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1719-79.

tismus erzeuge. Trotz des schlechten Stils und der ungeübten Sprache sind seine freifinnigen Aeußerungen über Regierungszustände in den kleinern deutschen Staaten, über Beamtendespotie, Nichterwillkür und andere Mißstände von ergreifender Wirkung. Was die Schweizer Dichter praktisch übten, faßte ihr Landsmann Joh. G. Sulzer (aus Winterthur) Sulzer theoretisch zusammen, indem er in seiner berühmten,,Theorie der schönen Künfte" die Erweckung sittlicher Gefühle als Endzweck der Dichtung hinstellte und folglich die Klopstock'sche Poesie, welche Moral mit Schönheit anstrebte, als die einzig wahre pries, wenn er schon anderseits der französischen Verstandespoesie auch ihre Rechte eingeräumt wissen wollte. §. 68. Die Literaturbriefe. Bisher war Sachsen der Hauptsitz der deutschen Bildung gewesen: in Leipzig wurde die Literatur, in Dresden die Kunst gepflegt; aber mit der Einnahme Sachsens im siebenjährigen Krieg scheint auch die Literatur in das Land des Siegers eingewandert zu sein, so wenig auch Friedrich II. dieselbe aufmunterte. Durch ihn und die Thaten des siebenjährigen Krieges kam der erste und wahre höhere Lebensgehalt in die deutsche Poesie. Daß dieser große König den Umschwung der deutschen Literatur während seiner Regierung nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte und der französischen Dichtkunst treu blieb, haben wir an einem anderen Orte näher dargethan (Lehrb. §. 689). Freilich konnte einem so nüchternen, verständigen Manne die überschwengliche Gemüthspoesie Klopstock's nicht behagen; die religiöse Dichtung brachte dem freidenkenden König die Tage seiner Jugend in Erinnerung, wo er zur Strafe geistliche Lieder lernen mußte; selbst die durch seine Siege gehobene patriotische Begeisterung und die daraus hervorgegangene Bardendichtung eines Kretschmann, Denis u. A. fand keinen Anklang bei ihm, da er nicht mann Deutschland, sondern Preußen im Auge hatte und weder für Ossian's sentimentale Gefühlspoesie, noch für die germanische Helden- und Götterwelt, die in dieser Bardendichtung vorwalteten, empfänglich war. Auch Lessing's kritischer Geist, vor dem seine französische Poesie 1800. so schrecklich zu Schanden ward, mußte ihm mißfallen. Indessen hat vielleicht diese Abneigung des gefeierten Monarchen der deutschen Literatur mehr genügt, als wenn er sie unter seinen Schutz genommen hätte. Man bestrebte sich in edlem Stolze, auf dem Gebiete der Wissenschaft und Kunst den deutschen Namen eben so zu Ehren zu bringen, wie Friedrich im Felde und in der Politik. Dadurch bewahrte die deutsche Literatur ihre Freiheit und wurde in ihrem selbständigen Entwickelungsgang weder gehemmt noch abgelenkt, was schwerlich der Fall gewesen wäre, wenn sich Friedrich derselben eifriger angenommen hätte; ein Mann von so mächtigem Geiste und so vorherrschendem Einfluß hätte nothwendig der Poesie ein eigenthümliches, vielleicht höfisches und fremdartiges Gepräge aufdrücken müssen.

Den größten Anstoß erhielt die deutsche Literatur durch eine kritische Zeitschrift — die von dem Berliner Buchhändler Nicolai gegründeten Literaturbriefe (1759-65). Diese Zeitschrift, woran außer dem größten Kritiker der Zeit, Lessing, verständige Männer, wie Abbt, der jüdische Kaufmann und Philosoph Moses Mendelssohn u. A. thätig waren, bekämpfte die den Franzosen nachgebildeten Theorien und Schulsysteme, setzte dem Klopstock'schen Gefühls- und Empfindungsleben den gesunden Menschenverstand, Erfahrung und Weltkenntniß entgegen, suchte durch klare und scharfe Kritik das usurpirte Ansehen mittelmäßiger Köpfe zu erschüttern und junge Talente zu heben und richtig zu leiten (Wieland) und schuf eine elegante Prosa, wobei Lessing die ersten Proben von der wunderbaren Gabe ablegte, durch Darstellung, Ausdruck und Lebendigkeit der Rede den Leser für jeden, auch noch so trockenen und gelehrten Gegenstand zu fesseln. Nicolai war ein Mann des Lebens, der mit praktischem Sinne die Zeitumstände und Bedürfnisse erfaßte, und die Menschen beobachtete und richtig beurtheilte; und so sehr ihn auch später sein nüchterner, prosaischer Geist auf Abwege führte, wo er aus Widerwillen gegen jede Art von Uebertreibung alle Sentimentalität und Gefühlspoefte bekämpfte und als flacher Kunst- und Geschmacksrichter alle literarischen Erscheinungen bekrittelte Schöpfung hat er sich große Verdienste um die Literatur erworben.

Weber, Geschichte II. 9. Aufl. (Literatur.)

5

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durch diese

Kretsch

1738

1809.

Denis

1729

Gleim

1719

1803.

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1720-96.

1715-59.

§. 69. Die Anakreontiker. In diese Zeit fällt eine Anzahl Dichter, die mehr der heitern Poesie Hagedorn's nachstrebten, als der überschwenglichen Klopstock's, mit dem jedoch die meisten in freundlicher Verbindung standen. Mittelpunkt dieser als Ana. freontiker (Lehrb. §. 75) bezeichneten Dichter, die dem Horaz die heitere Lebensluft und den erlaubten Genuß im fröhlichen Freundeskreise abgelernt, war der wohlwollende, mehr als Menschenfreund denn als Dichter hervorragende J. W. Ludw. Gleim. Sein Haus in Halberstadt, wo er beim Domstiste angestellt war, bildete den Sammelplatz der be rühmtesten Schriftsteller, mit denen er einen ununterbrochenen brieflichen Verkehr unterhielt; sein edler Charakter, sein hohes Streben, seine Freigebigkeit gegen hülfsbedürftige Talente zogen alle Gleichgesinnten an. Sein Herz schlug nur der Freundschaft und Poesie, und wie weich und tändelnd sich auch manchmal sein Freundschaftsenthusiasmus äußerte, eine solche versöhnende Persönlichkeit war vom größten Vortheil für das Gedeihen der Dichtkunst, die er durch seine Natur und sein Wesen mehr förderte, als durch seine anafreontischen Lieder, durch seine Kriegslieder eines preußischen Grena diers und durch sein Lehrgedicht Halladat. Die bedeutendsten lyrischen Dichter, Die fich um Gleim schaarten, waren: 1) Peter Uz aus Anspach (Oden, Lehrgedichte und eine Kleist Theodicee nach Leibnitz - Wolfischen Grundsätzen); 2) Ewald Christ. von Kleist, ein patriotischer Kriegsmann, der in der Schlacht von Kunersdorf den Heldentod starb. Sein beschreibendes Gedicht, der Frühling, in elegisch-sentimentalem Tone, ist unter seinen Ramler Werken das bekannteste; 3) Karl Wilh. Namler (Professor an der Berliner Cadettenschule und später Theaterdirector), als Odendichter (nach Horaz, gefeilt und glatt, mitunter steif), Uebersetzer und feiner Kritiker (durch seine Kunsturtheile bei den Gedichten 3.8. Jaz seiner Freunde) berühmt und verdient; 4) J. Georg Jacobi aus Pempelfort bei Düssel-1814. dorf. In seiner ersten Periode, als Canonicus in Halberstadt, trieb er (in seinen anakreontischen Liedern und Briefen an Gleim) die Freundschaftsliebelei und Zärtlichkeit mit Gleim und dessen Kreise auf die Spitze; später, als er sein Taschenbuch Iris heraus, gab, dichtete er einzelne Lieder, denen religiöser Sinn und Gemüthlichkeit nicht abging (,, Aschermittwochslied";,,die Morgensterne priesen“ u. a.), tändelte aber auch oft nach Art der Minnesänger mit Frauenliebe und verfiel in seinem Gefühlsleben mitunter in's Weich, liche und Süßliche, bis zulezt der Ernst der Zeit ihn, der mittlerweile Professor in Frei. burg, dann Regierungsrath geworden, ernster und kräftiger stimmte und ihm die Poesie ein Gronegt Mittel zur Verschönerung seines häuslichen Kreises wurde. Auch Friedr. von Cronegk aus Anspach und Luise Karsch (die Karschinn), in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und unglücklich verheirathet, aber später von Gleim unterstüßt, so wie der Oden- und mor 1736 Fabeldichter Willamov aus Morungen und die Lyriker Klamer Schmidt, Michaelis, Göt u. A. gehörten diesem Kreise an. Cronegk versuchte sich in verschiedenen Dichtungen, Karichin doch sind seine Tragödien (Kodrus) am berühmtesten. Die Karsch war als Künftlerin unbedeutend, aber nicht ohne schöne Naturanlagen.

1725-98.

cobi 1740

1731-58.

Willa:

-1777.

1722-91.

Bieland

1733

III. Wieland.

§. 70. Biberach. Christoph Martin Wieland, der Sohn eines schwäbischen Geist1813. lichen in Biberach, war ein frühreifes Talent. Die strenge, altgläubige Frömmigkeit im elterlichen Hause, seine Erziehung in einer pietistischen Schulanstalt und die herrschende religiöse Empfindsamkeit wirkten mächtig auf ihn ein. Er knüpfte als Knabe den Bund platonischer Liebe mit der nachmaligen Sophie von Laroche und versuchte sich als schwermüthiger, von Gefühlsschwärmerei erfüllter Jüngling auf der Universität Tübingen an Gedichten im Geiste Klopstoc's und seiner frommen Schweizer Nachahmer. Darum lud ihn Bodmer als neuen Genossen nach Zürich ein und nahm ihn in sein Haus auf. Hier verlebte Wieland etliche Jahre und verfaßte mehrere dichterische Werke, die seine gänzliche Befangenheit in der seraphischen Gefühlspoesie und seinen Abscheu gegen die Anakreontiler

und ihren weltlichen Sinn beurkunden (,,Der geprüfte Abraham", eine Patriarchade, und andere Werke). Diese religiös empfindsame Richtung verschwand allmählich, als durch Wieland's Anstellung in seiner Vaterstadt Bodmer's Einfluß auf den jungen Dichter abnahm und dieser im Hause des Grafen Stadion (dessen Pflegesohn Laroche mit Wieland's Jugendfreundin Sophie vermählt war) feinere Weltbildung, französische Philosophie und weisen Lebensgenuß kennen lernte. Theils der persönliche Umgang des durch Lebenserfahrung und Menschenkenntniß gebildeten Grafen, theils die Bekanntschaft mit englischer und französischer Literatur hoben Wieland über den beschränkten Gesichtskreis, in dem er bisher geweilt, und öffneten seine Seele einer freieren und heiterern Weltanschauung. Er versuchte sich zuerst im Drama (Johanna Gray oder der Triumph der Religion); als ihn aber Lessing in den Literaturbriefen hart anließ und ihm nachwies, daß die Tragödie kein Feld für ihn sei, wendete er seine Thätigkeit dem Zweige der Literatur zu, auf dem sein Talent sich am glänzendsten zeigte dem Romane und der scherzhaften Erzählung. In diesen legte er seine Lebensansichten, seine heitere Weltanschauung und seine anziehenden, in leichte, liebliche Sprache gekleideten, oft sinnlichen und schlüpfrigen Schilderungen der Liebe nieder und wurde nun ein eben so eifriger Gegner der Klopstock'schen Dichtung, als er früher ein Verehrer derselben gewesen. Bis zum Jahre 1769, wo er als Professor der Philosophie und schönen Wissenschaften an die Kurmainzer Universität Erfurt berufen ward, erschienen rasch nach einander Don Sylvio von Rosalva, Agathon, Musarion, die Grazien u. a. m.

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Nachdem er in der lüsternen Erzählung Nadine die Sinnlichkeit des griechischen Heidenthums dargestellt, richtete er in dem leichtgeschriebenen, dem Don Quixote nachgebildeten Romane Don Sylvio von Rosalva, oder der Sieg der Natur über die Schwärmerei, seine feine Satire gegen die herrschende Sentimentalität und religiöse Ueberspannung und schilderte dann in seinem berühmtesten Romane Agathon sein eigenes inneres Leben. Hier erscheint französische Lebensphilosophie und modernes Wesen in altgriechischem Gewande und es soll darin gezeigt werden, wie weit es ein armer Sterblicher mit den bloßen Kräften der Natur in Tugend und Weisheit bringen könne, wie viel die neuesten Verältnisse auf uns wirken, und wie man nur weise und gut wird durch Erfahrungen, Fehltritte, unermüdete Bearbeitung unsrer selbst, öftere Veränderungen in unserer Art zu denken, besonders durch guten Umgang und gute Beispiele." Durch die Beziehung auf die Verhältnisse der Gegenwart ist im Agathon die Schilderung der griechischen Welt eben so verfehlt wie im Don Sylvio das spanische Wesen. In den komischen Erzählungen voll Laune und feinem Scherz wetteiferte Wieland in leichter Form und gefälligem Versbau mit den Franzosen und verschaffte sich dadurch Eingang in die höheren Kreise. Diese Erzählungen, so wie Musarion, in dem die Mitte zwischen dem sinnlichen Genuß und der übers schwenglichen Wonne der Schwärmer als wahre Weisheit gepriesen wird, gehören der Gattung des Lehrromans an. Die Grazien, wo Verse mit Prosa abwechseln, stellen Wieland's Sprachgewandtheit, seine „Leichtigkeit und lose Lieblichkeit“ in's hellste Licht, aber dies Werk und der , Nachlaß des Diogenes von Sinope" geben vor allen Zeugniß, daß hellenisches Wesen und antike Natur nie richtig von ihm erfaßt wurden.

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§. 71. Erfurt und Weimar. Durch diese und andere Schriften in dem leichtfertigen Tone der Franzosen wurde Wieland „der gesellschaftliche Schriftsteller der Nation“ und verschaffte der deutschen Dichtkunst Eingang in die höheren, gebildeten Kreise, wohin früher nur französische Literatur gedrungen. Aber die Zahl seiner Gegner war groß. Die Frommen verdammten seine Schriften, die Anhänger Klopstock's vergalten dem Abtrünnigen mit ihrem Hasse, der Göttinger Dichterbund verbrannte seine Werke; selbst mildere Beurtheiler fürchteten von dem schlüpfrigen Inhalte und der sinnlich üppigen Darstellung Gefahr für deutsche Sittsamkeit und Tugend. Wieland konnte sich auf seine reinen Abfichten, auf sein Streben nach Wahrheit, auf seinen musterhaften Lebenswandel berufen; aber die Abwege, auf die mehrere seiner Anhänger und Nachahmer geriethen, rechtfertigten die Besorgnisse der Gegner. Der feine Epikureismus und der um alles Höhere unbekümmerte aristokratische Lebensgenuß, dem seine Schriften das Wort redeten, machten dieselben der gebildeten vornehmen Welt angenehm, wirkten aber nachtheilig auf die Sitten und Denkweise des Volks. In Erfurt befaßzte sich Wieland neben H o raz (Lehrb. §. 209) und Lucian (Lehrb. §. 223), mit deren Lebensansichten, Denkart und Darstellungsweise er

am meisten übereinstimmte, mit Rousseau, Boltaire und den kirchenfeindlichen Schriftstellern der Franzosen (Lehrb. §. 671). Die vielfachen Reformen in Kirche und Staat richteten seine Blicke auf Verfassungswesen und Regierungsweise, und in demselben Jahr, 1772. wo er durch die Berufung als Prinzenerzieher nach Weimar in die für seine Natur geeignetsten Verhältnisse versezt ward, legte er seine Ansichten über Staatsførmen in dem didaktischen Roman „Der goldene Spiegel oder die Könige von Scheschian“ nieder.

Seine deutsche Gemüthlichkeit und seine große Nachsicht mit den Fehlern, Vorurtheilen und Schwächen der Menschen, die er, statt sie zu geißeln, nur fein verspottet, hielten ihn von Voltaire's Zerstörungstrich fern und gegen Rousseau suchte er den Grundsaß aufrecht zu halten, daß die Wohlfahrt der Menschheit nicht in einem auf Unkenntniß des Bösen beruhenden Zustande der Unschuld, sondern in Selbsterkenntniß und der das durch erlangten Beherrschung der zum Bösen führenden Leidenschaften bestehe.

In Weimar gründete Wieland mit Fr. H. Jacobi u. A. eine literarische Zeitschrift, ,,der deutsche Mercur“, die sowohl durch ihre Urtheile und Anzeigen, als besonders daburch wichtig ward, daß sie als Organ mancher bedeutenden Erscheinungen diente, und wendete sich zugleich dem reichen Felde der Romantik zu, wo er durch sein Heldengedicht Oberon, dessen nebelhafte Gebilde er aus Shakespeare's „Sommernachtstraum“ entlehnte, den größten und dauerndsten Ruhm erlangte, doch blieb der geschichtlich - philosophische Roman mit satirischer und ironischer Färbung das eigentliche Feld seines fruchtbaren Geistes. Zwischen diesem Roman (Geschichte der Abderiten, Aristipp u. a.) und zwischen den Ueberseßungen von Horazens Briefen und Satiren, Lucian's Werken und Cicero's Briefen finden wir seine spätere Thätigkeit getheilt. Die von Wieland früher unternommene Uebersehung von Shakespeare's dramatischen Werten führte diesen großen Dichtergeist zuerst in Deutschland ein. Für Wieland's religiõse Ansichten sind die Göttergespräche, Peregrinus Proteus und Agathodimon von Wichtigkeit. Er geht mit den Freigeistern, so lange sie die Außenwerte des Christenthums, kirchliche Institute, Priesterthum, Hierarchie und Aberglauben bekämpfen, aber den Glauben an Gott und Unsterblichkeit und das Wesen der chriftlichen Religion will er nicht angetastet wissen.

Die romantischen Erzählungen, Wintermährchen, Gandelin oder Liebe um Liebe, Geronder Adelige, Idris und Zeinde u. a. sind äußerst graziös, anziehend und reizend, und Nichts beweift den großen Fortschritt des empfänglichen Dichters besser als eine Vergleichung des um 1771 verfaßten neuen Amadis mit diesen dem Stoffe nach ähnlichen romantischen Erzählungen, als deren Höhepunkt Oberon dasteht, wo Ironie und Wahrheit, Scherz und Ernst reizend gemischt sind. Die liebliche Sprache, leichte Versification und anziehende Darstellung verschaffte dem Oberon Leser unter allen Klassen und machten Wieland's Namen populär. In den Abderiten verspottet Wieland die Thorheiten und das Philifterwesen kleiner Städte, indem er den Contrast zwischen dem durch Reisen, Welterfahrung und Menschenkenntuiß gebildeten Philosophen Demokrit uud seinen spießbürgerlichen, beschränkten und engberzigen Landsleuten ven Abdera in heiteren Schilderungen lebendig und komisch dem Leser vor die Seele führt. In seinen spåtern Werken läßt sich der Einfluß Lucian's nicht verkennen. Der Peregrinus Proteus, ein religiöser Schwärmer, der sich selbst den Flammen übergibt, um mit Göttern und Geistern umgehen zu können, ist mit Bezug auf Lavater geschrieben; der Agathodämon enthält vortreffliche Bemerkungen über die historisce Bedeutsamkeit des Christenthame. In dem geschichtlichen Roman Aristipp schildert Wieland das geistige Leben zu Athen während der Blüthezeit auf interessante Weise, aber wieder mit der subjektiven Färbung, die der Verfasser aus seiner Zeit und Denkweise hineinträgt.

§. 72. Heinse. Wieland's leichtfertige, lüfterne Schilderungen wurden nachgebildet und überboten von dem sinnlichen, frivolen, dabei aber geistreichen und kunstsinnigen Wilh. 1749- Heinse aus Thüringen, bei dessen literarischen Schöpfungen Befriedigung und Herrschaft 1803. der Sinnlichkeit Ziel und Bestreben war. Begabt mit einer reizbaren Phantasie und mit

Heinse

dem Talente lebendiger, anziehender Darstellung, suchte er durch lüsterne, wollustathmende Natur- und Kunstschilderungen die Einbildungskraft zu fesseln und sinnliches Wohlbehagen zu erregen, stellte aber das abschreckende Beispiel auf, zu welcher Verwahrlosung des Gemüths die Sinnlichkeit führt, wenn sie den Zügel der Sitte abwirft." Eine Reise nach Italien und seine Vertrautheit mit den italienischen Dichtern, besonders Tafso und Ariest,

die er in Prosa übersetzte, waren von großem Einfluß auf seine Kunstrichtung und seinen üppigen Stil, in dem er nach dem melodischen Wohlklang der Südländer strebte. Sein Hauptwerk ist der Roman Ardinghello oder die glücklichen Inseln, bei dem die Erzählung nur als Rahmen dient für seine Schilderungen und Ansichten über Kunst, Wissenschaft und Staat. Er stellt darin gegen Winckelmann das Studium der Natur über das Studium der Antike, spricht dem Romantischen der Genre- und Landschaftsmalerei das Wort und empfiehlt ein nacktes Naturleben zur Herstellung der Kunst. In Hildegard von Hohenthal legte er eine ähnliche Ansicht über Musik nieder.

IV. Lessing.

1729-81.

§. 73. Leben und Charakter. Gotthold Ephraim Lessing war der Sohn eines Leffing Predigers zu Camenz in der Lausitz. Nach einem fünfjährigen Aufenthalt auf der Fürstenschule in Meißen, wo seine ungewöhnlichen Anlagen die Aufmerksamkeit seiner Lehrer erregten, die ihn mit einem Pferd verglichen, das doppeltes Futter haben müsse, bezog er die Universität Leipzig (1746). Die Theologie, der er sich widmen sollte, ward ihm bald zuwider; die Lehrer verstanden es nicht, durch ihre Vorträge den aufstrebenden Geist für diese Wissenschaft zu gewinnen. Er trieb Philosophie und schöne Literatur, lernte tanzen, reiten und fechten und suchte den Umgang von Schauspielern und strebsamen jungen Männern, auch wenn sie (wie Mylius) im Rufe der Freigeisterei standen.. Mit seinen Eltern entzweit, begab er sich nach Berlin, wo ihm seine kleinen Schriften und Abhandlungen die Bekanntschaft von Nicolai, Moses Mendelssohn u. A. erwarben. Er nahm Theil an den Literaturbriefen (A. §. 68), aber sein unruhiger Geist trieb ihn wieder fort; er wollte das Leben und die Menschen von allen Seiten kennen lernen; seinem Freiheitsfinn widerstrebte jede feste Lage und bindende Anstellung, darum finden wir ihn bald in Wittenberg, bald in Breslau, als Secretär des Generals von Tauenzien, bald wieder in Berlin, bald in Hamburg (1767—1770), immer mit neuen Plänen erfüllt, mit neuen Arbeiten beschäftigt, von neuen Menschen umgeben; und als er endlich zu Wolfenbüttel die Stelle eines Bibliothekars übernahm und nach seiner Verheirathung einen ruhigen Hausstand zu begründen hoffte, stieß ihn sein Schicksal wieder auf die Wanderung, indem es ihm seine geliebte Gattin und sein einziges Kind durch raschen Tod raubte und ihn dadurch antrieb, den Schmerz in neuen Lebensplänen und Reiseunternehmungen zu ersticken. Die innern Kämpfe verkürzten seine Tage. Er starb zu Braunschweig am 15. Febr. 1781. So zerrissen, wechselvoll und unftät Lessing's Leben war, so vielseitig und verschiedenartig erscheint seine Beschäftigung. Unermüdlicher Forschungstrieb und rastloses Streben nach Wahrheit sind die Grundzüge seiner kräftigen männlichen Natur. Er schrieb einst: „Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzig inneren regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und zu mir spräche: wähle! ich fiele ihm mit Demuth in seine Linke und sagte: Vater, gib! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!" Er war eben so weit entfernt von Klopstoc'scher Empfindsamkeit und Gefühlsüberspannung, wie von Wielandischem Epikureismus und weltkluger Lebensweisheit; sein Charakter war derb und deutsch, sein Geist genährt an dem gesunden Sinn des klassischen Alterthums, das er an der Quelle schöpfte. Er buhlte nie um die Gunst der Hohen, trachtete nie nach Titeln und Würden, sein männlicher Stolz widerstrebte jeder Abhängigkeit und Unterordnung, und das Gefühl seines wahren Werthes ließ ihn jeden Schein, jede falsche Ehre verschmähen. Lessing gehört zu den ersten Größen unserer Literatur, deren hohe Blüthe durch seine vielseitige und anregende Thätigkeit ganz besonders gefördert ward. Er war ausgezeichneter Kritiker, Schöpfer einer kräftigen, edlen Prosa, Reformator des Geschmacks, scharfsinniger Denker und großer Dichter. Als Muster klarer und schlagender Kritik steht die Hamburger

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