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SCHUSS IN DER NACHT.

Zu Mitternacht war ein Schuss gefallen. Ein schrecklicher Schrei war ihm gefolgt. Das ganze Haus, dies alte, dumpfe Haus mit ausgetretenen Stufen, mit rundlaufenden Gängen, die in der Luft schwebten, auf denen Eines dem Anderen so bequem in die Küche gucken konnte, hatte er aufgeschreckt. Denn jenes Hin- und Widerlaufen begann alsbald, das Jeder von uns kennt und das mindestens in einem bösen Traume Jeden schon einmal verstört hat. Das Schloss tat sich auf, Stimmen wirrten durch einander; aus der Wohnung, die mit eins überfüllt war, drang Gezeter, Kreischen, Stöhnen, gelles Aufschreien. Bänglich horchten die Nachbarinnen, die nicht mehr Raum gefunden, darauf, auf das Schieben und Heben von etwas Schwerem, sehr Unbeholfenem im Zimmer. Endlich kam der Arzt; desto mehr drängten sie sich, verstärkt durch die Fortgewiesenen, auf dem schmalen Gang. Da der junge Mann wieder schied, ruhig und ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, wussten Alle, dass Alles vorüber war. Es war so recht still in der Wohnung geworden der Mann, der den Schuss in der Nacht, den Schuss gegen sich abgefeuert, war tot. Zu Morgen aber trippelten behende Kinderfüsschen um jene Türe, spähten neugierige Augen, noch grösser als sonst, ob sich der Rumpler Karl nicht angucken, ob sich durch das grünverhangene Gangfensterchen, durch das unheimliche Dunkel des Vorzimmerchens, das ihnen jetzt so gespenstig erschien, nicht ein Einblick in die Stube gewinnen liesse, in welcher der tote Franz Rumpler lag.

In aller Frühe war eine Waschfrau gekommen. Die Leiche ward sorgfältig mit einem guten Gewande angetan; der Raum,

in dem immer noch ein leiser Pulvergeruch schwälte, wurde in Ordnung gebracht und gründlich gesäubert. Damit und mit den notwendigsten Bestellungen ging der erste Tag hin. Dann brachte man den Sarg; der tote Mann wurde so hineingebettet, dass man die kleine Wunde an der Schläfe nicht gewahren konnte, durch die ihm das Leben entflohen war. Die Witwe half mit und ging dann fort, zu versorgen, was nach den üblichen Anzeigen noch zu tun war. Als sie heimkam, war alles bereitet; sie brachte für sich und den Buben gleich die Trauerkleider mit. Sie zog sich selber um und steckte den Jungen in den schwarzen Anzug. Er sah vergreint, jämmerlich, unbeholfen darin aus. Die Vorhänge wurden niedergelassen, ein silberner Armleuchter zu Füssen und zu Häupten, sechs silberne Leuchter zu beiden Seiten des Sarges besteckt und entzündet. Das sah nun feierlich und vornehm aus. Das Kind es war gerade in dem Alter, wo sie in die Schule zu gehen beginnen, stumpfnäsig und mit einem ganz platten und ausdruckslosen Gesichte-stierte in die schönen und weissen Flammen und grübelte, ohne zu wissen, worüber? Es langweilte sich ohne seine Kameraden und ohne Gassenspiele. Dabei fühlte es sich durch das neue Gewand beklemmt, das so schrecklich gross war und auf das man sicherlich furchtbar Acht geben musste. Und dennoch hatte der Karl eine unwiderstehliche Lust, von der einen Kerze, die so schief brannte, einige Tropfen auf den Aermel fallen zu lassen. Das hätte hübsch sein müssen. Eine Art freudiger Erwartung war in ihm. Denn er war noch niemals im Fiaker gefahren. Bei Leuten aber, die Geld hatten und sie hatten dessen viel, er wusste es gehörten zu einem ordentlichen Begräbnis Fiaker, und sobald er erst wieder in die Schule ging wollt' er schon gehörig damit prahlen: "Ich bin im Fiaker gefahren. Nicht auf dem Schoss, ganz wie ein Grosser. Du nöt Etsch!... Inzwischen sass die Mutter in einer Ecke, betete unablässig und mit zuckenden Lippen aus dem schönen Gebetbuch und wischte sich die roten und heissen Augen mit der Schürze, die sie über das dunkle Kleid gezogen. Manchmal schluchzte sie auf; das aber klang so unvermittelt und so laut, dass sie selbst davor erschrak und innehielt im Schluchzen. Auch sahen sie, wie ihr vorkam, Waschfrau und Junge dabei

so eigentümlich an, dass ihr eine kleine Verlegenheit kam, um über eine Weile neuem Trotz und desto heftigerem Schluchzen zu weichen. Was gingen sie diese Beiden an ?

Aus der Küche heraus drang ein kräftiger Geruch von Kaffee und allerhand Gebackenem. Man hatte sich zu Mittag nun schon den zweiten Tag notdürftig aus dem Gasthause beholfen und erwartete nun die übliche, ausgiebige Jause. Angehörige hatten die Rumplerischen keine in Wien: zwei einzige Kinder, in benachbarten Wohnungen gross gewachsen, das Spielen auf dem gleichen Hofraume gewohnt, hatten sie zusammen geheiratet. Aber Nachbarinnen besuch musste kommen. Konnten sich die beiden Leute sonst noch so zurückgezogen gehalten haben - heute musste die Witwe Trost und Zuspruch empfangen. Ohnehin galten sie für stolz und hochmütig genug. Eine dumpfe Sehnsucht nach dem Augenblick, in dem alles vorüber sein würde, war in Frau Katharina Rumpler. "Die Fragerei," seufzte sie, während sie im Speisezimmer den Tisch sauber und sogar mit einem gewissen Aufwand deckte. Dann, vor dem Spiegel, richtete sie sich selber her; sie war noch jung, mit einer gewissen Neigung zur Fülle. Ihr gesundes, rotes Gesicht, das verlangend und lebensfroh dreinsah, stritt mit dem Trauergewande. Ihre Bewegungen waren weich und sinnlich. Sie konnte immer noch einem Manne gefallen, dachte sie, während sie sich so zu schaffen machte, das braune Haar tiefer in die Stirne strich, hier ordnete, dort glättete. Nur ihre Stimme hatte etwas Schrilles, wie sie darnach: "Wärterin, Karl, kommts" rief. Es war das Gelle, selbst Gemeine darin, das einem feineren Ohre so leicht weh tut. Die Beiden kamen. Der Bube schnüffelte gierig und erwartend herum, obzwar man ihn in der Küche schon reichlich abgefüttert, die Wärterin sass breit und sicher auf ihrem Stuhle - solange man sie brauchte, bis die Totenwachen einmal vorüber waren, war sie sicher, und hernach musste sie ohnedies gehn. Wozu also bescheiden tun? Die Witwe machte ihr leidenvollstes Gesicht. Die Hängelampe wurde entzündet und gab ein freundliches und kräftiges Licht. Es war ganz gemütlich. Nur musste man allerdings vergessen können, was sich nebenan begeben und wer nebenan verstummt lag. "Der arme Herr!" seufzte die Wartefrau in

geschäftsmässiger Trauer. Frau Katharina Rumpler fuhr aus ihren Gedanken auf und sah sie böse an, ehe sie, sich besinnend, die Hände vor's Gesicht schlug. Der Kaffee kam : sie schänkte ein, trank selber rasch und ass ziemlich gierig, ehe sie sich wieder eine saubere Tasse auf ihren Platz stellte. Das war sonst ihre Sitte nicht, und Karl, der nun einmal einen nachdenklichen Tag hatte und vor der Frau Mutter in beständiger, heimlicher Angst lebte, sann darüber nach, was das wol zu bedeuten habe: "Etwas will sie alleweil und mit Allem. Ich kenn's," dachte er. Denn er war beobachtend, wie die meisten einzigen Kinder, besonders aber aus einer Ehe, wo man sich allerhand zu verbergen müht.

Der erste Besuch kam. Es war ein dürftiges Weiblein, eine weitschichtige Verwandte, die von dem toten Manne monatlich eine kleine Unterstützung genossen hatte. Man hörte, wie sie schon auf dem Gange, bevor sie noch schüchtern die Glocke zog, eifrig und nachdrücklich mit den Füssen scharrte; denn es war ein feuchtes und schmutziges Wetter. Zögernd trat sie ein; an der Leiche kniete sie nieder, langte den Rosenkranz vor und betete geraume Zeit und sehr andächtig. Dann, mit blinzelnden Augen und unbewillkommt trat sie in das Speisezimmer; denn ihretwillen erhob sich die Witwe Rumpler nicht. Karl schlich sich missmutig an das Fenster und sah auf die Gasse, die immer noch nicht darnach ausschaute, als könnte man sich so bald in einem neuen Anzuge auf sie wagen. Frau Rumpler füllte eine Tasse; das alte Weiblein sass demütig auf einem Stuhleckchen, trank schüchtern und brockte ebenso ängstlich ein Stückchen vom Backwerk um's andere in den Kaffee. Sie fürchtete offenbar, sie könnte verraten, wie hungrig sie sei.

"Wie gut dass er nur ist," seufzte sie endlich andächtig.

Frau Rumpler goss nach: "So trinken's noch Eins, RegerlTant."

"Wer sich's auch so vergönnen könnte," seufzte die Alte noch einmal, "und wie schön dass sie ihn aufgebahrt haben! Kein Graf kann's schöner haben, wie der arme Franz. Wenn ich mich nur erinnern tu', wie arm Meiner dagelegen ist! Und sein Grossvater und meine Grossmutter waren doch

leibliche Geschwisterkinder. Das schöne Kreuzerl zwischen die Händ'! Man sieht halt, wie sehr sie ihn ästimirt haben."

"Ist sein bester Anzug. Noch kein Monat vom Schneider gekommen. Und das Kreuzel ist geweiht vom heiligen Vater ; kosť' Geld genug. Man tut halt, was man kann, und wenn man's sogar nöt so könnt'" wehrte die Witwe ab.

"Nöt so könnt ?" verwunderte sich die Alte. "Gehn's!" "No ja! Ein Geschäft haben wir. No ja! Aber weiss ich, wie's jetzt gehen wird und ob man's verkaufen kann, darnach es wert,ist? Ich hab mich mein Lebtag nöt d'rum gekümmert. Und der Karl ist noch gar zu jung. Wenn ich den nicht hätt'! Karltschi, komm her!" und sie küsste den so verdutzten Jungen, dass er sich nicht einmal sträubte, heftig ab.

"Nöt so könnt !" Das Weiblein konnte von dem Gedanken nicht los. "Und das grosse Haus am Neubau, wo der Franz immer gemeint hat, es ist ihm zu schad, drin zu wohnen, so teuer sind die Wohnungen und so reissen sich die Leut' d'rum?"

"Ihnen sag' ich's, weil Sie eine Verwandte sind. Gehört eigentlich der Sparkassen. Und, was meinen's, was die Leich wieder kosten wird? Weil man sich doch nicht ausspotten lassen will."

"Nöt möglich, und das viele Silber drinnen !"

Die Frau wurde ungeduldig: "Sind halt Resterln. Und was denken's, was man dafür in die guten Zeiten gegeben hat, und, wenn man's heut, Gott behüt', müsste verkaufen, was möchte man dafür kriegen, wo's Silber gar nix mehr wert ist? Behalt man's lieber."

"Wissen's

sein's nöt bös, wenn ich dumm daherred'. Aber was ist's mit die paar Gulden, was mir der Franz alle Monat 'geben hat?"

"Ich kann nix versprechen.

Testament hat sich keins

gefunden. Und ich weiss nix Gewisses, nöt einmal, was uns bleibt."

Eine

Die Alte schlug die Hände zusammen. "Und was soll ich anfangen ? Soll ich vielleicht in die Versorgung ? Rumplerische! Die Schand'!"

"Sind schon andere Leut' in die Versorgung gegangen.

Ist keine Schand'," tröstete die Witwe.

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