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dem Schein christlicher Humanität gerüstete Proselyterei sehr rasch, weit und nachhaltig um sich. Ein Zeugniß gibt die am 25. April 1705 begonnene (bei Schudt, III, 1, abgedruckte) Reihenfolge von Schreiben des Königs Friedrich I. von Preußen nach Wien um Aufhebung des vom Kaiser auf Eisenmenger's,,Entdecktes Judenthum" gelegten Arrestes und der vom König endlich selbst angeordnete neue Abdruck dieses Werkes im Jahre 1711, welches nun ganz besonders als Orakel bei Verfolgung jüdischer Verbrecher sich geltend machte (vgl. Th. I, S. 233), aber auch den Ton angab, die jüdischen Cultusformen mit hastiger christlicher Forschung zu,, ent= decken" und fegenweise in gelehrten Trödelbuden als pikante Curiositäten zu Markte zu bringen.

Eine solche gelehrte Trödelbude sind die,,Jüdischen Merckwürdigkeiten" von J. J. Schudt. 1) Dem Verfaffer stand in der trefflichen frankfurter Stadtbibliothek, sowie in der dortigen Dominicaner und Karmeliterbibliothek und in den Privatbibliotheken von Lersner, Uffenbach, Diffenbach und Geissen, welche er auch in der Vorrede erwähnt, ein Quellenschaß zu Gebote, wie solcher, namentlich zur damaligen Zeit, selten geboten wurde. Doch ist dieser Schat nur auf kümmerliche und geistlose Weise ausgebeutet und zu einer wirren, wüsten Masse zusammengehäuft worden, durch welche man sich nur mit großer Mühe und Entschlossenheit hindurchfinden kann. Die Geschichte des Judenthums in den verschiedenen Ländern ist auf sehr platte, geistlose und bröckelige Weise dargestellt. Ueberall sieht man die Quellen, aber nirgends sieht man sie lebendig fließen und sprudeln. Allein gerade die zahlreichen Aphorismen und Ercerpte und der Abdruck einer nicht

1) Jüdische Merckwürdigkeiten, Vorstellende was sich Curieuses und Denckwürdiges in den neueren Zeiten bey einigen Jahr-hunderten mit denen in alle IV Theile der Welt, sonderlich durch Teutschland, zerstreuten Juden zugetragen. Sammt einer vollständigen Franckfurter Juden-Chronik, darinnen der zu Franckfurt am Mahn wohnenden Juden, vor einigen Jahr-hunderten, biß auf unsere Zeiten, merckwürdigste Begebenheiten enthalten. Benebst einigen, zur Erläuterung beygefügten Kupffern und Figuren. Mit historischer Feder in drey Theilen beschrieben“ u. s. w. (4 Thle., 4., Frankfurt und Leipzig, 1714—18).

geringen Menge Documente und bis dahin wenig oder gar nicht gekannter jüdischdeutscher Literatur macht das Werk, namentlich im dritten und vierten Bande, zu einer wichtigen literarischen Erscheinung, obschon in grammatischer Hinsicht Schudt, welcher zu einer Grammatik wirklichen Anlauf nimmt, z. B. Buch 5, Kap. 13, Buch 6, Kap. 16 (vgl. IV, 113), so geistlose, schiefe und falsche Ansichten zum Vorschein bringt, daß man namentlich im Hinblick auf seinen ausgezeichneten Vorrath von Literatur nicht begreifen kann, wie er in solcher grammatischen Unwissenheit hat befangen sein können, daß ihm oft das Verständniß einzelner Wörter und überhaupt der jüdischdeutschen Sprache ganz abgeht. So z. B. überseßt er in der Mechirus Joseph, III, 279, das jüdischdeutsche op mit dem ganz ungeheuerlichen Ausdruck Coreste" statt Courage (Kurasche) u. s. w. So verworren nun auch das durch die unordentlichen und kümmerlichen Register nicht einmal alphabetisch, der Materie nach, übersichtlich gemachte, dicke und breite Werk ist, so viel Unwahrheiten und entstellende Druckfehler es auch enthält, so ist es doch als Sammlung der verschiedenartigsten Hinweise, Documente und literarischen Curiositäten beim Studium des Jüdischdeutschen kaum zu entbehren und verdient auf das entschiedenste hier eine Berücksichtigung.

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Gleich geistlos, doch noch bei weitem armseliger hinsichtlich des sprachlichen, literarischen und gelehrten Stoffs ist K. Calvör in seiner „Gloria Christi“ 1), an deren Schluß noch eine „Anleitung wie das Jüdisch-Teutsche zu lesen“ angehängt ist. Calvör ist der eigentliche, unverblümte Typus der von Diffenbach, Hosmann und Wagenseil mit leidenschaftlichem Eifer begonnenen

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1) Gloria Christi Dder Herrligkeit Jesu Christi. Das ist: Beweißthum der Wahrheit Christlicher Neligion wider die Juden: In Form cines Dialogi oder Unterredung durch Frage und Antwort aus der H. Schrifft, Talmud, Targumim, Rabbinen und gesunden Vernunfft - Gründen verfasset, Und nebst einem Juden-Catechismus So wol im gewöhnlichen als Jüdisch-Teutschen herausgegeben“ u. s. w. (Leipzig 1710). Schon der beigefügte jüdischdeutsche lange Titel ) 11 u. s. w. ist so breit wie affectirt und in incorrecter Sprache geschrieben, und es verlohnt nicht der Mühe, ihn ganz hierher zu sehen.

Judenmission. Die ganze,,Gloria Christi" ist eine matte, breite Polemik, in welcher die Herrlichkeit des Christenglaubens in seiner gewaltigen Kraft und seiner überzeugenden einfachen Wahrheit durch den gesuchten Prunk eitler, steifer Gelehrsamkeit eher abgeschwächt als gehoben wird. Dazu schreibt Calvör in einem unbeholfenen, ungleichen, affectirten und incorrecten Judendeutsch. Diesem Judendeutsch gegenüber hat er durch das ganze Werk mit eitler Ostentation auch eine reindeutsche Uebersezung für Nichtjuden gegeben, welche den Umfang des schwülstigen Werkes abschreckend vergrößert. Mit so schlimmen innern und äußern Mängeln war es ein eitles Beginnen, dem Jahrhunderte hindurch verfolgten und gemarterten Judenthum auf seinem eigenen Gebiete zu begegnen, in der Absicht, es dort überzeugend zu gewinnen und sieghaft auf den chriftlichen Boden überzuführen. Ein schlagendes Kriterium, wie sehr Calvör felbft fühlen mußte, daß er sich an eine Arbeit gemacht hatte, welcher er auch in sprachlicher Hinsicht nicht gewachsen war, ist die am Schluß der deutschen Vorrede in judendeutscher Sprache angehängte Entschuldigung:,,Mein lieber Jehude, laß dich nit wundern, daß ich nit allzeit nach deiner Art das Loschon aschkenas gesezt“ u. s. w. Die angehängte,,Anleitung wie das Jüdisch-Teutsche zu lesen" ist nur ein kümmerlicher Auszug aus Wagenseil's „Belehrung“ und gibt nirgends etwas Eigenes und Neues.

Nach Calvör gab J. H. Callenberg, Profeffor der Philosophie zu Halle, in der eigenen Buchdruckerei des (von ihm 1728 gegründeten) jüdischen Instituts 1733 eine „Kurze Anleitung zur jüdischdeutschen Sprache" heraus, welche, wenn sie auch Burtorf und Wagenseil in der Ausführlichkeit nicht erreicht und immer nur eine bloße Anleitung zum Lesen bleibt, doch besser als die von Pfeiffer und Calvör ist und von größerer Belesenheit, Kenntniß und Einsicht Zeugniß gibt. Die Mängel seiner Grammatik hat Callenberg selbst gefühlt, indem er in die Vorrede seines später (1736) herausgegebenen „Jüdischteutschen Wörterbüchleins“ 1) aus

1) Jüdischteutsches Wörterbüchlein welches meistens aus den bey dem

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Calvör's Vorrede zu dessen,, Gloria Christi" die Bemerkungen aufgenommen hat, in welchen dieser sich über die Schwierigkeiten der mund- und schreibartigen Verschiedenheit der jüdischdeutschen Sprache ausläßt und dadurch unfreiwillig bezeugt, daß er das vorherrschende deutsche Sprachelement des Jüdischdeutschen miskannt hat und sich auf diesem Sprachgebiete wie auf einem fremdsprachlichen Gebiete bewegt. Das deutsch - jüdischdeutsche Wörterbuch Callenberg's ist mit jüdischdeutschen (deutschrabbinischen) Lettern gedruckt und mit einem ebenso gedruckten jüdischdeutschen Register versehen. Es ist der erste Versuch dieser Art und namentlich als solcher beachtenswerth und nicht ohne Verdienst, obschon es nicht über die bloße Vocabulatur hinausgeht und tieferer kritischer Bearbeitung ermangelt, auch sehr viel Fehlerhaftes enthält.

Die bedeutendste Erscheinung unter den christlichen Missionsgrammatikern ist wol unzweifelhaft W. I. Chrysander in seiner „Jüdisch-Teutschen Grammatik“ (Leipzig und Wolfenbüttel 1750), namentlich wenn man die davon in der That nicht zu trennende Abhandlung Chrysander's vom „Nußen des Juden - Leutschen“ 1) mit dieser Grammatik in Verbindung bringt, welche er selbst als Prolegomena zur Grammatik bezeichnet. Außer einer vollständigen Anleitung zum Lesen gibt Chrysander noch interessante, wenn auch nur aphoristische, doch treffende etymologische und syntaktische Bemerkungen. Die Grammatik ist unvollständig geblieben. Das Inhaltsverzeichniß unmittelbar nach dem Vorbericht verhieß noch einen zweiten Theil: Gespräche, Briefe, Erläuterung der Abbreviaturen, Lefeübungen und ein Wörterbuch. Doch fehlt dies alles und der erste Theil schließt §. 10 (S. 10-15) mit einem kleinen Wörterbuche. Sorgfältig angestellte Nachforschungen ergeben, daß Chry

Jüdischen Instituto edirten Schriften colligirt und dem Gebrauch derer welche solche Schriften verstehen lernen Und die christliche Wahrheit unter den Juden sowohl mündlich als schriftlich bekannt machen helfen wollen Gewidmet worden" u. s. w. (Halle 1736).

1),,Unterricht vom Nußen des Juden-Leutschen, der besonders Studiosos Theologiae anreißen kan, sich dasselbe bekannt zu machen“ (Wolfenbüttel 1750).

sander diesen verheißenen zweiten Theil gar nicht herausgegeben hat. Auch die ganze Fassung des §. 10 deutet darauf hin, daß der Verfasser während der Arbeit seinen Entschluß geändert und es mit der Arbeit soweit hat bewenden lassen wollen. Sehr wichtig ist in dem oben erwähnten „Unterricht“ die von S. 9-19 aufgeführte Literatur, welche, wie überhaupt die ganze Grammatik und Abhandlung, den Beweis liefert, daß Chrysander ein sehr tüchtiger Kenner der bis dahin den christlichen Gelehrten so wenig zugänglichen judendeutschen Sprache und Literatur gewesen ist. Zu bedauern ist bei diesem gleich den bisher aufgeführten sehr selten werdenden Werke, daß in dem kleinen Wörterbuche am Schluß nur deutsche und keine deutschrabbinischen Lettern gebraucht sind. Die in der Grammatik bei Erläuterung der Buchstaben und bei Anführung von Beispielen gebrauchten Lettern sind allerdings deutschrabbinische, jedoch sehr klein, stark abgenußt und bis zur Unkenntlichkeit undeutlich.

Als ein sehr beachtenswerthes Buch erscheint das,, Handlerikon der jüdischdeutschen Sprache, in welchem alle den Jüden entweder eigene, oder aus der hebräischen und rabbinischen Sprache entlehnte, der deutschen Mundart gemäß inflectirte Wörter, mit ihrer wahren Bedeutung, wie auch sonderbaren Redensarten, Sprichwörtern u. dgl., deren sich die Jüden, um von den Christen nicht verstanden zu werden, unter einander zu gebrauchen pflegen, nebst einigen beygefügten Erklärungen ihrer verschiedenen Gebräuche, Fast- und Festtage, Monate u. dgl. enthalten sind. Zum Nugen und Gebrauch des Publikum, insonderheit derjenigen, welche Geschäfts- und Handelswegen, oder aus andern Ursachen mit den Jüden einen Umgang zu pflegen bemüßiget sind. Cum Approbatione Caesareo-Regiae Censurae" (Prag, ohne Jahrzahl).

Der Vorbericht dieses anscheinend von einem getauften Juden geschriebenen Buchs verräth eine vollkommene Vertrautheit mit der hebräischen und jüdischdeutschen Sprache, gibt aber nur wenig grammatisch Belehrendes, und dieses beschränkt sich wiederum meistens auf vereinzelte syntaktische Fingerzeige. Das Wörterbuch selbst ist nach hebräisch-alphabetischer Ordnung gedruckt. Den mit deutsch

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