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tung verhängnißvoll. Zweck der Menschheit ist nicht die Ruhe in einer gottergebenen Unwissenheit, sondern die erbarmungslose Bekriegung des Falschen, der Kampf gegen das Böse.

Der Vortrag Renans, den wir hiemit den Gelehrten unter unsern Lesern empfohlen haben möchten, hatte ein erhebendes Nachspiel. Ez lebt nämlich in Paris der 1848 in Kabul geborene Scheik Djemmal Eddin, der wegen der freisinnigen Lehren, die er in seinen religiösen Vorträgen zu Konstantinopel gehalten, von den geistlichen Ülemas vertrieben und nachher auch aus Egypten verbannt wurde, als er die englischen Pläne der Engländer durchschaute und aufdeckte. Dieser patriotische Reformer las Renans Vortrag und dankte diesem durch eine geistvolle Zuschrift. Darin gibt er Renan vollkommen zu, daß die Priester die Völker des Islam verdorben, indem sie von den Gläubigen einen blinden Gehorsam verlangen. An das Dogma, dessen Sklave er ist, wie ein Ochse an den Pflug gespannt, muß er ewig in derselben, ihm von den Auslegern des Gesetzes vorgezeichneten, Furche einherschreiten. Wozu soll es ihm nüßen, nach Wahrheit zu forschen, da er die Wahrheit ganz zu besigen glaubt ?" Aber dann gibt der edle Scheik dem französischen Gelehrten zu bedenken: So gut eure christliche Kirche ihre Reformation und damit eine Wiedergeburt des gesammten Lebens erfahren hat, darf ich eine solche Besserung auch von meinem Glauben, dem Islam, erwarten! Der verfolgte Prophet gibt also auch hier den Glauben an die Rettung derer, die ihn verfolgt haben, nicht auf! Er schämt sich seiner Religion nicht, obwohl ihrer Priester Einer Laut Ueberlieferung 5000 Philosophen hat abschlachten lassen, denn er hält sie der Reform fähig. Und seine Zuschrift schließt er mit dem schönen, wahren Wort: „Auch die Wissenschaft allein kann troh all ihrer Schönheit die Menschheit nicht ganz befriedigen, denn diese dürstet nach Idealen, welche die Gelehrten weder zu schauen noch zu erforschen vermögen!"

Auch hier also, bei einem Mann, der in der Kleidung eines türkischen Ulemas durch die Straßen von Paris wandelt, der Glaube, daß die rechte Wissenschaft der rechten Frömmigkeit nicht widerstrebt, sondern sie erhöht und fördert. Darin scheint uns dieser türkische Reformer sogar der Wahrheit näher zu kommen, als der Franzose Renan, wenn dieser in seiner Antwort den Gedanken ausspricht, es handle sich für den aufgeklärten Christen und Mohamedaner darum, „zu jenem Standpunkt wohlwollender Indifferenz zu gelangen, auf welchem der religiöse Glaube harmlos wird.“ A.

Basler Kirchenzeddel Sonntag den 26. August.

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Sechster Jahrgang.

No 35. Samstag, 1. Sept. 1883.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Decolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt_in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Ein guter Muth.

Sprüche 15, 15: Ein betrübtes Herz hat nimmer einen guten Tag, aber ein guter Muth ist ein tägliches Wohlleben.

Wer kennt nicht das Lied vom „Wanderer", welcher das Glück sucht und ausruft: „Wo bist du? Wo bist du, mein geliebtes Land? Gesucht, geahnt und nie gekannt! Das Land, das Land so hoffnungsgrün, das Land, wo meine Rosen blüh'n, wo meine Freunde wandelnd geh'n, wo meine Todten aufersteh'n, das Land, das meine Sprache spricht, o Land, wo bist du? Ich wandle still, bin wenig froh, und immer frägt der Seufzer, wo? Im Geisterhauch tönt's mir zurück: dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück."

Dieses Bekenntniß des Sängers stimmt zu dem bekannten Wort eines andern Dichters: „Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual!" Beide Bekenntnisse sagen übereinstimmend: wenn du Glück suchst und nirgends findest, so liegt die Ursache in dir selber, in deiner eigenen Unvollkommenheit, in der Verftimmung deiner Seele. Klage nicht Gott, Welt und Menschen, klage dich selbst an!

Das ist wenig schmeichelhaft für uns, liebe Leser. Es ist eine harte Redewer mag sie hören? Was wir gerne hören, wornach den Leuten die Ohren jucken, das ist, wenn man ihnen nichts sagt von der eigenen Schwachheit, dagegen laute Klage erhebt, wie es eine unvollkommene Welt sei und die Erde ein Jammerthal, daraus der gute Mensch sich hinwegsehnen müsse nach schönern Gefilden: „wo keine Dornen stechen, kein Wurm an Blüthen nagt, wo feine Herzen brechen und kein Verlassner klagt!"

Aber dieses weichliche, süßliche und sentimentale Jammern, so angenehm es vielen schmeckt und so oft es auch den Schein der Frömmigkeit, vielleicht gar einer besondern tiefen Frömmigkeit annimmt, ist doch aller wahren, gesunden Frömmigkeit Feind, es klebt doch im Grunde viel selbstsüchtiger, sündiger Hochmuth daran. Da steckt denn doch viel mehr Selbsterkenntniß und Muth und Weisheit in dem Lied des Sängers, der den tiefsten Schaden in sich selbst, die Quelle des Unglücks im eigenen Herzen

findet. Von dieser tiefen und wahrhaftigen und gesunden Art ist denn auch das Bibelwort an der Spiße dieser Betrachtung, das Niemand deßhalb gering schäßen soll, weil es ein Jahrtausend älter ist als Christus, denn es liegt darin schon die christliche Wahrheit, daß, wie aller Jammer des Lebens, so auch alle Heilung und Erlösung davon, aus dem Herzen herauskommt: Ein guter Muth ist ein täglich Wohlleben.

1) Wie viel ein guter Muth ausrichtet.

Ein guter Muth ist mehr als Gut und Geld. Es ist natürlich, daß in dieser Welt vorherrschend diejenigen beneidet werden, die an Besitz hervorragen, denen jeder Erdengenuß leichter als Andern zugänglich ist; vor denen Alles sich beugt, weil sie Macht haben, viel zu nüßen und empfindlich zu schaden; deren Tugenden mit Bewunderung verkündet und deren Fehler mit größter Nachsicht beurtheilt werden. Die Reichen haben so viele Lobredner, als die Armen Tadler haben. Aber laßt sie uns doch nicht beneiden. Denn wenn es schwach und schlimm mit ihrem Herzen bestellt ist, so fallen sie in Versuchung und Stricke des Reichthums; Geld und Gut wird dann ihr Göße und ihr Tyrann, wird zum Sonnenbrand, der ihr Gemüth zur Einöde macht, daß kein gutes Pflänzchen mehr darin gedeiht, zum Schlüssel zu allen verbotenen Thüren, zum Werkzeug des Verbrechens, womit sie ihre Nebenmenschen moralisch zu Grunde richten und sich ewige Verdammniß zuziehen. Solche beneidet nicht, sondern bemitleidet sie! Nur wenn es gut mit ihrem Herzen bestellt ist, wenn sie, fromm und christlich gesinnt, sich als Gottes Haushalter über ihr hab und Gut fühlen, könnten wir sie allenfalls beneiden, weil ihnen größere Ausbildung ihrer Anlagen und Talente möglich ist als uns; weil sie unendlich viel mehr Gutes ausrichten können durch die Macht, die ihnen das Geld gibt. Aber in diesem Fall werden sie uns Andern wiederum gleich, indem sie ja auch sorgen, mehr sogar als wir; indem sie sich auch Aufgaben stellen, sogar größere als wir; indem sie auch die Erfahrung machen, nicht Alles thun zu können, was sie gerne möchten. Die guten Herzen unter den Besizenden gestehen selbst, sobald ihr sie genauer kennt, daß es Güter gibt, die ihnen weit über all ihren Besiz gehen. Was nüßten dem todten Grafen Chambord die zwölf Millionen, die er geerbt hat, während vielen Wochen, wo alle ärztlichen Künste ohnmächtig waren, seinen kranken Magen zu heilen? Was hat ein einsames, gebrochenes, zum Tod betrübtes Herz von aller Pracht seiner Umgebung? Reicher als Chambord war Claudius, als er fang: „Ich bete Gott von Herzen an, daß ich auf dieser Erde nicht bin ein großer, reicher Mann und wohl auch keiner werde; denn all das Geld und all das Gut gewährt zwar viele Sachen, Gesundheit, Schlaf und guten Muth fann's aber doch nicht machen."

Ein guter Muth ist mehr als Ruhm und Ehr. Mit dem Lobe ist es wie mit Essen und Trinken; bis zu einem gewissen Grade stärkt es und darüber hinaus genossen schadet es. Wer erinnert sich nicht aus seinem Leben, daß ein Lob ihm die kräftigste Aufmunterung, Zuversicht, Freudigkeit gab, ja am Rande der Verzweiflung fast zur Lebensrettung wurde. Insofern sollten wir ja nicht kargen mit Aufmunterung und Loben, nicht meinen, es sei genug, wenn wir uns zufrieden fühlen. Aber was bis auf

einen gewissen Grad heilsame Arznei ist, das wird von da an zum verderblichen Gift; Menschen, die durch Erfolg und Weltlob verwöhnt und überfüttert sind, die pflegen am wenigsten guten Muthes zu sein. Es ist mit Niemand schwerer zu verkehren, als mit solchen verwöhnten Kindern des Glücks; man kommt nicht an ihnen vorüber, ohne ihre Empfindlichkeit zu verlegen; immer haben sie über Zurückseßung, Verkennung und Undank zu klagen; alle Ruhmeskränze um ihre Stirne sind ihnen lauter Dornenkronen; sie quälen ihre besten Freunde, bis auch diese sie noch verlassen, und zuletzt stehen sie dann auf einsamer Höhe mit ihrem kranken, verbitterten Herzen allein. Ein großer Menschenfreund traf einst im Gasthaus mit einem Fremden zusammen, der aussah, wie der leibhaftige Gram. Was fehlt denn Ihnen? fragte er theilnehmend. Der Fremde antwortete: Mir fehlt Alles, die Freude am Leben! Ach was, sagte der Menschenfreund, gehen Sie heute Abend in die Vorstellung zu Garick, dem großen Komiker, Sie werden durch Lachen gesund werden. Da sagte der Fremde: Zu Garick? Der bin ich ja selber!

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Ein guter Muth ist ein täglich Wohlleben, denn er hält gesund. Sorgen und Kummer, Neid und Verdruß mußen unsere Kraft ab, kürzen die Lebenszeit und mindern die Leistungsfähigkeit. Tausend Dinge im Leben bleiben doch, was sie sind, sie liegen doch, wie und wo sie liegen; sorgen wir darum und ärgern wir uns daran, so reiben wir bloß unsere Kraft auf und „nicht verändert's die Natur, wenn ein Menschenherz zerbricht", hingegen guten Muthes kommen wir um den Stein des Anstoßes herum oder darüber hinweg und schließlich ist das Uebel verschmerzt, der Sieg errungen, das bedrohte innere Leben gerettet.

Ein guter Muth schafft ein gut Gelingen. Wie der Landmann bei Sturmwind und Regen nicht aussät, so sollten wir in schlechter Laune und ärgerlicher Stimmung nichts unternehmen, es geht doch Alles schief, wir sagen doch zu viel oder zu wenig, verhauen uns links oder rechts, bringen nur die Umgebung auch in ärgerliche Stimmung und schlechte Laune, bis die Verwirrung allgemein und der Schaden nicht mehr gut zu machen ist. Müssen die Trauben in unserm Lande wenigstens hundert Sonnentage haben zum Reisen, so brauchen wir Menschen auch Sonne zum Gedeihen all unseres Thuns, und der Sonnenschein des innern Lebens ist ein guter Muth.

Ein guter Muth gewinnt die Herzen. Mit Gewalt und Machtspruch und Zorn läßt sich wohl Vieles ertrogen und erzwingen; als Herrschaften bei unsern Dienstboten oder als Eltern bei unsern Kindern können wir damit wohl Furcht verbreiten; aber strenge Herren regieren nicht lange und die strengsten Herren werden am meisten hintergangen; dagegen die Herzen und treue Anhänglichkeit und dauernde Zuneigung in denselben gewinnen, das geschieht nur mit Güte und Wohlwollen und Heiterkeit, nur durch einen guten Muth.

Ein guter Muth hilft andern auf. Wenn es in einem Kampfe heiß zugeht und Mann an Mann aus der Linie niedersinkt, dann kann ein Feigling, der flieht, eine allgemeine Flucht veranlassen, während ein Standhafter auch die Nebenmänner tapfer macht. Im großen Kampf des Lebens stehen gar viele Muthlose und Feige, sie geben innerlich ihre Sache ver

loren und warten nur, bis Einer das Zeichen zum Weichen gibt, so rennen sie ihm nach mit Windeseile. Sehen sie dich aber stehen und kämpfen und glauben, so denken sie: was der kann, kann ich auch! und dann können sie's wirklich; Niederlage und Sieg hing an einem Faden. Es war einmal ein armer Familienvater, der verlor an der Arbeit unter den Maschinen seinen rechten Arm; er wollte sich nicht trösten lassen, denn auf die tiefsinnigsten und heiligsten Sprüche gab er in Mißmuth immer die gleiche bittere Antwort: Ihr habt gut reden! bis ein Kamerad zu ihm kam, den das gleiche Schicksal getroffen ohne ihn zu beugen, der half mit seinem guten Muth der armen Seele wieder auf.

Ein guter Muth wendet Alles zum Guten. Wie wollen wir uns die Thatsache erklären, daß ganz das gleiche Schicksal bei zwei Menschen eine total verschiedene Wirkung hervorbringt? Aermliche Lebensumstände machen aus einem Menschen einen Verbrecher und einen Andern stählen sie zum Helden. Ein schwerer Verlust knickt den Einen und einem Andern wird er zur Schwungfeder, durch die er zehnfach das Verlorene wieder ersetzt. Ein bitteres Unrecht bringt den Einen dahin, daß er wilde Rache nimunt an der Umgebung und dabei zu Grunde geht; in einem Andern reift dasselbe Unrecht die heilige Frucht, daß er großmüthig verzeihend Kohlen auf das Haupt des Feindes sammelt und als Sieger aus der Trübsal hervorgeht. Das heißt doch: das Herz ist die Quelle wie des Todes, so auch des Lebens; einem schwachen Herzen wird Alles zum Schaden, einem guten Muth Alles zum Besten. Er ist ein täglich Wohlleben.

2) Wie man guten Muth erlangt.

Ich höre aber schon lange den Einwand des lieben Lesers: was habe ich davon, wenn ich einsehe, wie viel ein guter Muth werth ist, so lange er mir selber fehlt? Es ist wie die Beschreibung eines guten Essens für einen Hungrigen und wie ein hübsches Gemälde für einen Blinden und wie schöne Musik für einen Gehörlosen. Sage mir lieber, wie ich zu einem guten Muth kommen kann, wo er zu haben ist, wer ihn gibt?

Die Bibel in ihrer wunderbaren Tiefe und Einfalt antwortet darauf: Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts. Auch ein guter Muth ist Gottes große Gnadengabe, er kaun angeboren sein und kann anerworben werden.

Angeborner guter Muth, angeborene Gabe, das Leben von der guten Seite zu nehmen, angeborene Geistesart, die höchstens vorübergehend den Kopf, aber nie auf die Dauer den hellen Frohsinn verliert gewiß das gibts in der Welt und das ist ein köstlicheres Erbe als Reichthum und Adel, köstlicher selbst als jedes wissenschaftliche und künstlerische Talent. Wer das von Vater oder Mutter geerbt, der hat Ursache zu sagen: „Ewige Liebe, die du mich geliebet, eh' ich noch geboren war", ihm ist das Loos gefallen auf's Lieblichste, ihm ist ein gut Erbtheil geworden; auf den Knien sollte er Gott dafür danken.

Aber auch zu einem angeborenen guten Muth muß man Sorge tragen. Auch dieses Erbe kann man durchbringen und verprassen und verderben. Wenn es von Dauer sein und in allen Lebenslagen Stand halten soll, so muß der Gott, der es gab, es auch erhalten, muß es vom glücklichen Be

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