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Philister, womit der Student jeden Nichtstudenten bezeichnet. Dann aber auch bedeutet wittisch speciell den linkischen Menschen, beschränkten Kopf, auch den unbrauchbaren, ungeschickten Gauner selbst, wovon Wittscher Kaffer, Wittstock, Dummkopf, Witt scher Masser, ein dummer Gauner, dessen Verrath zu fürchten ist u. s. w. Die Ableitung vom niederdeutschen witt, weiß, weise, flug, wovon z. B.,,de witten Wyver", Heren, Wahrsagerinnen 1), oder von dessen Derivatum wittig, wißig, vere ständig, wie z. B. im Hamburger Stadtrecht die zur Rathswahl zu berücksichtigenden klügsten Bürger de wittigsten" genannt werden, scheint, wenn auch die Gaunersprache sich in ironischen Bezeichnungen überaus gefällt, doch gesucht. Die Ableitung vom hebräischen 28, itter (vone, attar, verschließen, beschränken, mit dem charakteristischen 7, W-itter, der Verschlossene, Gebundene Beschränkte an Hand und Zunge), welches ganz in das JüdischDeutsche übergegangen ist, mit der Bedeutung eines Menschen, welcher sich nicht der rechten Hand bedient, sondern nur links oder linkisch ist, scheint mehr Natürlichkeit und Wahrscheinlichkeit zu haben. Das Nähere über die allgemeine technische Terminologie sehe man im dritten Abschnitt, Kap. 35.

Drittes Rapitel.

C. Die Elemente des deutschen Gaunerthums.

Das Gaunerthum ist aus dem Bettlerthum entstanden. Das alte Heidenthum kannte das eigentliche Bettlerthum nicht, weil es die Sklaverei hatte, und somit in der socialen Abschichtung

1) Richey,,,Hamburger Idiotikon", S. 343. So fagt der gemeine Mann · von einem Kranken, den er für verhert hält, „de witten Wyver heft em ünder" (die Heren haben ihn nieder, plagen ihn),

des Heidenthums es nur Herren oder Sklaven gab, für welche lettere die erstern sorgten. Erst infolge der Sklavenemancipation ist überhaupt der Pauperismus entstanden, und in dem Verhältniß, wie jene sich mehrte, vergrößerte sich auch dieser. 1) Das Christenthum, welches die heidnische Sklaverei verwarf, vermehrte das Bettlerthum, je bestimmter es der Sklaverei entgegentrat und aus versorgten Sklaven freie besiglose Menschen machte. Treff lich sagt Granier de Cassagnac 2):,,Le paupérisme ne s'est introduit que par suite de l'émancipation des esclaves et tout concourt à établir positivement que cette émancipation a été fort récente. On trouve bien dans les poëtes primitifs, comme Moïse, Homère, Hésiode, qu'il est fait mention de pauvres; mais ils sont encore peu nombreux à ces époques reculées. En effet, tant que l'esclavage a existé, soit chez les anciens, soit chez les modernes, la mendicité n'a pas pu faire de grands progrés, parceque chacun se trouvant ou maître ou esclave, s'il se trouvait esclave, son maître pourvoyait naturellement à tous ses besoins durant sa vie."

Ueberblickt man nun die Geschichte des Gaunerthums, welche einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren umfaßt, so stellt sich ein wirres wüstes Getriebe dar, dessen Analyse und Verständniß man nur dann erreichen kann, wenn man die einzelnen Erscheinungen mit den gleichzeitigen Erscheinungen auf dem Gebiete des politischen, kirchlichen, rechtlichen und socialen Lebens verbindet. Ueberall findet sich aber in der erstaunlich beweglichen Vagantenmasse eine starke Vermischung aller trüben Elemente durcheinander, und unter diesen treten zwei Typen, die jüdischen und zigeunerischen, sehr bemerkbar hervor. Man darf

1) Vgl.,,Die Proletarier, eine historische Denkschrift von D. H. W. Bensen" (Stuttgart 1847); besonders §. 8:,,Die Proletarier und das Christenthum“, S. 133 fg., namentlich S. 140; sowie Kap. 2, V. 44, 45; und Kap. 4, V. 34-37 der „Apostelgeschichte“, welche die ersten Beispiele christlicher Fürsorge für die Armen und gemeinsamen Güterbesißes aufweist.

2) S. 294 seiner beachtenswerthen,, Histoire des classes ouvrières et des classes bourgeoises" (Brüssel 1838).

aber diese farbigen Typen nicht mit dem persönlichen Bestande verwechseln. Die Juden und Zigeuner sind nur einzelne Zuthaten zum Gaunerthum, die zwar durch den farbigen Typus der äußern Erscheinung sehr leicht erkennbar, immer jedoch nicht der prävalirende Theil jener Masse sind, obschon in jener wunderlichen Composition der Gaunersprache ganz besonders das jüdische und, jedoch bei weitem weniger, das zigeunerische Sprachidiom auffallend hervortritt, während doch die Gaunersprache lediglich die deutsche Sprache ist mit deutschen Flerionen und mit bei weitem mehr deutschen Wörtern und Redensarten aus allen Provinzen, als mit hebräischen und zigeunerischen Ausdrucksformen. Die nur scheinbare Prävalenz des jüdischen und zigeunerischen Wesens und sprachlichen Ausdrucks erklärt sich aus der Stabilität der historisch gegebenen markirten Erscheinung. Die Juden hatten sich schon sehr lange überall in Deutschland festgesetzt. Sie traten überall in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit auf, ohne je in größern nationellen Gruppen sich zusammenzuthun und somit als große Masse gefährlich zu erscheinen, während die im 15. Jahrhundert auftretenden Zigeuner, als in jeder Hinsicht sofort erkennbar gruppirte Vagantenmasse, schon bald nach ihrem Auftreten verfolgt wurden, und endlich nach den besonders von Maria Theresia gemachten Versuchen, die „Menschen und Aas fressenden Zigeuner zu cultiviren"), nach und nach so weit als Vagantenmasse beseitigt worden sind, daß jedes jezige Hervortreten einer Gruppe oder auch schon einer einzelnen Individualität sofort bemerkbar und bei dem heutigen Wesen und Wirken der deutschen Polizei als neu auftauchende fremdartige Erscheinung erkannt und entfernt wird. Die fremdartige Erscheinung beider Elemente wurde aber, sobald im Mittelalter das Gaunerthum sich zur gewerblichen Kunst zusammenzuthun anfing, mit Leichtigkeit zum Deckmantel aller verworfenen Elemente benußt, und daher gewann die Farbigkeit jener eroterischen Eigenthümlichkeiten nur noch mehr an Consistenz. Gewichtige Augenzeugen, wie del Rio (,, Disquis. mag.",

1) Vgl. Grellmann, a. a. D., S. 143 fg.

lib. 4, c. 3, qu. 5) und Munster („Cosmographie“, S. 603) erzählen auffallende Wahrnehmungen von der frühen und starken Vermischung heimischer Elemente mit jenen fremdartigen 1), und die spätere Geschichte des Gaunerthums weist in einer Unzahl von Fällen nach, daß bei aller erstaunlichen Fügsamkeit der jüdischen Nation, der Jude zu nichts weniger geneigt und befähigt ist, als seine jüdische Eigenthümlichkeit, Sprache und Sitte abzulegen2), während die mit Juden verbundenen Christen und Zigeuner, namentlich die Christen, ihre Eigenthümlichkeit, Sprache und Sitte sehr leicht der Gelegenheit und den Umständen zum Opfer brachten und bei dem Aufhören des Zwanges weit lieber zu den stabilen jüdischen Typen sich hinwandten, als zu ihrer christlichen Eigenthümlichkeit. So führt Rebmann (,,Damian Hessel und seine Raubgenossen", S. 106) an, daß der katholische und sogar zum Priesterstand bestimmt gewesene Hessel, nach Verkündigung seines Lodesurtheils einen Rabbiner verlangte, um als Jude zu sterben, und (S. 119) daß sein Genosse Streitmatter, der gleich ihm als

1) Auch in Frankreich und Spanien ist das zu erkennen, wie das die ,, Histoire des races maudites de la France et de l'Espagne" par Francisque - Michel (Paris 1847) nachweist. Es ist nur bei dem reichen Stoffe zu bedauern, daß der Verfasser oft die tiefere historische Forschung und Kritik vermiffen läßt, und sich mit den flachen Berichten von Geistlichen und Schulmeistern und mit oberflächlichen Raisonnements begnügt. So gibt er Thl. 2, S. 99–102, einen äußerst dürren Bericht des Geiftlichen Aubri in Bellevaux, über die höchst interessante Erscheinung der heutigen Oiseliers (Ogelies) du duché de Bouillon, welche durchaus an die Zigeuner erinnern. Der nur zwei und eine halbe Druckseiten füllende Bericht schließt mit den Worten: ,,Depuis cette époque (1740) ces familles ne sont plus connues. Le nom d'Oiseliers même cessera bientôt de l'être, excepté par les erudits, qui fouillent les archives."

2) So ist z. B. die strenge Beachtung des Koscher hinsichtlich der Speisen bei den Juden eine alltägliche Erfahrung. Bei einem zu Lübeck in Untersuchung gerathenen jüdischen Gauner habe ich beobachtet, daß derselbe mehrere Monate lang die sehr gute Gefangenkost als treife verschmähte und wesentlich von Brot und Kaffee lebte. Dagegen ist merkwürdig, was Pfister, , Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden im Spessart“, im Nachtrag, S. 344 und 345, erzählt, daß Manne Friedrich und Hölzerlips, obwol beide lutherisch, doch eine Wachskerze und eine Wallfahrt gelobt hatten.

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Jude gelebt und gereist hatte, seinen freilich mit einer jüdischen Beischläferin erzeugten Sohn beschneiden ließ. Nicht minder merkwürdig ist die Mittheilung bei Thiele, daß in der großen berliner Gauneruntersuchung die christlichen Gauner während ihrer Haft um Erlaubniß nachsuchten, die Religionsübungen der Juden mitmachen zu dürfen 1). Die historisch nachgewiesene Eristenz von Gaunerbanden, welche der Zahl nach überwiegend oder sogar ganz aus Juden zusammengesezt waren, beweist nur, daß auch verbrecherische Juden sich zusammengefunden und gruppirt hatten, und das um so eher und leichter, je zahlreicher und gedrängter die Juden in einem Orte zusammenlebten, je leichter mithin die verwandten Elemente sich finden und zusammenthun konnten. Denkt man an die ungeheuere Unterdrückung und Verfolgung der Juden, namentlich im Mittelalter, wo der Priester Gottschalck und der Graf von Leiningen zur Zeit des Eremiten Peter wahre Kreuzzüge wider die Juden auf deutschem Grund und Boden unternahmen, so begreift man, daß das materielle und sittliche Elend der Juden gleichgroß werden und in den scheu zusammengedrängten muthlosen Gruppen den bittersten heimlichen Haß gegen die Unterdrücker erwecken mußte. Als im Jahre 1795 von Mersen her die meistens aus Juden bestehende Bande des Franz Bosbeck hervorbrach und sich am Rhein einen so furchtbaren Namen erwarb, hatte diese Bande schon eine Geschichte von mehr als hundert Jahren, die so mystisch ist, daß nur hier und da ein Lichtstrahl darauffällt, und daß der frühe Volksglaube jenes ge

1) Wiewol selten ein christlicher Gauner einen Begriff von der christlichen Lehre oder eine ausreichende Kenntniß der Gebote und der Bedeutung der Sakramente hat, so darf man doch auch nicht außer Acht lassen, daß die christliche Intoleranz leider häufig eine wesentliche Rolle bei Gauneruntersuchungen spielt. Gewiß wird bei der Beurtheilung jüdischer Gauner die jūdische Qualität weit eher hervorgehoben, als daß man einem chriftlichen Gauner sein Christenthum in Anrechnung bringen möchte. Leider ist man sogar wol geneigt, einen zweifelhaften Gauner ohne Umstände zum Juden zu stempeln, ehe man lange Nachforschungen nach seinem Lauf- und Confirmationsschein anstellt. Auch hat schon mancher Inquirent einen großen Ruhm darin gefeßt, über das vermeint. feinere jüdische Gaunergenie als Meister zu triumphiren. Avi-kallemant, Gaunerthum. I.

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