schöner, tiefer und gemüthreicher wäre als das Pfarramt, wenn es nicht handwerksmäßig, sondern im Glauben, mit Geist und Gemüth ausgeübt wird. Darin hat mich neuerdings dieses Lebensbild Kingsley's bestärkt, der seine Kräfte nicht für vergeudet hielt in dem hohen und doch bescheidenen Beruf eines englischen Pfarrers, der, obschon ein berühmter Gelehrter, Dichter und Romanschriftsteller, dennoch in seinem eigenen Bewußtsein bei Allem und vor Allem ein Wegweiser und Lehrer der geistlichen Güter, ein Pfarrer sein wollte. P. B.

Leitfaden für den Konfirmanden-Anterricht. Von E. Müller, Pfr.

Jedes Jahr vermehrt die Zahl der Handbüchlein für den Konfirmanden-Unterricht. Jede Richtung hat bereits eine Menge zur Auswahl bei der Hand. Wir Freisinnige sind besonders reich gesegnet, wir haben E. Schwarz, Berchthold, Lang, Schmied, Biedermann, Paul Christ, Blaser, 3. Wirth; wir in Basel halten es mit dem leßtgenannten, nicht bloß als dem nächsten.

Der oben angezeigte Leitfaden ist im Geist der rechten und wahren Vermittlung geschrieben und besonders für einfache Landgemeinden berechnet. Er besteht sozusagen bloß aus einer wohlausgedachten Reihenfolge biblischer Erzählungen und Worte. Wo der Verfasser aus seinem Eigenen Bemerkungen dazwischen streut, leitet er immer auf die sanfteste Art zu einer freien Auffassung hinüber. So sagt er pag. 24 über das Kapitel der Auferstehung Jesu: „Der erste Eindruck des Todes Jesu auf die Jünger war Trauer und Enttäuschung. Wie dann die Jünger die Bedeutung des Todes Jeju erkennen, erkennen sie ihn auch als den Auferstandenen... Jejus war jetzt in seinen Jüngern auferstanden, sie waren seine Apostel geworden, mit seinem Geiste erfüllt. Jesu Tod ist für uns ein Erlösungstod, wenn durch den Anblick unserer Sünde und seiner Liebe und durch die Gnade Gottes der Geist Jesu in uns aufersteht und uns zu neuem Leben weckt. Jeju Auferstehung gibt uns die Gewißheit, daß wer in ihm lebt, auch mit ihm auferstehen wird zum ewigen Leben!" A.

Basler Kirchenzeddel am eidgen. Bettag den 16. Sept.

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