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gehegt und der ihm bald mitgeteilt worden, daß er Geistlicher werde, schien unerfüllt zu bleiben. Er sollte einem Verwandten zuliebe sich dem Handel widmen, in seinem Lernen war er, wie es scheint, sich selbst überlassen. Aber diese Mußezeit führte ihn bald wieder auf jenen ersten Plan zurück. In seinem elterlichen Hause gerieten ihm einige lose Bibelblätter, welche den Nachforschungen der Priester glücklich entgangen, und welche die Mutter sorgfältig aufgehoben und verborgen hatte, in die Hände. Später erhielt er dazu einige kleine theologischeSchriften, Drélincourts„Tröstungen einer gläubigen Seele“, Barters „Stimme Gottes“; besonders wichtig war ihm eine kleine anonyme Broschüre: „Der Streit eines Schäfers mit seinem Geistlichen“, eine jener Gelegenheitsschriften, die dazu bestimmt waren, den theologisch ungeschulten Protestanten die Waffen in die Hand zu geben, um ihren Glauben. zu verteidigen und die Mißbräuche der katholischen Konfession aufzudecken. Als ein Geschick der Vorsehung, als einen Fund vom Himmel gesandt begrüßt Court in seinen Denkwürdigkeiten, die leider nur die erste Hälfte seines Lebens umfassen, diese Büch= lein; mächtig trugen sie dazu bei, nicht blos seine Kenntnisse zu vermehren, sondern auch ihn in seinen Grundsäßen zu bestärken und ihn zu dem Berufe zu begeistern, welcher ihm immer mehr begehrenswert erschien.

Ziemlich frühe wohnte er einer Versammlung der Wüste an; er hatte bemerkt, daß seine Mutter von Zeit zu Zeit bei Nacht ihre Wohnung verlasse, vorsichtig Achtung gebend, dabei nicht gesehen zu werden. Scharfsinnig schloß er, nur die geheimen Versamm= lungen, von welchen er sonst schon gehört, könnten diese ernste Frau zu einem solchen, ihrem ganzen übrigen Wesen widersprechenden Gebahren veranlassen. Nun schlich er ihr einmal nach, seine flehentliche Bitte, mit ihr beten zu dürfen, rührte ihr das Herz, sie nahm ihn zu dem stundenweit entfernten Orte mit: einige kräftige Bursche erbarmten sich des müden Knaben und trugen ihn auf ihren Schultern. Unvergeßlich blieben ihm die Eindrücke dieses ersten Gottesdienstes; was einen solchen Gottesdienst feierlich machen konnte, die Stille der Nacht, die Einsamkeit, das Bewußt= sein einer stets drohenden Gefahr, wirkte mächtig auf die empfin= dungsvolle, jugendliche Seele; es verstärkte den Eindruck des ersten

Gotteswortes, über welches eine Frau aus der Nachbarschaft sprach: „Was sollte man doch mehr thun an meinem Weinberge, das ich nicht gethan habe an ihm? warum hat er denn Heerlinge gebracht, da ich wartete, er möchte Trauben bringen?" (Jesaia 5, 4) Sehr erbaut war Court von dieser Predigt, und von da an war sein Entschluß gefaßt; nur allzugern entsagte er dem kaufmännischen Berufe; denn was galt ihm auch der höchste irdische Gewinn gegenüber dem Berufe, zu welchem ihn eine innere Stimme immer lebhafter zog! Von jezt an machte er es sich zur Aufgabe, Frauen zu den Versammlungen zu begleiten, er lud eine Predigerin ein, bei seinem Geburtsorte eine Versammlung zu halten, er brachte die Zuhörer zusammen, traf die nötigen Vorsichtsmaßregeln, bald wurde er Vorleser und las die Schriftworte bei den Versammlungen, er berief Versammlungen, kurz der vierzehnjährige Knabe zeigte eine Rührigkeit, Entschlossenheit und Vorsicht, welche weit über seine Jahre hinaus ging. Bald trat er selbst als Prediger auf; ein Laienprediger Brunet-Chabrier hatte ihm vorgeschlagen, Frankreich zu verlassen, Court war aus welchem Grunde ist nicht ganz klar gern dazu bereit; zuvor aber wollten sie predigend das Vivarais durchwandern. Einmal war eine Versammlung in Vernoux berufen, der Prediger kam nicht, die Frauen, aus welchen sie bestand, forderten ihn auf zu sprechen, er entschloß sich dazu; eine Predigt von Dumoulin über 1. Tim. 2, 8, die er kurz zuvor gelesen, bot ihm reichen Stoff zu einer Rede über das Gebet, seine Begeisterung, seine kräftige Stimme gaben seinen Worten Nachdruck. Er gefiel allgemein, die Weissagung einer „Prophetin“, welche kurz zuvor ihm eine schöne Zukunft vorhergesagt hatte, schien in Erfüllung zu gehen, wie einen Engel vom Himmel gesandt betrachteten ihn die andächtigen Frauen; von jezt an war sein Beruf völlig entschieden. Damit beginnt seine eigentliche Wirksamkeit (Frühjahr 171329). Bald gelang auch eine Stegreifpredigt, in kurzer Zeit war sein Name auf aller Lippen, man freute sich des vielversprechenden Jünglings. Getragen von dieser Gunst durchzog er das Vivarais, auf schöne Früchte seiner Wirksamkeit konnte er bald zurückblicken, die Reise in das Ausland (die Schweiz) wurde aufgegeben, er blieb seinem Vaterlande treu. Vor dem klaren Auge des früh

reifen Jünglings standen deutlich alle die Gefahren und Mühsale, denen er sich als evangelischer Geistlicher ausseßte; aber die bisherigen Bewahrungen und Erfolge stärkten in ihm den Glauben an Gottes besonderen Schuß, so lange er sich desselben würdig benehme. „Sollte ich nicht alles opfern, ruft er aus, für eine Kirche, für welche der eigene Sohn Gottes sein Leben am Fluchholz gelassen hat?" 30) Mit dieser reinen Begeisterung eines von heiligem Eifer erfüllten Gemüts gelang es ihm auch, bei einem kurzen Aufenthalte, welchen er in seinem Heimatdorfe nahm, die Bedenken und Angst seiner heißgeliebten Mutter zu überwinden. Es war eine harte Probe, auf welche die Mutterliebe gestellt wurde; so gut wie ihr Sohn kannte sie den gefahrvollen Weg, den er zu betreten im Begriff war; alle etwa aufsteigenden romantischen Gedanken mußten bei beiden schwinden vor dem drohenden Galgen. Aber als treue Protestantin brachte sie das höchste Opfer, welches sie als Mutter ihrem Gotte und ihrem Glauben bringen konnte, als der Sohn in einer feurigen Improvisation über den Spruch: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist mein nicht wert, seine Begabung als Prediger ihr zeigte und damit alle Bedenken besiegte. Freudigen Herzens weihte sie den, der ihre Hoffnung und ihr Stolz war, seinem schweren Berufe und sie hatte die schöne Genugthuung, daß ihre Hoffnung nicht zu Schanden wurde. Einige wenige Briefe der trefflichen Frau sind uns noch erhalten, schlichte, einfache Schreiben voll Familiennachrichten von den Geschwistern, den Vettern und Basen, die nicht verfehlten, ihre „ehrfurchtsvollen“ Grüße und Empfehlungen dem hochangesehenen Verwandten darzubringen; aber was sie sonst schreibt, atmet die innigste Liebe, ein solches Gottvertrauen und solchen Glaubensmut, daß man wohl begreift, wie kräftigend und erhebend dies auf den Empfänger einwirken mußte und wie ferngesund die geistige Atmosphäre war, in welcher Court seine Jugendjahre zugebracht hatte. Umsonst würde man nach einer Mahnung suchen: er solle sich schonen, wohl aber ermahnt ihn die Mutter, sich immer mehr zu vervollkommnen. "Handle, heißt es in einem andern Briefe, in den Geschäften immer mit Klugheit und erinnere Dich, daß nicht Dein Anfang das Werk krönen wird, sondern das Ende“.31)

Aufs Neue, mit größerem Eifer begann Court seine Thätigkeit, er dehnte seinen Wirkungskreis aus, besuchte Uzès und Nîmes, wo er mit Jean Vesson, ebenfalls einem Laienprediger, zusammentraf: dann wagte er eine Missionsreise in dem Dauphiné, in Gemeinschaft mit Brunel, brachte einige Zeit in seiner Heimat zu und zog sich darauf den Winter von 1714-15 nach Marseille zurück. Das Bedürfnis, sich zu sammeln, — er hatte einen keineswegs sehr kräftigen Körper und Anfeindungen von Seiten der Propheten und besonders der Prophetinnen in seiner Heimat mochten in gleicher Weise zu diesem Entschluß beitragen. Die große Hafenstadt beherbergte damals in ihrem Bagno 150 protestantische Galeerensträflinge, „den Ruhm und die Zierde der Kirche", wie Court die standhaften Bekenner des Evangeliums mit Recht nannte. Während des Winters lagen die Schiffe, auf welche sie verteilt waren, abgerüstet im Hafen; in den niedern, dumpfen Kammern im untern Raume der Galeere hielt Court häufig Versammlungen mit den Gefangenen, sie tröstend und stärkend; von treuen Schildwachen behütet, welche jeden fremden Eindringling rasch melden mußten, sangen die Gefangenen mit halblauter Stimme ihre Psalmen und in greller Dissonanz tönte das Klirren ihrer Ketten in die heiligen Weisen. Selbst das Abendmahl teilte Court ihnen aus; das Gefährliche seines Beginnens reizte den jungen Prediger ebenso, als der schöne Erfolg ihn befriedigte. Am meisten Gewinn hatte er von seinen Unterredungen mit dem Baron von Salgas; 27. Juni 1703 war der damals 59 jährige Mann wegen Teilnahme an der Kamisardenempörung zu lebenslänglichen Galeeren verurteilt worden. Mit bewundernswerter Geduld und Standhaftigkeit ertrug der edle Mann, dem man höchstens eine Unvorsichtigkeit vorwerfen konnte, seine harte Strafe. 1716 wurde er endlich durch die Bemühungen seiner zahlreichen Freunde, welche Mitleiden mit seinem erschütternden Loose hatten, freigebracht; ein Jahr nachher starb er in Genf, wohin seine Frau und Kinder früher geflüchtet waren. Salgas hatte die reformierte Kirche Frankreichs noch in ihren guten Tagen, in Ordnung und Blüte geschaut; es ist nicht unmöglich, daß die Schilderungen davon Court den Weg wiesen, welchen er

einzuschlagen hatte, gewiß aber ist, daß sie seine Ansichten klärten und läuterten. 32)

Februar 1715 verließ er Marseille, um seine Predigerthätigkeit aufs Neue aufzunehmen; es forderte ihn ein anderer Prädikant Peter Carrière, genannt Corteiz, der von einem „talentvollen“ Jüngling Namens Court gehört hatte, zu gemeinsamer Arbeit auf. Eine rastlose anstrengende Thätigkeit begann in den nächsten Jahren; Nîmes, Anduze, Uzès, St. Hippolyte, alle mit Protestanten bevölkerten Städte und Ortschaften des Vivarais, des Languedoc, der Cevennen wurden besucht, überall Versammlungen gehalten; in die abgelegenen Dörfer und Marktflecken der Cevennen, deren Bewohner seit Jahren nichts mehr vom Worte Gottes gehört hatten, in die neugegründeten Bischofssite, wo die Neubekehrten strenge beobachtet wurden, in die Häuser der Bauern und Gleichgiltigen - überallhin ward der Same der Erweckung getragen. Einen festen, klaren Plan verfolgte Court von jener Zeit an. Wie ihn des Volkes jammerte, das keine Hirten hatte, wie er die Knechtschaft überdachte, unter welcher sie schmachteten, so mußte sein Ziel sein, hier Abhülfe zu treffen. Nicht durch Aufruhr und Gewalt; es mochte zwar in den Cevennen noch Leute genug geben, welche geneigt waren, die alten, verrosteten Flinten aus ihren Verstecken zu holen und aufs neue den Krieg mit der Obrigkeit zu beginnen; aber Court war eine zu besonnene und nüchterne Natur, um nicht die Vergeblichkeit und Thorheit eines solchen. Unterfangens von Anfang an einzusehen, und zu tief wurzelten seine Anschauungen in dem Boden der Schrift, welche den Gehorsam gegen die Obrigkeit gebietet, als daß er das Schwert gegen sie gezogen hätte. Von dem guten Willen des Hofes durfte er kein freundliches Entgegenkommen, keine Milderung der bestehenden Geseze erwarten; einige Briefe, welche er bei Beginn seiner Laufbahn an Priester und Beamte geschrieben, in welchen er ihnen ihr Unrecht vorhielt, hatten keine andere Wirkung, als daß man in der alten Weise fortfuhr. Auch die Hoffnungen, welche man nach Ludwigs XIV. Tode auf den Regenten seßte, verflogen rasch (siehe 3. Kap.).33) Nur von der eigenen Mitte der Protestanten konnte die Besserung ausgehen, sie sollte zusammenfallen mit einer vollständigen Erneuerung der reformierten Kirche. Vier Mittel, führte Court

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