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Grundlage bürgerlicher Freiheit erkennen; allein der unerhörte Eingriff in das Privateigenthum der Familie Orleans durch Beschlagnahme und Verkauf ihrer sämmt= 22. 3an. lichen in Frankreich gelegenen Güter, Schlösser und Befizungen, ein Verfahren, in welchem Viele eine großartige Anwendung communistischer Grundsäße erkennen wollten, schuf dem Machthaber, der in seinem verwegenen macchiavellistischen Geiste vor keinem Schritt zurückbebt, neue Gegner. So ging die französische Republik zu Grabe; ihr eifrigster und redlichster Verfechter, Armand Marrast, der uneigen10. März nüßige Volksfreund, starb um dieselbe Zeit, niedergebeugt und gebrochen über das Scheitern seiner Hoffnungen und Bestrebungen. In einem Lande, wo seit lange das Familienleben gelockert, das Gemeindeleben durch strenge Centralisation geknickt, das Staatsleben ohne naturwüchsige Organisation war, fehlten alle Grundpfeiler eines republikanischen Gemeinwesens, daher war auch die republikanische Verfassung nur eine todte Form ohne Lebensstamm und Wurzeln.

Schlußwort. Der Staatsstreich vom 2. Dec. war der lette entscheidende Sieg der monarchischen Machtherrschaft über das parlamentarische Staatsleben. Seitdem ist Manches, was unter heißen Kämpfen und Mühen erbaut worden war, wieder zusammengebrochen; Manches, was man für todt und begraben hielt, wieder auferstanden. In Frankreich wie in den meisten Staaten des europäischen Festlandes hat die Lehre, die einst der römische Kaiser Septimius Severus seinem Sohne Caracalla ertheilte, nur den Soldatenstand zu ehren und zu begünstigen, alles Andere für Nichts zu achten, aufs Neue ihre volle Geltung erhalten. Die Hierarchie, be müht, den freien Flug des Gedankens zu hemmen und die Geister in die sichere Obhut der Kirche zu nehmen, bewirkte Concordate, wodurch der Clerus die Herrschaft über die Völker, die Bischöfe eine lähmende Obmacht über die landesfürstlichen Behörden und die Dynastien in dem Papste einen auswärtigen Mitregenten oder Herrn empfingen; der Adel benußte die reactionäre Strömung, um sich in seinen erschütterten Vorrechten von Neuem festzuseßen, die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze anzufechten und dem vorwärts strebenden Zeitgeist die alten Standesprivilegien als Damm entgegenzustellen. Viele,,Blüthenträume" sind unreif abgefallen, viele theure Hoffnungen unerfüllt ins Grab gesunken; an der Zukunft verzweifelnd und mit der Gegenwart zerfallen wendeten Tausende und aber Tausende der Heimath den Rücken und suchten in der neuen Welt das ersehnte Glück. Aber wie trübe sich auch der Blick senken mag, der Gedanke, daß kein wahres Gut, keine echte auf gesun dem Boden erwachsene Idee der Menschheit verloren geht, und daß kein lebensträf tiges Volk sich die Errungenschaften mühevoller Anstrengungen auf die Dauer entreißen läßt, wird stets wieder Trost, Freudigkeit und Lebensmuth erzeugen, und die Wahrnehmung, daß in dem bürgerlichen Mittelstande Tugend, Ehrbarkeit und edle Sitte in ungeschwächter Kraft fortbestehen, muß den Zagenden wieder aufrichten. Keine menschliche Weisheit hat in den sturmvollen Tagen der jüngsten Vergangen= heit die Probe bestanden, kein heiliges Recht ist seitdem vor Verletzung, keine be schworene Uebereinkunft vor Treubruch sicher gewesen, darum wendete sich der Geist des Volks wieder mehr als früher dem Göttlichen zu und suchte Hülfe, Troft und Beruhigung an dem Throne des Allmächtigen, der,,das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen wird und den glimmenden Docht nicht auslöschen.“

Erster Abschnitt.

Altdeutsche Dichtung.

A. Die heidnische Volkspoesie und die Dichtungen der

Geistlichen.

I. Der heidnische Volksgesang.

§. 1. Die ersten Spuren deutscher Dichtung. Unter den Nachrichten, die uns Tacitus (§. 213) von den Zuständen des deutschen Landes und Volkes gibt, findet sich die Angabe, daß die streitbaren Germanen beim Beginne einer Schlacht Kampfund Kriegslieder gesungen hätten, die, an sich schon rauh und unharmonisch, durch das Vorhalten der Schilde vor den Mund noch wilder und unmelodischer geworden wären. Ihre Absicht dabei war, die Feinde zu schrecken, und je voller daher die Töne klangen, desto sicherer erwartete man den Sieg.

Die Ansicht, daß wie bei den scandinavischen Völkern die Skalden (§. 284), so auch bei den Germanen ein besonderer Sängerstand, Barden genannt, im Besize dieser Lieder (barritus oder barditas) gewesen und dem Heere als Hariner vorangezogen seien, scheint eine spätere Erfindung; die Annahme, daß sie nicht Sondergut eines Standes, sondern Eigenthum des ganzen Volks gewesen, entspricht vielmehr sowohl der gesangreichen Natur der Germanen, als den historischen Ueberlieferungen. Der Deutsche fühlte sich von jeher gedrungen, die verschiedenen Stimmungen und Empfindungen, die die Bechielfälle des Lebens erzeugen, durch Gesang auszudrücken; daher bei fröhlichen Gelagen laute Lieder erschallten und die Begräbnisse der Helden und Krieger unter Gefang vollzogen wurden. Bon größerer Wichtigkeit mögen die historischen Lieder gewesen sein, worin sie bald ihre Natio= nalgötter Tuisco und Mann, bald die Thaten ihrer Helden und Ahnen priesen, wie denn Armin's Thaten noch lange nach seinem Tode im Liede fortlebten (§. 211). — Dieser heidnischen Vorzeit gehören die noch vorbandenen, Merseburger Zaubersprüche“: über die Fesseln eines Kriegsgefangenen und über den verrenkten Fuß eines Pferdes an.

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§. 2. Die Volks- Poesie während der Völkerwanderung. Durch die Wanderzüge der Germanen im 4., 5. und 6. Jahrhundert erhielten die historischen Gesänge, die früher aus einer Reihe gesonderter Stammsagen bestanden, eine neue Gestalt und einen erweiterten Umfang, indem theils verschiedene Sagen mit einander verbunden und verschmolzen, theils die großartigen Ereignisse der Wirklichkeit in den Kreis der Volksgefänge gezogen wurden. So bildeten sich umfassende Sagen-Kreise, die sich größtentheils an die Geschichte anlehnten, worin aber manches zeitlich und räumlich Getrennte durch die schaffende Phantasie verbunden und Gegenwärtiges und Vergangenes an einander geknüpft ward.

a) Die gothische Dietrichsage. Den umfassendsten Sagenkreis scheinen die Gothen, das bildungsfähigste und für die Aufnahme des Fremden empfänglichste der deutschen Völker, beseffen zu haben. Mittelpunkt eines solchen Sagenkreises war der Gothenkönig Hermanrich, der als hundertjähriger Greis bei Ankunft der Hunnen sich selbst den Tod gab, um den Untergang seines Volks nicht zu überleben (§. 238). Noch Weber, Geschichte. II. 9. Aufl. (Literatur.)

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umfaffender war die Dietrichsage, die sich an den Ostgothenkönig Theodoric (§. 245) anlehnt. Dietrich von Bern (Verona), aus dem Geschlechte der Amelungen und von Hildebrand erzogen, sucht, von dem römischen Kaiser Ermenrich vertrieben, mit Hülfe der Hunnen, bei denen er als Landesflüchtiger mit seinen Gothen weilt, sein Königreich wieder zu erobern, verliert aber in der Schlacht vor Raben (Ravenna), obgleich Sieger, so viele Leute, daß er wieder umkehren muß und erst später in den Besitz seines Reiches gelangen kann. Seine Jugendthaten, sein Aufenthalt bei den Hunnen, seine Wirksamkeit bis in's höchste Alter, wo er auf unbekannte Art der Welt entrückt ward, boten reichen Stoff für Volksgesänge, die sich lange erhielten und weit verbreiteten. Als Theile der Dietrichsage können wir die zweite Hälfte des Nibelungenliedes, das im 13. Jahrhundert nach den noch vorhandenen Volksgesängen bearbeitet wurde, so wie das Bruchstück des schönen Hildebrandlieds betrachten.

Das leptere, das dem 8. Jahrhundert angehört, besingt den Kampf des alten Hildebrand mi seinem Sohn Hadubrand. Nach Homerischer Weise fragen sich die beiden Ritter bei ihrer Begegnung um Namen und Herkunft, worauf sich Hildebrand seinem Sohn zu erkennen gibt; dieser glaubt ihm aber nicht, sondern hält den Vater für todt und verlangt den Kampf. Das Gedicht ist, wie die älteste Boche überhaupt, alliterirend, d. h. mehrere der meist betonten Wörter beginnen mit demselben Anfangsbuchstaben, eine Eigenthümlichkeit, die das Volk besonders liebt, wie noch heut zu Tage manche Sprichwörter und Redensarten beweisen.

b) Die burgundische Siegfriedsage. Einen zweiten, weit verbreiteten und umfangreichen Sagenkreis bildet die Siegfriedsage, die dem ersten Theil des Nibelungenliedes zum Grunde liegt. Wie die Dietrichsage dem Süden angehört, so ist die Siegfriedsage im Nordwesten, im Niederland zu suchen.

Diejenigen Ausleger, die in der Siegfriedsage historische Begebenheiten finden wollen, schreiben sic den fränkischen und burgundischen Volksstämmen zu und finden in den blutigen Kämpfen der Merowinger (§. 247), in der Blutrache der Brunhilde wider die Fredegunde und in dem Untergange dieses Königsgeschlechts durch die aus Flandern stammenden Karolinger die geschichtlichen Momente für die dichterische Sage, während Andere eine allegorische oder mythische Deutung vorziehen und die scandinavische Sigurdsage aus der Edda, die in einzelnen Erzählungen viel Rehnlichkeit dar: bietet, damit in Verbindung bringen. In der Volsungasage tritt Brunhilde viel gewaltiger auf. Sie liebt Sigurd und als sie sich betrogen findet, reizt sie zu dessen Ermordung auf und ersticht sich dann über seiner Leiche. Doch scheint das deutsche Rheingebiet die wahre Heimath der Nibelungen- und Siegfriedsage zu sein. Von da aus wanderte sie erst später über die Ostsee zu den Dânen.

Auf den burgundischen König Gunther und Hagen, „den Degen“, die in dem Nibelungenliede eine so bedeutende Rolle spielen, weist noch ein anderes Volksgedicht hin, das wir jedoch nur aus einer Umarbeitung kennen das Gedicht von Walther von Aquitanien, das der Mönch Ecehard in St. Gallen († 974) in lateinischen Hexametern verfaßt hat.

Walther entflieht mit Hildegunde vom Hofe Attila's, wo sich beide als Geiseln befanden. Auf dem Wege durch Burgund wird er an einem Engpaß der Vogesen (Wasgau) von Gunther, der nach seinen Schäßen Verlangen trägt, und von dessen Vasallen Hagen, seinem alten Gefährten im Hunnenland, angegriffen. Eine Reihe blutiger Kämpfe werden gefochten, aus denen Alle schwer verwundet und verstümmeli hervorgehen und dann sich versöhnen. Walther kehrt hierauf nach seinem Lande zurück, wo er sich mit Hildegunden vermählt und noch 30 Jahre als gerechter König herrscht.

c) Anderweitige Sagenstoffe. Die germanischen Volksgesänge vor und während der Wanderung sind in ihrer ursprünglichen Gestalt für uns verloren gegangen, wenn gleich, nach einer Angabe bei Eginhard, Karl der Große dieselben sammeln ließ. Den Geistlichen waren die profanen Lieder, in denen noch heidnische Elemente lagen, ein Gräuel, und da sie den Einfluß derselben auf die Gesinnung des Volks erkannten, so bemächtigten sie sich ihrer und änderten entweder den Stoff, indem sie derselben Sprache einen andern Inhalt gaben, oder die Form, indem sie die Volksgesänge in lateinische Verse brachten, um sie den Ungebildeten unzugänglich zu machen. Aber Vieles aus den alten Götterliedern, was die christliche Zeit nicht mehr zu singen erlaubte, war dem Gemüthe des Volkes so tief eingeprägt, daß es aus dem Götterkreise auf irdische Helden

gestalten und geschichtliche Situationen, ja selbst auf christliche Heilige übertragen wurde. Auch läßt sich auf den Inhalt mancher Sagenkreise noch aus den lateinischen Geschichtsbüchern des Jornandes und Paul Warnefried (Paulus Diaconus) schließen, indem jener in seiner Geschichte der Gothen, dieser bei der Darstellung der Heldenthaten der Langobardenkönige, namentlich des Alboin (§. 253), wie Livius (§. 210) in der ältesten Geschichte der Römer, epische Volksgesänge benutzt zu haben scheinen.

Bei Paul Warnefried mögen diese Volksgesänge um so reiner geblieben sein, als sich die Langobarden das Fremde nicht so leicht und schnell aneigneten, wie andere deutsche Stämme, sondern dem Römerthum lange feindlich gegenüberstanden. Auf ähnliche Weise benußte der Mönch Saro Grammaticus in seiner dänischen Geschichte die alten scandinavischen Sagen und Lieder. Durch die Wanderzüge des germanischen Volks in die römischen Provinzen war eine Wechselwirkung der lateinischen und griechischen Dichtungen auf die deutsche, und dieser auf jene unvermeidlich, und da das Bestreben der mittelalterlichen Poesie darauf gerichtet war, die Ereignisse der Wirklichkeit zu überbieten und das Wunderbare in ihren Kreis zu ziehen, so seßte sie sich sorglos über Zeit und Raum hinweg, verknüpfte historische Begebenheiten, die Jahrhunderte aus einander liegen, mit einander auf ganz unbestimmtem geographischem Boden und zog die Geisterwelt in die wirkliche herein. Daraus entstand die romantische Poesie, die hauptsächlich in den Ländern, wo die romanischen Sprachen über die germanische der eingewanderten Völker den Sieg davon trug, Wurzel faßte.

II. Die Literatur in den Händen der Geistlichen.

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§. 3. Uebersetzungen. Die ersten Verkünder des Christenthums unter den heidnischen Germanen sahen bald ein, daß die Verbreitung des Evangeliums nur vermittelst der Volkssprache von Erfolg sein könne. Darum übersetzte schon Ulfilas († 388), ein aus einem Kriegsgefangenen zum Bischof der Westgothen (§. 238) erhobener Grieche aus Kleinasien, einen Theil des A. u. N. Test. in das Gothische, wobei er sich der alten Runenschrift bediente, dieselbe aber mit griechischen Schriftzeichen vermehrt zu haben scheint. Seine Uebersetzung, wovon sich der älteste sogen. silberne Codex in Upsala befindet, ist, als ältestes Denkmal eines der ausgebildetsten germanischen Sprachdialecte, von der größten Wichtigkeit. In ähnlichem Geiste wirkten unter den Karolingern mehrere Mönche und Priester, nachdem zuvor die sogen. Glossarien des Rabanus Maurus u. A. dergleichen Uebersetzungen möglich gemacht hatten. Aus dieser Zeit stammen die beiden ältesten Denkmale christlicher Dichtung, das „Wessobrunner Gebet", aus den letzten Jahrzehnten des achten, und „Muspilli“, aus dem Anfange des neunten Jahrhunderts. Beides sind christliche Dichtungen mit „heidnischen Nachklängen“. Das erstere, in dem bayerischen Kloster Wessobrunn entdeckte Gedicht knüpft an eine der jüngern Edda entlehnte Darstellung von dem Ursprung der Welt das Gebet um Tugend an; das zweite, ein Bruchstück eines althochdeutschen Gedichts,,vom jüngsten Gericht", hat gleichfalls einen christlichen Inhalt; doch läßt sich dabei nicht verkennen, „daß auf die Behandlung der neutestamentlichen Lehre von den letzten Dingen, die uns hier vorliegt, heidnische Reminiscenzen von wesentlichem Einflusse gewesen sind, wie denn nicht allein das Wort Muspilli ursprünglich die Feuerwelt der deutschen Mythologie bezeichnet, sondern auch die Art und Weise, wie der Verfasser Elias und den Antichrist einander gegenüber stellt, ganz dem Verhältnisse entspricht, in welchem, nach den religiösen Vorstellungen des germanischen Heidenthums Thorr und Surtr zu einander standen.“ Bedeutender jedoch wurden die literarischen Bestrebungen der Geistlichen erst unter den sächsischen c. 1000. Kaisern, als Notker Labeo, Mönch in St. Gallen, die Psalmen übersetzte, und selbst unter den fränkischen Kaisern, die der Literatur so wenig Aufmunterung gaben, verfaßte Williram (Abt zu Ebersberg in Bayern, † 1085, in Fulda gebildet) eine Baraphrase des Hohen Liedes, welche freilich die poetische Armuth der Zeit durchschauen läßt.

§. 4. Die Evangelien-Harmonien. Im Süden von Deutschland, wo man

Rabanus

Difried

der romanischen Cultur näher war, gewann durch den Eifer britischer Missionare (§. 280) das Christenthum bald festen Boden, und es entstanden Klöster und Pflanzschulen, die sich der Volksbildung annahmen. Am einflußreichsten waren in dieser BeMaurus ziehung die Abteien St. Gallen und Fulda. Hier wirkte Rabanus Maurus (als + 856. Erzbischof von Mainz) anregend auf mehrere begabte Schüler; dort fanden bei den gelehrten Benediktinermönchen wissenschaftliche Bestrebungen stets Schuß und Aufmunterung. Unter Rabanus' Schülern sind besonders berühmt geworden Walafried Strabo c. 870. (der Schieler), Abt von Reichenau, durch Verbesserung der Kirchenmusik, und Otfried, Mönch von Weißenburg im Elsaß, durch seine in althochdeutscher Mundart und in gereimten Bersen abgefaßte Evangelien harmonie,,Krist", die in fünf Büchern das Leben und die Lehrthätigkeit Jesu von seiner Geburt bis zur Himmelfahrt darstellt. Einen interessanten Gegensatz zu Otfried's Werk, das viele lyrische und didaktische Stellen und mancherlei mit dem Gegenstand seiner Dichtung nicht nothwendig zusammenhängende Betrachtungen, nicht selten in ermüdender Ausdehnung, enthält, bildet der c. 830. Heliand (Heiland), oder die niederdeutsche Evangelienharmonie, die ein sächsischer Bauer im Auftrage Ludwig des Frommen verfaßt haben soll. Hier, wo das Christenthum viel später Eingang fand, als in Süddeutschland, und wo die romanische Cultur den germanischen Volksgesang noch nicht ganz verdrängt hatte, mußte die Be arbeitung der Evangelien sich mehr an die Form der Heldenlieder anschließen und ebenso episch werden, wie Otfried's Werk lyrisch ist. Während daher dieser reflectirt und Fremdes beimischt, bleibt jener bei der einfachen Erzählung und hält sich an die altdeutsche Alliteration (Stabreim), wogegen Otfried Reim und Strophe anwendet.

Die heidnische Alliteration herrscht noch in dem sogenannten Wesfobrunner Gebet, das etwa 100 Jahre früher verfaßt wurde und die Grenzscheide des Heidnischen und Chriftlichen bezeichnet. Der Reim gehört der christlichen Zeit an.

§. 5. Profane Dichtungen der Geistlichen. Die Beschäftigung mit der deutschen Sprache mußte die Geistlichen auf die Volksdichtung führen, aus der man jene allein kennen lernen konnte. Anfangs mochten sie wohl im chriftlichen Eifer manche der heidnischen Lieder vertilgt haben, aber später eigneten sie sich dieselben an und legten theils der alten Form christliche Stoffe unter, oder sie gaben den Volksgesängen eine neue Form. Von jener Art ist das bekannte Ludwigslied oder Siegeslieb über die Normannen zu Ehren des Karolingischen Königs Ludwig III. († 882).

Wenn man dieses mit dem angelsächsischen Liede auf Athelstan's Sieg über die Dänen bei Brunanburg (937) vergleicht, erkennt man leicht die verschiedene Richtung der chriftlichen und heidnischen Dichtet. Denn während das lettere den Leser mitten in die Schlacht unter gespaltene Schilde und gestürzte Banner versezt, tritt Ludwig als Diener Gottes auf, singt mit seinen Kriegern vor dem Treffen Kyrieeleison und nach demselben ein Tedeum. Das Ludwigslied rührt wahrscheinlich von einem Mönch Hucbald († 930) aus dem Kloster St. Amand sur l'Elnon her, das nahe bei dem Schlachtfeld lag, und wo man sich der altdeutschen Literatur eben so thätig annahm, wie in St. Gallen und Fulda.

Unter den Ottonen, wo die klassische Literatur in Deutschland heimisch wurde, wo die Nonne Hroswitha (§. 300. b) religiöse Dramen in lateinischer Sprache dichtete. um den römischen Dichter Terenz (§. 177) mit seinem heidnischen Weltsinn und seinen leichtfertigen Sittenschilderungen zu verdrängen, wo durch den Verkehr mit Italien die lateinische Sprache immer mehr das Medium der Mittheilung wurde, da fing man auch an, die Volksgesänge in lateinische Verse zu kleiden und aus Homer und Virgil Zuthaten und Reminiscenzen einzuschalten. So entstand der schon oben erwähnte Waltharius von Aquitanien, ein Gedicht, das noch den rohen Rittergeist der Völkerwanderung athmet, und als Seitenstück dazu der Ruodlieb, in dessen noch vorhandenen Bruchstücken ein Mönch des Klosters Tegernsee im Anfang des 11. Jahrhunderts ein schon verfeinertes höfisches Nitterwesen darstellt.

Ein Edler (Ruodlieb) hatte längere Zeit bei einem König in Aegypten treffliche Dienste geleistet, als ihn seine Mutter zur Heimkehr auffordert, ließ der König ihm die Wahl zwischen Weisheit oder Gold

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