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Hauses liegend und nichts denkend wird fast regelmäßig eins gepfiffen. Es ist das eine sehr plebejische Gewohnheit, allein die Weber- und Bäckermeister, welche von Gottes Gnaden meine Ahnen waren, sind ja pure Plebejer gewesen, und ich sollte mich plebejischen Pfeifens schämen?! Nimmermehr, so wenig als der Baron, Graf und Herzog sich schämt seines Hanges zur edlen Waidlust und zum Sport.

Ich behaupte aber ferner noch, daß man vom Pfeifen sagen kann was vom Singen:

Wo man pfeift, da laß dich ruhig nieder,
Böse Menschen pfeifen keine Lieder.

Und Englands größter Lyriker hat gesagt:

Oft strömt im unvollkommnen Wort
Das ganze Weh' der Seele fort.

Ich vindizire mir diese ganze Stelle für's Pfeifen, als einem unvollkomm'nen Wort, das in Lust und Freud, Schmerz und Unmuth der Seele des Plebejers Ruhe und Behagen schafft. Darum wird fortgepfiffen, wie der Vater einst im Vaterhaus. (Dr. H. Hansjakob.)

Der Himmelsschlüffel. Als Sonntag den 8. Juli die Leute zu Herrn Pfarrer Roth in die St. Leonhardskirche gingen, vertheilten auf dem Kirchplatz zwei anständig gekleidete Männer mit badischem Dialekt ein Schriftchen, das obigen Titel führt; zugleich hielten sie ein Kässchen in der Hand mit der Inschrift „Zeugenopfer“. Als Verfasser nennen sich am Schluß der 24 Seiten Georg Kieninger und Georg Kammerer von St. Georgen im badischen Schwarzwald. Laut Inhalt der Schrift find die zwei Jünglinge im Schwarzwald zu der Ueberzeugung gekommen, daß sie die Offb. Kap. 10 verheißenen zwei Zeugen“ seien, dazu von Gott berufen, „die ganze eingeschlafene Kirche durch ihr Geschrei zu wecken“. Sie find ferner überzeugt, daß sie, Kieninger und Kammerer von St. Georgen, die zwei Delkinder find, von denen Sach. 4, 14 redet. Und wer etwa noch an dieser ihrer Mission zweifeln wollte, dem weist K. folgendes Selbstzeugniß vor: „Ich habe erstens die Vergebung meiner Sünden empfangen am 3. Advenstsonntag 1881. Und zweitens bin ich versöhnt worden mit dem auferstandenen Heiland am 25. Januar 1883. Und drittens wurde ich versöhnt mit Gott dem Vater am 2. April 1883." Diese Bekehrung mit Jahrzahl und Datum scheint auf Einflüsse der Heilsarmee hinzuweisen. Es ist zu befürchten, daß den armen Burschen beim Lesen der dunkelsten Bibelabschnitte (Offenbarung und Sacharjah) der Kopf verrückt worden ist, wie schon sehr vielen Andern. Der Inhalt des Schriftchens ist im Uebrigen unschuldig, die römische Kirche kommt darin am schlechtesten weg, aber weil es keinen Druckfort und auch den Verfasser nicht deutlich genug nennt, mußte die Polizei das Schriftchen sammt den zwei Zeugen konfisziren, was die Leßteren ohne Zweifel in der Meinung ihrer Wichtigkeit noch bestärken wird.

Basler Kirchenzeddel Sonntag den 15. Juli.

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Sechster Jahrgang.

No 29.

Samstag, 21. Juli 1883.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Oecolampad an Futher.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Sehet die Vögel an.

„Sehet die Vögel unter dem Himmel an!“ Als wollt' der Herr sagen: Ihr habt noch nie einen Vogel gesehen mit einer Sichel, der da hätte eingeerntet und in die Scheunen gesammelt; ja die Vögel arbeiten auch nicht wie wir, noch werden sie dennoch ernährt. Damit will aber der Herr nicht, daß wir nicht arbeiten sollen, sondern will uns mit diesem Exempel der Sorg' entnehmen. Denn ein Vogel kann nicht Ackerwerk treiben wie wir; doch ist er nicht ohne Arbeit, sondern er treibet das, dazu er geschaf= fen ist, nämlich daß er Junge zeuge, sie ernähre und singe unserm Herr Gott ein Liedlein dafür. Hätte ihm Gott mehr Arbeit aufgesezt, so that' es auch mehr. Frühe steht's auf, setzet sich auf einen Zweig und singet den Gesang, den es gelernt hat, und weiß von keiner Speise, sorget auch nicht drauf; danach wenn es hungert, so fleugt es dahin und suchet ein Körnlein; da hat ihm Gott irgend eines hingelegt, darauf es nicht gedachte, da es sang, und hätte doch Ursach genug gehabt, daß es für die Nahrung gesorgt hätte. Ei, schämet euch nun, daß die Vöglein frömmer und gläubiger sind denn ihr; sie sind fröhlich und singen mit Freuden, und wissen nicht, was sie zu essen haben.

Wenn du im Lenz, da die Vöglein am hübschesten singen, zu einem sprächest: wie singst du so fröhlich, hast du doch noch kein Getreide in der Scheuer?" es würde deiner spotten. Es ist ein gewaltig Exempel, es sollt' uns wahrlich vor den Kif stoßen und reizen, Gott mehr zu vertrauen, denn wir thun. Darun beschleußt er auch mit einem heftigen Spruch und sagt: „seid ihr denn nicht viel mehr denn sie ?“ Ist das nicht eine große Schande, daß uns der Herr die Vögelein zu Meistern macht und fürhält, daß wir erst von ihnen lernen sollen? Pfui dich des häßli

chen, schändlichen Unglaubens. Die Vögelein thun, was sie sollen, wir aber nicht. Im ersten Buche Mose haben wir ein Gebot, daß wir Herren sind über alle Kreaturen, and die Vögel sollen unsere Herren sein in der Klugheit? Aus mit dem heillosen Unglauben! Gott macht uns zu Narren und seget uns die Vögel vor, daß sie unsere Meister sind und uns regieren sollen, nur daß sie uns anzeigen, wie wir dem Mammon dienen und den rechten, wahrhaftigen Gott verlassen.

Das Uebel, das wir haben, ist unsere Arbeit; wollen wir noch dazu forgen, so thun wir wie die Narren, denn es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage hat.

Wahr ist's, Gott könnte dich wohl ernähren ohne Arbeit, könnte dir wohl Gebratenes und Gesottenes, Korn und Wein auf dem Tische lassen wachsen; aber er will's nicht thun; er will, daß du arbeiten sollst und in diesen Sachen deiner Vernunft gebrauchen. In allen Dingen handelt Gott also, daß er will sorgen und wir sollen arbeiten.

Aus einer japanesischen Predigt.

M. Luther.

Ueber das Leben und Treiben der Völkerschaften im fernen Osten haben wir im Abendland meist noch verworrene und sehr einseitige Vorstellungen. Auch über ihr religiöses Leben. Wer nur die Berichte der von den Missionsgesellschaften dahin entsendeten Missionäre kennt, denkt sich jene Völker als versunken in dummen und plumpen Gößendienst, ihren Kultus als leeren Ceremoniendienst und ihre religiösen Anschauungen als vollständig der Vernunft und dem Gewissen entgegengesetzt. Im Großen und Ganzen mag das vielleicht so sein, aber wie bei uns, so gibt es auch dort Strömungen, Richtungen, Parteien, Glaubensgenossenschaften, welche uns durch ihr freies Denken und ihr sittliches Streben Achtung abnöthigen. So gibt es beispielsweise in Japan Prediger, die sich ebensowohl durch ihre von allem Aberglauben freie Denkweise, sowie durch ein außerordentliches praktisches Geschick in der Verkündigung ihrer Lehre auszeichnen.

Ein Freund, welcher Jahre lang in Japan gelebt hat und der dortigen Sprache kundig ist, schreibt uns: „Es sind in Japan viele Bücher mit Predigten veröffentlicht und viele derselben zeichnen sich aus durch ihren Gehalt. Keine aber von Allen können mit den Predigten des Kin-o-Dowa verglichen werden. Sie wurden von einem Priester geschrieben, welcher der SchingakaSekte angehörte, - einer Sekte, welche behauptet, Alles was in den buddhistischen, confuzianischen und den Schinto-Lehren Ausgezeichnetes sei, zu vereinigen. Ihre Hauptlehre ist die ursprüngliche Güte des menschlichen Herzens

und die Pflicht, den Weisungen des uns eingepflanzten Gewissens zu gehorchen, damit wir auf dem rechten Pfade wandeln.“

Dem genannten Freunde verdanken wir die Uebersetzung einer solchen Predigt; wir wollen aus derselben einige Stellen mittheilen.

Der Text derselben ist ein Ausspruch des chinesischen Philosophen Moschi: „Güte ist das Herz des Menschen; Rechtthun ist der Pfad „des Menschen; welch bedauernswerthe Handlung, das Herz von sich zu werfen und nicht mehr zu wissen, wo es wieder auf"suchen!"

Diesen Text behandelt der Prediger in höchst drastischer und allgemein verständlicher Weise. Er sagt das auch in einer Art Einleitung:

Die Eigenschaft, welche wir Güte, Wohlmeinenheit nennen, wurde zwar schon von manchem Lehrer und Prediger besprochen; aber da diese Erklärungen schwierig zu verstehen sind, so finden sie nicht leicht Eingang in die Ohren des Volkes, der Weiber und Kinder. Von dieser Güte des Herzens will ich nun reden, indem ich Beispiele und Illustrationen einfließen lasse.

Vor langer Zeit lebte in Kioto ein großer Arzt, Namens Jmanodschi; er war ein berühmter Mann. Einst pries nun ein Arzneiverkäufer eine Medizin gegen die Cholera an, die er erfunden hatte, und ersuchte den genannten Arzt, ihm eine Empfehlung dafür zu schreiben. Dieser that, was er begehrte, drückte aber das Wort „Cholera“ auf eine andere Weise aus, so daß es leichter zu behalten und zu verstehen war. Als nun der Verkäufer wieder kam, um ihn zu honoriren und ihn über diese Abänderung befragte, antwortete der Arzt lächelnd: da der Ort, wo du verkaufst, nur ein Vorort der Hauptstadt ist, so sind die Durchreisenden nur arme Bauern und Holzfäller von den Bergen; hätte ich „Cholera“ geschrieben, so wåre das für die Leute ein Räthsel gewesen, darum habe ich einen einfachen Ausdruck gebraucht, der für Jedermann verständlich ist. „Selbst die Wahr: heit verliert ihren Werth, wenn die Leute sie nicht verstehen." Was hat es zu bedeuten, wie ich das Wort „Cholera“ ausdrückte, wenn nur die Wirksamkeit der Medizin dadurch nicht beeinträchtigt wird?

Nun, ist das nicht entzückend? In der gleichen Weise sind die Lehren der Weisen Räthsel für die Weiber und Kinder, die sie noch nicht verstehen. Meine Predigten sind nicht für die Gelehrten geschrieben; ich spreche zu Bauern und Gewerbetreibenden, welche, von ihrer täglichen Beschäftigung stark in Anspruch genommen, keine Zeit zum Studiren haben. Ich habe den Wunsch, ihnen die Lehren der Weisen zur Kenntniß zu bringen, und, um die Gedanken meines Lehrens recht zu verbreiten, will ich meinen Vortrag faßlich und verständlich gestalten, indem ich Beispiele und kleine Er

zählungen einfließen lasse. Ihr müßt aber nicht lachen, wenn ich hie und da eine lustige Geschichte einfüge. Leichtfertigkeit liegt nicht in meinem Sinn; ich will damit nur versuchen, meinen Gegenstand in leicht faßliche Form zu fleiden.

Gut also, die Eigenschaft, welche wir Güte nennen, ist in der That eine Vollkommenheit, und damit hat Moschi das Herz des Menschen gemeint. Wenn wir diese Vollkommenheit in's Praktische übertragen, so haben die Eltern ihre speziellen Pflichten als Eltern, Kinder die speziellen Pflichten als Kinder, Ehemänner die Pflichten der Ehemänner, Weiber diejenigen der Weiber. Nur wenn man seine speziellen Pflichten ohne Fehler erfüllt, erreicht man die wahre Güte und damit das wahre Herz des Menschen.

Zum Beispiel: hier dieser Fächer! Wer immer ihn sieht, weiß, daß es ein Fächer ist und Niemand würde daran denken, sich damit die Nase zu schneuzen. Die spezielle Verwendung des Fächers ist, sich desselben bei ceremoniellen Besuchen zu bedienen oder um durch Oeffnung desselben einen fühlenden Luftzug zu erzeugen; er dient zu keinem andern Zwecke. In derselben Weise dient dieser Lesepult nicht etwa als Ersatz für einen Wandschrank: er wird auch nicht als Kissen gebraucht; somit hat, wie ihr seht, auch ein Lesepult seine speziellen Funktionen, für die wir ihn gebrauchen müssen. Also, wenn ihr eure Eltern, wie es eure Pflicht ist, mit kindlicher Pietät behandelt, so ist das eure spezielle Pflicht als Kinder, es ist die wahre Güte, es ist das Herz des Menschen.

Ich will nun daran gehen, eure Herzen vorzunehmen, wie ein Kaufmann seine Waare vom Schafte herunternimmt, und die guten und schlechten Eigenschaften, die sich zeigen, hervorheben. Aber wenn ihr, was ich sage, nicht auf euch selbst beziehen wollt, sondern in dem Glauben verharrt, daß es irgend Jemand anders, nur nicht euch selbst angehe, so ist alle meine Mühe umsonst.

Hört also! Ihr, die ihr euern Eltern grob antwortet und sie zum Weinen bringt, ihr, die ihr Kummer und Sorge auf eure Gebieter ladet; ihr, die ihr eure Ehemänner zu leidenschaftlichen Ausbrüchen veranlaßt; ihr, die ihr eure Weiber in Trauer versett; ihr, die ihr Sorgen überall in der Welt aussäet, was thut ihr anders, als daß ihr euch in Fächer schneuzt und Lesepulte als Kissen gebraucht? Ich will nicht sagen, daß es solche Leute unter euch gibt, immerhin aber sind deren genug zu finden. Ich habe allerdings nicht die Ehre, mit Jedem von euch persönlich bekannt zu sein; dennoch weiß ich, daß auch eure Herzen von Natur aus gut sind. Der Beweis liegt darin, daß wenn ihr etwas sagt, was ihr nicht sagen, oder thut, was ihr nicht thun solltet, eure Herzen in euch auf geheimniß

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