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ihrer erscheint auf einmal Hamlet ganz allein. Sie gerathen an einander; Klodius ruft nach seinen Mitverschworenen. Sie stürzen herzu, aber in eben dem Augenblicke sinkt er, von dem Dolche Hamlets getroffen, todt darnieder. Man will sich auf Hamlet stürzen, aber die Worte: gegen Euren König? lähmen aller Arme, und der Vorhang fällt. So weit der Teutsche Merkur. Also ein König, der an stehn gebliebenem Gifte stirbt; ein tugendhafter Cicisbeo, wie ihn der gute Ton erfordert; ein Geist, der sich nicht aus den Kulissen hervorwagt, weil ihn die Zuschauer nichts angehen und er ausgepfiffen zu werden fürchtet; ein wohlgezogener Sohn, der weder Ophelien zum Besten hat, noch seiner Mutter einen Spiegel vorzuhalten sich untersteht; endlich ein unterthäniges Volk, dessen Arme durch die blossen Worte: Gegen euern König? gelähmt werden das sind die höchst tragischen Bestandtheile des französischen Stükkes! Wahrlich das ist, wie das Sprüchwort sagt: Hamlet with Hamlet left out!

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Wir kommen zum letzten, aber nichts weniger als unbedeutendsten Zeitraum in der Geschichte des Shakespeare'schen Hamlet, nämlich zum deutschen. Hamlet gehört keineswegs zu denjenigen Stücken Shakespeare's, welche am frühesten in Deutschland bekannt wurden; dafür hat er aber von allen die weitgreifendsten und nachhaltigsten Einflüsse auf unsere Literatur, unsere Bühne und unser geistiges Leben überhaupt ausgeübt. Unter den Stücken der sogenannten Englischen Comödianten, welche um das Jahr 1600 Deutschland durchzogen und die deutsche Bühne (oder richtiger gesagt Scheune) beherrschten, findet sich wol ein Titus Andronicus, aber kein Hamlet. Auch Jacob Ayrer, der um dieselbe Zeit das englische Schauspiel auf deutschen Boden verpflanzte, hat Shakespeare's Hamlet weder übersetzt, noch bearbeitet, und vielleicht gar nicht gekannt; denn was in seiner Pelimperia an Hamlet erinnert, ist aus Kyd's Spanish Tragedy entlehnt, und überdiess dürfen wir in Bezug auf dergleichen Anklänge und Ähnlichkeiten nicht vergessen, was Gervinus Shakespeare (III, 86 und III, 107. 1. Ausg.) bemerkt, dass wir wie beim Roman vielfache ganz Europa gemeinsame Quellen auch des Dramas annehmen müssen.

1 Englische Comedien und Tragedien, d. i. sehr schöne herrliche und auserlesene, geist- und weltliche Comedi- und Tragedi - Spiel, sampt dem Pickelhering u. s. w. Zuerst 1620. Zum andern Mal gedruckt und corrigirt 1624. S. Gottsched's Nöthigen Vorrath S. 182 und 189. Vgl. New Monthly Magazine. Jan. 1841.

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Weder Gottsched in seinem Nöthigen Vorrath, Leipzig 1757, noch Freiesleben in seiner zu Leipzig 1760 erschienenen Kleinen Nachlese dazu, erwähnen einer Übersetzung, Bearbeitung oder Aufführung des Shakespeare'schen Hamlet, und wir haben keinerlei Umstand oder Thatsache aufgefunden, aus der sich das Bekanntsein des Hamlet in Deutschland vor Wieland's Epoche machender Übersetzung von 'Shakespeare's Theatralischen Werken' (Zürich 1762 1766 in 8. Bdn.) beweisen liesse, ausgenommen die Angabe, dass Eckhof ein Exemplar der alten Wienerischen Bühnenbearbeitung des Hamlet mit der Jahreszahl 1710 besessen haben soll. 1 Ja Shakespeare selbst war bis dahin in unserm Vaterlande eine so gut wie unbekannte Grösse; und das Wenige, was Barthold Feind (1678-1723, so viel Gervinus III, 541 [erste Ausg.] weiss, der erste Deutsche, der den berühmten englischen Tragikus Shakespeare kennt und lobend erwähnt), was Morhof, Jöcher und Gottsched von ihm in Erfahrung gebracht und begriffen hatten, hat A. Stahr in seiner vortrefflichen Abhandlung Shakspeare in Deutschland übersichtlich zusammengestellt und in geistreicher Weise nachgewiesen, welchen Einfluss und welche Wechselwirkungen die Wielandsche Übersetzung auf diesen selbst, auf Lessing, der zuerst Shakespeare erkannte, wie endlich auf Göthe und seine rheinischen Genossen ausgeübt hat. 3 Die erste ausführliche Besprechung Shakespeare's, welche durch Wieland's Übersetzung veranlasst wurde, erschien schon 1766 und knüpfte sich merkwürdig genug an den Hamlet. Es war Gerstenberg's 'Etwas über Shakespeare'. 'Sie lachen, so fängt er seinen in Briefen geschriebenen Aufsatz an, über die beispiellose Gewandtheit des dänischen Prinzen Hamlet, der innerhalb des kurzen Spielraums von 20 oder 30 Minuten, denn länger war's schwerlich, da ihn der Zuschauer Abschied nehmen sah, um an Bord zu gehen auf seiner Seefahrt nach England mit einem Kaper handgemein wird, das Schiff dieses Kapers entert, und da er bei dem Entern in die Gefangenschaft des Kapers gerathen und gegen ein Lösegeld auf der dänischen Küste wieder an's Land gesetzt ist, unmittelbar darauf einen Zweikampf mit Laertes übernimmt, in welchem Beide um's Leben kommen. Aber was, fährt er

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1 Ed. Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst. Leipzig 1848. II, 359 folgg.

2 In Prutz's Literarhist. Taschenbuch. Erster Jahrgang 1843. S. 1—89. 3 Vgl. Gervinus Shakespeare I, 21-34.

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Gerstenberg's Vermischte Schriften (Altona 1816) III, 249-351.

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sich tröstend fort, ist diese viertelstündige Seereise mit allen ihren Seegefechten und Abenteuern gegen die Schnelligkeit einer Landreise von Madrid nach Toledo, die uns der grosse spanische Schauspieldichter Don Pedro Calderon in dem Zeitmaasse eines einzigen vierfüssigen Verses zum Besten giebt?' Gerstenberg versucht sich aus dem drückenden Widerstreite zwischen der überwältigenden Dichtergrösse Shakespeare's einerseits, und der von den Franzosen auch uns Deutschen aufgezwungenen Tyrannei der Aristotelischen Einheiten andererseits dadurch zu retten, dass er die Aristotelische Poetik für ein ziemlich obenhin, oder wenigstens nach sehr prekären Prämissen überdachtes Werk' erklärt (S. 267), die ohne Zweifel ein sehr gedachtes Werk geworden sein würde, wenn Aristoteles freie Hand gehabt hätte, seine Theatergesetze aus der Natur des menschlichen Verstandes zu schöpfen, statt sie aus der Theaterempirie zu abstrahiren, die von den Vorfahren und der Priesterschaft sanctionirt worden war' (S. 262). Er unternimmt es, statt der verworfenen Aristotelischen Regeln aus Shakespeare selbst die Grundzüge zu einer Philosophie der dramatischen Dichtkunst zu entlehnen; er pflichtet dem Hamlet bei, welcher es für den Zweck des Dramas erklärt: to hold as 't were the mirror up to nature, and to show the very age and body of the time, his form and pressure. Ja er geht sogar alles Ernstes auf die von Polonius gegebene Klassification der dramatischen Dichtung ein und theilt danach Shakespeare's Stücke folgendermaassen ein (S. 339 sqq.): I. Tragedy. Macbeth. King Lear. Hamlet. Othello. Cymbeline. Timon of Athens. Troilus and Cressida. Romeo and Juliet. II. History. Henry IV. Henry V. Richard III. King John. Henry VIII. Richard II. Henry VI. Julius Cæsar. Antony and Cleopatra. Coriolanus. Titus Andronicus. III. Comedy. Merry Wives of Windsor. Measure for Measure. Twelfth Night. Much Ado about Nothing. As You Like It. All's Well that Ends Well. Two Gentlemen of Verona. Taming of the Shrew. Comedy of Errors. Merchant of Venice. IV. Pastoral. Tempest. Midsummer Night's Dream. V. Pastoral - Comical.

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1 In der Comedia famosa Cada uno para sí. Vgl. J. M. R. Lenz. Gesammelte Schriften, herausg. v. Tieck, II, 336 sq., wo die Verweisung (!) des jungen Melankolikers aus Dänemark nach England' als nothwendig betrachtet wird, um seinen Charakter und die in demselben liegende Haupthandlung des Stücks durch alle Zwischenfälle hindurchzuführen und in ihr volles Licht zu setzen.' Durch ein unbegreifliches Versehen lässt übrigens Lenz den Hamlet mit den norwegischen Truppen, die nach Polen gehen, in England zusammentreffen.

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Winter's Tale. VI. Historical - Pastoral. Love's Labour's Lost. Als einen unübertrefflichen Kanon für die Darstellung stellt er die Regeln auf, welche Hamlet §. 115-117 dem Schauspieler ertheilt, und hält endlich die Anlage des Hamlet mit der griechischen Elektra zusammen, ohne jedoch auf eine Ausführung dieser Zusammenstellung einzugehen. Dass übrigens mit der Anwendung der Polonius'schen Klassification auf Shakespeare durchaus Nichts erreicht wird, hat bereits Herder eingesehen, welcher es ganz richtig für einen blossen Einfall erklärt, das Kind Polonius zum Aristoteles des Dichters zu machen, und die Reihe von Als und Cals, die er in seinem Geschwätz wegsprudelt, zur ernsten Klassification aller Stücke vorzuschlagen. Auch Lessing, der als kritischer Herkules die Hydra des französischen Geschmacks erwürgt und zuerst in Deutschland die Shakespeare'sche Poesie auf den Thron erhoben hat, fühlte wol, dass gerade der Hamlet ein Markstein zwischen dem französischen und englischen Geschmack und der Kunsttheorie beider Nationen ist. Schon unter dem 16. Febr. 1759 (also noch vor Wieland's Übersetzung) schreibt er in den Briefen, die neueste Literatur betreffend, dass nach dem Ödipus des Sophokles in der Welt kein Stück mehr Gewalt über unsere Leidenschaften haben müsse, als Othello, als König Lear, als Hamlet u. s. w. 2 In dem Elften Stück der Hamburgischen Dramaturgie (5. Juni 1767)3 stellt er die bereits erwähnte berühmte Vergleichung zwischen dem Geist in Voltaire's Semiramis und dem Geist in Shakespeare's Hamlet an, in welcher er die Grösse Shakespeare's wie die Blösse Voltaire's auch dem blödesten Auge überzeugend dargelegt hat. Er weist nach, dass und in welchem Sinne ein dramatischer Dichter auch jetzt von Gespenstern Gebrauch machen dürfe, indem es nur darauf ankomme, dass der Dichter die Kunst besitze, den in uns allen liegenden Samen, an Gespenster zu glauben, zum Keimen zu bringen; dass er gewisse Handgriffe inne habe, den Gründen für die Wirklichkeit der Gespenster in der Geschwindigkeit den Schwung zu geben. Hat er diese in seiner Gewalt, so mögen wir im gemeinen Leben glauben, was wir wollen; im Theater müssen wir glauben, was Er will. 'So ein Dichter, fährt Lessing fort, ist Shakespeare und Shakespeare fast einzig und allein.

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In dem Aufsatze: Shakespeare. 1773. Werke. Zur schönen Literatur und Kunst (Tübingen 1815) XIII, 265.

2 Lessing's Gesammelte Werke (in 10 Bdn), Leipzig, 1841. V, 55.

3 Lessing's Gesammelte Werke VII, 60-69.

Vor seinem Gespenste im Hamlet richten sich die Haare zu Berge, sie mögen ein gläubiges oder ungläubiges Gehirn bedecken. Der Herr von Voltaire that gar nicht wohl, sich auf dieses Gespenst zu berufen; es macht ihn und seinen Geist des Ninus

lächerlich. Shakespeare's Gespenst kömmt wirklich aus jener Welt; so dünkt uns. Denn es kömmt zu der feierlichen Stunde, in der schaudernden Stille der Nacht, in der vollen Begleitung aller der düstern, geheimnissvollen Nebenbegriffe, wenn und mit welchen wir, von der Amme an, Gespenster zu erwarten und zu denken gewohnt sind. Aber Voltaire's Geist ist auch nicht einmal zum Popanze gut, Kinder damit zu schrecken; es ist der blosse verkleidete Komödiant, der nichts hat, nichts sagt, nichts thut, was es wahrscheinlich machen könnte, er wäre das, wofür er sich ausgiebt; alle Umstände vielmehr, unter welchen er erscheint, stören den Betrug, und verrathen das Geschöpf eines kalten Dichters, der uns gern täuschen und schrecken möchte, ohne dass er weiss, wie er es anfangen soll. -Voltaire's Gespenst ist nichts als eine poetische Maschine, die nur des Knotens wegen da ist; es interessirt uns für sich selbst nicht im geringsten. Shakespeare's Gespenst hingegen ist eine wirklich handelnde Person, an dessen Schicksale wir Antheil nehmen; es erweckt Schauder, aber auch Mitleid. Dieser Unterschied entsprang, ohne Zweifel, aus der verschiedenen Denkungsart beider Dichter von den Gespenstern überhaupt. Voltaire betrachtet die Erscheinung eines Verstorbenen als ein Wunder; Shakespeare als eine ganz natürliche Begebenheit. Wer von beiden philosophischer denkt, dürfte keine Frage sein; aber Shakespeare dachte poetischer.'

Aus dem Gesagten geht hinlänglich hervor, dass der Hamlet in jenem bedeutungsvollen und erfolgreichen Kampfe zwischen dem Anglicismus und Gallicismus, der wie so viele und nicht bloss literarische Kämpfe, auf deutschem Grund und Boden ausgefochten wurde, eine wichtige und einflussreiche Stelle einnahm. Allein dieser Einfluss des Hamlet auf unsere Literatur beschränkte sich keineswegs auf das Feld der Kritik, sondern ergriff alle Kreise und zog sie unwiderstehlich in seinen Strudel hinein. Hamlet und seine Monologen, sagt Göthe, blieben Gespenster, die durch alle jungen Gemüther ihren Spuk trieben. Die Hauptstellen wusste ein Jeder auswendig und rezitirte sie gern, und Jedermann glaubte, er dürfe eben so melancholisch sein, als der Prinz von Dänemark, obgleich er keinen Geist gesehen und keinen königlichen Vater zu rächen hatte. 'Man könnte diese ganze Periode unserer poetischen Literatur' (vor

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