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Dann freu ich mich: noch ist nicht ganz verloren
Des Schöpfers Bild in dieser Sünderwelt,

Noch werden Kinder unserm Gott geboren,

Wie frischer Thau auf morgenrothem Feld;

Wer weiß wozu dies Kindlein sei erkoren?

Ob's ein Prophet vielleicht, ein Zukunftsheld?

Denn Gottes Geist will noch in viel Gestalten
Die Fülle seiner Herrlichkeit entfalten.

Von unten oder von oben?

Gerok.

„Die Reformer kennen eben durchaus keine göttlichen Wunderwirkungen ‚und Gnadengaben, überhaupt nichts von oben Kommendes; nach ihnen „kommt alles von unten, durch natürliche Entwicklung, aus eigenem Denken „und Thun!" So ungefähr wurde lezthin in offizieller Versammlung behauptet. Man liebt es auf orthodoxer Seite, bei jeder Gelegenheit den Gegensatz zwischen der altkirchlichen und der modern-freisinnigen Anschauung vom Christenthum in schroffster Weise auszusprechen. Man thut so, als ob wirklich nur ein Gegensatz, keineswegs aber eine Gemeinsamkeit in wesentlichen Dingen vorhanden wäre; man liebt es, gerade auf die Vorstellungs- und Ausdrucksform allein Gewicht zu legen und zu vergessen, daß der Wahrheitsgehalt, der sich in so verschiedene Formen und Begriffe hüllt, oft genau derselbe ist. So ist es namentlich in Bezug auf den Grundgedanken des Christenthums, nämlich die „Versöhnung mit Gott“ (wie die Orthodoxen sagen) oder (wie wir uns ausdrücken) die religiöse Entwicklung und Bildung des Menschen. Kommt sie von oben oder von unten, von außen her oder von innen?

Es trifft sich gut, daß die Hauptfestzeit der Christenheit, das Fest der Versöhnung mit Gott und der Auferstehung, in die Frühlingszeit fällt. Die Natur bietet uns in dieser Zeit selbst die beste Belehrung über unsere Frage.

Welch ein Leben und Weben in dieser Zeit! Was todt schien, wird lebendig, was vom Winterfrost gebunden und erstarrt war, sprengt die Riegel des Grabes; die härteste Rinde vermag nicht die Knospen zurückzuhalten, die unter ihr verborgen liegen, der schwerste Stein muß weichen, wenn die zarten, aber unwiderstehlichen Schosse unter ihm hervor an's Tageslicht wollen! Allüberall regt sich kräftiges Leben, Wachsen und Blühen! Das Alte ist vergangen und siehe, es ist Alles nen geworden!

heimnißvollen Vorganges in's Auge faßt. Wer aber einseitig ist und nur die eine Ausdrucksweise als die allein richtige betont und dann naturgemäß übertreibt, der reißt auseinander, was Gott zusammengefügt hat und bietet Todtengebeine statt frischem Leben.

Die Zukunft der Religion.

(Nach F. Pécaut, le christianisme libéral et le miracle.)

II.

L.

Gewiß, es ist eine schwierige Aufgabe, die Menschen zu einer freien, innerlichen, lebendigen Frömmigkeit heranzuziehen. Die Menschen sind ja außerordentlich verschieden von einander; die religiösen Eindrücke sind bei den einen stärker, bei den andern schwächer, das Innenleben der einen ist feurig und empfänglich, dasjenige der andern nüchtern und wenig erregbar; der eine neigt sich mehr zum praktischen Leben, der andere mehr zu beschaulicher Betrachtung. Außerdem ist ja auch der Eifer und sind die Mittel, mit welchen an jener religiösen Aufgabe gearbeitet wird, sehr ungleich und demgemäß auch der Erfolg ein sehr verschiedenartiger. Der Mensch ist überhaupt unter der Herrschaft der freien religiösen Ueberzeugung fein anderer als unter der Herrschaft des Autoritätsglaubens; er ist hier wie dort derselbe mit seinen schwachen und starken Seiten, mit seiner mannigfaltigen Geistes- und Gemüthsbeschaffenheit Aber darin besteht ein großer Unterschied, daß die Religion der freien persönlichen Ueberzeugung auf das geistige Wachsthum Aller einen großen Einfluß ausübt. Wenn man also zweifelt an einer volksthümlichen und allgemeinen Wirkung der freien Religiosität, so heißt das bezweifeln, daß die Menschennatur für die religiöse Wahrheit geschaffen sei, oder, was dasselbe, daß die religiöse Wahrheit sich für die menschliche Natur eigne. Wenn die Religion nur unter derjenigen Bedingung bestehen kann, daß sie auf Priester- oder Schriftautorität gegründet ist, wenn sie nicht durch sich selbst und in einfacher, allgemein menschlicher Gestalt wirken und gedeihen kann, dann allerdings hat sie keine Stelle mehr in der Zukunft der Menschheit, dann muß man allerdings zugestehen, daß es für die große Menge keine andere Zuflucht mehr gibt als der blinde Aberglaube.

Aber warum doch von der großen Menge" reden? Wo ist sie? und wo ist sie nicht? In der alten Welt konnte man allerdings einen Unterschied machen zwischen Weisen und Volk, zwischen Freien und Sklaven; man konnte damals in geringschätziger Weise glauben, daß für das Volk, für Sklaven eine Religion gut genug sei, welche die Philosophen mit Abschen von sich wiesen; es bestanden eben zwischen der einen und der andern unübersteigliche Schranken. Aber heutzutage, wo die soziale und staatliche Gleichheit zu unserer Lebensweise gehört, heutzutage, wo Jedermann liest und reist, wo die wichtigsten Angelegenheiten in möglichst faßlicher Weise auch dem Ungebildetsten zugänglich gemacht werden; heutzutage, wo die all

gemeinen Vorstellungen und Begriffe in allen Klassen ungefähr dieselben sind, wie kann man uns da noch davon reden, daß für die Großzahl der Menschen ein blinder Autoritätsglaube nöthig, eine freie Ueberzeugung aber nur für einige Wenige möglich und passend sei? Es ist mit der menschlichen Gesellschaft wie mit einer Flüssigkeit; die Oberfläche, wenn auch beunruhigt, gleicht sie sich doch bald wieder aus und bildet ein gleichmäßiges Niveau. Das was durch die Gebildeten einmal als falsch erkannt ist, kann heutzutage nicht mehr lange bei den Ungebildeten als wahr gelten. Die Zweifel, welche nach jeder Richtung hin das System der alten Lehre erschüttert und aufgelöst haben, haben sich überallhin verbreitet, und höchstens da kennt man sie noch nicht, wo die Menschen in vollständiger geistiger Trägheit befangen sind. Man kann heute gar nicht mehr unterscheiden zwischen einem groben, höchstens noch mit einem verächtlichen Aberglauben gemischten Unglauben und zwischen einem vernünftigen gebildeten Glauben. Das Volk nimmt an den Fortschritten der Philosophie und der Theologie so gut Theil wie an den politischen Bewegungen; die einzige Frage ist nur noch die, ob es davon Nußen oder Schaden nehme, und wie man es dazu anleiten kann, zu seinem Nußen daran Theil zu nehmen.

O daß wir doch ein größeres Zutrauen zur Wahrheit hätten! Daß sie doch mit ihrer Kraft eingedrungen wäre in unser innerstes Wesen, bis dahin, we sich in uns die heiligen Entschlüsse und die unwiderstehlichen Ueberzeugungen entwickeln! Dann würden wir nicht mehr an ihrer alles beherrschenden Kraft zweifeln und nicht mehr würden wir uns im Kampf für dieselbe von diesen und jenen nebensächlichen Bedenklichkeiten leiten und beirren lassen. Gott sei Dank, die Geschichte ist voll von Beweisen davon, was heldenhafte Menschen ausrichten können, wenn sie, unbeirrt durch die herrschenden Gewohnheiten oder die Unwissenheit der Menge, sich an nichts hielten als an die Wahrheit, dieselbe predigten öffentlich und in der Wüste, und wie solche Menschen dadurch dem Gang der menschlichen Dinge durch ihren Glauben eine andere Richtung gegeben haben. Plato und Cicero waren, wie man weiß, sehr stark von der Meinung durchdrungen, daß die große Menge zum Verständniß und zur Ausübung einer geistigen nur für die Weisen bestimmten Religion unfähig sei; wie wenig ahnten sie die Nähe der Zeit, wo Vornehme und Geringe, Sklaven und Freie, Gelehrte und Ungelehrte, Griechen und Barbaren sich aufrichtig und mit vollster Ueberzeugung als Brüder anerkannten und dieselbe religiöse und sitt= liche Lehre empfingen, wo der wahre Gott, ehedem so schwer zu erkennen und zu benennen, einem Jeden bekannt und gleichsam ein vertrauter Freund geworden! Hätte Jemand dem gelehrten Philosophen von Athen, dem berühmten römischen Staatsmann so etwas kühn vorausgesagt, ihre Antwort darauf wäre nur ein ungläubiges Lächeln gewesen. Und dennoch kam das Christenthum und führte, unterstützt von der vorbereitenden geistigen Entwicklung in Griechenland und Rom, ganz neue religiöse Ideen und neue sittliche Grundsäge in die Welt ein; es begnügte sich nicht damit, das Wissen aufzuklären, sondern es machte auch die Charakterbildung zu einer allgemeinen Angelegenheit; durch das Christenthum gelangte das Volk zu einem höhern edlern Leben; die göttliche Thorheit Jesu und des Apostels

Kommt das von unten oder von oben? Wir können sagen: von unten! Natürlich, denn was da in reicher Fülle aus der Erde hervorbricht, das ist Alles schon im Keime darin gewesen. Keine Blüthe ent faltet sich, ohne daß sie vorher als unentwickelte Knospe vorhanden ge= wesen; keine Quelle bricht aus der Erde hervor, ohne daß sie vorher im dunklen Schooß derselben geruht hätte; kein Schmetterling feiert seinen Ostertag, ohne daß er als Larve seine Zeit im Winterschlaf gelegen hätte, Alles von unten, Alles natürliche Entwicklung, Alles nur Produkt dessen, was als Kraft und Keim schon vorhanden war!

Und doch auch wieder Alles von oben! Denn wie sollte das Alles werden und wachsen und blühen ohne den warmen Sonnenschein von oben und die linden Lüfte von außen her? Wie sollte die harte Eisdecke krachen und die langverhaltene Quelle sprudeln ohne diesen stillen, aber mächtigen Sonnenstrahl? Wie kann sich Feld und Wald beleben, die Blumen sich mit ihrem Farbenglanz schmücken ohne das Licht vom Himmel? Im starren Frost bleibt ja Alles todt, im winterlichen Dunkel Alles bleich und fahl. Also Alles von oben, Alles Produkt der Sonne, der Erdbeden nichts anderes als das leere Gefäß, in das der Himmel alle seine Segnungen ausschüttet!

Scheint es nicht so? - Aber Jedermann wird sagen, es sei ja beides wahr, es seien diese beiden Behauptungen einseitig übertrieben, zu Gegensägen gestempelte Elemente eines und desselben Vorganges, und beide zusammengenommen seien doch nichts anderes als ein Werk der ganzen großen einheitlichen heiligen Natur, die immer von zwei Seiten her arbeitet, die immer durch das Zusammenwirken von zwei Kräften neue Gestalten schafft und das Alte, Abgelebte, Erstorbene auferstehen läßt zu neuem, frischem und gesundem Leben.

Und genau so wie mit diesem Leben und Weben der Natur verhält es sich mit dem geistigen Leben des Menschen, mit seinem Wachsthum und seiner Bildung.

Kommt da nicht Alles von unten herauf und von innen heraus, durch natürliche Entwicklung und Entfaltung der Anlagen, Fähigkeiten, Triebe und Neigungen, welche keimartig in jedem Menschenkinde schlummern ? Wenn schon in der materiellen Natur ein wunderbares Eingreifen undenkbar ist, so ist ein solches im Geistesleben noch viel weniger möglich. Es kann dem Menschen nichts eingepflanzt werden, ohne daß eine Fähigkeit vorhanden wäre, die befruchtet, angeregt wird und sich entfaltet. Die größten und frömmsten Menschen sind das, was sie waren, nicht durch Wunder von außen und oben her geworden, sondern durch naturgemäße

innere Entwicklung. Was an heiligen Wahrheiten wir besigen, ist niemals durch eine himmlische Stimme fertig verkündet worden, sondern mühsam errungen und erforscht von tiefblickenden Menschen. Also Alles von unten!

Und doch auch von oben. Allerdings nicht aus einer Wunderwelt, wie die alte Zeit sie geträumt. Aber es steht jeder Mensch mehr oder weniger unter dem Einfluß seiner Zeit und dessen, was vor ihm schon an allgemeiner Erkenntniß und Sittlichkeit vorhanden ist. Das Kind wird beeinflußt durch die Erfahrungen und Anschauungen seiner Eltern; der Schüler schöpft aus dem Schaße, den ihm der Lehrer eröffnet; jedes Glied der menschlichen Gesellschaft steht auf den Schultern seiner Vorfahren und empfängt, was diese gesucht und gewonnen haben, als ein geistiges Erbe, das er seinerseits durch neue Arbeit wieder bereichert. Ja, die höchste und schönste Thätigkeit des menschlichen Lebens: die warme lebendige Liebe zu den Mitmenschen, das Schaffen und Opfern, das Dulden und Entsagen für Andere, das Vergeben und Segnen, es ist mehr oder weniger geschöpft aus dem Liebesfinn und den Liebeserfahrungen, die vor uns schon vorhanden waren und auf uns eingewirkt haben. Das ist der Sonnenschein im geistigen und sittlichen Leben, die linden Lüfte, die unser inneres Leben befruchten und entwickeln. Also doch auch von oben!

Aber es gehört ja das Alles eben auch zusammen zu einer großen heiligen Einheit;

von oben Liebe, die lang gelockt,

von unten Triebe, die lang gestockt,

so ist's auch hier wieder ein Zusammenwirken von Empfangen und Hervorbringen, von eigenem Thun und äußerm Einfluß, der ewige Pendelschlag von Aktivität und Passivität, ohne den es kein materielles und kein geistiges Leben gibt.

Die Gelehrten haben die Gewohnheit, das was im Leben beisammen ist, in ihren philosophischen und theologischen Werken begrifflich zu trennen. Darum hat auch diese Frage, ob das religiöse Leben des Menschen eigenes Verdienst oder Gottes Gnadenwerk sei, in der Christenheit von jeher die größten Streitigkeiten hervorgerufen. Wir wollen dieselben nicht heraufbeschwören. In der Bibel ist beides neben und mit einander ausgesprochen. Da heißt es z. B.: „Schaffet, daß ihr selig werdet"; und daneben doch auch: „Gott ist es, der in euch wirket, beides das Wollen und das Vollbringen." So heißt es ferner: „Bekehret euch zum Herrn", und doch wieder: „Bekehre du mich, so bin ich bekehrt!" Es ist eben Beides eins und dasselbe, je nachdem man das eine oder das andere Element des ge

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