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3. Kapitel.

Die Protestanten und das übrige Frankreich).

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Einen Staat im Staat" hatte man wie erwähnt (S. 5) im 16. und 17. Jahrhundert den französischen Protestantismus wegen seiner Eigentümlichkeit und festen Organisation genannt; jezt im 18. Jahrhundert waren die Protestanten eine Heerde geworden mit geistlichen Hirten ohne nennenswerte politische und geistliche Macht. Noch galt das Wort von Mazarin über sie: „Die kleine Heerde weidet abseits und schlechtes Futter, aber sie weidet friedlich". 68) Die Gesetzgebung Ludwigs XIV. hatte die Richtung eingeschlagen, sie auch von dieser Weide zu vertreiben und die Einheit des Glaubens in jeder Hinsicht herzustellen. Es war eine verhängnisvolle Bahn, auf welche sich damit die französische Regierung begeben hatte, bei jedem Schritt vorwärts oder rückwärts erwuchsen ihr ungeahnte Schwierigkeiten; das ganze 18. Jahrhundert ist mit Versuchen angefüllt, einen rettenden Ausweg aus dieser schwierigen Lage nach irgend einer Seite hin zu finden. Jene stets wiederkehrenden Hoffnungen der Protestanten, welche wie erwähnt bei den Friedensschlüssen von Ryswick und Utrecht besonders laut wurden, daß die Regierung in Erkenntnis ihrer begangenen Fehler die ausgewanderten Hugenotten wieder zurückberufen und die alte Kultusfreiheit wieder gewähren werde, sind bekanntlich nicht in Erfüllung gegangen, eine absolute Regierung wie die Ludwigs XIV. konnte sich unmöglich zu solchen Zugeständnissen bequemen, d. h. in ihren eigenen Augen erniedrigen. Im Gegenteil Ludwigs leßtes Edikt vom 8. März 1715 hatte. die Richtung, welche der Regierung als die einzig angemessene galt nur um so deutlicher bezeichnet. Freilich es war

doch sehr die Frage, ob seine Nachfolger dies Testament so pünktlich und in seinem Geiste erfüllen würden. Von dem neuen Regenten, dem Herzoge Philipp von Orleans, dem geistvollen aber verwilderten und indolenten Sohne der gemütvollen Lise Lotte aus der Pfalz, glaubten viele Kreise, besonders auch die Protestanten, andere, bessere Zeiten erwarten zu dürfen. Seine Mutter hatte in glühendster Feindschaft mit Frau von Maintenon gelebt, man wußte überall, daß sie die bigotten Maßregeln des alternden Königs nicht gebilligt und die armen gequälten Kezer oft beklagt hatte. Ihren Sohn wußte man ähnlichen Grundsäßen huldigend, er war ein Feind der Jesuiten, manche seiner Aeußerungen verrieten eine stark freigeistige Richtung.69)

Nach der endlos währenden Regierung Ludwigs XIV. begrüßte ganz Frankreich den Aufgang der neuen Sonne wie eine Erlösung, allerdings um bald genug aufs bitterste enttäuscht zu werden; es sei nur erinnert an den berüchtigten Bankschwindel von John Law und die damit zusammenhängende Zunahme der Sittenlosigkeit, an die fortwährenden Streitigkeiten zwischen den Jansenisten und dem Papste, an die wachsende Zerrüttung des ganzen Staatswesens, welche die Zeit der Regentschaft zu einer der traurigsten Perioden in der Geschichte Frankreichs stempelt. Auch die Protestanten gehörten zu den Enttäuschten. Wohl wurde der Beichtvater Le Tellier aus dem „Gewissensrate" entfernt, aber der Regent gab sogleich nach seinem Regierungsantritt die bestimmte Erklärung ab, daß er die Edikte gegen die „Religionäre“ beobachten werde. Der niederschlagende Eindruck davon wurde jedoch dadurch etwas verwischt, daß die Hoffnung ausgesprochen wurde ihr gutes Verhalten werde ihm Gelegenheit geben, dem Zug seiner Gnade folgend Milderung eintreten zu lassen". Der Schimmer einer bessern Zeit schien aus diesen Worten hervorzuleuchten. Die Protestanten beteuerten in Bittschriften und Synodalbeschlüssen ihren Gehorsam gegen die Obrigkeit, sie hielten die Zurückhaltung des Regenten für eine Maßregel politischer Klugheit, weil er nicht in auffälliger Weise so rasch nach Ludwigs Tode mit dessen Regierungsart brechen wolle. 7) Die persönliche Abneigung seines Oheims gegen die „Hugenotten“ teilte er durchaus nicht, aber er war auch weit davon entfernt, einen entschie

denen Schritt zu ihren Gunsten zu thun. Es mag sein, daß die Vorstellungen, welche Saint-Simon über die Schwierigkeiten machte, welche die Hugenotten den früheren Königen Frankreichs bereiteten, ihres Eindrucks nicht verfehlten; zunächst wurde eine allgemeine Aufnahme über den Zustand der Protestanten im ganzen Lande in der Stille befohlen (1716), aber zu gleicher Zeit erschien ein Edikt (Mai oder Juni 1716), welches die alten Verbote erneuerte, besonders auch die Versammlungen in jeder Hinsicht untersagte. In alter Weise gingen die Verfolgungen ihren Gang. In Moulière bei Anduze wurde im Anfang des Jahres 1717 eine Versammlung überrascht, 74 Personen gefangen, davon 22 Männer zu lebenslänglicher Galeerenstrafe verurteilt, die Frauen in den Thurm La Constance nach Aigues-Mortes oder in das Gefängnis nach Carcassonne gesperrt; auf dem Marktplaze in Anduze wurde vom Henker ein Pfahl aufgerichtet und an denselben die Namen sämmtlicher Verurtheilten angeschlagen; die Stadt erhielt eine Einquartierung von 10 Compagnien Soldaten; fast keine Familie war in dem Ort, welche nicht unter diesem Unglück zu leiden gehabt hätte.71) In Vans (Dép. Ardèche) versammelten sich die Protestanten 1719 zum erstenmal wieder seit 1684; über 200 Personen, 3⁄4 der protestantischen Bevölkerung des Ortes nahmen an der „Société“ (Gesellschaft) teil, allein die Sache wurde ruchbar und 2 Compagnien Soldaten wurden 22 Jahre lang auf Kosten der Protestanten dort einquartiert.72) In dem Dauphiné wurden bei Bourdeaux große Versammlungen gehalten, welchen bis zu 5000 Personen beiwohnten; es hieß ein Priester sei dort ermordet worden. Am 13. Januar 1719 drangen 8 Compagnien Soldaten in das Thal, um die Aufrührer zu bestrafen; der menschenfreundliche Offizier de Metral erkannte bald die friedliche Gesinnung der Einwohner, zumal da der totgesagte Priester ihm entgegen kam; statt der be fohlenen 72 wurden nur 8 Häuser zerstört, freilich kostete der Aufenthalt der Soldaten, welche 3 Wochen blieben, der Gemeinde 60-70000 Mark.73) Im Januar 1720 wurde eine Versammlung in der Grotte La Baume des Fades überrascht, 20 Männer wurden zu Galeeren verurteilt, aber nur wenige hatten dies traurige Schicksal zu erdulden, die andern sollten mit den Frauen und Mädchen nach der neuen Kolonie Louisiana in Amerika deportirt werden

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auf die Fürbitte des englischen Gesandten gestattete ihnen der Regent die Auswanderung nach England.74) Aus allen Gegenden Frankreichs ließen sich ähnliche Beispiele anführen, welche den seltsamen Beweis liefern, daß die Zeit der Regentschaft für die Protestanten keineswegs eine Periode der Toleranz war, wie sie so oft dargestellt wird. Nicht blos in Betreff der Versammlungen beharrte man bei den alten Maßregeln und Verboten, auch in der übrigen Gesetzgebung trat keine Aenderung ein; so wurde durch die Deklaration vom 16. Februar 1717 das alte Verbot für die ehemaligen Reformierten auf 3 Jahre erneuert, ihre Güter zu verkaufen und ein Kauf, der troßdem stattfand, am November 1717 für ungiltig erklärt.75) Auch auf die Pässe derer, welche auswandern wollten, wurde ein schärferes Augenmerk gerichtet, und endlich sei noch erwähnt, daß am 22. Januar 1718 Arnaud in Alais gehenkt wurde aus keinem andern Grunde, als weil er ein Geistlicher war. Die Klage (complainte) welche bei diesem Anlaß gedichtet und als fliegendes Blatt unter den Reformierten verbreitet wurde, enthielt die bezeichnenden Worte: Ihr treuen Brüder, verlieret nicht den Mut im Kampfe!76)

Es war dies auch bei ihnen nicht der Fall; vor Allem konnten sie sich dessen trösten, daß troß aller Verfolgung ihre Treue gegen König und Obrigkeit unverbrüchlich blieb. Als Arnaud gefangen wurde, bedurfte es nur eines Wortes und die erregten Protestanten hätten ihn gewaltsam befreit. Aber Court trat jedem derartigen Ansinnen entschieden entgegen und sprach offen aus, daß, wenn ihm beschieden sei, verhaftet zu werden, man es auch ruhig geschehen lassen solle; lieber wolle er, daß die Wahrheit durch den Tod dessen, der sie gepredigt habe, besigelt werde, als daß das ganze Land in Flammen gerate.77) Der Intendant von Rouen berichtet zur Bestätigung des friedlichen Verhaltens der Protestanten, daß das vorgebliche Anhäufen von Waffen in den Versammlungen, welches man den Religionären Schuld gebe, nur in der Einbildung bestehe.78)

Und doch konnte sich die Regierung ihrer Furcht vor einem bewaffneten Aufstande nie entschlagen, so oft ein Krieg die Grenzen Frankreichs bedrohte, so gewaltig war noch nach Jahrzehnten das Nachzittern des furchtbaren Kamisardenkrieges und seiner schreck

lichen Folgen. Die Verwicklungen mit Spanien, welche zu der Verbindung Frankreichs mit den beiden protestantischen Mächten England und Holland führten (1719), erzeugten auf einmal das Gerücht, die Protestanten des Südens wollten sich erheben, von spanischen Sendlingen aufgereizt, die von Poitou ständen schon unter den Waffen. Um jeden Preis mußte man der Möglichkeit, mitten im Lande einen neuen und gefährlichen Feind zu haben, begegnen, die Regierung wandte sich unter der Hand an die zwei einflußreichen Geistlichen Basnage im Haag und Pictet in Genf mit der Bitte, sie möchten in friedlichem Sinne auf ihre Glaubensgenossen einwirken. Bereitwillig entsprachen beide dem etwas eigentümlichen Ansinnen, das aber im Grunde mit ihren eigenen Anschauungen von dem Gehorsam gegen die Obrigkeit übereinstimmte. Die Schrift von Basnage wurde in Masse unter den Protestanten Frankreichs verbreitet, Pictet wandte sich mit einem Briefe an Court, worin er zu Ruhe und Gehorsam ermahnte Aber nicht genug damit, sondern die Regierung sandte im August 1719 den Herzog von Beaulieu, um sich persönlich von dem Zustande in Languedoc zu überzeugen und mit Court in Verbindung zu treten. Dieser war auf das höchste erstaunt, als er durch zwei Protestanten von Nimes brieflich Mitteilungen von dem Herzoge erhielt, in welchen die Versicherung ausgesprochen war, daß er die besten Wünsche hege für sie und daß er sie auffordere, den weisen Ratschlägen Pictets zu folgen. Rasch antwortete er dem Herzoge; mit gutem Gewissen konnte er versichern, daß die Zeiten von Roland und Cavalier vorüber seien und daß in ihren Herzen mit unauslöschlichen Buchstaben Treue und Ergebung gegen den König und Regenten eingegraben sei. Der Brief fand die beste Aufnahme; der Herzog von Beaulieu antwortete in schmeichelhaften Ausdrücken, nach Hofe konnte er berichten, daß er alles ruhig gefunden, es stellte sich heraus, daß die ganze Sache auf die erdichteten Angaben eines Abenteurers, eines erbitterten Feindes der Protestanten zurückzuführen war.79)

Es war nur zu begreiflich, daß die Protestanten aus dieser veränderten Haltung der Regierung die größten Hoffnungen schöpften. Schon die Verbindung des katholischen Frankreich mit den zwei größten protestantischen Mächten war ihnen verheißungsvoll er

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