Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

EINLEITUNG.

Die Römer haben ihre litterarische Thätigkeit fast keinem Gegenstande früher zugewandt als der Geschichte ihres Staates. Die stetige Entwickelung desselben, die Zweckmäfsigkeit seiner Einrichtungen, die Thaten und Sitten des Volkes waren so bewundernswürdig, die Bedeutung der Geschichte für das öffentliche Leben so grofs, dafs schon frühzeitig weder die bald nach Gründung der Republik begonnene Aufzeichnung einzelner Ereignisse, noch die späterhin von den Pontifices mit dem Verzeichnis der Beamten jedes Jahr verbundenen Nachrichten über wichtige Begebenheiten, die Annales maximi, noch die Tradition in den Familien und im Munde des Volkes zur Erhaltung des Andenkens an die Vorzeit ausreichend schienen. Sobald daher durch Livius Andronicus der erste Versuch gemacht war, der kunstgemässen Poesie in Rom Eingang zu verschaffen, unternahmen die Dichter Cn. Naevius nach dem ersten und Q. Ennius nach dem zweiten punischen Kriege eine poetische Behandlung der Nationalgeschichte. Fast gleichzeitig mit Ennius verfafsten Q. Fabius Pictor und L. Cincius Alimentus Geschichtswerke in Prosa, beide in griechischer Sprache; unmittelbar nach ihnen schrieb M. Porcius Cato seine Urgeschichte Italiens (Origines) in lateinischer Sprache. Ihm folgte bis zum Ende des 7. Jahrhunderts d. St. eine lange Reihe von Schriftstellern, welche die Geschichte des römischen Staates entweder in ihrem ganzen Umfange oder nur in einzelnen Teilen mehr oder weniger ausführlich und treu, viele trocken und dürftig, keiner so darstellte, wie die höhere Bildung und der feinere Geschmack der späteren Zeit es forderte, so dafs die Klage Ciceros de leg. 1, 5: abest historia litteris nostris gerechtfertigt erscheinen muss. Wenn nun auch bald nachher einige ausgezeichnete Geschichtswerke die römische Litteratur zierten, so umfassten dieselben doch nur kurze Abschnitte des grofsen Gebietes, waren auf die Gegenwart beschränkt und liefsen die ruhmvolle Vorzeit unberührt. Erst als mit der Gründung des Prinzipats die alte Zeit 2

T. Liv. I. 1. 8. Aufl.

1

abgeschlossen war, als Augustus dem zerrütteten Staate Frieden und Sicherheit wiedergegeben und eine neue Ordnung der Dinge begründet hatte, erst da war es möglich, das weite Feld der Vergangenheit und die grofsartigen Erscheinungen derselben mit Ruhe und Besonnenheit zu überblicken und zu schildern. An diesem Wendepunkte des römischen Staates, bei dem Übergange desselben aus der alten in die neue Zeit, war der einzige, der es unternahm, die römische Geschichte in ihrem ganzen Umfange und in einer dem gebildeten Geschmacke des neuen Zeitalters entsprechenden, anziehenden Form ausführlich, würdig und glänzend darzustellen, Titus Livius.

Nur diese beiden Namen werden von den Alten unserem Geschichtschreiber beigelegt, ein Familienname ist nirgends erwähnt; erst der neueren Zeit gehört die Bezeichnung T. Livius Patavinus an. Livius war nämlich zu Patavium, j. Padua, geboren, der Hauptstadt der Veneter, die durch die Zurückführung ihres Ursprungs auf Antenor 2, dessen Andenken noch unter den Kaisern durch cetaria genannte Spiele gefeiert wurde, mit den Anfängen Roms in enger Verbindung zu stehen sich rühmte. In dem gesegneten Pothal, am Venetischen Meerbusen gelegen, in welchem 14 Millien von der Stadt die Lagunen den Hafen Aedro oder Medoacus bildeten 4, durchflossen von dem Medoacus minor, wahrscheinlich dem Bacchiglione, war die Stadt nicht allein der Eroberung durch die Etrusker entgangen, sondern hatte auch die Gallier, als sie in Oberitalien einbrachen, von sich abgewehrt. In den steten Kämpfen mit diesen war sie zu bedeutender Macht und grofser Blüte gelangt, hatte sich um Rom verdient gemacht, war schon frühzeitig zu den Römern in staatsrechtliche Beziehungen getreten, hatte im Kriege mit Hannibal treu zu denselben gehalten und war von ihnen unterstützt worden, als Parteiungen den Frieden der Stadt störten 9. 3 Da Patavium einen Stapelplatz für die aus dem südlichen in das obere Italien und weiter nach Norden gehenden Waren bildete und die Erzeugnisse seiner eigenen Industrie nach allen Seiten versandte, war der Reichtum der Stadt allmählich so gestiegen,

21, 1, 2.

6 Nach

4 Plin. Strabo

7 Nach

1 Ascon. Ped. ad Cornel. p. 68, 17 K.-Sch. : Livius noster. 3 Tac. Ann. 16, 21; Charis. I p. 125 K.; Dio Cass. 62, 26. 4. 3, 16, 121; Strabo 5, 1, 7. 55, 33, 10; 10, 2, 9. 5, 1, 7 soll sie 120 000 Mann unter den Waffen gehabt haben. Polyb. 2, 18 wurden die Gallier durch einen Einfall der Veneter in ihr Land genötigt, das eroberte Rom aufzugeben. • Polyb. 2, 23. 9 41, 27, 3; CIL. V 1, 267.

dafs sie am Ende der Republik von Strabo, dem Zeitgenossen des Livius, einer der bedeutendsten Städte des römischen Reiches, Gades, an die Seite gestellt werden konnte und 500 Bürger zählte, welche den Rittercensus besafsen. Ungeachtet dieses Reichtums hatten die Bewohner von Patavium bis in spätere Zeit noch die alte Reinheit und Strenge der Sitten bewahrt, ein Umstand, der auf Livius' sittliche Entwickelung von grofsem Einfluss sein und ihm die Sittenverderbnis zu Rom in noch grellerem Lichte erscheinen lassen mufste. In dem Gebiete der Stadt befand sich aufser dem von Sueton Tib. 14 erwähnten Geryonis oraculum, aus dem sich Orakeltäfelchen (sortes) erhalten haben 2, eine noch jetzt berühmte warme Schwefelquelle, Aponi fons oder Aponus (anovos) 3, nach welcher Martial. Ep. 1, 61, 3 sogar die Gegend benennt: censetur Apona Livio suo tellus. Hieraus haben manche mit Unrecht schliefsen wollen, dafs Livius nicht zu Patavium selbst, sondern in einem benachbarten Dorfe Aponus geboren sei; aber Apona tellus ist nur eine dichterische Bezeichnung des Patavinischen Gebietes, in welchem ein Dorf Aponus von den Alten nicht erwähnt wird. Die Pataviner hatten durch die lex Iulia 705 d. St. das römische Bürgerrecht erhalten und waren in die tribus Fabia aufgenommen worden. Sie scheinen in dem Bürgerkriege zwischen Caesar und Pompeius, wenn auch einzelne den Sieg des ersteren freudig begrüssen mochten, sich der Partei des letzteren angeschlossen zu haben, so dafs Livius schon in seiner frühen Jugend die politische Richtung annehmen konnte, der er später treu geblieben ist.

Livius wurde nämlich nach Hieronymus Ol. 180, 2-695/96 d. St.-59 v. Chr.6, also unter dem Konsulate des C. Iulius Caesar und M. Calpurnius Bibulus geboren. Seine Abkunft ist nicht näher bekannt; doch lässt sich aus seiner Parteinahme für die Optimaten und aus der Beurteilung von Emporkömmlingen schliefsen, dafs er von angesehener Familie, aufserdem auch begütert gewesen ist, da er lange Zeit in Rom leben und eine unabhängige Stellung behaupten konnte. Schon deshalb ist 4

1 Plin. Ep. 1, 14, 6: habet aviam maternam Serranam Proculam, e municipio Patavino. nosti loci mores. Serrana tamen Patavinis quoque severitatis exemplum est; Martial. Ep. 11, 16, 8. 2 CIL. I 267; V 1, 271. Suet. Tib. 14; Lucan 7, 193; Sil. It. 12, 218; Claud. Idyll. 6; Patavinorum aquae calidae bei Plin. N. H. 2, 227, j. Bagni d' Abano. 4 Plut. Caes. 47; Gell. 15, 18. 5 Cic. Phil. 12, 10. 6693/94 der Catonischen Jahrzählung; nach Eusebius in der Armenischen Übersetzung Ol. 180, 4 697/98 d. St. = 57 v. Chr.

=

kaum zu bezweifeln, dafs er in seiner Jugend wie die vornehmen Römer der damaligen Zeit erzogen und gebildet worden ist 1; die Benutzung griechischer Schriftsteller, sowie viele Andeutungen in seinem Werke weisen darauf hin, dass er mit griechischer Sprache und Litteratur vertraut war 2 und die Werke eines Plato 3, Xenophon4, Demosthenes 5 u. a. wohl kannte; seine wissenschaftlichen Studien, seine Darstellung und die Benutzung seiner Schriften durch spätere Rhetoren weisen darauf hin, dafs er selbst eine rhetorisch- philosophische Bildung erhalten hatte. Doch scheint ihn schon früh auch die Geschichte, zunächst wohl die seiner Vaterstadt und Oberitaliens, mit welcher er genauer bekannt ist, angezogen und beschäftigt zu haben. Ob er in der Absicht, die Geschichte der Römer zu schreiben und durch die Anschauung des Lebens, der Verhältnisse, der Denkmäler und Lokalitäten sich für seinen Zweck zu bilden, nach Rom übergesiedelt, oder ob diese Idee erst durch seinen Aufenthalt in der Stadt angeregt worden sei, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden; aber wenngleich die ihm vorgeworfene Patavinitas einen längeren Aufenthalt in seiner Vaterstadt, deren Andenken er auch später bewahrte, vermuten läfst, so erscheint er doch schon 725 d. St. in Rom vollkommen eingebürgert, indem er viele Einrichtungen und Örtlichkeiten so bezeichnet, dafs die Kenntnis derselben aus unmittelbarer Anschauung kaum bezweifelt werden kann. Hier scheint er bald die Augen des Augustus, der selbst ein geschichtliches Werk verfafst hat 10 und Geschichtschreiber nicht weniger als Dichter förderte 11, auf sich gezogen zu haben und später in nähere Berührung mit ihm gekommen zu sein; wenigstens läfst darauf die Äufserung des Tacitus Ann. 4, 34: T. Livius Cn. Pompeium tantis laudibus tulit, ut Pompeianum eum Augustus appellaret; neque id amicitiae eorum offecit und die Teilnahme des Augustus an dem Werke des Livius 12 schliefsen; da letzterer aufserdem auf die wissenschaftliche Beschäftigung des nachmaligen Kaisers Claudius Einflufs gewann 13, so kann man vermuten, dafs er bis in sein hohes Alter mit der Familie des Herrschers in Verbindung geblieben

1 9, 36, 3.

2 27, 11, 5.

6.

4 35, 4, 4; 26, 22, 14. 9, 17, 5 3, 68, 9; 9, 18, 7. 6 1, 1, 2; 5, 33, 5; 10, 2, 1. 7 10, 2, 15. 8 1, 4, 5. 8, 5. 26, 13: id hodie quoque publice semper refectum manet; sororium tigillum vocant. 30, 2. 41, 4. 44, 4. 48, 6. 55, 9; 2, 7, 12; 5, 54, 3 u. a. m.

10 Suet. Aug. 85.

9 4, 20, 7. 11 Suet. Aug. 89. 12 4, 20, 7. 13 Suet. Claud. 41: historiam in adulescentia hortante T. Livio.. scribere adgressus est.

sei. Im übrigen ist von den Verhältnissen des Livius wenig bekannt. Einen Sohn desselben erwähnen Plinius 1 und Quin- 5 tilian 2, einen Schwiegersohn Seneca 3. Öffentliche Ämter hat Livius nicht bekleidet und sich überhaupt von politischer Thätigkeit fern gehalten, wenigstens scheint dies teils aus manchen Andeutungen von ihm selbst, teils aus dem Schweigen anderer ziemlich sicher hervorzugehen; er lebte also wohl, wie so viele ausgezeichnete Männer dieser Zeit, zurückgezogen, doch den geistreichen Kreisen, die sich unter Augustus bald zu bilden anfingen, nicht fremd, mit dem Werke beschäftigt, welches er sich zur Aufgabe seines Lebens gemacht hatte. Ob er immer in Rom selbst gewohnt und gearbeitet oder sich auch an anderen Orten, etwa zu Neapolis, wie angenommen wird, aufgehalten hat, läfst sich nicht bestimmt ermitteln, da seine Anwesenheit in Kampanien, die er selbst 38, 56, 3 erwähnt, eine nur vorübergehende gewesen sein kann. Vielleicht hat er sich in seinen späteren Lebensjahren, nach dem Tode des Augustus, in seine Heimat Patavium zurückgezogen; wenigstens darf man dies — er müfste denn bei einem zufälligen Aufenthalte daselbst vom Tode ereilt worden sein nach der Angabe des Hieronymus Ol. 199, 1770/71 d. St. 17 n. Chr. Livius historicus Patavii moritur annehmen. Er hat also ein Alter von 76 Jahren erreicht. In Padua, wo auch Nachkommen des Historikers ihren Wohnsitz gehabt haben müssen, glaubte man, als im Jahr 1344 oder 1364 in der Nähe des Klosters oder der Kirche der h. Iustina eine Inschrift, die ein Freigelassener der Livia Quarta, der Tochter eines T. Livius, sich und den Seinen hatte setzen lassen, aufgefunden wurde, in dieser ein Denkmal des Historikers selbst und in einer nicht weit davon im Jahre 1413 ausgegrabenen Kiste auch die Gebeine desselben entdeckt zu haben; die Stadt liefs ein glänzendes Mausoleum errichten, in welchem jene Überreste beigesetzt wurden und im Jahre 1547 auch die Inschrift eine Stelle fand 5.

[ocr errors]

=

Livius' wissenschaftliche Thätigkeit war teils der Philosophie zugewandt 6, teils, und wohl noch in höherem Mafse,

1 N. H. 1, lib. V und VI.

2 10, 1, 39: Livius in epistula ad filium scripta. 3 Controv. 10, pr. 2, p. 459, 16 K: pertinere autem ad rem non puto, quo modo L. Magius, gener T. Livi, declamaverit, quamvis aliquo tempore suum populum habuerit, cum illum homines non in ipsius honorem laudarent, sed in soceri ferrent. 4 Praef.

5 CIL. V 1, 282. Senec. Epist. 16, 5 (100), 9: nomina adhuc Livium. scripsit enim et dialogos, quos non magis philosophiae adnu

« ZurückWeiter »