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wäre, weil sie alle körperlich der bestehenden Welt besser angepaßt sind als er, so ist auch die menschliche Seele in einer andern Heimath zu Hause, wo weder Leid noch Geschrei noch Schmerz ist, und es vergehen wenige Tage oder Stunden, wo sie nicht unmittelbar oder durch ihren Gefährten, den Körper, daran erinnert würde, daß ihre Neigungen und Existenzbedingungen nicht übereinstimmen. Auch die Seele hat darum eine gewisse Abhärtung nöthig. Nicht daß man sich gegen Freude und Schmerz abstumpft: Unempfindlichkeit ist nicht Leben, ist Tod. Aber daß man sich nicht von jedem kleinen Puff oder Stoß, an denen das Leben so reich ist, aus dem Gleichgewicht bringen läßt, daß man nicht in jeder Unannehm lichkeit eine unerträgliche Last sieht, die man um jeden Preis los sein will häufig genug, um sie gegen eine schwerere zu vertauschen; daß man namentlich auch von der kindischen Gewohnheit frei zu werden trachtet, Andern, die etwa ganz unwissentlich und jedenfalls ohne böse Absicht eine unangenehme Empfindung in uns wecken, nun auch unsererseits eine unangenehme Empfindung zu verursachen! Denn dadurch wird die natürliche Rauheit des irdischen Lebens ja nur in ganz unnöthiger Weise noch um einen Grad rauher.

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Und zwar ist, wie in körperlicher Beziehung die Tage der Gesundheit, so in seelischer die Periode des durchschnittlichen Wohlergehens die richtige Zeit, sich abzuhärten.

Wer seine Haut gegen Temperatur-Unterschiede abhärten will, muß damit im Sommer anfangen, nicht im Winter. Wer anfängt zu fühlen, daß er der Sklave einer gewohnten Bequemlichkeit, eines Lieblingsgenusses geworden ist, mag seine Kur sobald wie möglich eintreten lassen, aber doch nicht gerade dann, wenn das Leben ihn vor eine Aufgabe gestellt hat, zu welcher er alle seine Kräfte anspannen muß. Wer bei aufrichtiger Selbstprüfung entdeckt, daß sein Wohlbefinden, seine Zufriedenheit, seine Heiterkeit, seine Arbeitskraft durch die kleinen unvermeidlichen Uebelstände des Lebens merklich beeinträchtigt werden, nehme sich in ernsthafte Zucht, so lange er noch von größeren Leiden verschont ist: im Unglück fehlt die Spannkraft der Seele, es fehlt die Geneigtheit, sich auch in kleinen Dingen zusammenzunehmen, wenn diese Gewohnheit nicht schon in den Tagen des Wohlergehens erworben ist. Und glücklich zu preisen ist der, dem ein Päckchen Humor in seine Ausstattung gelegt ist, womit er von Zeit zu Zeit seine Augen salben kann, also daß er das Große im Kleinen und das Kleine im Großen und an allen schwarzen Wolken die silberne Einfassung zu sehen vermag."

Basler Kirchenzeddel Sonntag den 19. August.

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Sechster Jahrgang.

No 34. Samstag, 25. August 1883.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnabe und Wahrheit.
Decolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Der Mann als Haupt des Weibes.
(Antwort einer Frau.)

Die Lobsprüche, die Sie in letter Nummer aus dem Munde berühmter Männer über uns Frauen gesammelt, haben gewiß mehr als einer Leserin dieses Blattes wohlgethan, denn wir werden in dieser Beziehung nicht verwöhnt von unsern Männern. Wie es, ich glaube in der ganzen Welt, beflagt wird, daß die Männer, auch wo sie ganz religiös sind, etwas säumig und nachlässig sind im Aussprechen und Darstellen ihres religiösen Lebens, will sagen im Kirchenbesuch, so halten sie auch in der Anerkennung dessen, was wir Frauen etwa thun, mehr als gut ist, zurück; selbst wo sie vollkommen zufrieden sind mit den Diensten, die wir ihuen, den Herren der Schöpfung, leisten und Gott weiß gerne leisten, fargen sie doch allzu oft mit einem freundlichen Wort, das wir doch so nöthig haben, wie die müde Erde den himmlischen Thau, und darum danke ich Ihnen im Namen meiner Schwestern, die in Ihrem legten Blatt gelesen haben, wie viel und Großes sie als „Genossin ihres Mannes“ leisten können, vielmal und von Herzen.

Indeß kann ich den Gedanken nicht unterdrücken, daß uns solche Lobsprüche im Grunde theuer zu stehen kommen, denn mir wenigstens klingen sie wie ebenso viele Ermahnungen an ernste Pflichten, die wir zu erfüllen haben; ja ich bin sogar geneigt zum Gefühl: man lobt uns so sehr, weil man äußerst anspruchsvoll gegen uns ist und von uns die Vereinigung aller möglichen Tugenden erwartet; voraus das Geschick der guten Haushälterin, dann die Kunst, mit Grazie allen möglichen Mangel zu überkleiden, ferner Verschwiegenheit wie das Greh in allen intimen Dingen des Lebens, befonders Engelsgeduld unter jeder Art von Kreuz und zuleßt eine Anhänglichkeit über den Tod hinaus, die kaum weiter zu leben gestattet. Ich preise meine Schwestern glücklich, welche diesem Ideale entsprechen, aber ich gestehe mit aufrichtiger Demuth und Beschämung: es will mich viel dünken, und diesem Gefühl folgend wage ich einfache Frau, einmal ein Wort zum Lob der Männer zu sagen, um in dieser feinsten Form denselben ebenfalls ein paar Bitten an das Herz zu legen.

Den idealen Mann bezeichne ich am liebsten mit jenem Titel, der vielen meiner Schwestern so hart und widerwärtig klingt, nämlich als Haupt des Weibes. Ich habe schon so oft in Scherz und Ernst von jungen Töchtern sagen hören, bei ihrer Hochzeit soll der Herr Pfarrer es nicht wagen, vom Mann als dem Haupt des Weibes zu reden, denn das erinnere zu sehr an patriarchalische Zustände, wo der güterreiche Herr eine ganze Herde als ihr rechtmäßiger Besizer und Machthaber nach Belieben beherrschte, während christliche Ehegatten in unsern Tagen als gleichen Rechts und gleicher Würde nebeneinander stehen sollen. Offen gestanden, dergleichen ist mir auch in jungen Tagen, wo das Herz noch voll Muth und Uebermuth war, nie eingefallen, sondern ich habe es auch in der Ehe mit dem edlen Schiller gehalten: „ein Haupt muß sein und höchster Richter“, und das liebe Bibelwort hat, wie mir scheint, das weibliche Bedürfniß und unsere Stellung ganz richtig und tiefsinnig mit dem Worte gezeichnet: der Mann ist des Weibes Haupt! Der weise Schöpfer aller Dinge hat uns weibliche Wesen mit dem Bedürfniß uns anzuschließen, uns leiten und beherrschen zu lassen, von allem Anfang an geschaffen; ich bin vollkommen zufrieden, daß die tiefsinnige jüdische Sage uns aus der Herzgegend des Mannes geschaffen sein läßt; ich laß ihn gerne das Haupt sein und ich schäße jede Frau glücklich, die einem Mann begegnet, den sie fröhlich als ihr Haupt verehren kann.

Aber Sie halten mir ein bischen Schalkheit zu gute; wen ich als Haupt anerkennen und ehren soll, der muß es denn auch wirklich sein. Das Haupt ist der Sig für die Organe des Denkens. Gedanken muß der Mann vor Allem haben, große Gedanken in den kleinen Sorgen des Tages, reine Gedanken in den Versuchungen der Welt, wie es schön in einem Gebet heißt, das ich Sonntags so gern von der Kanzel herab höre. Mit der Fülle solcher Gedanken muß er nicht bloß seinen Beruf, sondern auch seine Bürgerpflichten, mich und meine Kinder umfassen und regieren. Wenn sich mein schwaches Denken verirrt und ich meinen armen Kopf verliere, in dem seinigen muß es klar bleiben, und daß er ihn jemals verliere: das darf nicht vorkommen. Wenn ich die Dinge der Welt nach dem Herzen be urtheile und bald aus Zuneigung, bald aus Abneigung fehle, wie es einem Weibe so leicht begegnet, das bekanntermaßen in Liebe und Haß tausendfach sündigt, dann verdient nur der Mann mein Haupt zu heißen und nur der ist es wirklich, welcher meine Schwäche erkennt, ohne sie zu theilen, sie forrigirt, ohne sie zu verdammen und mir aus dem Labyrinth der Gefühle zu der Wahrheit leuchtet. Wenn ich bei dem besten Willen, gut zu sein und Gutes zu wirken, fehl gehe in meinen Entschlüssen und ihren Ausführungen und, wie es einem schwachen Weibe so oft begegnet, in körperlicher Verstimmung der Sonnenglanz meines Gemüthes schwindet und meine Stimmung wie ein flügellahmes Geschöpf zu Gott sich aufschwingen will und elend über den Staub hinflattert und Staub aufwirst, vielleicht gar in den Staub zurücksinkt, dann ist der Mann, welcher mich auch so noch begreift und auch so noch liebt und liebende Geduld mit mir hat und mich schont, ohne zu zeigen, daß und wie sehr er es thut, nicht nur mein wahrhaftiges Haupt, das ich verehre, er ist dann mein guter Engel, der mich

rettet, und ich muß täglich auf meinen Knien Gott dafür danken, mehr als für jede andere seiner unaussprechlichen Gaben.

Sie sehen, die Männer haben meine Lobsprüche und meine demüthige Anerkennung ihres hohen Titels auch nicht umsonst. Nach dem ewigen Rathschluß des Herrn, den wir Alle anbeten, ist nichts umsonst zu haben, sondern Alles ist in dem Maß, als es viel werth ist, auch schwer zu er ringen. Geburt und Tod, Wiege und Grab wären nicht von so großen Schmerzen umgeben, wenn das Menschenleben dazwischen nicht so unendlich reichen Inhalts wäre; die freie Frömmigkeit und fromme Freiheit, für welche nach meiner Meinung dieses Blatt kämpft, erführe den Haß der Welt nicht in so überaus hohem Maße, wenn sie nicht so absolut unentbehrlich und segensreich wäre für den Einzelnen wie für die Gesammtheit. Und so hätte der Mann seinen hohen Titel, des Weibes Haupt zu sein, nie erlangt, wenn ihn nicht die Anlage und Bestimmung eignete, wirklich das ordnende, herrschende und schüßende Element unter allen vom Weibe Geborenen zu vertreten. Ich verzichte herzlich gern auf all die Danaergeschenke, als da sind Stimm und Wahlrecht in Kirche und Staat, wofür eine moderne Frauenemanzipation schwärmt, unter der Bedingung, daß die Männer weder eitle Vergnügungsjäger noch heuchlerische Kopfhänger, sondern liebevolle Denker und gedankenkräftige Liebhaber sind, und ich sage es mit aller Ehrerbietung gegen Gott als den Geber jeder guten und vollkommenen Gabe: des Weibes bester und ureigenster Plaz, an dem sie allein ihre ganze Bestimmung zu erfüllen vermag, ist die Seele eines solchen Mannes; er ihr einiges Haupt und sie sein einziges Herz R. N.

Die Simsonsfage.

In allen „biblischen Geschichten", d. h. in den Lehrbüchern für den Religionsunterricht der untern Klassen, spielt immer noch die Geschichte Simjons eine Rolle. Da steht zu lesen, wie derselbe einen Löwen zerrissen, sodann verschiedene Philister erschlagen, ihnen Füchse mit Feuerbränden an den Schwänzen ins Korn gejagt, ein Stadtthor auf einen Berg getragen, zwischenhinein eine Philisterin zum Weibe genommen und, von ihr betrogen, tausend Mann mit einem Eselskinnbacken erschlagen, hernach, abermals durch eine Liebschaft hintergangen und zum Sklaven erniedrigt, ein mit einer Festversammlung gefülltes Haus umgeworfen und dabei seinen Tod ge= funden habe.

Wozu das alles, fragen wir, in einem christlichen Religionsunterricht im 19. Jahrhundert? Ist es denn etwa so buchstäblich wahr, wie man es in der Regel darzustellen pflegt? Oder ist es denn etwa so moralisch und religiös anregend, was da erzählt ist, daß man ob der religiösen Anregung die geschichtliche Unmöglichkeit übersehen könnte? Oder ist der Inhalt dieser Erzählungen etwa so mit dem Inhalt der christlichen Religion solidarisch, daß sein nicht zu entbehren wäre? Nichts von alledem! Die Simsongeschichte steht einfach in den „biblischen Geschichten", weil sie im alten

Testament steht und weil wir - zufolge der traditionellen Anschauung der jüdischen Rabbinen das gesammte alte Testament als Gotteswort anzusehen gewöhnt sind. Weg mit diesem Vorurtheil!

Was ist die Simsongeschichte? Sie ist ein Sagenkreis aus der Mythologie Israels, wie ein ganz ähnlicher in der Mythologie Griechenlands und des germanischen Volkes besteht; hier Siegfried, der Drachentödter, dort Herakles, der Typus körperlicher Kraft und Heldenthums, bei den Israeliten Simson, der Mann der ungewöhnlichen Körperkraft, welcher auf eigene Faust und allein das Unmögliche leistet.

Ein Sagenkreis! Natürlich, daß auch das israelitische Volk seine Mythologie und seine Sagen hatte! Natürlich, daß diejenigen Elemente des Volkslebens, welche allen Völkern in ihrer frühern Entwicklung gemeinsam sind, sich auch bei ihm im allgemeinen in gleichartigen, im besondern jedoch wieder in eigenartiger Weise entwickelt und ausgebildet haben! Die Simsonsage fällt ja auch in jene Zeit, wo das Volk in den gewaltigen Ringkampf mit den kanaanitischen Völkerschaften hineingeworfen war, wo es seine Aufgabe war, mit wuchtigem Arm und mit der ihm angeborenen überlegenen List die Erbfeinde zu unterjochen; Simson ist in der That nichts anderes, als das als Einzelperson gedachte Volk, welches in diesem Ringkampf schließlich obsiegte und seinen Hauptseind, das Philistervolk nach langem, schwankendem Kampf darniederwarf.

Solche typische Gestalten werden immer und überall mit Wundern ausgeschmückt. Daher treffen wir in der Simsonsage ungefähr dieselben Züge, wie sie dem südlichen Herakles und dem nordischen Siegfried aufgeprägt sind. Das Buch der Richter erzählt zwölf hervorragende Kraftthaten Simsons, die ihrem Charakter nach uns unwillkürlich an die zwölf Heldenthaten des Herakles und an diejenigen Siegfrieds erinnern. Es erzählt uns aber auch seine Schwächen, zufolge deren er von Zeit zu Zeit wieder in die Hände von listigen Weibern gerathen und durch ihren Verrath untergegangen. Herakles und Omphale, Siegfried und Brunhilde, Simson und Delila, das sind Parallelen, die durch ihre Uebereinstimmung im Allgemeinen uns zeigen sollten, was wir hier vor uns haben: die überwältigende Kraft der Sonne, die doch immer wieder, gemäß dem Jahreslauf, von feindlichen Gewalten gelähmt und gebändigt wird, um zu ihrer Zeit, wenn ihre Kraft wieder gewachsen, mit der alten Siegesmacht wieder zu überwinden. Zum Ueberfluß mag noch bemerkt werden, daß der Name Simson von einem Worte gebildet ist, das im Hebräischen Sonne" bedeutet.

Durchgehen wir die Simsonsgeschichte in ihren einzelnen Theilen, so bemerken wir überall den Charakter der Sage. Entweder enthält die Erzählung Dinge, welche überhaupt über die Grenze des Menschenmöglichen hinausgehen, oder aber sie knüpft an an Ueberreste alter Lieder und Sprüche, welche sicher älter sind, als die Erzählung selbst und aus welchen diese lettere entstanden zu sein scheint. So z. B. ist das berühmte Räthsel, welches Simson nach Erlegung des Löwen den Philistern aufgegeben, nicht die Folge, sondern der Ursprung jener Heldensage. So ist ferner die Geschichte von den Eselskinnbacken, mit welchem Simson tausend Philister erschlagen haben soll, angeknüpft an ein Lied, welches, wie es dasteht, deut

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