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um Alles zu wagen und Alles zu dulden, um die Ketten zu sprengen, womit Bonaparte's Polizei und seine Schergen das deutsche Leben gebunden hatten.“ Schiller's sämmtliche Gedichte sind ausgezeichnet durch Lebendigkeit der Darstellung, durch den Klang und Glanz der Sprache und durch Stärke und Tiefe der Empfindung; „es find laute Rufe einer stürmenden, in's Weite hinausdrängenden und doch von allen Seiten eingeengten Seele."

3. Der Göttinger Dichterbund.

§. 87. Im Jahre 1772 schloß in Göttingen eine Anzahl ftrebsamer Jünglinge einen Bund der Freundschaft, Dichtung und Tugend. Mittelpunkt desselben war Joh. Heinr. Voß aus Mecklenburg, den Boje aus einer ärmlichen Hofmeisterstelle nach Göttingen gezogen, um von ihm bei dem Musenalmanach, den er in Verbindung mit Gotter (Anh. §. 90) und nach dem Rathe des durch seine Sinngedichte, wie durch mathematische und physikalische Schriften berühmten Professors Kästner (Anh. §. 59 b.) gegründet hatte, unterstützt zu werden. Zu den bekanntesten Gliedern dieses Dichterbundes gehörten L. H. Chr. Hölty, die beiden Grafen von Stolberg, Cramer, Hahn, Miller (Verfasser des Siegwart, der „Geschichte Karls von Burgheim“) u. A. m.; auch die beiden Volksdichter Bürger und Claudius standen mit ihnen in Verbindung, wenn gleich jener durch Richtung und Lebensweise, dieser durch seine Entfernung von Göttingen nicht dem Bunde der Barden angehörte. Sie schwärmten für Freundschaft, Religion, Vaterlandsliebe und alles Edle und Hohe; sie feierten Klopstock als Dichterkönig und verdammten Wieland's leichtfertige, sittenverderbliche Schriften; wie manches Ueberspannte auch bei ihren Versammlungen unter der deutschen Bundeseiche zum Vorschein kommen mochte, das Streben nach einem hohen, edeln Ziel war höchst ehrenwerth. Klopstock ließ sich in den Bund aufnehmen; er setzte hohes Vertrauen in die begeisterten Jünglinge, die seine Gelehrtenrepublik als einzig richtige Geschmackslehre ansahen, und bei denen sich seine drei Richtungen, das Vaterländische, Antike und Christliche, so entschieden kund gaben. Ergriffen vom Geiste der kraftgenialen Zeit gingen die Göttinger Barden auf die neue Natur- und Volksdichtung ein, verachteten Gelehrsamkeit und Schulweisheit und setzten sich über Regel und Kunst weg.,,Der Ge sang der Einfalt, der Natur, des Landlebens stammte aus diesem Kreise, und die Volks.. dichtung ward hier gleichsam neu geboren." Auch als Ueberseßer der klassischen Werte des Alterthums zeichneten sich mehrere der Göttinger Barden in der Folge aus.

1) Gottfr. Aug. Bürger aus dem Halberstädt'schen war eine hochbegabte Dichternatur; aber ein unsittliches Leben, gedrückte Verhältnisse, Armuth und Nahrungssorgen, drei durch Leidenschaft und Unbesonnenheit zerrüttete Ehebündnisse und Hang zu rohen Genüssen zerstörten seine Anlagen und stürzten ihn kummervoll und frühe in's Grab. Bürger besaß alle Gaben eines Volksdichters; er erfaßte die deutsche Natur mit richtigem Takte, daher seine lyrischen Gedichte, worin niedrig Komisches mit innig Gefühlvollem verbunden erscheint, großen Anklang fanden. Am ausgezeichnetsten und bekanntesten find seine nach schottischen Vorbildern verfaßten und zum Theil deutschen Volkssagen entlehnten Balladen und Romanzen, in welchen die Einfachheit, Kraft und phantasievolle Lebendigkeit mächtig ergreifen und hinreißen. Durch diese wurde er der Liebling des Volks, so hart auch Schiller über ihn urtheilte, durch seine Lenore gewann er die ganze Nation, und sein wilder Jäger, des Pfarrers Tochter von Taubenheim, der Kaiser und der Abt, das Lied vom braven Mann, Frau Magdalis u. a. sind noch jetzt im Volke bekannter als die meisten neuern Gedichte. Mit Bürger und andern Mitgliedern des Göttinger Hainbundes befreundet war Leop. Fr. G. Göckingt, in der literarischen Welt bekannt durch Epigramme, poetische Episteln und durch seine „Lieder zweier Liebenden.“

Bürger

1748-94.

Göding!

1748

1828.

1

Claudius 2) Matth. Claudius aus dem Holsteinischen lebte größtentheils in Wandsbed, 1815. daher er sich auch den Wandsbecker Boten (oder Asmus) nannte. Claudius besaß

1740

Höfty 1748-76.

Christian

1748

noch entschiedeneres Talent zum Volksdichter als Bürger und war frei von dessen Schwanken zwischen Kunst- und Naturdichtung. Von der Studienzeit in Jena an gehörte er zu den Berehrern Klopstock's, dessen Religionsgefühl und Tugend, deffen Freiheitsfinn und Vaterlandsliebe er theilte, und diese Gefühle, namentlich die christliche Frömmigkeit und Heiterkeit, blieben auch stets lebendig in ihm. Die Ansichten der siebenziger Jahre, daß Anlage und Natur über Kunst gehe, entschieden seine Richtung als Volksdichter. Seine Schreib- und Dichtungsart war das Abbild der höchsten Einfachheit in Sitte und Denkweise, daher auch seine Lieder, aus denen Gemüthlichkeit, Treuherzigkeit, frommer Sinn und heitere Laune hervorleuchten, in den Mund und in's Herz des Volks kamen („, Be kränzt mit Laub: Warum sind der Thränen; der Mond ist aufgegangen“ u. a.). Eine gewisse aus Offian und Yorik geschöpfte Empfindsamkeit und Schwermuth herrscht in den meisten seiner Gedichte vor, die in dem Maße mit den Jahren zunahm, als chriftliche Myflit und Religiosität in ihm die Obermacht erlangten.

3) Hölty (Ludw. Heinr. Christoph) aus dem Hannöverschen, ein Jüngling von weicher, empfindsamer Gemüthsart und krankhaftem Körper, der ihn jung in's Grab führte. In seinen lyrischen Gedichten (Oden, Lieder, Idyllen 2c.) herrscht eine schwermülthige, elegische Stimmung, die aus einer Ahnung seines frühen Lodes hergeflossen sein mag. Am bekanntesten ist das schöne Gedicht: „Ueb' immer Treu und Redlichkeit.“ Stolberg 4) Christian und Friedrich Leopold, Grafen zu Stolberg, zeichneten fich 1821. als Dichter (Lyriker und Dramatiker) und Ueberseßer aus. Bon Christian, dem Fr. Leop. weniger befähigten, aber auch weniger verirrten, besißt man Lieder, Schauspiele (Belsazar; Stolberg 1750- Otanes), Balladen (die weiße Frau) und eine noch immer viel gelesene Ueberseßung des 1819. Sophofles. Wichtiger ist der jüngere, phantasiereichere Bruder, Friedrich Leo pold, von dem außer lyrischen Gedichten, Schauspielen (Theseus) und Ueberse zungen (Aeschylus; Ilias) auch noch prosaische Werke von Bedeutung vorhanden sind. In Stolberg sind die Eigenschaften der Klopstock'schen Poesie, Begeisterung für Alterthum, Freiheit und Vaterland und für Religion deutlich zu ers kennen, nur daß in seinen spätern Jahren das Religiöse in dem Grade die Oberhand erhielt, als die frühere Freisinnigkeit, die ihn zu den patriotischen Liedern (Mein Arm ist stark; Sohn! da hast du meinen Speer; In der Väter Hallen ruhte u. a.) und zu den kräftigen Jamben (Satiren) begeisterte, der Unfreiheit und aristokratischen Vornehmheit wich. Die französische Revolution bewirkte diese Sinnesänderung und sein überspannter Geist übersprang bald alle Schranken der Mäßigung. Der Widerwille gegen die religiöse Freigeisterei und den demokratischen Freiheitsschwindel wurbe so mächtig in ihm, daß er mit seiner Familie zur katholischen Kirche übertrat (1800) und nun im Kreise der Fürstin Gallişin (A. §. 61 c.) jene Werke religiösen Inhalts, die seinen beschränkten Glaubenseifer und seinen Hang zu geistiger Verfinsterung beurkunden (Geschichte der Religion Jesu Chrifti; das Buch der Liebe, wobei er Thomas a Kempis (Lehrb. §. 357) vor Augen hatte u. a. m.) verfaßte. Den Wendepunkt, „wo Friedrich Stolberg von dem Parnaffe gejagt ward und dafür in's Himmelreich kam“, bezeichnet der idyllische Roman die Insel, in welchem Stolberg's blühende Phantafie und poetische Natur zum letztenmal sichtbar ist. Die Reise nach Italien und die Ger spräche Plato's leiden schon an jener, vornehmen Seichtigkeit“ und „gesuchten Frömmelei", die seit seinem Uebertritt den Grundton seiner Schriften bilden.

Vok 1751

1826.

5) Johann Heinrich Voß stand an poetischer Begabung unter Stolberg, aber an Charakter und männlichem Sinn weit über ihm. Aufgewachsen unter strenger Zucht und ärmlichen Verhältnissen, die ihn nöthigten, auf eigenen Füßen zu stehen, erlangte er frühe Selbständigkeit und Selbstvertrauen. In Göttingen, wo er sich mit Boje's Schwe

fter verheirathete, sog er jene Liebe und Bewunderung für die klassischen Werke des Alterthums ein, ohne die er nie ein so unübertrefflicher Dolmetscher und Uebersetzer derselben geworden wäre. Er drang in den Geist und das innere Wesen des antiken Lebens ein und erschloß durch seine meisterhafte Uebersetzung des Homer, Virgil und anderer griechischen und römischen Klassiker der ganzen gebildeten Welt das Verständniß jener Dichter, in denen Kunst und Natur so harmonisch gepaart sind.

Seine Ueberseßung des Homer im Metrum des urtertes (Hexameter), wobei er neue gelungene Bortbildungen mit veralteten, der lutherischen Bibel und dem Burkard Waldis abgelernten Ausdrücken verband, ist ein Denkmal deutschen Fleißes und deutscher Befähigung, sich Fremdes anzueignen. Sie weckte Sinn und Liebe für die große Welt des Alterthums in weiten Kreisen.

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Diese Liebe zum klassischen Alterthum wich nie aus Bossens Herzen; nächst der Bibel, mit der er von Jugend auf vertraut war, blieben die antiken Schriftsteller seine liebste Fectüre; ihnen lernte er die Vollendung der Form und des Versbaues, die rhythmische Sprache und den musikalischen Wohlklang ab, wodurch seine Gedichte sich auszeichnen. Was seine eigenen Dichtungen angeht, so ist er nur in Einer Gattung groß, in der Idylle. Auch hier ging er bei den Griechen in die Schule und lernte ihnen jene echte Naivetät, Wahrheit und gediegene Natur ab, die seine Luise zu einem Lieblingsbuch der Nation gemacht haben. Dagegen fühlt man bei seinen Liedern, Oden und Elegien den Mangel an schöpferischer Phantasie und Schwung; und bei manchen seiner Uebersetzungen, wie bei Horaz, Shakespeare, Aristophanes, verleitete ihn das Streben nach Genauigkeit und Treue zur Härte und zu undeutschem Sprachzwang. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Eutin und Jena wurde Voß nach Heidelberg berufen. Hier lebte und wirkte er bis an seinen Tod, ein Muster ehrenhafter, bürgerlicher Hausväterlichkeit, ein treuer Freund den Gleichgesinnten, ein Vorfechter für Licht, Wahrheit und echte Humanität und ein Feind und Verfolger sowohl alles dessen,,,I ,,was engherzig an Scholle, Zelle und Schule hängt, als was in's Weite ziellos ausschweift." Als warmer Anhänger der evangelischen Kirche und als nüchterner, besonnener Mann war er ein Feind aller Religionsschwärmerei und jeder Art von Fanatismus; darum brach er mit Stolberg, als dieser zur katholischen Kirche übertrat, und schleuderte das schneidende Büchlein „Wie ward Friß Stolberg ein Unfreier?" gegen den Jugendgenossen. Auch die romantische Literatur mit ihren romanischen und orientalischen Neigungen sagte ihm nicht zu, und über die Deutung der griechischen Götterlehre (Symbolik) führte er einen heftigen Kampf mit seinem Collegen Creuzer.

Hebel

1828.

Was Voß durch seine Idyllen in niederdeutscher Mundart für den Norden sein wollte, das ward der Oberländer Peter Hebel durch seine allemanischen Gedichte für den 1760Süden. In Karlsruhe, wo er ein hohes Kirchenamt bekleidete, fühlte er eine stille Sehnsucht, eine Art Heimweh nach dem friedlichen Landleben und zu den einfachen, frommen Bewohnern des Schwarzwaldes, wo er aufgewachsen; dies erzeugte in dem gemüthlichen, kindlichen Mann jene halb wehmüthige, halb freudige Stimmung, die den Grundton seiner herrlichen, im allemanischen Dialekte geschriebenen idyllischen Gedichte bildet. Bertraut mit dem Ideenkreis des Volkes, verirrte er sich nie auf fremdes Gebiet; und wie richtig er den Geist, den Wiß, den Humor des Volks kannte, beweisen seine Volksschriften: der rheinische Hausfreund, das Schazkästlein u. a. In ähnlichem Geiste dichtete auch der Schweizer Martin Usteri seine ländlichen Sittengemälde, zum Theil in der Mundart seines Volks. Von ihm rührt das bekannte Volkslied her: „ Freu't euch des

Lebens."

4. Goethe's und Schiller's gemeinsame Wirksamkeit.

§. 88. Xenien. Bei seiner Rückkunft aus Italien fühlte sich Goethe unangenehm berührt durch den Beifall, den Schiller's stürmische Dichtungen bei dem Volke gefunden;

ufteri

1763

1827.

aber seine anfängliche Abneigung gegen den Dichter des Tages verwandelte sich bei persönlicher Bekanntschaft in innige Freundschaft. Sie traten zur Herausgabe einer periodischen Schrift (Horen) zusammen (1795–97), der sich der Musenalmanach anschloß. Dieser Bund, in den die beiden Dichter als abgeschlossene Naturen zusammentraten, ist eine der erfreulichsten Erscheinungen in der Literaturgeschichte. Schiller's ideale und Goethe's reale Natur waren zwei Potenzen der vollkommenen Menschennatur. Sollte nun das Ziel allgemeiner Menschenbildung, wornach jeder von ihnen mit gleichem Ernste, aber auf entgegengesetzten Wegen strebte, erreicht werden, so konnte dies nur durch eine harmonische Verbindung Beider zu einem Ganzen geschehen, um so „die feindlichen Gegensäße der Vernunft und Sinnlichkeit, der Natur und Cultur, des Realen und Idealen, des Objects und Subjects, die in den modernen Bildungen die Welt theilen, auf der Spiße der Erkenntniß zu versöhnen." Nichts zeugt daher mehr für das edle Streben beider Dichter nach echter Cultur und Humanität, als dieser Bund.

Die Horen, wofür die bedeutendsten Kräfte der Nation gewonnen wurden, sollten durch ernste und würdige Haltung der Kunst Genüge leisten und ein Gegengewicht gegen die Masse des Mittelmäßigen in der Literatur bilden. Darum wendeten Goethe und Schiller große Sorgfalt auf Form und Sprache und bildeten jene elegante Prosa aus, die von dem an als Muster und Vorbild eines guten Stils angeseben wurde. Diese erscheint in ihrer Vollendung in Schiller's historischen und philosorhischen Aufsäßen, in Goethe's Romanen und in seiner freien Ueberseßung der Lebensbeschreibung Benvenuto Cellini's (Lehrb. §. 439).

Nach der Verbindung mit Goethe fühlte Schiller das Bedürfniß, sich aus den histerischen und philosophischen Studien wieder in die Poesie zu flüchten. Die lyrischen Gedichte dieser Periode, die Ideale und das Leben, die Würde der Frauen, der Spaziergang und vor Allem die Glocke, „die Tonleiter aller menschlichen Empfindung“, tragen deutlich die Spuren seiner vorhergegangenen Beschäftigung an fich, indem darin Dichtung und Philosophie verbunden erscheint. Zu diesen ernsten didaktischen Boesien bilden Goethe's gleichzeitige römische Elegien, venetianische Epigramme, Alexis und Dora u. a. mit ihrer leichten Anmuth den reinsten Gegensaß. — Das wichtigste Product der gemeinsamen Wirksamkeit waren die im Musenalmanach niedergelegten Xenien (1797), worin sie der gesammten Tagesliteratur in satirischen Ansfällen zu Leibe gingen und dies mit solchem Gemeinsinn, daß es bei vielen derselben unentschieden blieb, welcher von beiden Dichtern der Verfasser sei. Die Xenien sollten in der deutschen Literatur aufräumen und die dicke Luft reinigen."

Gereizt durch den zudrängenden Schwall der Mittelmäßigkeit und durch die Flauheit des öffentlichen Urtheils über ihre eigenen Leistungen,,,ließen sie hier einen schonungslosen Eifer gegen alles Falsche und Geringe, das der echten Bestrebung entgegentrat, seinen Lauf und schwangen die Geißel der Satire gegen alle Philifterei und Schwärmerei, gegen alle Leere und Abgeschmacktheit, gegen die nüchternen Zeitschriften, gegen Nicolai,,, den Erbfeind alles freien Schwungs", gegen die veralteten Kunstregeln, gegen die humoriftischen Romane, gegen Frömmler und wässerige Pädagogen“, ungeirrt durch die Schmähungen und die zernigen Ausfälle der Beleidigten.

§. 89. Balladen. Hermann und Dorothea. Um jedoch ihre Kräfte nicht auf solchen Streifzügen zu vergeuden, kehrten die Dichter am Ende der neunziger Jahre zu höherer Thätigkeit zurück und wendeten ihre Muße den beiden Hauptgattungen, dem Epos und Drama, zu. In Verkennung ihrer Natur, die Goethe vorzugsweise zum epischen, Schiller zum dramatischen Dichter geschaffen, schwankten sie eine Zeit lang in ihren Entschlüssen und verfielen mittlerweile auf die Ballade, die zwischen beiden Dichtungsgattungen in der Mitte liegt (Schiller's Gang nach dem Eisenhammer; die Bürgschaft; der Kampf mit dem Drachen; der Handschuh; der Taucher; die Kraniche des Jbycus; Goethe's Braut von Korinth; der Erlkönig; der Gott und die Bajadere). Endlich ergriff Goethe diejenige Gattung des Epos, für welche die Zeit empfänglich schien, die aber nur für eine Entartung desselben gelten kann den Roman und schilderte in Wilhelm Meisters Lehrjahren das bürgerliche Leben nach den verschiedenen Ständen und Berufsarten und namentlich das Schauspielwesen und Theaterleben nach seinem ganzen Umfang in so mei

fterhafter Art und mit solcher formellen Grazie und glücklichen Charakteristik, besonders der Frauengestalten, daß das Werk trotz der unklaren Tendenz und der schwankenden Gestalt des Helden stets allgemeine Bewunderung gefunden hat und als Musterroman angesehen wurde.

Der,, Wilhelm Meister“, dessen mit Betrachtungen, Lehren und Geheimnissen gefüllter Schluß dem früher entworfenen erzählenden Anfang nicht entspricht, bezeichnet den Uebergang aus Goethe's lebensthätiger, kräftiger Jugendzeit in das comtemplativere, ruhigere Alter. War die Tendenz des Romans, zu beweis sen,,, es könne ein Künstler nichts durch die Außenwelt werden, wenn er nicht den lebendigen Beruf der Kunst in sich trage, wenn er nicht vermöge dieses Berufes die Außenwelt in sich hineinzuziehen und geistig zu verarbeiten im Stande sei", so hätte man am Schluß einen vollendeten Künstler erwarten sollen, wāhrend Wilhelm als für diesen Beruf völlig unbrauchbar erscheint. Bedeutsamer als das Suchen nach einem praktischen Lebensberuf ist die in Wilhelm Meister" dargestellte Verwischung der Standesunterschiede, die Berschmelzung des Bürgerthums und Adels, das Verallgemeinern der Bildung, das „Hinausstreben über die gesellschaftlichen Schranken zu menschlicher Freiheit“.

In Hermann und Dorothea (1797) wollte Goethe, von Vossens Luise angeregt (A. §. 87), eine Idylle schaffen; aber unter den Händen des Meisters verwandelte sich die niedere Gattung in eine höhere; es wurde ein kleines Epos daraus, in welchem die griechische Form mit deutscher Natur aufs Innigste verbunden ist, und indem darin eine ältere Begebenheit mit glücklichem Takte an die großen politischen Zeitbegebenheiten angeknüpft wird, erhält die epische Idylle einen tiefern, bedeutenderen Hintergrund.

In seiner rein objektiven Haltung tritt dieses idyllische Epos der naiven Kunst der Alten näher als irgend ein anderes Dichtungswerk der neuern Zeit; dagegen war der Plan, mit einem großen Evos AchilIets gegen Homer selbst in die Schranken zu treten, ein verfehlter, daher auch das Gedicht Bruchstück blieb. - Als Goethe sein leßtes Werk in dieser Gattung, die Wahlverwandtschaften, worin er wie im Berther eine Krankheit der Zeit ohne Heilung darstellt, verfaßte, war Schiller längst heimgegangen; andere Ideen waren in die Welt gekommen, deren Einflüssen sich auch Goethe nicht entziehen konnte; das Seelen- und Gemüthsleben in seinem geheimsten und innersten Wesen war der Lieblingsgegenstand der neuen romantischen Literatur und der Novellen, als deren Quelle und Vorbild jener Roman gelten kann. ..In Bezug auf künstlerische Einheit und harmonische Verknüpfung und Gruppirung, auf Entwickelung der Charaktere und Seelenzustände nehmen die Wahlverwandtschaften unter Goethe's Romanen ohne Zweifel den ersten Rang ein. Der glatte und graziöse Stil wird durch die Größe der Leidenschaften, die er schildert, nicht aus dem Takt gebracht." Der tragische Untergang Ottiliens und Eduards ist die poetische Ge= rechtigkeit für die Verlegung des sittlichen Institutes der Ehe.

"

§. 90. Wallenstein. Schauspielkunft. Mittlerweile schuf Schiller in der Trilogie Wallensteins Lager, die Piccolomini und Wallensteins Tod ein für die Theatergeschichte epochemachendes Nationaldrama, in dem des Dichters früherer Ungestüm, rhetorischer Schwung und idealisirende Manier durch Goethe's Einfluß und durch die eigene Besonnenheit und Umsicht gemäßigt erscheint. Zwei Dinge haben diesem dramatischen Werke große Bedeutung gegeben, einmal die glückliche Wahl, die eine ereignißvolle Periode unserer vaterländischen Geschichte der durch erschütternde Staatsumwälzungen aufgeregten und ernst gestimmten Gegenwart, wo um der Menschheit große Gegenstände, um Herrschaft und um Freiheit ward gerungen“, vor Augen stellte, und dann die hohe Vollendung des Stücks, namentlich der tumultuarischen Scenen, woraus hervorgeht, daß der Dichter „auf dem großen Theater der Geschichte und der Weltereignisse, des Kriegs und der Kämpfe männlicher Thaten und strebender Ideen mehr zu Hause ist, als auf dem Gebiete sanfter Empfindung." Dieses Stück, das dem Drama mit richtigem Takt die neuere Geschichte als Gebiet anwies und derselben durch ideale Auffassung eine poetische Seite verlieh, das einen nationalen, in der Volkstradition noch nicht erloschenen Helden in seinem gewaltigen Kampfe gegen Herkommen und überlieferte Rechte und in seinem tragischen Untergange darstellte, riß das Schauspiel aus den kleinen, engen Verhältnissen, in die es Iffland und Kozebue mit ihren empfindsamen Familienftücken herabzogen, auf einen höheren Schauplatz, nicht unwürdig der Zeit, in welcher die lebenden Geschlechter strebend sich bewegten."

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