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und gefunden Verstand der verschrobenen Unnatur der Helden- und Ritterromane entgegen. Sie dient ihm als Rahmen, um deutsche Sitten, Irrthümer und Verkehrtheiten zu schil. dern und zu verspotten, die Weisheit im Gewande der Thorheit auftreten zu lassen und den Werth höherer humanistischer Bildung und aufgeklärter Religiosität zu zeigen. Fisbart ,,übergießt darin nach einander mit beizender Lauge die Thorheiten der Genealogien und Stammbäume, die Schwelgerei und die Trunksucht, die Kleiderpracht und unvernünftige Kindererziehung, die superkluge Gelehrsamkeit, die Händel- und Prozeßsucht und so fortan; alles in den lebendigsten, wahrsten, wärmsten Gestalten, voll des frischesten, unmittelbar, ften Lebens." Auch die witzige Satire auf die damalige Mode der Aftrologie, des Nativitätstellens, des Prognosticirens und Kalendermachens, die unter folgendem Titel herauskam: ,,Aller Praktik Großmutter, das ist, die dickgebrockte pantagruelische betrugdicke Prockdic oder Pruchnastikatz, Laßtafel, Bauernregel und Wetterbüchlein, auf alle Jahr und Land gerechnet und gericht, durch den wohlbeschickten Mäusftörer Winhold Alcofribas Wüstbluing von Aristophans Nebelstatt", ist dem Rabelais nachgebildet.

*) Der Titel lautet: Affentheurliche Naupengeheurliche Geschichtklitterung. Bon Thaten væd Nahten der vor kurzen Langenweilen volln wol beschreiten Helden vnd Herren Grandgußier Gargantua vnd Pantagruel, Königen von Btopien vnd Nienenreich. Etwan v. M. Rabelais französisch ents worfen, nun aber vberschrecklich luftig inn ein tcutsches Model vergossen vnd vngefährlich obenhtn, wie man den Grindigen laußt vertiret durch Huldrich Elloposcleron (ellops Fisch und scleros hart) Reznem (Menzer).

3) Eine Reihe von satirisch didaktischen und polemischen Schriften, wovon wir folgende hervorheben: a) Flohhaß, Weiber Traß*), eine niedrig-komische Satire voll witziger und treffender Wortbildungen (z. B. die Namen der Flöhe Pfetzfilind, Zriffi, Zupfsitek u. a.), neu geschaffener Sprichwörter und gewandter Reim- und Wortspiele. Unter den vielen komischen Zügen liegt die Lehre, daß sich Niemand über seinen Stand ers heben solle.

*),,Der Wunder vnrichtige und spottwichtige Rechtshandel der Flöh mit den Weibern, vermehrt mit dem Lobe der Mücken und des Flohes Strauß mit der Laus" u. í. w. Ein Floh flagt der Mücke sein Leid wegen der Verfolgung der Weiber; der Rechtshandel kommt vor Jupiter, die Weiber vertheidigen fich und erhalten ein günstiges Urtheil. Dieses von Derbheiten und Natürlichkeiten stroßende Schristchen würde von den lachluftigen Zeitgenossen mit der größten Begierde gelesen.

b) Die burlesk - satirischen Schriften gegen die Mönchsorden und Jesuiten (,,Jesuwider, die Schüler des Ignaz Lugiovoll“), wobei er den Franziskaner Johann Nasus in Ingolstadt, einen gewesenen Schneidergesellen, zum Stichblatt seines Wizes machte. Dahin gehören: „das vierhörnige Jesuiterhütlein“, „der Barfüßer Sekten und Kuttenstreit" (worin Fischart die gereimte Erklärung eines Holzschnittes voll Laune und reicher Composition gibt, wie der heil. Franziscus von den Stiftern der verschiedenen Sekten seines Ordens, den Capuzinern, Minoriten, Observanten x. gemartert und zerrissen wird); ferner der Bienenkorb, eine Umarbeitung aus dem Hel ländischen, dessen Inhalt und Sprachwiß man wieder aus dem Titel ersehen kann*):

*) Bienenkorb des h. röm. Imenschwarms, seiner Hummelzellen oder Himmelszeßen, Hurnaugnåster, Brämengeschwürm und Wäspengetöß. Sampt Läuterung der h. röm. Kirchen Honigwaben; Einweibung und Beräucherung oder Fegfeuerung der Imenstöcke, und Erlesung der Bullenblumen, der Dekretenkreuter, deb Heydnischen Klosterbysops, der Suiter (Jesuiter) Säudisteln, der Saurbonischen Säubobnen des Maşiðnoftrischen Liripipefenchels und des Imenplatts der Plattinen, auch des Meßthaues u. H. Saffts von Bunderbäumen cet. cet. alles nach dem rechten Himmelsthau oder Manna justirt und mit Mengerkletten durchziert. Durch Jesuwalt Pickhart u. f. w.

4) Das Ehezuchtbüchlein, eine satirisch-didaktische Schrift, in welcher sich neben vielen komischen und scherzhaften Zügen auch eine treffliche Abhandlung über Haus- und Familienleben befindet. In dieser schildert der größte deutsche Satiriker,,mit Zartheit und Freifinnigkeit das Glück und den Frieden des häuslichen Lebens, die stille Eingezogenheit, die unermüdliche Thätigkeit, die ruhige Milde der wahren Hausfrau.“ – Wie Fischart in dem Ehezuchtbüchlein das Verhältniß der Ehegatten zu bessern sucht, so in seiner: „Anmahnung zu chriftlicher Kinderzucht“ das Verhalten der Eltern zu den Kindern.

Auch in dieser keinen Schrift find goldene Worte enthalten. 5. Podagrammisch
Troftbüchlein*).

*) Podagrammisch Trostbüchlein. Innhaltend zwo artlicher Schuß Reden von herrlicher Abkunft, Ge: schlecht, Hofhaltung, Nußbarkeit vnd tifgesuchtem Lob des Hochgeehrten, Glidermächtigen vnd zarten Fräuleins Podagra. Nun erstmals zu figeligem trost vnd ergezung andächtiger Pfotengrammischer per sonen, oder Handkrämpfigen vnd Fusverstrickten kämpfern luftig vnd wacker (wie ein Hund auf dem Lotters bett) bossirt und publicirt durch Huldrich Elloposcleron a. 1577.

Burkard

Waldis

5. Fabeln. Burkard Waldis (c. 1530) und Rollenhagen (1542—1609). §. 37. Auch die äsopische Thierfabel, zu deren Bearbeitung Luther aufforderte, wurde in dem Reformationszeitalter gleich dem Reinecke Fuchs auf die Zustände der Gegenwart in Kirche und Staat angewendet. Der Erste, der sich mit Glück damit befaßte, war Burkard Waldis, ein gelehrter, in der alten und neuen Literatur belesener und c. 1530 durch große Reisen praktisch gebildeter Mann voll gesunder Ansichten, Charakterstärke und patriotischer Gesinnung. Er benutzt die Fabel, um die Selbstsucht, die ihm die Quelle alles Uebels ist, zu bekämpfen und Armuth und Bescheidenheit zu preisen. Heftiger in seinen Angriffen, aber weniger vollendet in Form und Darstellung ist Erasmus Albe- Alberus rus, der in seinen Fabeln eben so gegen Ablaßhandel, Klerus und Papstthum, wie gegen Wiedertäufer, Schwärmer, Sectirer und das Interim eifert. Mehr aufs Weltliche und auf den Staat gerichtet erscheint die Satire in dem, der griechischen Batrachomyomachie (§. 61) nachgebildeten Froschmäusler des Georg Rollenhagen (aus dem Brandenburgischen). Sein Vorbild ist der Reinecke Fuchs und seine Absicht, mit Lachen die Wahrheit zu sagen.

Bröseldieb, der Sohn des Mäusekönigs Parteckfresser, kommt an den Hof des Froschkönigs Sehbolt Bausback, wird freundlich aufgenommen, erzählt den Fröschen Mancherlei vom Treiben der Mäuse und läßt sich von den Fröschen erzählen. Bei einer Wasserfahrt auf dem Rücken des Froschkönigs kommt Bröseltieb um's Leben, was einen blutigen Krieg zwischen den Mäusen und Fröschen verursacht. Das Gedicht ist in drei Bücher getheilt. In dem ersten erzählt die Maus, wie es in ihrem Staat zugehe und scheint die Lehre begründen zu wollen, daß Alles seine natürlichen Feinde habe. In dem zweiten werden an die Fabel vom Könige der Frösche Untersuchungen über die Vortheile der Republik, Aristokratie und Monarchie ange= knüpft und dabei gelehrt, wie nothwendig es set, den Storch (Kaiser Karl V.) und den Beißkopf (den Bapft) fern zu halten. Das dritte behandelt das Kriegswesen in der epischen Darstellung der Kämpfe zwischen den Fröschen und Mäusen. - Anfangs mehr in der Art eines Thierepos gehalten, mit treuem Anschmiegen an die Natur, nimmt das Gedicht im Verlauf immer mehr den Gharakter einer Satire an.

-

Erasmus

† 1553.

Rollen

1542

1609.

+1566.

† 1545. Zinfgref

Auch die Sammlungen deutscher Sprichwörter durch Johann Agricola, Agricola den Mitverfasser des Interim (§. 491), und durch Seb. Franck aus Donauwörth, einen Seb. vielseitigen Schriftsteller und Geschichtschreiber von wiedertäuferischen Ansichten, gehören Frand in die Klasse der Volsliteratur dieser Zeit. Ihren Fußstapfen folgte der Heidelberger Jul. Wilh. Zinkgref durch seine Sammlung deutscher Witreden, Sentenzen und Anekdoten 1591 Apophthegmata, scharfsinnige Sprüche der Deutschen"), die von Opitz ihrer vaterländischen Tendenz wegen gepriesen wurden. Auch als lyrischer Dichter hat sich Zinkgref durch seine Lieder ausgezeichnet.

6. Hans Sachs. Dramatische Dichtung.

§. 38. Hans Sachs, ein Nürnberger Schuster, ist einer der fruchtbarsten und vielseitigsten Schriftsteller dieser reichen, regsamen Zeit, der Alles dichterisch darzustellen wußte, was bis dahin im deutschen Volke lebendig gewirkt hatte. Geboren in einer Stadt, die damals der Mittelpunkt des geistigen Verkehrs war, wo Künstler (Albrecht Dürer u. A. §. 441. b.) und Dichter (Celtes, Rosenblüt, Folz) lebten, wo gebildete Patrizier, wie Pirkheimer, gelehrte und talentvolle Männer unterstüßten und an sich zogen, wo Handel und Gewerbsleiß Wohlstand schufen und eine gute städtische Verfassung bürgerliche Freiheit und Selbständigkeit begründete, kann Hans Sachs als Repräsentant des ruhigen, patriotischen und ehrsamen Bürgerstandes angesehen werden. Er war ein Volks

1635.

Hans Sachs

1494

1576.

dichter, mied aber die plebejische Gemeinheit und den rohen Ton der herrschenden Litera tur; er war ein Freund der Kirchenreformation, und begrüßte schon um 1523 in der ,,Wittenberger Nachtigall" Luther's Auftreten als den Anbruch eines neuen Tages, der Religion und Kirche von vielen Mißbräuchen reinigen werde, aber er stimmte nicht in den leidenschaftlichen Ton der himmelstürmenden Neuerer ein und sprach in der Klagrede über Luther's Tod seine Mißbilligung aus über die Streitigkeiten der Theologen und über die Maulchriften"; er tadelte die Gebrechen des deutschen Reiches, geißelte das Gebahren der Römlinge und Juristen, durch welche Eintracht und Gemeinsinn untergraben werde, und strafte die Selbstsucht der obern Stände als die Hauptquelle des Verfalls des Reiches; aber er schrieb keine geharnischten Reden und Aufrufe voll Feuer und Heftigkeit wie Hutten und verlor nie seine Stellung als bürgerlicher Dichter und Handwerker aus dem Auge. Sein Streben ist vorzüglich auf die Belehrung und Besserung seiner Standesgenossen gerichtet. Er stellt eheliche Treue, Nächstenliebe und häusliche Tugend als Grundlage jedes bürgerlichen Glücks dar; er eifert gegen Eigennutz, Neid und Egoismus als die Quelle alles Unheils und preist Einfachheit, Ruhe und Zufriedenheit als Gegensaz gegen die herrschende Hoffahrt und Erwerbsucht. Als Quelle der Belehrung dienten ihm die Uebersetzungen der alten Schriftsteller und die Bibel, deren Verständniß er dem Bürger, stande erschloß. In populären Erzählungen legte er dem Volke die kräftigen Züge ven Freundschaft, Vaterlandsliebe, Bürgertugend und Seelenadel der Griechen und Römer ans Herz, und an die Geschichten und Gleichnisse der Bibel knüpfte er passende Lehren fürs Leben. In seiner spätern Periode bildete Hans Sachs mehr die spaßhafte Gattung, Schwänke und Fastnachtsspiele, aus und traf darin so den richtigen Ton, daß er der ganzen folgenden Zeit Muster und Vorbild wurde. Unter Scherzen und Späßen, unter Laune und Muthwillen schildert er das Treiben und Thun der untern Volksklassen, ber Handwerker und Bauern, der Soldaten und Landstreicher, der Zigeuner und Gauner mit einer Natürlichkeit und Lebendigkeit, wie sie in den niederländischen Bildern herrscht; doch überall liegt eine Lehre, eine Sittenpredigt zu Grunde, überall leuchtet ein ehrsamer Sinn, eine derbe, aber redliche Natur hervor. Seine zahlreichen Schriften, von denen viele noch nicht gedruckt sind, setzen durch die Mannichfaltigkeit der Form in Erstaunen.

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Die von ihm selbst in drei Foliobänden veranstaltete Ausgabe von 1558-1561 enthält Erzählun: gen aus der Geschichte und Mythologie (über 480); biblische Erzählungen, Legenden und geistliche Betrachtungen (210); Fabeln und Schwänke (286); Psalmen, Meistergesånge, e spräche, Anekdoten, Allegorien, vermischte Gedichte und endlich noch eine große Anzahl dramatischer Stücke, Tragödien (56), Komödien (68) und Fastnachtsspiele (62).

§. 39. Die dramatische Poesie. a) Mysterien und mittelalterliche Narrenfeste. Die Poesie des 16. Jahrhunderts mit ihrer Derbheit und ihrem natürlichen Mutterwitz bildet auch darin zu der künstlichen romantischen Ritterdichtung den Gegensatz, daß sie ihren Blick eben so auf die Gegenwart richtet, wie diese auf die Bergangenheit, und sich darum in demselben Maße dem Drama zuwendet, wie die Ritterdichtung dem Epos. Die Anfänge unsers Schauspiels sind in der kirchlichen Liturgie zu suchen. Die um Ostern von verschiedenen Personen mit Gesang vorgetragene Leidensgeschichte Jesu führte leicht auf den Gedanken, Action und Dialog damit zu verbinden. Bald wurden solche Darstellungen (Mysterien) auch an den übrigen Festtagen aufgeführt und sowohl durch Einschaltungen anderer biblischen Geschichten als durch Beifügung redender und erzählender Personen und Lustigmacher (Joculatoren) erweitert und belebt. Die lettern führten in der heitern Fastnachtzeit komische Zwischenscenen auf und bildeten so einen Gegensatz gegen den Ernst der Osterfeier. Mit der Zeit wurden diese Mysterien aus der Kirche, wo gewöhnlich auch die Spiele und Aufzüge der Gaukler, Seiltänzer und Minstrels stattfanden, auf den Markt und ins öffentliche Leben eingeführt und zum Er götzen des schaulustigen Volks allerlei Possen und Mummereien hinzugefügt. Troß des wiederholten Verbotes von Rom aus betheiligten sich an solchen Spielen und Luftaufzügen

die Geistlichen. Im Mittelalter stand das ganze Volksleben mit der Religion und Kirche in vielfacher Wechselbeziehung und erlitt burch die Kirchengesetze mancherlei Zwang und Hemmung; dafür rächte sich das Volk von Zeit zu Zeit durch Spott und Muthwillen, ohne damit der Heiligkeit der Religion zu nahe zu treten. Von der Art waren die beson ders in Frankreich ausgebildeten Narrenfefte, die aus einer Berspottung heidnischer Gebräuche (wahrscheinlich der Saturnalien) allmählich in eine christliche Narrentheidung übergegangen zu sein scheinen, indem man irgend eine Begebenheit aus dem Leben Jesu in Feftaufzügen darstellte, die dann mit einem luftigen Schmaus schlossen. So ritt jedes Jahr am Balmsonntag der Bischof von Halberstadt, Christus vorstellend, in Quedlinburg ein, vorauf acht Männer als Palmbrüder, Zweige hauend und ausstreuend, und im Gefolge Geistliche, Mönche und Volk in großer Menge.

§. 40. b) Das Fastnachtsspiel. Dies erleichterte im 15. Jahrhundert, als man besonders auf Befriedigung der Lachlust des Volks ausging, die Lostrennung des komischen und spaßhaften Theils der Mysterien, als Fastnachtsspiel, von dem ernsten. Zur Zeit des Carnevals, wo sich von jeher das Volk dem Scherz und der Laune überließ, sammelten sich einige muthwillige Leute in der Wohnung irgend eines freigebigen Bekannten und setzten durch allerlei Mummereien, derbe Scherze, handgreifliche Späße und lustige Einfälle denselben in so gute Laune, daß er sie mit einer gastlichen Bewirthung belohnte. Als Bühne dienten einige über Bänke gelegte Bretter. Was anfangs nur Erguß augenblicklicher Laune (Improvisation) war, wurde später nach einem gewissen Plan angelegt und in Dialoge gebracht, wobei Jahrmarktscenen, Prozesse, Ehezwifte u. dergl., in denen sich derbe Witze und Anspielungen anbringen ließen, den Hauptinhalt bildeten. Solche Fastnachtsspiele waren besonders in Nürnberg üblich; wo im 15. Jahrhundert die Meistersänger Hans Folz und Rosenblüt eine Reihe solcher Farcen dichteten. Im Reformationsjahrhundert nahm daffelbe einen polemischen Charakter gegen den Papst und die römische Kirche an, in welcher Haltung besonders der Berner Maler Nic. Manuel († 1530) ausgezeichnet ist. Seine Manuel. fterbende Beichte" ist ein muthwilliges Spiel voll Wiz und Spott in der Volksmanier. Auch Hans Sachs und Jac. Ayrer dichteten solche volksthümliche Fastnachtsspiele.

§. 41. c) Die deutsche Volkskomödie. Im Laufe des 16. Jahrhunderts bildete sich durch den Einfluß des antiken Dramas das regelmäßige Schauspiel in Deutschland aus. Dies geschah 1) dadurch, daß die Zöglinge humanistischer Lehranstalten zur Einübung der lateinischen Sprache Stücke von Plautus und Terentius aufführten und zum beffern Berständniß deutsche Einleitungen und Einschaltungen beifügten, bis sie zuletzt die gelehrte Sprache ganz aufgaben und so die Verlegung des Schauspiels aus der Schule unter das Volk herbeiführten; 2) dadurch, daß die antiken Dramen übersetzt und Jedermann zugänglich gemacht wurden; und endlich 3) dadurch, daß einige Humanisten, wie Celtes und Reuchlin, einheimische volksmäßige, oder auch religiöse Stoffe in der gebildeten Sprache und Form des Terenz bearbeiteten und zur Vorstellung brachten (wie denn bereits im J. 1498 zu Heidelberg im Hause des berühmten Dalberg eine solche regelrechte, von Reuchlin bearbeitete lateinische Komödie aufgeführt ward).

Solche lat. Stücke, unter denen sich die des Würtemberger Nicod. Frischlein aus Waiblingen († 1590 bet einem Fluchtversuch aus der Bergfeftung Hohen: Urach durch einen Sturz über die Felsen) durch Reiz der Erfindung und Wiß auszeichnen, wurden dann, wie Frischlin's Rebecca, Susanna u. a. behufs der Aufführung überseßt, was endlich die Gelehrten (in deren Hände die Volksliteratur am Ende des Jahrhunderts überge gangen war) bewog, sich bei der Abfassung ihrer Schauspiele sogleich der deutschen Sprache zu bedienen.

Zu gleicher Zeit gab Hans Sachs der deutschen Volkskomödie einen großen hans Aufschwung, indem er sich nicht mehr blos an religiöse Gegenstände hielt, sondern auch Sachs. die alte Geschichte und Mythologie, die mittelalterlichen Sagen und Erzählungen, kurz den ganzen Stoff des Lebens und der Geschichte in den Kreis seiner dramatischen Dichtungen zog; und so unvollendet auch noch Form und Anlage der meisten Stücke sind, wo die Erzählung oft nur in einen Dialog umgewandelt erscheint, so ist er doch als der Schöpfer

Weber, Geschichte II. 9. Aufl. (Literatur.)

3

Ayrer

† 1606.

des kunstmäßigen Drama in Deutschland anzusehen, indem sein Verfahren für die folgen, den dramatischen Dichter (unter denen der Nürnberger Notar Jacob Aprer der bedentendste ist) maßgebend blieb *). Wäre man auf Hans Sachsens und Ayrer's Spur fortgeschritten, so hätte sich im 17. Jahrhundert, wo der Herzog Heinrich Julius von Braunschweig bereits eine Hofbühne hatte und selbst Schauspiele dichtete, in Deutschland eben so leicht ein Nationaltheater bilden können, wie in England durch Shakespeare und in Spanien durch Lope de Vega; aber theils der niedrige Culturzustand des Belts, theils der Mangel einer gebildeten Hauptstadt und eines bedeutenden Dichters hemmte das Begonnene und hielt den rohen Volkston fest, dessen Organ besonders der Hanswurf oder die „lustige Person", eine Art Eulenspiegel, war.

*) Die Stücke von Ayrer, wie alle gleichzeitigen dramat. Producte, find zwar mit Zügen von rober Grausamkeit und blutiger Barbarei angefüllt, entbehren aber keineswegs tragischer Kraft und dramatisder Anlage. Eine englische Schauspielertruppe, die im 3. 1600 Deutschland durchzog und mit großen Beifall ihre blutigen Tragödien aufführte, übte darauf einen unverkennbaren Einfluß.

§. 42. d) Die Oper. Während des dreißigjährigen Krieges, wo alle Volksbelusti gungen aufhörten, wurde das Volksschauspiel vergessen. Opig, der Vater der neuen Kunstpoesie, führte auch das Drama wieder ein, indem er außer der Antigone des Sophefles auch einige Tragödien des Seneca und einige italienische Sing- und Schäfer, spiele übersetzte, aber nicht für die Bühne, sondern zur Lectüre. Und wie denn Opiş in Allem maßgebend war und Nachahmer fand, so auch hier. Gryphius, Lohenstein und Weise schritten auf seiner Bahn fort; die Pegnig dichter bildeten die mit Musik be gleiteten dramatischen Sing- und Schäferspiele aus, die nach dem Westfälischen Frieden, als an den Höfen und beim Volke die Luft an Schaugepränge einriß, in die Oper übergingen. Diese letztere Gattung, die aus Italien eingeführt wurde und zuerst in Sachsen, dann in den Reichsstädten (Nürnberg, Augsburg, Hamburg) in Aufnahme kam, wurde bei der immer mehr zunehmenden Schauwuth bald so mächtig, daß sie das Drama ganz verdrängte. Alle Künste, Musik, Malerei, Architektur und Dichtung, wirkten hier zusammen, und um die Sinnenreize eines verwöhnten Geschlechts noch zu mehren, wurden Moschinenkunst, Tanz, Feuerwerk u. dergl. hinzugefügt. Dies war der Anfang des Theaterprunkes, der in unsern Tagen so zugenommen hat, daß „die Bühne die Handlung in fich hineinschluckt und sie gewissermaßen blos zur Staffage der Decoration herabseßt.“ Das ganz sinnliche Gaukelwerk ohne Natur und Gehalt erfuhr im 18. Jahrhundert von drei Seiten her einen Widerstand, der seinen wuchernden Uebergriffen einen Damm setzte, von den Geistlichen, von dem großen Musiker Händel und von Gottsched.

7. Luther's Einfluß auf die deutsche Literatur.

§. 43. a) Deutsche Prosa. Luther war nicht nur der Gründer einer neuen Kirche, er war auch der Schöpfer der neu-hochdeutschen Prosasprache und des für das kirchliche Leben der Protestanten so wichtigen Kirchenliedes. Seine in apostolischem Geiste verfaßte Bibelübersetzung (Lehrb. §. 457), die in die Hände des Volks überging und eine beispiellose Verbreitung erlangte, wurde eben so die Grundlage der Sprache wie der evangelischen Gesinnung. Tiefes religiöses Gemüth, Kernhaftigkeit des Ausdrucks, Wärme und Kraft der Sprache beurkundeten eine innere Seelenverwandt, schaft des Uebersetzers mit den gottbegeisterten Verfassern der alt und neutestamentlichen Schriften und verliehen dem Bibelwerke auf Jahrhunderte ein geseßgebendes Ansehen für deutsche Sprache wie für deutsche Denkweise und für deutsches Gefühl. Nächst der Bibel waren Luther's didaktische Werke, wozu seine Predigten, seine Katechismen, eine Anzahl Trostschriften, Tischreden u. dergl. m. gehören, sowie Briefe und Gutachten, Streit und Flugschriften für deutsche Sprachbildung von höchfter Bedeutung. Diese letztern waren in der Regel der Erguß einer kräftigen, von Religiosität und Vaterlaudsliebe durchdrungenen Gesinnung, so sehr auch hie und da der Feuercifer

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