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entwickelte. Schon im fünften fränkischen Capitulare vom Jahre 806 wird (c. x) von den Bettlern gesprochen, welche durch die Lande ziehen, wobei denn jedem Getreuen von Königs wegen befehlen wird, seine Armen zu Hause und zur Arbeit zu halten, und durchaus nicht zu leiden, daß sie anderswo hingehen, um zu betteln. Dieselbe Bestimmung wird in den Capitularien Karl's des Großen (c. 118) wiederholt; auch werden in c. 256 des lib. 5 die Machthaber dringend von allem und jedem Druck der armen freien. Leute abgemahnt, um diese nicht verkümmern zu lassen und nicht Bettler, Räuber und Uebelthäter aus ihnen zu machen. 1) Sehr interessant ist c. 45 des Capit. Franc. primum incerti anni. 2) Es ist die erste und älteste Stelle, welche das Auftreten von Gaunern unter der Maske von Händlern auf deutschem Boden erwähnt. Die Stelle lautet etwas dunkel:,,Ut mangones et cociones et nudi homines qui cum ferro vadunt, non sinantur vagari et deceptiones hominibus agere.") Sie wird aber durch c. 34 der Appendix prima zum lib. 4, capit. C. M. 4) deutlich, wo es heißt:,,Ut isti mangones et cotiones, qui vagabundi vadunt, per istam terram non sinantur vagari et deceptiones hominum agere; nec isti nudi cum ferro, qui dicunt, se data poenitentia ire vagantes. Melius videtur, ut si aliquod inconsuetum et capitale crimen commiserint, in uno loco permaneant laborantes et servientes et poenitentiam agentes secundum quod canonice sibi impositum sit." 5) Unter mangones sind

1) Daffelbe findet sich auch in c. 282, lib. 6.

2) Peter Georgisch,,,Corp. Jur. Germ. Ant.", S. 789.

3) Kurz vorher, Kap. 40, heißt es:,,Ut nemo sit qui ariolos sciscitetur vel somnia observet, vel ad auguria intendat, nec sint malefici, nec incantatores, nec phitones, nec cauculatores, nec tempestarii vel obligatores. Et ubicunque sunt, emendentur vel damnentur.

4) Bei Georgisch, S. 1391.

5) Noch deutlicher ist c. 379, lib. 6, capit. C. M., wo die Stelle ergänzend wiederholt wird:,, Item ut isti mangones et isti cociones, qui sine omni lege vagabundi vadunt per istam terram, non sinantur vagare et deceptiones in hominibus agere; qui nudi cum ferro dicunt alicubi datam

Hausirer, Tabuletkrämer, Olitätenhändler zu verstehen; coliones ist ziemlich dasselbe, jedoch wird es schon von Plautus im verächtlichen Sinne und geradezu als gemeines Schimpfwort gebraucht. Beachtenswerth ist der schon hier vorkommende Vorschub der kirchlichen Pönitenz, welcher von jezt an bis zur Erscheinung des Liber Vagatorum fast durchgehends bei allen Vaganten, auch den Zigeunern, wie oben gezeigt ist, als Deckmantel gaunerischen Umhertreibens gebraucht wird.1) Daß aber unter jenen Hausirern sich auch Juden befunden haben, geht aus dem fünften fränkischen Capitulare vom Jahre 806, c. 5, De thesauris ecclesiasticis, und c. 117, lib. 1, Capit. C. M. eod. tit. hervor, wo die Bischöfe, Aebte und Aebtissinnen zur sorgfältigsten Aufsicht auf die Kirchenschäße aufgefordert werden, damit nicht gewissenlose und nachlässige Wächter von den Edelsteinen oder Gefäßen etwas verkauften; denn die jüdischen und andere Handelsleute thäten groß damit, daß sie von jenen kaufen könnten, was ihnen beliebte".

Sieht man also schon unter den Merovingern und Carolingern das Vaganten- und Gaunerwesen sich begründen und ausbilden, so findet man unter den sächsischen Kaisern eine sehr große und rasche Zunahme desselben. Mit der Erbauung der Städte und deren gemeinheitlicher Einrichtung steigerten sich die Lebensbedürfnisse im gleichen Verhältnisse wie auch die Cultur vorwärts ging. Die Zahl der Handwerker namentlich wuchs außerordentlich rasch in den Städten. Zünfte wurden jedoch erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts errichtet. 2) Die Handwerker, welche im 11. Jahrhundert in die Städte gezogen wurden, waren meistens flüchtige Knechte 3), die dort mit der Freiheit auch mancher

sibi poenitentiam vagantes discurrunt. Melius enim videtur, ut si aliquid inconsuetum etc.

1) Bezeichnend ist auch die Ableitung des Wortes Bettler, von beten, bitten (bedeler, bede).

2) Die ersten Zünfte waren die der Tuchscherer und Krämer zu Hamburg 1152 und der Gewandschneider zu Magdeburg 1153. Vgl. Ortloff, Necht der Handwerker“, S. 43.

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3) Schon bei den Burgundern (Lex Burg., tit. 31, 2) und bei den

lei Vorrechte erhielten, sodaß ihre jeßige Lage gegen ihre frühere verachtete1) und abhängige Arbeit und Stellung als eine sehr glückliche erschien, namentlich da sie nach Einrichtung der Zünfte nun auch förmlich von der Knechtschaft befreiet2) wurden und Bürgerrechte erhielten. Diese günstige Aufnahme verleitete eine Menge Knechte zur Flucht, um ihre unfreie und verachtete Stellung gegen die eines freien Bürgers zu vertauschen. Die Entweichungen nahmen massenhaft zu, und wenn auch die Städte zu ihrer Aufnahme stets bereit waren, so konnte doch auch eine bedeutende Zahl, theils ihrer innerhalb der städtischen Mauern nicht zu betreibenden Hantierung (z. B. Müller, Gerber, Bäcker u. s. w.), theils ihrer sittlichen Verwilderung wegen, kein Unterkommen finden, und mußte sich entweder in der Nähe der schüßenden Städte 3) niederlassen oder auf dem Lande umherstreifen, und sich, um das Leben zu fristen, auf Wegelagerei und Räuberei werfen, wozu der Adel auf dem Lande das traurigste Beispiel gab. Das Faustund Fehderecht ist ein bedenkliches Symptom der Anarchie, in welcher Deutschland sich schon seit dem 11. Jahrhundert befand,

Alemannen (L. Alam., 29, 7) wird der Knechte als ausschließlicher Handwerker erwähnt. Auch im Capit. C. M. de villis 45 wird den Richtern zur Pflicht gemacht, für eine ausreichende Anzahl tüchtiger Handwerker in ihrer Dienerschaft zu sorgen: Eisen, Silber, Goldarbeiter, Schneider, Schuster, Böttcher, Zimmerleute, Harnischmacher, Fischer, Vogelfänger, Brauer, SeifenFieder, Bäcker, Nezmacher u. dgl.

1) Der Bischof Otto von Freifingen († 1158) bezeichnet in seiner ,,Chronik zum Jahre 1154′′ die zünftischen Beschäftigungen als artes contemtibiles.

2) Ein solches Beispiel findet man bei Ortloff, a. a. D., S. 47, aus Meibom,,, Scriptores rerum germanicarum", III, 205, citirt:,, Otto strenuus primum 1214 cives a servitute, quae tum temporis in hisce regionibus nondum absolverat, emancipatos, liberos scripsit."

3) Die häufigen und ernstlichen Klagen der Fürsten, Grafen und Freiherren über das viele Entweichen ihrer Unterthanen veranlaßte den Kaiser in der,,Güldenen Bulle“, §. 17, die Bestimmungen über die,,Phalbürger“ zu geben freilich mit wenig Erfolg —, nach welchen die Aufnahme eines ausgetretenen Unterthans in die Städte an den Landesfürsten mit 100 Mark Goldes geahndet werden sollte.

und ein betrübender Beweis von der Machtlosigkeit des kaiserlichen Ansehens und der Rechtspflege. 1) Dem räuberischen Adel waren solche herrenlose Knechte, die nichts zu verlieren hatten, willkommene Raubgenossen. Die Landstraßen waren so schlecht wie unsicher, und boten dem an ihnen in Wald und Thal lauernden Gesindel treffliche Gelegenheit zu Hinterhalten. 2) Das räuberische Contingent wurde immer weiter vergrößert durch Fahrende Priester, Fahrende Weiber 3), Fahrende Kirchen- und Schul

1) Bemerkenswerth ist die Friedensverkündigung im,, Sachsenspiegel", lib. 2, art. 66, vgl. mit lib. `2, art. 67, 71, 72.

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2) Ueber Bestrafung des Diebstahls vgl. „, Sachsenspiegel", lib. 2, art. 13; lib. 2, art. 50 u. 64, und die Gloffe dazu.

vor.

3) Die Fahrenden Töchter und Frauen kommen schon im 13. Jahrhundert In baseler Urkunden trifft man schon 1293 auf einen Frauenwirth Burchard von Esch. Ebenso findet man unmittelbar innerhalb des Thores zu Spalen in Basel 1380,,offener Häuser der Fro Vrenen" erwähnt. Im Jahre 1384 verordnete der baseler Nath, daß alle Frauen, welche Fahrende Frauen und Töchter halten, von denselben nicht mehr als den dritten Pfennig nehmen sollten in allen Sachen. Der Nath ging aber bald darauf so weit, daß er den Frauenwirthen,,Hüslin kaufte oder verlich, da die hübschen Frawen infigen", und dieselben in baulichem Stande auf seine Kosten unterhielt. Erhielt ein Frauenwirth solches geliehen, so hatte er dem obersten Rathsknecht ein paar Hosen zu geben oder einen Gulden und alle Jahre einen Lebkuchen zum guten Jahre“. Vgl. D. Fechter,,, Basel im 14. Jahrhundert“ (Basel 1856), S. 115 fg. Die Liederlichkeit stieg immer höher, namentlich im 15. Jahrhundert. Während des Kostnißer Concils befanden sich gegen 1400 liederlicher Weibsbilder in Konstanz. Ulrich von Reichenthal, der (in seinem sehr selten gewordenen Buch: Das Concilium / So zu Constanz gehalten ist worden / des jars da man zalt von der geburdt vn- /sers erlösers 1413 Jar. Augspurg, durch Heinrich Styner, 1536") sehr merkwürdige Züge vom Kostniger Concil mittheilt, erzählt unter Anderm, fol. 25:,,Es ist auch zu wissen, das alsvil spacierents was vonn Costen inn das Aichorn, vnd anderstwahin, das man inn dem Aychern guten erbern weyn schenckt, ein maß vmb vier vnd fünff pfenning, vnd fand man darinn allerley spyl vnd vil gemeyner Frawen.“ Von diesen,, gemeynen Frawen“, vou welchen sich 1400 zum Concil eingefunden hatten, verdiente eine einzige Dirne (fol. 241) nicht weniger als 800 Goldgülden. Schon um dieselbe Zeit gab es in Wien, Regensburg, Nürnberg, Lübeck, Mainz u. s. w. Frauenhäuser (Amyenhäuser) aus denen Gebühren bezahlt wurden. Ja, die Päpste zu Avignon scheuten sich nicht, von der Verworfenheit ihre Revenüen zu ziehen. Baluz,,, Vitae paparum Avenionensium",

lehrer, wandernde Handwerksgesellen, Marktschreier und Taschenspieler. Die vielen gerichtlichen Ehrlosigkeitserklärungen, welche die Verurtheilten aus der menschlichen Gesellschaft hinausstießen und zur Verzweiflung und zum Verbrechen trieben, verstärkten die verbrecherische Masse. Dazu kamen die vielen Landesverweisungen, durch welche die gefährlichsten Subjecte von dem einen Landesherrn weggewiesen wurden, um bei dem andern neue Unthaten zu verüben; ferner das Umherstreifen der nach den vielen Fehden entlassenen Soldaten 1), die gleich dem Adel auf eigene Hand vom Stegreif oder Sattel lebten und sich auf die Reiterei legten. Das Verbrechen war offene Gewalt und wich nur der jedesmaligen überlegenern Gegengewalt. Die kaiserlichen Landfrieden, selbst des mannhaften Friedrich I. von 1158 und später von 1281, 1303, waren nur Transacte der Schwäche mit der immer unaufhaltsamer wachsenden rohen unbändigen Gewalt. 2)

I; 810, Note; Hüllmann,,,Städtewesen des Mittelalters", IV, 264. Mich. Sachse erzählt sogar,,Praef. Annal. pronub.", daß noch 1542 zu Rom durch die päpstlichen Beamten die Abgabe von 45,000 Dirnen erhoben wurde. Eine unerhörte Frechheit ist das Bittschreiben der Töchter im Frauenhaus zu Nürnberg an den Nath, im Jahre 1492, wider die Eingriffe der Winkeldirnen, wobei die Supplicantinnen bitten:,, Uns arme dermassen, und von alter Herkommen Recht und Sitt ist zu halten." Sie findet sich abgedruckt bei Malblank,,,Geschichte der Peinl. Gerichtsordn. Karl's V.", S. 50. Unter den ,,Fahrenden und Sprechern", Gaucklern u. s. w., wird auch schon 1362 zu Basel Nikolaus Beheim genannt, der sogar bis Skandinavien zeg. Als Possenreißer im Neden und Singen traten auch in Menge die,, Lotter“ auf, und schon 1313 findet sich der Name der noch heute sogenannten Lottergasse zu Basel. Fechter, a. a. D.

1) Seit der Vorschrift des §. 7 der,, Reform zu Frankfurt von 1442" wimmelt es in den Reichsgesehen von Bestimmungen gegen das Umherziehen reyssiger Knechte, obschon in den wichtigen Vorschriften des Reichstagsabschiedes zu Augsburg von 1500 (tit. 53-83), die stehenden Söldner eingeführt und eine Menge gefährlicher Subjecte dadurch von den öffentlichen Wegen und Stegen entfernt wurden. Die Erfindung des Schießpulvers war ein bedeutender Anlaß, daß das edle ritterliche Wesen aus der Kriegsführung rasch verschwand und durch Elemente aus den niedrigsten Volksschichten ergänzt

wurde.

2) Nur mit Erstaunen und Unwillen kann man in Wächter's herr

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