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Mann in dem Augenblick beisammen gewesen, als Napoleon über den Niemen gegangen sei; er fügt hinzu, man habe 1200 Kanonen mitgeführt, dazu hätten 3000 Artillericwagen gehört und man habe außerdem 4000 Administrationswagen gehabt und außer der Reiterei 200,000 Pferde gebraucht. Wenn man bedenkt, daß das vorhergehende Jahr in jenen Gegenden ein Jahr des Mangels und der Dürre gewesen war, und daß man grün füttern mußte, so wird man leicht glauben, daß das Heer, wie Thibaudeau meint, schon an der Düna den dritten Theil seiner Stärke verloren gehabt habe. Auf den Armeelisten, die sich Tschernitscheff in Paris verschafft hatte, waren nur 417,000 Mann aufgeführt. Gourgaud, der übrigens nach Art seiner militärischen Landsleute, wenn es Ruhm oder Bonapartes Göttlichkeit gilt, sich nicht scheut, ganz keck und trozig die Wahrheit wissentlich zu umgehen, beruft sich auf Listen, die er als Ordonnanz-Offizier in Händen gehabt, und welche Napo= leon eigenhändig corrigirt und mit Noten versehen hatte, wenn er sagt, der Streiter feien nur 325,900 Mann gewesen und zwar 155,400 Mann Franzosen und 170,500 Verbündete. Den Unterschied dieser Zahlen und der auf den Listen angegebenen Zahl erklärt er daraus, daß auf den Listen alle aufgeführten Regimenter, Bataillons und Escadrons als vollzählig ange= nommen worden. Venturini rechnet, ohne die Quelle anzugeben, 600,000 Mann, de Chambray und der General von Hofmann in seiner Beschreibung der Schlacht bei Borodino geben gar 678,000 Mann an.

Bewunderungswürdig ist die Geisteskraft und das Gedächtniß, welche der Kaiser in den Actenstücken zeigt, die de Chambray dem ersten Buche seiner Geschichte des russischen Feldzugs angehängt hat. Er dictirt dort in die Feder, wie jede kleine Einzelheit geordnet werden, wie viele Leute nach Spandau und Pillau geschickt, welche Offiziere als Aufpasser nach Colberg und Graudenz beordert, wie einzelne Bataillons und sogar Compagnien vertheilt, wie in Berlin Alles unter französische

général de cavallerie, corps de cavallerie 1-4. Die Addition gibt 680,500 Mann, 176,850 Pferde.

Aufsicht gebracht werden solle. Er weiß alle Zahlen, er weiß jeden kleinen Punct, wo eine Brücke geschlagen oder befestigt werden soll; er weiß wo Flinten und Munition der Preußen liegen, zählt die preußischen Truppen genau auf, und befiehlt darauf zu sehen, daß sie nicht vermehrt werden. Sogar dafür sorgte der umfassende Geist, der keineswegs ahndete, daß sein furchtbares Heer untergehen könne, wie es hernach unterging, ehe er den Marsch antrat, daß er allenfalls ein ganz neues Heer in Bereitschaft habe, welches hernach im Frühjahr 1813 wirklich aufgestellt ward. Dies Heer war freilich vom ersten, dem es an Zahl ungefähr gleich war, an Uebung, an innerer Kraft und Abhärtung, wenn auch nicht an Muth, unendlich weit verschieden. Der Kaiser kam bei dem Schritt, den er that, um eine ihrer Natur nach militärische Nation für sich zu bewaffnen, auf die republikanische Idee einer Nationalmacht zurück, statt daß er bis dahin nur Bedeutung auf ein stehendes Heer gelegt hatte, wie das auch Scharnhorst und Wellington thaten. Er wollte alle Franzosen zu Soldaten machen und der Staatsrath fogar erschrack, als er ihm im Jahr 1812 diesen Entschluß mittheilte, weil die Staatsräthe sogleich wahrnahmen, daß er bei Erneuerung des patriotischen Heersystems das republicanische System mit derselben Schlauheit und Energie in ein kaiserliches verwandelte, wie er das Gesetzbuch des Convents in ein Napoleonisches verwandelt hatte. Heere von Staatsbürgern, die er in Bewegung sezte, durften sich weder selbst einrichten, noch ihre Leiter wählen; die Regierung gab ihnen militärische Form, militärisches Gesetz und Recht; der Kaiser schrieb ihnen militärische Disciplin vor und stellte seine des militärischen Despotismus gewohnten Veteranen an ihre Spize. Der Staatsrath machte zwar Vorstellungen, diese fruchteten aber nicht; denn der Senat decretirte Alles, was auch immer der Kaiser fordern mochte. Der Senator Lacépède, der bei allen Gelegenheiten alle andern an Servilität zu überbieten pflegte, hatte sogar die Unverschämtheit, die harte Maaßregel, welche dem Bürger die Aussicht eröffnete, in kurzer Zeit für den Ruhm und den Vortheil des Kaisers, seiner Marschälle, Verwandten und Creaturen nach Polen oder Spanien geschickt zu werden,

als eine Wohlthat zu rühmen. Die militärischen Uebungen, meint er, wären ein vergnügendes Spiel für die Bürger, sie gäben den in ihren Häusern, Läden und Werkstätten Eingeschlossenen Mittel der Zerstreuung und Bewegung.

Wer dem Kaiser die Idee eingab, den alten Heerbann als Deckmantel seiner großartigen Recrutirungsanstalt zu gebrauchen, wissen wir nicht, die Sache war aber nicht übel erfunden, um durch ein altfränkisches Wort eine Einrichtung zu beschö= nigen, die noch ärger war, als die verhaßte Conscription. Die ganze männliche Bevölkerung Frankreichs ward nämlich in Bann und Hinterbann abgetheilt und zwar nach dem Alter. Die ganze Masse vom sechs und zwanzigsten bis zum sechzigsten Jahre sollte zwei Classen bilden, von denen die zweite oder der sogenannte Hinterbann nur im höchsten Nothfalle gebraucht werden sollte; die dritte, oder wenn man will, die erste Classe be= griff alle Männer von zwanzig bis sechs und zwanzig Jahren. Auf diese war es allein abgesehen, sie ward auch allein orga= nisirt und schon im Laufe von 1812 kamen einzelne Cohorten derselben über den Rhein. In welchen Schrecken ganz Frankreich durch diesen einem Aufgebot seiner ganzen Jugendkraft ähnlichen Schritt verseht ward, kann man nur dann beurtheilen, wenn man weiß, daß kurz vorher, am 20. Dec. 1811, ohne Commissionsbericht, ohne daß die Beweggründe angegeben wurden, durch ein auf den bloßen Antrag der Regierung erlafsenes Staatsdecret 120,000 Conscribirte ins Feld gestellt worden waren. Man gab, damit die Sache nicht zu viel Schrecken errege, vor, der in Cohorten von je hundert sechzig Mann getheilte, ganz militärische Bann sei ausschließend zur Bewachung der Grenzen bestimmt und werde nicht über diese hinausge= bracht werden. Er solle, hieß es, die Polizei im Innern erhalten helfen, folle die Vorrathshäuser des Seewesens, die Häfen, die Zeughäuser, die Festungen bewachen. Es währte aber nicht lange, so ward verordnet, daß ein Theil des Aufgebots sogleich als Reserve für die Armee in Anspruch genommen werden solle; dies geschah dadurch, daß hundert Cohorten des Banns zur Disposition der Regierung gestellt wurden.

B. Feldzug in Rußland bis September 1812.

Wir haben vorher gezeigt, daß seit Anfang 1811 beide Kaiser, der russische und der französische, den Krieg für unvermeidlich hielten und haben daher auf den diplomatischen Verkehr zwischen beiden sehr wenig Bedeutung gelegt, wir verweilen darum auch bei den Sendungen und Schreibereien im Jahre 1812 gar nicht. Man suchte sich zu täuschen und sogar der Brief, den Tschernitscheff am Ende Februar seinem Kaiser aus Paris überbrachte, schien noch aufrichtige Vorschläge zur Aussöhnung zu enthalten. Diesen Brief übergab Tschernitscheff am 10. März seinem Kaiser, in demselben Augenblicke, als er ihm die Urkunden über die unerhörten Anstalten überbrachte, welche zum Kriege gegen Rußland gemacht waren, nebst dem Plan des Feldzugs; es blieb daher auch der Brief lange unbeantwortet. Als endlich der Baron Serdobin am 24. April in Paris eintraf und der Fürst Kurakin zwei Stunden nachher Audienz forderte, um mündlich zu erklären, was sein Kaiser vor aller Unterhandlung vom französischen Kaiser verlange, so verschob dieser die Audienz bis zum 27. Auch jezt noch hörte er die Forderung nicht an, weil er einem Bruche auszuweichen wünschte, und wies den Gesandten an den Düc de Bassano, dem derselbe dann am 28. erklärte: „Ehe sich sein Kaiser auf Unterhandlungen einlassen könne, müßten die Franzosen Preußen und ganz Deutschland bis an den Rhein geräumt haben“. Auch Maret gab darauf keine kategorische Antwort und wich einer neuen persönlichen Zusammenkunft aus, der Gesandte schrieb ihm also am 30. einen Brief, dessen Hauptinhalt wir anführen wollen, weil unser Zweck uns nicht erlaubt die diplomatischen Noten und Correspondenzen zwischen Frankreich und Rußland genau zu prüfen 62). „Der Kaiser Alexander erklärt sich geneigt,

62) Zum ersten Buche des ersten Theils von Fain Manuscrit de 1812 pag. 129-160 sind alle Actenstücke abgedruckt, unter der Aufschrift: §. V. Pièces relatives à la Rupture entre la Russie et la France. No. 1. Rapport, de Mr. de Knesebeck au roi de Prusse 23. Mars 1812. No. 2. Echange de notes entre l'ambassadeur Mr. de Kourakin et le duc de Bassano. No. 3. Dernières missions données a Mr. de Lauriston.

über die Fortdauer des Friedens zu unterhandeln, die Basis dieser Unterhandlungen soll aber die Verpflichtung sein, daß sofort das Gebiet und die Festungen Preußens von den Franzosen geräumt werden; daß der Kaiser Napoleon die Besazung Danzigs bedeutend vermindere, daß er schwedisch Pommern räume und mit dem König von Schweden eine Uebereinkunft treffe, welche sowohl diesen als ihn selbst befriedige. Wenn dieses geschehe, so wolle der russische Kaiser, ohne von den Grundsäßen abzuweichen, welche er in Beziehung auf den Handel in seinen Staaten und auf die Zulassung der Neutralen angenommen habe, und denen er nicht entsagen könne, doch in Rücksicht des Tilsiter Vertrags in dem bestehenden System des Verbots englischer Waaren keine Aenderung machen. Was den directen Handel mit England angehe, so sei er erbötig, sich mit dem französischen Kaiser über ein System von Licenzen für Rußland wie für Frankreich zu vereinigen; auch wolle er sich mit ihm über einige Aenderungen im Zolltarif von 1810 verständigen". Kaiser Alexander erbot sich ferner zu einer Uebereinkunft wegen der Entschädigung des Herzogs von Oldenburg. Damit war die Erklärung verbunden, daß man diese Bedingungen entweder unbedingt annehmen oder verwerfen müsse, weil Fürst Kurakin auch keine Sylbe daran ändern könne.

Obgleich dies gewissermaßen eine Kriegserklärung war, so hielt doch der französische Kaiser für rathsam, sich zu stellen, als wenn noch eine Aussöhnung möglich sei; doch vermuthen wir, daß sowohl Narbonnes Sendung, als später der an Lauriston ertheilte Auftrag, Anerbietungen zu machen, darauf berechnet waren, eines Theils Verständnisse anzuknüpfen und zu unterhalten, andern Theils aber den Kaiser Alexander so zu stimmen, daß man ihn bewegen könne, nach dem Verlust einer Schlacht gleich dem Kaiser Franz auf einen Vertrag einzugehen. Der französische Kaiser ließ sich freilich mit Kurakin nicht weiter ein, er beorderte aber schon am 25. April den geschmeididigen und leichtfertig geistreichen General, Grafen und Kammerherrn Narbonne, der 1792 auf Empfehlung der Frau von Staël Kriegsminister in Paris gewesen war, 1813 Minister in Wien ward und sich gerade damals in Berlin befand, von

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