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freies Christenthum eingefallen sei, damit gegen den deutschen Protestantenverein eine gegensätzliche Stellung einnehmen zu wollen. Vielmehr wünschen die Schweizer nach wie vor die vieljährigen Bande der Geistesgemeinschaft und Freundschaft mit dem deutschen Protestantenverein, dem sie so viel Anregung zu verdanken haben, festzuhalten. Aber zugleich wünschen sie auch, daß das Tafeltuch zwischen dem deutschen Protestantenverein und der kirchlichen Volkspartei nicht zerschnitten werde, gehören ja doch der letztern so viele an, die ihr aus edlen Beweggründen sich angeschlossen haben und nichts anderes wollen, als der deutsche Protestantenverein auch: der guten Sache der evangelischen Freiheit unter dem deutschen Volke zum Siege zu verhelfen. Von denjenigen, welche für geistige Freiheit kämpfen, könne am allerwenigsten verlangt werden, daß sie dies nach einer Schablone thun und sich auf ein gemeinsames Glaubensbekenntniß verpflichten, das ja doch nur wieder zu einer neuen Fessel für die Geister und Gewissen würde, welche sich freuten, von der alten befreit zu sein. In jeder dem Fortschritt huldigenden Partei werden sich dem Geseße der Entwicklung gemäß Fraktionen bilden, welche rascher und weiter vorwärts schreiten wollen, als es vielleicht zeitgemäß und praktisch durchführbar sei, aber diese seien doch nothwendige, weil nüßliche Faktoren, indem sie die Partei vor Stabilismus bewahren, dem wir Menschen ja so leicht anheimfallen. Bei jeder neuen Bewegung schließen sich auch den Edelsten unlautere Elemente an, die aber bald vor dem Geist der Wahrheit wie Spreu vor dem Winde zerfliegen. Darum bitten die Schweizer, die ja vermöge ihrer Verhältnisse in manchen Beziehungen mit der kirchlichen Volkspartei sympathisiren müssen, den deutschen Protestantenverein, jene Partei nicht von sich zu stoßen, sondern mit ihr Waffenbrüderschaft zu halten, sie als seinen linken Flügel zu betrachten, und wenn er mit ihr nicht vereint marschiren wolle, doch mit ihr vereint zu schlagen. -Dann gab der Redner noch eine kurze Schilderung der kirchlich religiösen Verhältnisse der Schweiz und wies mit Befriedigung darauf hin, wie man in einem großen Theile der protestantischen Kirche seines Vaterlandes die heftigsten Parteikämpfe bereits hinter sich habe und Laien und Geistliche der verschiedensten Richtungen sich brüderlich einigen zur gemeinsamen Arbeit an dem sittlichen und materiellen Wohl des Volkes. Er schloß mit dem Wunsche, daß der Geist wahrer christlicher Freiheit und Liebe immer mehr alle Mitglieder des deutschen wie des schweizer. Vereins für freies Christenthum erfüllen möge, jener Geist der Freiheit, der nicht nur eifersüchtig über die eigenen Rechte wache, sondern auch über die Rechte der Andern und sich gegen alle Vergewaltigung dieser wie jener erhebe, jener Geist der Liebe, welcher in dieser das höchste Gebot erblickt und in Jedem einen Bruder erkennt und ehrt, der aufrichtig und treu am Wohl der Menschheit arbeitet und sich „des Volkes erbarmt“. Ihm erwiederte der Präsident des deutschen Protestantenvereins Dr. Schröter aus Berlin mit freundlichen Worten, indem er die vom Ausschuß des Protestantenvereins gegen die kirchliche Volkspartei eingenommene Stellung aus den zur Zeit bestandenen eigenthümlichen politischen und kirchlichen Verhältnissen Berlins rechtfertigte und die Versicherung gab, daß man die Wünsche des Vorstandes des schweiz. Vereins für freies Christenthum bezüglich der kirch

lichen Volkspartei gewiß berücksichtigen und zu einer Versöhnung mit dieser gerne die Hand bieten werde. Eine nachfolgende einläßliche und freundschaftliche Besprechung der Präsidenten des deutschen und schweizerischen Vereins, aus der sich, wie auch aus den Aeußerungen verschiedener hervorragender Mitglieder des deutschen Protestantenvereins außerhalb Berlin, ergab, daß der Konflikt mit der kirchlichen Volkspartei eigentlich doch nur mehr lokaler Natur sei und den deutschen Protestantenverein als solchen wenig berühre, führte zu einer vollkommenen Verständigung und Beseitigung aller Mißverständnisse und dürfte somit dieser „Handel“ als abgethan zu betrachten sein. Wir haben über diese Episode des Protestantentages nur deßhalb so ausführlich berichtet, weil die Angelegenheit früher in verschiedenen kirchlichen Zeitschriften und auch in unserm Blatte zur Sprache gebracht wurde und deßhalb die Erledigung derselben Manche interessiren dürfte. Eine lange Reihe von Reden und Toasten, bald ernster, bald heiterer Natur, abwechselnd mit den vortrefflichen Produktionen des Orchesters und Männerchors, belebten den Abend und machten ihn Jedem unvergeßlich. Es sprachen u. A. der Abgeordnete des protestantisch-liberalen Vereins für ElsaßLothringen, ein Unitarier aus England, der Prediger einer Mennonitengemeinde aus Holland u. s. w. warme Worte. Des Guten wurde nur fast zu viel geboten und als die Uhr auf 12 Uhr wies und der Redestrom noch nicht versiegen wollte, da mochte wohl aus manchem Herzen der Wunsch emporsteigen: „Herr, halte ein mit deinem Segen!" Zum Schlaf blieb uns in Neustaci nicht viel Zeit, denn aus dem Festsaal zu Hause angelangt, mußten wir doch noch ein Stündchen den liebenswürdigen Gastgebern widmen und thaten es so gerne! und Morgens früh 7 Uhr weckten uns Festgeläute und Choral vom Thurme der Stiftskirche aus kurzem Schlummer. Der folgende Tag, der 17. Mai, war vorzugsweise dem Jubiläum des pfälzischen Protestantenvereins gewidmet. Nachdem der Vorstand desselben, Exter aus Neustadt, der sich um die Sache des freien Christenthums in der Pfalz große Verdienste erworben hat und deßhalb auch den ehrenden Titel: „Laienbischof aus der Pfalz“ erhielt (wir hatten die Ehre, ihn leztes Jahr beim schweizerischen Reformtag als Gast in Zürich zu sehen und kennen zu lernen), ein kurzes kräftiges Eröffnungswort gesprochen und Präsident Dr. Schröter den frommen und freien Sinn der Pfälzer, der sich in der Unionsakte von 1818 ein bleibendes Denkmal gesezt habe, gepriesen, hielt Pfr. Höpffner aus Neustadt die Festrede, welche zunächst eine Parallele zwischen den Zuständen der Pfalz und Deutschlands in den Jahren 1858 und 1883 zog und dann die Entstehung und Entwicklung des Pfälzer Protestantenvereins schilderte, der zu einem mächtigen Bunde herangewachsen sei. (Er soll, wie ich vernahm, ca. 17,000 Mitglieder zählen.) Mit begeisterten und begeisternden Worten schloß der Redner seinen interessanten und in Bezug auf die Zeitdauer maßvollen Vortrag. Pfr. Brückner aus Karlsruhe überbrachte dann den Pfälzern in kurzen, herzlichen Worten die Glückwünsche der Gesinnungsgenossen in Baden und nachdem noch der greise Konsistorialrath König aus Speyer gesprochen und Pfarrer Butters aus Zweibrücken einen poetischen Gruß gebracht, folgte ein längerer gedankenreicher Vortrag von Pfr. Richter aus Mariendorf bei Berlin über „die

Arbeit der Reformation." Allen diesen Vorträgen und Reden wohnte ununterbrochen eine zahlreiche Zuhörerschaft, die ich auf 6-800 Personen schäßte, mit gespannter Aufmerksamkeit bei. Dieselbe bestand zum großen Theil aus Bauern, welche aus allen Theilen der Pfalz herbeigeströmt waren, um ihre Anhänglichkeit an die Sache des freien Protestantismus kundzugeben. Manche verstanden gewiß von den mitunter nur allzu gelehrten Reden nicht gar viel, aber im Gefühl, daß es sich da um eine große Sache handle, waren sie doch ganz Aug und Ohr. Man theilte mir mit, daß die gesammte Pfalz vertreten sei und Viele schon Morgens um 2 Uhr haben aufbrechen müssen, um rechtzeitig in Neustadt einzutreffen.

Fortjeßung folgt.)

Ans Genf. Am 20. Mai hat das protestantische Genf sein Konsistorium (Synode) neu gewählt, und zwar das ganze Konsistorium, denn sie wissen dort nichts von der vorsichtigen, lähmenden Halbheit, welche in Basel die Synode alle drei Jahre bloß zur Hälfte erneuert, dagegen den Kirchenrath alle sechs Jahre neu wählt. Das Genfer Konsistorium zählt bloß 31 Mitglieder. Die orthodox-pietistische Partei in Genf ging in den Kampf mit der Losung, sie bringe Frieden und Versöhnung, was in Genf genau so unwahr ist wie in Basel. Auch in Genf wie in Basel schlossen sich dieser Partei viele Freikirchliche und Sektirer an. Ob sie in Genf auch die armen, kranken Spitaler zur Urne führten, erfahren wir nicht. Der große Unterschied zwischen Genf und Basel ist, daß dort die ganze Stadt bloß einen Wahlkreis bildet und nicht nach einzelnen Kirchgemeinden gewählt wird. Es wurden im Ganzen 3509 gültige Stimmen abgegeben. Den Sieg errang die ganze Liste der Freisinnigen, welche die Namen von 21 Liberalen und 10 Orthodoxen enthielt, jedoch mit dem kleinen Mehr von ca. 60 Stimmen. Das neue, zu zwei Dritteln freisinnige Kirchenregiment verbürgt dem protestantischen Genf drei Jahre gedeihlicher Entwicklung und, innerhalb der neuen Ordnung, Freiheit für alle Ueberzen= gungen. Denn auch in Genf wie in Basel sind die Freisinnigen die Friedfertigen, welche Andere ihres Glaubens leben lassen, während es den Orthodoxen (wie das Einer von ihnen in Basel offen gesagt hat) Gewissenssache ist, einen Druck auszuüben. Dieser Druck wird in Genf wie in Basel ausgeübt mit Drohungen und Verdächtigungen, ganz besonders aber mit der Macht, welche das Geld hat in dieser Welt. Es sind fleischliche Waffen. Gott gebe, daß die Freisinnigen als Christen immer mit dem Apostel Paulus sagen können 2. Kor. 10, 4: Die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig vor Gott wider alle Anschläge und Höhe.... Basler Kirchenzeddel Sonntag den 3. Juni.

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Sechster Jahrgang.

No 23.

Samstag, 9. Juni 1883.

Schweizerisches Proteftantenblatt

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr und E. Linder in Basel, Pfr. Bion in Zürich.

Wir sollen nur nicht in Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden
sei an Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere
Person. In Christo allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Oecolampad an Luther.

Erscheint jeden Samstag. Man abonnirt auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes. Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. Wer das Blatt in Basel gratis erhalten will, kann dasselbe in der Buchdruckerei J. Frehner, Steinenvorst. 12, abholen.

Der Kampf gegen die Trunksucht.

Es mag etwas Wahres an der Sage sein: „wenn die Engländer trinken, so saufen sie." Einmal pflegen sie ihr Essen sehr scharf zu würzen. Sie stellen sich und dem Gast zu jedem Fleisch mehrere Saucen und Pfeffer hin, deren einige dem Neuling den Gaumen verbrennen und Visionen vor die Augen zaubern. Wie sie massenhafter Fleisch essen, so schütten sie auch gern viel und scharf nach. Einen gefunden, fauren Wein wie unsern Bendlikoner haben sie zu ihrem Schaden nicht, da kommen bei den Reichen hizige ausländische Weine dran; gegenüber ihrem Pale ale und Stout, das letztere ist schwarz wie Tinte, erscheint unser deutsches Bier unschuldig wie Wasser; für das arbeitende Volk ist auch das starke Bier kaum zu er schwingen, folglich - vielleicht auch wegen des kaltfeuchten Klimas — hält sich die große Masse an allerlei Branntwein, vor Allem den Brandy, welcher in Quantitäten vertilgt wird, die bei uns unerhört sind. Gemüthlich plaudernd trinken, die Poesie des Trinkens, kennen sie nicht, das sieht man besonders an den Bars, wo Männer und Frauen stehend schnell und viel hinunterstürzen. So mag denn eben auch vom Trinken gelten, daß über dem Kanal Alles sich energischer und machtvoller äußert, auch die Verheerung des Alkoholismus. Glaubwürdige Kaufleute, die oft mit Geschäftsfreunden in England soupirter, versichern ja, es sei ihnen gar nicht selten vorgekommen, daß ihre Gesell,chaft nach wenigen Stunden Stück für Stück unter den Tisch sank.

Wie die Krankheit arg, so ist nun auch das Heilmittel radikal. Ez gibt dato im englischen Volk keine so großartige und tiefgreifende Bewegung wie die Temperance. Das Wort bedeutet freilich bloß Mäßigkeit, aber in der Sache handelt es sich um völlige Enthaltung von allen alkoholi

schen Getränken. Wir fragen uns natürlich als kluge Leute, warum sich die Bewegung nicht begnüge, auf Mäßigkeit im Genuß der geistigen Getränke hinzuarbeiten, und die Antwort lautet: weil der praktische Engländer sich auf Erfahrung stützt und diese Erfahrung ihn lehrt, es falle dem Trinker weit schwerer, statt 8 Glas blos 2 Glas zu leeren, als sich gänzlich zu enthalten; denn wenn er 2 Glas im Leib hat, empfindet er eine behagliche Wärme, fängt es ihm gerade an wohl zu werden wie in der „guten alten Zeit“, und diesem füßen Gefühl schickt er dann in der Regel die 6 übrigen Glas nach, und dann — hat es ihn wieder. Also lautet die Parole der englischen Temperance: gänzliches Entsagen, und der Name teetotaler, den die Freunde dieser Bewegung bekommen, hat folgenden komischen Ursprung. Bei der Gründung des ersten Vereins dieser Art, so erzählt . Funke, hielt ein stotternder Mann die hauptsächlichste Empfehlungsrede. Er wollte sagen, man müsse sich der Alkohole totaliter enthalten, brachte das Wort aber nur stotternd heraus tee-tee-teetotally, daher die Benennung teetotaler, welche also nicht etwa sagen will: totale Theetrinker oder etwas dergleichen, sondern von Wein, Bier und Brandy sich total Enthaltende.

Von ganz kleinen Anfängen wuchs die Bewegung so sehr ins Große, daß ihr jetzt ein paar Millionen Männer und Frauen aus allen Ständen, sogar Kinder durch ihre Unterschrift verpflichtet sind. Wer heute eine englische Zeitung zur Hand nimmt, kann darin fast täglich von neuen Versammlungen lesen, in denen gewöhnlich eine Persönlichkeit von hohem Stand, Mann oder Frau (die Frauen reden und handeln, stimmen und wählen bei olchen Werken tapfer mit) die Aristokratie engagirt, in diesem Kreuzzug gegen die Trunksucht das Panier voranzutragen. In dieser Sache stehen Freifinnige Schulter an Schulter mit Hochkirchlichen, Papisten und Methodisten, obschon die letztern das Lied angestimmt haben und von den vornehmen Hochkirchlichen zuerst verlacht worden sind. Die englische Art, sich selbst zu helfen, und eine gewisse Neigung zum derben, energischen, starrköpfigen Handeln spricht deutlich auch aus diesem gewaltigen Unternehmen heraus. Bei uns zu Land regnet es ja auch Klagen, und leider nur allzu berechtigte, gegen die Verheerungen der Trunksucht; in manchem Großen Rath sinnen und disputiren die Weisen über das beste Gesetz dagegen; gemeinnüßige Gesellschaften beleuchten das Uebel von der Wurzel bis zur Krone auf das Vortrefflichste; aber nach den grausigen Schilderungen des Elends, das Wein und Bier und Schnaps anrichten, trinken sie am Bankett in allen Ehren und mit dem besten Gewissen von der Welt zuerst eine Flasche Ordinäri, dann eine ditto Ehrenwein und zum Beschluß den Cafe mit Cognac.

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