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Er erkennt einzelne Schönheiten im Hamlet an, findet aber das Ganze scheusslich. Er nennt das Stück ein Ungeheuer (monstre) und erzählt mit Entsetzen, wie er bei der Darstellung desselben in England Bier und Branntwein habe auf den Tisch setzen und die Schauspieler davon trinken sehen. Die Todtengräber-Scene ist ihm ein Greuel und mit Marmontel beglückwünscht er die Engländer, dass sie in dieser Beziehung ihren Geschmack verbessert hätten; er führt Marmontel's eigene Worte an: 'On abrège tous les jours Shakespeare, on le châtie; le célèbre Garrick vient tout nouvellement de retrancher sur son théâtre la scène des fossoyeurs, et presque tout le cinquième acte. La pièce et l'auteur n'en ont été que plus applaudis'. In seiner Semiramis hat Voltaire bekanntlich den Geist des Hamlet nachgeahmt, sich aber mit dieser Nachahmung nach Lessing's Ausdrucke lächerlich' gemacht. Die Vergleichung, welche Lessing zwischen dem Shakespeare'schen und dem Voltaire'schen Geiste angestellt hat, ist mit so vollendeter kritischer Meisterschaft geschrieben, dass sie bis heute noch nicht übertroffen ist. 2 Auch Baretti (S. 100-111) hat eine Parallele zwischen dem Geiste Hamlets und dem des Ninus gezogen und mit glänzender Schärfe gezeigt, dass der erste ein wahrer Geist, der in seiner einfachen Erhabenheit Furcht und Schrecken erregt, der andere ein blosses Possenspiel ist, dass der erste vollständig dem Volksglauben entspricht, während der zweite keine andere Unterlage hat, als die Einbildungskraft des Herrn von Voltaire. Übrigens macht Baretti darauf aufmerksam, dass Voltaire seinen Geist gar nicht von Shakespeare, sondern von einem italienischen Dichter des 16. Jahrhunderts, Muzio Manfredi, entlehnt hat, welcher ebenfalls eine der Voltaire'schen sehr ähnliche Semiramis geschrieben hat, die Voltaire in seiner Vorrede anzuführen wohlweislich vergessen habe. 3

Die Entwickelung des Ganges und Planes des Hamlet, wie sie Voltaire in der Einleitung zur Semiramis giebt, ist ein zu köstliches Kabinetsstück, als dass sie nicht in einer Geschichte des Hamlet eine Stelle finden sollte. 'Je suis bien loin, assu

1 Es ist auf S. XXXIII sq. bereits erwähnt worden, dass nach der Angabe von Eschenburg a. a. O. S. 55 die Wirkung der Garrick'schen Bearbeitung eine ganz entgegengesetzte war.

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Hamburgische Dramaturgie. Elftes Stück (vom 5. Juni 1767).

3 Sie erschien nach Baretti zu Bergamo, 1593. 4°. Vergl. Stefano Orlandini, Teatro Italiano, o sia Scelta di Tragedie per uso della Scena. Venezia 1746. Vol. II. Hallam II, 149.

rément, sagt er III, 344, de justifier en tout la tragédie d'Hamlet; c'est une pièce grossière et barbare, qui ne serait pas supportée par la plus vile populace de la France et de l'Italie. Hamlet y devient fou au second acte, et sa maîtresse devient folle au troisième; le prince tue le père de sa maîtresse feignant de tuer un rat, et l'héroine se jette dans la rivière. On fait la fosse sur le théâtre; des fossoyeurs disent des quolibets dignes d'eux, en tenant dans leurs mains des têtes de morts; le prince Hamlet répond à leurs grossièretés abominables par des folies non moins dégoûtantes. Pendant ce tems-là, un des acteurs fait la conquête de la Pologne. Hamlet, sa mère et son beaupère boivent ensemble sur le théâtre: on chante à table, s'y querelle, on se bat, on se tue; on croirait que cet ouvrage est le fruit de l'imagination d'un sauvage ivre. Mais parmi ces irrégularités grossières, qui rendent encore aujourd'hui le théâtre anglais si absurde et si barbare, on trouve dans Hamlet, par une bizarrerie encore plus grande, des traits sublimes, dignes des plus grands génies. Il semble que la nature se soit plue à rassembler dans la tête de Shakespeare ce qu'on peut imaginer de plus fort et de plus grand, avec ce que la grossièreté sans esprit peut avoir de plus bas et de plus détestable'.

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Greller kann der Gegensatz zwischen dem französischen und englischen Geschmacke, ja zwischen dem romanischen und germanischen Charakter überhaupt unmöglich ausgesprochen werden. Die Shakespeare'schen Tragödien und Lustpiele haben sich nach Hegel's treffendem Urtheile ein immer grösseres Publikum verschafft, weil in ihnen aller Nationalität ungeachtet das allgemein Menschliche bei Weitem überwiegt, so dass Shakespeare nur da keinen Eingang gefunden hat, wo die nationalen und Kunstkonventionen so enger und spezifischer Art sind, dass sie den Genuss solcher Werke entweder schlechthin ausschliessen, oder doch verkümmern. 1 Mit andern Worten, bei dem englischen Dichter ist die Nationalität der Reif, in der die Menschlichkeit nur um so zusammengefasster strahlt, während sie dieselbe bei dem französischen Dichter gleich einem eingewachsenen Kettenringe unterbunden und erstickt hat. Dazu kommt noch, dass der Hamlet ein wesentlich nordisches Trauerspiel ist, während in Voltaire, wie in den Franzosen überhaupt, die südlichen Elemente unverkennbar sind. So lange Shakespeare und Voltaire als die Repräsentanten der

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englischen und französischen Poesie gelten werden, so lange werden sich die beiden Nationen trotz aller herzlichen Einverständnisse und politischen Bündnisse ihrer zeitweiligen Herrscher wie entgegengesetzte Pole abstossen, während umgekehrt die Einbürgerung Shakespeare's und seines Hamlet in Deutschland einer der stärksten Beweise für die unvertilgbare Einheit des germanischen Stammes ist. Die Geschichte hat auch hier bereits zu Gericht gesessen. Während die Zeit den prophetischen Ausspruch Ben Jonson's von Shakespeare: He was not of an age, but for all time 'lieblich erfüllet' hat, ist Voltaire von den Bühnen Europa's, die er einst beherrschte, verschwunden und behauptet sich mit Mühe auf seiner eigenen.

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Trotz ihres gänzlichen Mangels an Verständniss für die englische Denk- und Dichtweise haben die Franzosen nichtsdestoweniger die Mode der Anglomanie durchgemacht. Voltaire hat darüber einen Brief an die Herausgeber der Gazette Littéraire gerichtet (1764) und sein mehrfach erwähntes Schreiben an die Akademie giebt gleichfalls einige Andeutungen darüber. Nach ihm scheint die französische Anglomanie mehr äusserlicher Art gewesen zu sein, während sie in Deutschland vielmehr eine innerliche war. Wahrscheinlich wurde sie auch durch die Verbindung Frankreichs mit Amerika während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und durch Franklins Aufenthalt in Paris (1776-1786) wesentlich befördert. Selbst der Hamlet wurde im Jahre 1769 den Franzosen von einem ihrer Akademiker, Jean François Ducis, geb. zu Versailles 14. August 1733, gest. daselbst 31. März 1816, mundgerecht gemacht. Diese Orts- und Zeitangabe ist nicht ohne Bedeutung, insofern sie von vorn herein die Vermuthung begründet, dass Ducis den Hamlet nicht nur in's Französische, sondern vielmehr in's Versailles'sche übertragen haben werde; ein grösserer Gegensatz als zwischen Shakespeare's London und dem Versailles des Ducis lässt sich aber in der That kaum denken. Nach der Versicherung der holländischen Übersetzer Shakespeare's bekennt Ducis selbst, dass er kein Englisch verstanden, sondern seine Kenntniss des Originals aus der Übersetzung von de la Place geschöpft hat.' Diese in den Jahren 1745- 48 erschienene Übersetzung trägt das Motto an der Spitze: Non verbum reddere verbo, und hat dasselbe in solchem Maasse zur Wahrheit gemacht, dass sie

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1 Oeuvres Complètes 49, 188 sqq. Vgl. Grimm Correspondance Secrète. 2 William Shakespear's Tooneelspelen. Amsterdam 1778. I, 188. Es ist uns leider nicht möglich gewesen, den Hamlet von Ducis zu erlangen,

alles andere, aber keine Übersetzung, ja nicht einmal mehr eine Bearbeitung genannt zu werden verdient. Von den meisten Scenen wird nur der Inhalt angegeben, und nur Einzelnes ist wirklich übersetzt, natürlich in Prosa, bis auf die Unterredung Hamlets mit dem Geiste und das Gebet des Königs, welche in Alexandrinern übertragen sind. Die Übersetzung wimmelt von Fehlern aller Art, von Auslassungen, Zusätzen und Umstellungen. Um nur Ein Beispiel anzuführen, so sind die berühmten Verse: He was a man &c. buchstäblich also übersetzt: Ami, c'étoit un homme! je ne t'en dis pas plus: je n'en connois point d'autre. Aus einer so trüben Quelle hat Ducis geschöpft, und dennoch hat er es gewagt, nicht allein den Hamlet, sondern auch Romeo und Julie (1772), König Lear (1783), Macbeth (1784), König Johann (1791) und Othello (1792) zu französisiren. Namentlich sein Hamlet erfreuete sich eines grossen Ruhmes, erhielt sich lange auf der Bühne und wurde iu's Italienische und Holländische übersetzt. 1 Die Biographie des Contemporains 2 preist ihn mit den Worten, es sei der Hamlet Shakespeare's, befreiet von allem Trivialen und Burlesken, und Ducis habe sich darin als einen geschickten Zauberer gezeigt, der durch den Reiz und die Kraft seiner Worte die Sonne vom Nebel befreiet habe. Was ein solches Lob zu bedeuten habe, ist uns zur Genüge bekannt und wird durch folgende Zergliederung des Stückes, welche wir einem Korrespondenten des Teutschen Merkurs entlehnen, der obenein merkwürdiger Weise für Ducis gegen Shakespeare Partei nimmt, in's hellste Licht gesetzt. 3 'Hamlet, König von Dänemark, so erzählt er, ist ermordet worden, aber nicht von seinem Bruder, und auch nicht von seiner Gemahlin bloss desshalb, dass sie seiner überdrüssig war. Die Veranlassung zum Morde ist Klodius, ein Grosser des Hofes. Er ist der Liebhaber der Königin, auf eben dem Fuss, wie verheuratete Frauen in Frankreich dem guten Tone gemäss ihre Anbeter haben. Der König misshandelt ihn unschuldigerweise; dies bringt seine Gemahlin so auf, dass sie den Entschluss fasst, ihn zu vergiften. Sie tritt mit

1 Amleto, Tragedia di M. Ducis, ad imitazione della Inglese di Shakespear, tradotto in verso sciolto. Venezia, 1774. Die holländische Übersetzung von M. G. de Cambon, geb. van der Werken, erschien im Haag 1778. 2 Biographie Universelle et Portative des Contemporains. Paris, Au Bureau de la Biographie, 1826. S. Ducis.

3 Teutscher Merkur 1790. Bd. 1, S. 88-96. Der Korrespondent knüpft seine Besprechung an eine Aufführung des Ducis'schen Hamlet im Théâtre Français am 21. Juni 1789.

einem Becher in sein Kabinet, Schauder ergreift sie; sie eilt aus dem Zimmer und lässt den Becher stehen. Der König trinkt ihn. Als sie zurück kömmt ist er todt. Sobald Klodius den Tod des Königs erfährt, dringt er in die Königin, ihm ihre Hand zu geben. Aber diese ist zu sich selbst zurückgekommen; Unruhe und innere Vorwürfe drücken sie; die Krone ihrem Sohne Hamlet noch zu rauben, da sie ihm schon den Vater geraubt hat, kann sie nicht über sich erhalten. Sie befiehlt ihrem Liebhaber, diesem als seinem Könige zu gehorchen, und weiset ihn vor der Hand ab. Er macht nun eine Verschwörung wider Hamlet, um sich zu nehmen, was man ihm nicht geben will. Hamlet hat Nachricht von dem ganzen Hergange, und er hat sie schon, wenn das Stück anhebt. Also von einem Geiste nichts zu hören und zu sehen! Bloss Hamlet sieht ihn, als er das erstemal mit wildem Geschrei und gesträubtem Haar auf die Bühne herausschiesst; vor den Zuschauern lässt er sich nicht sehen, (vermuthlich weil ihn diese nicht so viel angehen als sein Sohn und weil er fürchtet, ausgepfiffen zu werden). Der Geist hat ihm das heillose Verbrechen entdeckt, und ihn zur Rache angeflammt. Seine Mutter soll diese Rache treffen; aber die Natur des Kindes sträubt sich dagegen; den Klodius soll sie treffen. Aber o weh! Hamlet liebt die Tochter des Klodius, die schöne Ophelia, was ist da anzufangen? Hamlet liebt Ophelien wirklich so sehr, dass er sich wol mit ihr vermählen möchte; er hat sie nicht zum Besten, wie Shakespeare's Hamlet die Ophelia. Mutter und Geliebte dringen in Hamlet, ihnen die Ursache seines zerrütteten Wesens zu entdecken. Er sagt sie der Mutter, aber nicht mit dem Spiegel in der Hand; denn einen solchen Ton dürfte kein Sohn auf dem französischen Theater gegen eine Mutter annehmen, selbst wenn sie ihn in Oel sieden liesse. Er sagt es ihr mit Ehrfurcht und Schonung und verlässt sie. Ophelien entdeckt er auch alles, er nennt ihren Vater als den Urheber des Ganzen, und gesteht ihr, dass seine Rache zunächst ihn treffen werde. Schwerer Kampf von Seiten Opheliens zwischen der Liebe zu ihrem Vater und zu dem Prinzen. Erstere siegt, und sie droht dem Liebhaber, dass er nur durch ihre Brust den Dolch in die Brust ihres Vaters drücken solle. Unterdessen veranstaltet Klodius alles zum Untergange Hamlets. Seine Tochter entdeckt ihm Hamlets Plan und hält ihm mit grosser Delikatesse den Umfang seiner grausamen Unternehmung vor. Sie wird mit ihren Bitten und Vorstellungen abgewiesen. Klodius erwartet in einer Gallerie des Schlosses seine Mitverschworenen; statt

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