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Biarmien1 eine Menge Leute gebe, welche mehr Dinge wüssten, als die Heiligkeit der christlichen Religion erlaube, und dass Amleth noch bei Lebzeiten seines Vaters nach der Sitte seines Landes in jener Wissenschaft unterrichtet worden sei, mit welcher der böse Geist die Menschen bethöre, wobei die Hexe von Endor, der Zauberer Merlin u. A. zum Beweise angeführt werden, dass uns eine geheime teuflische Kunst mit der Vergangenheit (jedoch nicht mit der Zukunft) bekannt zu machen vermöge.

Collier und nach ihm Gervinus (Shakespeare III, 240) und Delius (Hamlet p. VIII) nehmen an, dass die Geschichte von Hamlet aus Belleforest zunächst zu der in Prosa abgefassten Hystorie of Hamblet 2 verarbeitet worden sei, welche nach ihnen dem Shakespeare'schen nicht nur, sondern auch dem von ihnen angenommenen vor-Shakespeare'schen Hamlet vorausging und zu Grunde lag. Allein da der einzige uns bekannte (in der Capell'schen Sammlung zu Cambridge befindliche) Druck dieser Hystorie of Hamblet vom Jahre 1608 ist und uns von früheren Ausgaben derselben nicht das Mindeste berichtet wird, so erscheint uns diese Annahme trotz der Achtung, die wir für Collier's gründliche Gelehrsamkeit hegen, keineswegs unbedenklich. Es wäre nicht unmöglich, dass die prosaische Bearbeitung des Stoffes der dichterischen erst gefolgt wäre, eine Erscheinung, welche sich ja bei so vielen englischen und deutschen Volksbüchern wiederholt. Dass ein Dichter die Geschichte von Hamlets verstelltem Wahnsinn und seiner Rache aus dem Belleforest auswählte und dichterisch bearbeitete, lässt sich erklären; wie aber ein talentloser Uebersetzer darauf gekommen sein sollte, diese einzelne Erzählung herauszugreifen und in Druck zu geben, ohne durch eine vorhergegangene und Aufsehen erregende Dichtung darauf hingeführt worden zu sein, ist schwerer zu begreifen. Dieses Bedenken wird noch durch ein paar innere Anzeichen wesentlich erhöht. Während nämlich die Hystorie

1 Biarmien entspricht nach einem Antwerpener Atlas von 1589 etwa dem mittlern Theile von Norwegen.

2 The Hystorie of Hamblet. London: Imprinted by Richard Bradocke, for Thomas Pavier, & are to be sold at his shop in Corne - hill, neere to the Royall Exchange. 1608. Wieder abgedruckt in: Shakespeare's Library: A Collection of the Romances, Novels, Poems, and Histories used by Shakespeare &c. By J. Payne Collier. London, Thomas Rodd (s. a.) Vol. I, p. 131-182. Merkwürdig ist es wie John Bull dem Namen Amleth sofort bei der ersten Bekanntschaft mit demselben durch die den Cockneys noch heutigen Tages eigenthümliche Aspiration sein Gepräge aufgedrückt hat.

of Hamblet, wie schon erwähnt, nichts ist, als eine sehr ungelenke Übersetzung des Belleforest, die sich durchgehends mit sklavischer Treue an ihr Original anschliesst, stossen uns doch zwei Züge in derselben auf, welche ihre Entstehung jedenfalls einem überlegenern Geiste verdanken und mit grosser Entschiedenheit geradezu auf Shakespeare hinweisen. In den Histoires Tragiques verbirgt sich der Hofmann, der die Zusammenkunft des Amleth mit seiner Mutter belauscht, ganz wie im Saxo Grammaticus unter einer Decke (stramentum bei Saxo; loudier oder lodier bei Belleforest) und der hereinkommende Amleth springt auf diese Decke (sauta sur ce lodier); die englische Erzählung dagegen hat aus der Decke einen Vorhang oder eine Tapete gemacht und bedient sich desselben Ausdrucks wie Shakespeare, nämlich hangings und arras (Shakespeare's Library I, 142). Noch auffallender muss es uns erscheinen, dass der englische Übersetzer den Amleth bei dieser Gelegenheit den Shakespeare'schen Ausruf: A rat! a rat! thun lässt, von welchem im Belleforest keine Spur zu finden ist. Ist das nicht einer von den Zügen, von denen man nicht mit Unrecht gesagt hat, sie liessen sich dem Shakespeare nicht stehlen? Dass diese Stelle bei der Aufführung eine ungemeine Wirkung auf die Zuschauer ausübte, ist begreiflich und erhält auch dadurch eine Bestätigung, dass sie nach Collier's Angabe von Shirley in seinem Traitor (1635) fast wörtlich nachgeahmt wurde. Danach erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass der Übersetzer eine solche in Fleisch und Blut des Publikums übergegangene und vielleicht sprüchwörtlich gewordene Effektstelle halb unwillkührlich in seine Übersetzung einfliessen liess. Mindestens halten wir diese Erklärung für weniger bedenklich als die, dass zwei so schlagende Züge von einem offenbar durchaus untergeordneten Übersetzer erfunden und aus seiner Arbeit in das Shakespeare'sche Stück übergegangen sein sollten, wie das z. B. die holländischen Übersetzer des Shakespeare angenommen haben. 1 Übrigens wollen wir damit keineswegs die Möglichkeit in Abrede stellen, dass die Hystorie of Hamblet lange vor 1608, und vielleicht schon, wie Collier will, in den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts erschienen sei, indem unserer Ansicht nach der erste Entwurf des Shakespeare'schen Hamlet um 158586 zu setzen ist. 2

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1 William Shakespear's Tooneelspelen. Te Amsterdam, 1778. I, 182. Farmer (Essay on the Learning of Shakespeare. Cambridge 1767 p. 29) behauptet, Shakespeare habe den Stoff zum Hamlet nicht, wie Dr. Grey und

Hystorie of Hamblet, einer ziemlich ungeschickten Übersetzung des Belleforest wird nur vermuthet, dass sie dem Shakespeare vorangegangen sei, und das sogenannte vor - Shakespeare'sche Trauerspiel Hamlet verdankt sein Dasein ausschliesslich der Kombination der Gelehrten. François de Belleforest nahm die Hamlet-Sage aus dem Saxo Grammaticus in seine Histoires Tragiques auf, welche sich einer sehr grossen Verbreitung erfreuet haben müssen, wie die schnell aufeinander folgenden Auflagen derselben beweisen; nach Blankenburg's Zusätzen zum Sulzer I, 512 erschienen sie nämlich zuerst zu Paris 1559, wiederholt 1564, und Niceron führt eine Pariser Ausgabe von 1568 an, mit dem Zusatze, dass eine viel ältere vorhanden sein müsse. Eine andere Ausgabe erschien zu Rouen 1604.

Wie allen seinen Erzählungen, so schickt Belleforest auch der Erzählung von Amleth eine Einleitung voraus, in welcher er aus der Geschichte, namentlich der römischen, nachweist, zu welchen Nachstellungen und Ermordungen der nächsten Blutsverwandten die Herrschbegier von jeher die Grossen verführt habe. Auch die Geschichte, welche er eben vortragen wolle, sei ein Beweis dafür; jedoch sei hier die Rache nicht ausgeblieben. 'Und welche Rache!' so ruft er aus, und wir führen die Stelle wörtlich an, weil in diesem Angelpunkte die Erzählung bei Shakespeare in ihr gerades Gegentheil umgeschlagen ist, und welche Rache! Die verschlagenste, am weisesten geleitete und am tapfersten ausgeführte, die ein Mensch sich erdenken kann, damit die Verräther erfahren, dass, wenngleich die Bestrafung ihrer Schandthaten sich verzögere, sie doch nie ohne die mächtige Rächerhand Gottes zu fühlen davonkommen können, der, obschon langsam im Zorne, doch nicht unterlässt, die schreckbaren Zeichen seiner Rache auf diejenigen herabzuschicken, welche ihre Pflicht vergessend, unschuldiges Blut vergiessen, und die Vorgesetzten (chefs) verrathen, welchen sie allen Dienstpflicht, Ehre und Achtung schuldig sind.' Schon in diesen Worten zeigt sich übrigens der Standpunkt des Verfassers im hellsten Lichte. Nicht nur in der Einleitung, sondern auch in der Erzählung selbst nimmt er jede Gelegenheit wahr, nicht nur seine ausgebreitete Belesenheit zu zeigen (so vergleicht er Amleth mit Brutus und mit David im ersten Buche Samuelis Kap. 21), sondern vorzüglich seine moralisirenden

tant anciennes que modernes, et mises en lumiere par François de BelleForest, Comingeois. Tome VI. A Rouen 1604. Chez Pierre Calles. [Histoire CVIII, p. 123-197.]

Betrachtungen einzuflechten namentlich über die verderblichen Folgen eines sinnlichen Lebenswandels und der fleischlichen Lust und über die Ehrfurcht, die Treue und den Gehorsam, welche man seinem angestammten Fürsten schuldig sei. Dazwischen klagt er über die Unnahbarkeit und Undankbarkeit der Könige und vornehmen Herren, welche sich gleich den barbarischen Herrschern von Persien und Äthiopien sogar vor ihren Getreuen verschlössen.

Was die Erzählung selbst anlangt, so entschuldigt sich Belleforest, dass er seinem ursprünglichen Plane, seine Stoffe nur der Gegenwart zu entnehmen, ungetreu, in die dänische Geschichte zurückgegangen sei, und auf S. 195 wird in den am Rande gedruckten Inhaltsangaben Saxo Grammaticus ausdrücklich als Verfasser genannt. Belleforest hat bedeutende Kürzungen vorgenommen. Wie Amleth durch seinen Milchbruder von der ihm vermittelst des Mädchens gelegten Schlinge benachrichtigt wird; die Beschreibung seines kostbaren Schildes; die Einzelheiten seines Zuges nach Schottland und die von der Hermutrude gegen ihn vollführte List bezüglich der Abänderung des von ihm überbrachten Schreibens; endlich die Beschreibung der Schlacht zwischen ihm und seinem Schwiegervater das Alles hat er weggelassen. Die bezeichnendste Änderung jedoch, welche er sich erlaubt hat, ist folgende. Jene Frau-BasenMoral, wie wir sie bei ihm finden, bedarf schlechter Charaktere, über welche sie sich in ihren erbaulichen Betrachtungen ergehen kann; findet sie dergleichen nicht fertig vor, so stutzt sie sich dieselben erst durch Verleumdung und Verlästerung zurecht, ein Verfahren, das sich in allen Ländern und zu allen Zeiten wiederholt. Belleforest hat es ganz besonders auf die Frauen abgesehen; er lässt daher die Geruthe noch bei Lebzeiten ihres ersten Gemahles ein strafbares Verhältniss mit ihrem Schwager Fengo unterhalten (S. 134). Fengo tödtet seinen Bruder Horvendill bei einem Gelage und giebt nachher vor, es sei nur durch einen unglücklichen Zufall bei der Vertheidigung der schuldlosen Geruthe geschehen, welche ihr Gemahl in einem Wuthanfalle habe ermorden wollen. Geruthe kam dadurch natürlich bei den schärfer Blickenden in den Verdacht, als habe sie den Fengo zum Morde angereizt und verleitet. Zur Erklärung der räthselhaften Bemerkungen, welche Amleth über das zu seinem Empfange vom britischen Könige veranstaltete Gastmahl macht, wird erzählt, dass es in Gothien und

1 Vgl. S. VII, Anm. 1.

Lassen wir jedoch diese Vermuthungen auf sich beruhen und wenden wir uns zu dem sogenannten vor-Shakespeare'schen Hamlet, dessen Dasein von Malone, Collier, Gervinus u. A. als ziemlich unbestritten angenommen wird, wogegen namentlich Charles Knight in seinen Studies of Shakspere diese Annahme bekämpft und mit überzeugenden Gründen darzuthun sucht, dass dieser vor-Shakespeare'sche Hamlet nichts anderes ist, als die erste Bearbeitung (Redaction) des noch erhaltenen Stückes. Die Sache verhält sich folgendermassen. Wir wissen aus gleichzeitigen Schriftstellern, dass es bereits 1587-1589 ein bekanntes und beliebtes Drama über Hamlet gab, und da nach der gewöhnlichen Annahme Shakespeare erst um 1586 als 22jähriger Jüngling nach London kam, so lag es allerdings nahe, dasselbe einem andern Verfasser zuzuschreiben. Malone spricht sogar die Vermuthung aus, dass es ein Werk Thomas Kyd's gewesen sei, und Collier ist nicht abgeneigt, ihm beizustimmen. Ja nach Knight (Studies of Shakspere p. 61) wird sogar in Lowndes's Bibliographer's Manual, einem übrigens sehr zuverlässigen Werke, 'Kyd's old play of Hamlet' als ein wirklich vorhanden gewesenes Werk angeführt. Die Stellen, aus welchen das Vorhandensein eines Stückes Namens Hamlet um 1587 hervorgeht, sind folgende:

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1. Vor dem nach Dyce schon 1587, nach Malone erst 1589 erschienenen Menaphon von Rob. Greene befindet sich 'An Epistle to the Gentlemen Students of the Two Universities' von Thomas Nash, in welcher es heisst: 'It is a common practice now-a-days, among a sort of shifting companions, that runne through every art, and thrive by none, to leave the trade of Noverint, whereto they were born, and busie themselves with the endevors of art, that could scarcely latinize their neckverse if they should have neede; yet English Seneca, reade by candle-light, yields many good sentences, as Bloud is a beggar, and so forth and if you will entreat him farre in a frosty morning, he will affoord you whole Hamlets, I should say, handfuls, of tragical speeches.' 2 Diese Stelle scheint deutlich.

Mr. Whalley wollten, unmittelbar aus dem Saxo Grammaticus geschöpft, sondern a Novel, called the Historie of Hamblet was his original: a fragment of which, in black letter, I have seen.' Ein Black - Letter - Druck würde allerdings auf eine viel frühere Ausgabe der Hystorie schliessen lassen, als die von 1608.

1 Collier, Shakespeare's Library Vol. I, 1. 1. Henslowe ed. by J. P. Collier p. 35.

The Diary of Philip

2 Knight, Studies of Sh. p. 62. Gervinus, Shakespeare III, 242.

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