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Das Recht der Uebersehung dieses Werks ins Englische, Französische und andere fremde Sprachen behält sich die Verlagshandlung vor.

Vorwort

zum dritten und vierten Theil.

Als der Verfasser gegen Ende des Jahres 1858 die beiden

ersten Theile vom,, Deutschen Gaunerthum" herausgab, war es seine Absicht, den dritten (linguistischen) Theil unmittelbar darauf erscheinen zu lassen. Lag es dabei in seinem Plane, eine ausführlichere Untersuchung erst in späterer Zeit folgen zu lassen, so gab doch der Ernst, mit welchem seine Arbeit aufgenommen wurde, ihm dringend zu bedenken, daß die in den beiden ersten Theilen gegebene Darstellung immer nur für eine bröckelige und unfruchtbare Skizze gelten müsse, wenn nicht eben der in der Sprache verkörperte Geist der vom Verfasser vorgeführten Erscheinung gerade auch im vollsten Ausdruck seiner riesigen Größe und Gewalt, in der Sprache, erfaßt und dargestellt würde. Für jenen Ernst und für die von ihm gestellte Aufgabe reichte die damalige Arbeit des Verfassers nicht aus. Er mußte sich zu einer durchaus neuen Arbeit entschließen, um die ganze Breite und Tiefe des deutschen Volksbodens bis in die fernsten und geheimsten Enden und Winkel hinein vor Augen zu legen und wenigstens hinzuweisen und hinzudeuten, wo überall im Volke und Volksleben das Gaunerthum seinen Versteck gesucht und gefunden hatte.

Konnte der Polizeimann hier nur der Führer in die dunkelsten Tiefen sein, über welche der gewaltige Strom des bunten

socialpolitischen Lebens hinrauscht, so nahm die Ergründung und Ausforschung dieser unheimlichen Tiefen ebenso sehr den Linguisten wie den Culturhistoriker, den Socialpolitiker und den Ethiker in Anspruch. Wol erkannte der Verfasser die große, kaum überwindlich scheinende Schwierigkeit der Aufgabe. Aber unablässig lockte und mahnte das breit und gewaltig dahinströmende Leben, zu unaufhaltsam trieben und drängten ihn die tagtäglichen Erfahrungen des amtlichen Berufs: er tauchte in den tiefen Strom, und in ehrlicher, fleißiger Arbeit hat er aus der geheimnißvollen Tiefe das heraufgebracht, was er jezt vor Augen legt.

Wie er nun diesen großen wunderlichen, bunten Stoff bewältigt und geordnet hat, darüber ist der Verfasser eine kurze Rechenschaft zu geben schuldig. Sobald er die eigenthümlich versezte und verschränkte Sprache des Verbrechens sowol ihrem Stoff als auch ihrer Form nach wesentlich als deutsche Volkssprache erkannt hatte, glaubte er vor allem den Auslauf der deutschen Sprache aus der Ursprache überhaupt und neben den verwandten Sprachstämmen ins Auge fassen und die deutsche Sprache in ihrer volksthümlichen dialektischen Verbreiterung andeutungsweise darstellen zu müssen, ehe selbst nur eine Definition der Gaunersprache gegeben und eine Untersuchung der verschiedenen einschlagenden und ähnlichen Benennungen angestellt wurde, nach deren Aufklärung erst ein deutlicher Einblick in Wesen und Stoff der Gaunersprache erreicht werden konnte. Nur erst auf dieser so geebneten Grundlage war es möglich, den durch viele Jahrhunderte hindurch in riesigen Massen und in der buntesten Durchmischung und Entstellung aufeinander gehäuften und in fteter Gährung bewegten, noch niemals bearbeiteten Stoff auseinander zu breiten und nun erst wieder seine vorläufige Sonderung in Hauptmassen zu unternehmen, um dann weiter in die Untersuchung des Einzelnen vordringen zu können. Je schärfer das vorgefundene Erotische sich in seiner Eigenthümlichkeit erhalten

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hatte: desto leichter gelang die Sonderung, ungeachtet die überaus lare Hospitalität der deutschen Gaunersprache die Kritik sehr erschwerte. So konnte das Zigeunerische am behendesten gesondert und lediglich auf die geläufigste Vocabulatur beschränkt werden. Ein Gleiches war der Fall bei den Wortzuthaten aus dem romanischen und slawischen Sprachgebiet.

Schwieriger schon war es, durch die höchst wunderlichen deutschdialektischen Formen der Gaunersprache sich durchzufinden, nicht etwa, weil die außerordentlich verschiedenen bunten deutschen Volksdialekte schon an sich nicht immer leicht zu erkennen und zu unterscheiden sind: sondern weil die Gaunersprache geflissentlich das entlegenste und verschiedenste Dialektische im Einzelnen aufgelesen und zu seinen specifischen Typen statuirt hat. In dieser Statuirung der einzelnen dialektischen Typen, welche, wenn auch allen deutschen Provinzialismen entlehnt, doch gerade in der strengen Auswahl und Beliebung beschränkt erscheinen könnte, liegt aber dennoch die größte Mannichfaltigkeit und der größte Reiz zur Untersuchung. Der beständige, ungemein lebendige Wechsel lockt den kritischen Blick überall hin und winkt ihm aus allen, auch den entlegensten Ecken und Enden des deutschen Sprachgebiets entgegen. Dabei tritt nun auch wieder die seltsame Eigenthümlichkeit hervor, daß das durch Convention aus den buntesten Stoffen zur Einheit zusammen gezwungene Ganze im einzelnen Dialektischen bei seiner Verwendung am entlegenen Orte häufig einer topisch - dialektischen Modulation unterworfen wird und dann sogar auch beim weitern Umzuge andern neuen Modulationen mehr oder minder verfällt. Diese Eigenthümlichkeit macht die Analyse ungemein interessant, wenn auch oft sehr schwierig. Schon Christensen's natürliche und ungesuchte Synonymik (IV, 199–221) gibt ein interessantes Bild davon. So haben sich in überraschender Fülle, bald in reiner ursprünglicher Form, bald in mehr oder minder starker Verfärbung und Modulation

eine Menge althochdeutscher, altniederdeutscher und mittelhochdeutscher Wörter mit zum Theil nur wenig verschobener Bedeutung in der deutschen Gaunersprache erhalten, und in dieser oft überraschend treuen Bewahrung alter Formen blicken sogar auch einzelne reine gothische Formen heraus, wie sich z. B. der gothische „Hauhns“ bis zur Stunde im vollen geläufigen Gaunergebrauch erhalten hat. Meistens nur in neuhochdeutschen Wörtern tritt die Aehnlichkeit der deutschen Gaunersprache mit den romanischen Gaunersprachen am schärfften hervor, deren wesentlichster Grundzug nicht etwa die Modulation der Wurzelformen und Flerionen ist, sondern vorzugsweise die Verschiebung der logischen Bedeutung zu frivolen Metaphern.

Einen ungemein reichen und durchaus eigenthümlichen Beisag hat aber die deutsche Gaunersprache durch die jüdischdeutsche Sprache gewonnen, jene gewaltsame unnatürliche Zusammenschiebung indogermanischer und semitischer Sprachtypen, welche für alle Zeit als trübes Denkmal unmenschlicher Verfolgung und Erniedrigung des alten Gottesvolkes bleiben wird und welche so tief eingeäßt steht auf dem deutschen Cultur- und Sprachboden, wie Blutspuren auf einer Folterbank. Das in seiner Ausbildung fortschreitende Gaunerthum fand bei seiner Verfolgung und bei seiner Flucht in die niedrigsten Volksschichten das von der rohen allgemeinen Verachtung in ebendieselbe niedrige Sphäre hinabgedrückte Volk der Juden und mit ihm das wunderliche Sprachgeschiebe vor, dessen erotische Stoffe und Formen es mit Begierde für seine geheime Kunstsprache ausbeutete. Dieses Judendeutsch mit seinen fremdartig erscheinenden bunten Typen gewährte der deutschen Gaunersprache eine durchaus eigenthümliche Bereicherung, wie in keiner andern Volkssprache eine auch nur ähnliche Zusammenschiebung möglich werden konnte, ungeachtet seit dem 16. Jahrhundert die eine entfernte Analogie darbietende maccaronische Poesie von Italien her einen kurzen Umzug durch das romanische

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