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bildeten sie ohne allen Entgelt Lehrlinge und Schüler mühsam zu gleicher Kunstfertigkeit und Kunstliebe heran und retteten die Poesie aus der Erniedrigung und Verachtung, in die sie bei den Höfen und dem Adel gesunken war. Sie bewiesen, daß der Sängerstand der Unterstützung Mächtiger entbehren und selbständig bestehen könne. Der Kranz, der dem Meistersänger als Preis zuerkannt ward, war der Stolz der ganzen Familie und Berwandtschaft. Die berühmtesten Meistersänger sind Hans Rosenblüt (Wappen- Rosenblüt dichter, später Predigermönch), Hans Folz (Wundarzt) und Hans Sachs (Schuh. Folz macher) in Nürnberg.

*) Im 16. Jahrhundert hatte ein Märker bei der Prüfung eines Liedes die Lutherische Bibel vor sich, um die behandelte Stelle nachzulesen und zu achten, ob das Gedicht sowohl mit dem Inhalte der Schrift als mit der reinen Sprache der Ueberseßung übereinstimme.

2. Das Volkslied.

§. 30. Wie zur Zeit der Völkerwanderung, als von Deutschland aus der große Kampf gegen das römische Reich unternommen ward, die Dichtung unter dem ganzen Volke verbreitet war und hauptsächlich aus Liedern bestand, die sich von Mund zu Mund fortpflanzten, so auch im Anfang des 16. Jahrhunderts, wo der große geistige Kampf gegen die römische Kirchenmacht von Deutschland aus geführt ward. Der Wohlstand in den Städten, wo Handel und Gewerbe blühten, erfüllte den Bürger mit Lust und heiterm Sinn, der Hauptquelle des Gesangs, zu dem die deutsche Natur sich so leicht aufgelegt fühlt. Daher bildete sich neben dem auf Kunstregeln beruhenden Meistergesang das freiere Volkslied aus, das sich bald unter den verschiedenen Ständen und Berufsarten verschieden gestaltete und in bunter Mannichfaltigkeit auf unsere Zeit gekommen ist. Wie der Meistergesang entwickelte sich auch der Volksgesang aus dem Minnelied. Man sang zuerst von der lieben Sommerzeit, vom Mai, vom Vogel und Wald, von Blumen und Anger; bald aber verließ man das allgemeine Thema und griff kecker in das Leben und die Wirklichkeit. Das Volkslied wurde eine Männer poesie, wie der Minnegesang eine Frauenpoesie war. Doch blieb die Liebe und die Empfindung des Herzens der Hauptinhalt; nur gab man das Nebelhafte, Geschraubte und Feierliche des Minnegesangs auf und wendete sich der Natur und einer wahren Innigkeit und Empfindsamkeit zu. Die deutsche Wanderlust gab dem Liede Nahrung. Der Reiter, der über die Haide weg der Fremde zujagt, der Jäger, der unter Hörnerschall Feld und Wald durchstreift, der Landsknecht, der seinen gefahrvollen Beruf in heiterm Leichtsinn vergißt und die Beschwerden des Kriegslebens bei lustiger Gesellschaft in Wein ertränkt, der Handwerksbursche, der ein unstetes Wanderleben führt, der Student, der bald weilt, bald wegzieht, der Bettler, der als Bänkelsänger von Thür zu Thür geht – Alle haben ihre Lieder, von eben so mannichfaltigem Inhalte, wie die Schicksale der Singenden selbst. Daher sind die Wander- und Scheidelieder, in denen sich die Wehmuth und Tiefe der Empfindung so lebendig ausspricht, und wobei Text und Melodie meistens in wunderbarer Harmonie stehen, so zahlreich und ergreifend; und trotz der rohen Form und der hie und da herrschenden Derbheit liegt in diesen natürlichen Dichtungen mehr Poesie, als in dem kunstvollen Minnelied. Darum haben die Volkslieder mit ihrem ,,kecken Wurf" auch die begabtesten Männer neuerer Zeit, Herder und Goethe, so angezogen, daß jener die erste Sammlung davon veranstaltete, dieser sie bei seinen Liedern zum Vorbild nahm. Bei der Zerrissenheit Deutschlands, bei dem Mangel großer Nationalkämpfe und Nationalhelden konnten die Volkslieder nicht wie bei den Engländern und Spaniern historische Stoffe zur Grundlage haben, die innerliche Geschichte Deutschlands im Reformationszeitalter machte, daß auch der lyrische Volksgesang hauptsächlich auf das Innere gerichtet war und die wehmüthigen oder freudvollen Stimmungen des Menschen und die poesiereichen Stamm- und Volkssagen mit ihrem ergreifenden Trübfinn und ihrem düstern Liebesgram zum Inhalte nahm. Je verschiedener diese sich aber äußern, desto mannichfaltiger gestalteten sich auch die Volkslieder, die daher

c. 1450.

geb. 1479.

eben so abwechselnd find, wie das Minnelied eintönig war, und in denen eben so die ungebundene, frische Natur herrscht, wie in dem Minnegesang eine geschraubte Convenienz. Trink- und Tanzlieder, Soldaten- und Jägerlieder, Wanderlieder der Handwerker, Kinderlieder und Kindersprüche, Gelegenheitsgedichte, Alles trägt den eigenthümlichen Charakter seiner Bestimmung, eine überraschende Natürlichkeit und Wahrheit an sich, so daß man z. B. bei vielen Jagdliedern den Ton des Waldhorns zu hören glaubt. Wie bei aller Volkspoesie findet man darin häufig Refrains, Wiederholungen von Versen und Strophen, Alliterationen u. dergl., und überall ist die Musik mit dem Inhalte des Liedes in fühlbarer Uebereinstimmung.

3. Schwänke und Volksbücher.

§. 31. Die tiefbewegte Zeit vor und während der Reformation, wo die untern Stände mit den obern im Kampfe lagen, die Handwerkerzünfte dem adeligen Ritterthum entgegen traten, die Bettelmönche gegen den vornehmen Prälatenstand ankämpften, die neubearbeiteten Werke des klassischen Alterthums die scholastische Gelehrsamkeit verdrängten, brachte die komische Volksliteratur, die zur Ritterpoesie in geradem Gegensatz steht, zur Ausbildung. An die Stelle der feinen, auf Uebereinkunft (Convenienz) beruhenden Sitte der vornehmen Welt trat die grobe Ungeschlachtheit des Volksverkehrs, und der verschrobenen Weisheit und Schulgelehrsamkeit dünkelhafter Theologen und Philosophen gegenüber „bildete man die natürliche Schlauheit, den gesunden Menschenverstand und den Mutterwitz aus und versteckte ihn verschmitt hinter Einfalt und Naivetät, hinter dem Schein von Dummheit oder Thorheit." Sogar an den Höfen machte sich diese Richtung geltend in den Hofnarren, die durch ihre Schalkheiten die ernste Ritterdichtung vollends untergruben. Eine große Anzahl komischer Volksbücher, in denen Landstreicher, muthwillige Studenten, Possenreißer und Bauern die Hauptrollen spielen, suchen die Naturtriebe und die ursprüngs liche Rohheit des Menschen gegen Verfeinerung und Anstand zu Ehren zu bringen und setzen die Lebensweisheit der Sprichwörter, Volkswitze, Schnurren und Fabeln der hochtrabenden Gelehrsamkeit und tiefsinnigen Weisheit entgegen. Das Volk, das sich seiner Kräfte bewußt geworden und seinen gesunden Verstand und seine derbe Natur achten gelernt, strebte nach Vereinfachung der verwickelten und unnatürlichen Verhältnisse des Mittelalters, um den Naturzustand, freilich oft in einer allzugroßen Nacktheit und Rohheit, zurückzuführen und eine neue Cultur darauf zu gründen. – Die ältesten Bücher der Art find det Pfaffe Amis von dem erwähnten österreichischen Dichter Stricker (§. 24) und das auf einer uralten (wahrscheinlich morgenländischen) Volkserzählung beruhende und in der Mitte des 15. Jahrhunderts umgearbeitete Gedicht Salomon und Morolf (Marcolf).

In dem Amis wird ein englischer Priester dargestellt, der anfangs ein weiser, freigebiger Mann t aber um seiner Tugenden willen Neid und Druck von seinen Obern zu leiden bat. Er muß vor dem Bischof ein Examen bestehen, worin er die ihm vorgelegten Fragen, die unauflösbaren Räthseln gleichen, † 8. wie viele Tage seit Adam verflossen, in Eulenspiegelischer Weise oder, wie der Schäfer in Bürger's „Abt vön St. Gallen", mit Geschicklichkeit und List löst. Als er aber am Ende einsicht, daß Tugend nur zu Schaden führt, ergibt er sich der Gaunerei und einem Strolchenleben und betrügt bald als Reliquienkrämer, bald als Kaufmann, bald als Maler durch schalkhafte Streiche Hoch und Niedrig, bis ihn zulcßt die Reve ergreift und er in ein Kloster geht. In dem Marcolf (mit welchem Namen man die Hofnarren fortan belegte) wird der bäuerische Mutterwiß als Wahrheit und Weisheit, die sich in Thorheit kleiden muß, der höfischen Bildung, die Salomo repräsentirt, entgegengestellt. Morolf, der häßliche, plebejische Gegensaß zu dem königlichen Weisen Salomo, verspottet dessen Weisheit in schalkhafter und gemeiner Art und macht se zu Schanden. Dieses Schelmenbuch bildet den zweiten Theil einer ernsten epischen Erzählung von Salomo, der im Krieg mit Pharao, dem Entführer seiner Gattin vermittelst eines Zauberrings, in Gefangenschaft geräth und von Morolf gerettet wird.

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§. 32. Ein anderes vielgelesenes Narrenbuch ist der Pfaffe von Kalenberg, worin die Schwänke eines Mannes geschildert sind, der sich zuerst als Student am Hose des Herzogs von Desterreich durch einen Scherz eine Pfarre, dem Thürsteher aber eine Tracht Prügel verschafft, im Verlaufe seines vielgestalteten Lebens Alle, die in seine Nähe kommen,

foppt und prellt, und zuleht als Hofnarr Otto's des Fröhlichen († 1339) endet, deffelben Enkels Rudolf's v. Habsburg, der auch den Nithard als luftigen Rath um sich hatte. Pater Leu, der andere Kalenberger", eine jüngere Nachahmung, ist ebenfalls auf eine wirkliche Persönlichkeit gegründet. — Am bekanntesten aber ist der Till Eulenspiegel, ein Volksbuch, das unzähligemal bearbeitet und gedruckt und in die meisten europäischen Sprachen übersetzt worden ist.

Eulenspiegel ist der lezte der fahrenden Leute. Er treibt sich als Gaukler, Arzt, Hofnarr, Kriegsund Dienstmann, Maler u. s. w. umber und arbeitet auf jedem Handwerke. Er verrichtet alle Aufträge, aber nicht dem Sinne, sondern dem Wortlaute nach, und macht es dadurch Niemand recht; er parodirt die Sprichwörter, indem er sie nach Art unserer krähwinkler Karikaturen wörtlich nimmt; er ist dreist im Handeln und Disputiren und die Wahrheit sagen ist sein Gewerbe, nur daß es in einer groben Manier und nicht felten mit sichtbarer Schadenfreude geschicht. Sein Wih ist der „Wiß der Landfahrer und wandernden Handwerksgefellen, der, nicht gemacht und nicht erfunden, sondern mit dem Handwerk selbst erzeugt, wirklich erlebt und erfahren ist".

Eine Menge ähnlicher Schwänke, Anekdoten und Schelmenstreiche schrieb man dem Fabeldichter Aesop (§. 75) zu, dessen erdichtete Lebensgeschichte im 15. Jahrhundert aus dem Lateinischen übersetzt wurde. An seinem im Narrengewande auftretenden Mutterwiße und natürlichen Verstande wird alle Philosophie und Gelehrsamkeit zu Schanden. Auch das Volksbuch von dem Erzschwarzkünstler Doctor Johann Faust gehört wegen seiner komischen Zauberspäßze hierher, wenn gleich die Sage auch eine ernstere, tiefere Bedeutung hat, wie sie Goethe auffaßte. In dem Finkenritter wird (wie in unserm Münchhausen) Lüge und Unsinn aufgetragen; im „Grobianus“, einer zuerst lateinisch von Dedekind, dann deutsch v. Kasp. Scheidt aus Worms bearbeiteten volksthümlichen Dichtung, werden die groben Manieren geschildert, in der Absicht, daß der Leser „das Widerspiel davon thue"; und im Lalenbuch, oder, wie der ursprüngliche Titel lautet, in „Schild bürgern", einer Sammlung uralter, im Volke lebender und schon frühe lateinisch bearbeiteter Schwänke, werden die Narrheiten einer ganzen Gemeinde dargestellt. (Die Lalenbürger find anfangs so weise, daß sie an alle Höfe berufen werden. Während ihrer Abwesenheit aber sinkt ihr eigenes Gemeinwesen unter den Händen der Frauen, daher ergeben sie sich der Thorheit und begehen eine Menge toller Streiche.) Ueberall sieht man den Gegensatz gegen die höfische Bildung. Thorheit, Unsitte und Rohheit werden gepriesen und Bauern, Narren und Landstreicher sind die Lieblinge des Bolks. Selbst der Teufel macht den Schalksnarren und bildet ebenso den Gegensatz gegen die Heiligengeschichten, wie der Volkswitz gegen das vornehme Ritterwesen.

den

4. Satirische Lehrpoesie.

§. 33. Das Narrenschiff, Bisher hatte die didaktische Poesie vorzugsweise die Entartung der höhern Stände, den Verfall des Frauendienstes, die Erwerbsucht des Adels, die Hoffahrt der Geistlichkeit gerügt; jezt aber, wo die niedern Stände in die Höhe gekommen waren, wo das Volk die ursprüngliche natürliche Rohheit wieder zur Geltung gebracht hatte, wo die derbe Volksliteratur sich breit machte, mußte dieser rohen Naturkraft ein Damm entgegengestellt werden. Dies that der Rechtsgelehrte Sebastian Brandt (Titio) von Straßburg in seinem,, Narrenschiff oder Schiff aus Narragonien“, das troß 1458seiner unpoetischen Form ein epochemachendes Werk ward und nicht nur eine Menge Herausgeber, Erklärer und Nachahmer fand, sondern auch in die meisten europäischen Sprachen übersetzt wurde.

Brandt geißelt mit Ernst und Strenge die Lafter und Gebrechen aller Stände – und zwar in Ton und Manier der Volksdichtung, gegen die er doch zu Felde zieht. Er bekämpft zuerst die neue Literatur .. des heiligen Grobianus", die da lehre, daß man die hösische Sitte umstoßen und den Trieben einer ungezähmten Natur freien Lauf lassen solle, was zu Narrheit und Sünde führe. Doch will er nicht die frühern Sitten zurückholen, er ist kein Lober des Alten und Tadler des Neuen, sondern er stellt ein höheres Prinzip der Moral auf, die praktische Tugend der alten Welt, und von diesem Standpunkt aus bekämpft er alle widerstrebenden Richtungen. Er behandelt die Lafter nicht als Sünden, die Gott strafe, sondern als Thors

Seb.

Brandt,

1521.

heiten, die der menschlichen Vernunft widerstreben und die man daher schon im Gefühl der Menschenwürte ablegen müsse. Er preist Kirchlichkeit, religiöse Gesinnung und Strenggläubigkeit; rúgt aber die Entartung des Klerus, die verderbliche Werkheiligkeit und die tråge Zuversicht auf Gottes Barmherzigkeit ohne eigene Anstrengung. Er eifert gegen nußlose Vielwisserei, gegen Schreib- und Druckwuth und gegen die einreißende Büchermasse ihm hat nur die Weisheit Werth, die der Seele Ordnerin ist und den Menschen zum Renschen macht. Darum ist die Selbsterkenntniß der Mittelpunkt seiner Lehre; darum weist er beständig auf die Griechen hin, deren praktische Weisheit vor Selbstsucht und Eigennuß geschüßt, edle Freundschaft, gute Kinderzucht und Vaterlandsliebe erzeugt habe, indeź jezt unter dem herrschenden Egoismus die öffentliche Wohlfahrt zu Grunde gehe. An den untern Klassen rügt er den uebermuth und die Hoffahrt, die Jeden antreibe, sich über seinen Stand zu erheben, die Kleiderpracht und die Genußsucht, die wieder habgier, Neid und unmoralität erzeugen, den Verfall der Sitten unter den Bauern, von denen jeßt der Städter Betrug und Wucher lerne. Er preist die Armuth als die Mutter der Tugend, ftellt das Glück der Zufriedenheit und Bedürfnißlosigkeit dem weltlichen Zagen und Treiben und der trostlosen Vielgeschäftigkeit der EGeiler v. werbsucht gegenüber und weist auf die Vergänglichkeit alles Irdischen und die Gleichheit aller Menschen im Grabe bin. Wie mächtig der Eindruck dieses Buchs auf die Zeitgenossen war, geht schon daraus hervor, daß einer der stärksten Geister seiner Zeit, Geiler von Kaisersberg aus Schaffhausen, den Inhalt der einzelnen Kapitel des Narrenschiffs zu Predigtterten benußte.

Kaisers

berg

1445

1510.

§. 34. Reine de Fuchs. Am Ende des 15. Jahrhunderts erhielt auch die niederländische allegorisch-epische Thiersage vom Reinecke ihre jetzige Gestalt. Wer aber der Bearbeiter des im Jahr 1498 zum erstenmal in Lübeck gedruckten niederdeutschen Reineke Vos war, ob Heinrich von Alkmar, oder Nicolaus Baumann, ist ungewiß.

Die Thierfabel, die ihrem Wesen nach didaktisch ist und rasch, nach kurzer Erzählung des Thatsāchlichen, dem Ende zueilt, wo sich die Lehre befindet, unterscheidet sich wesentlich von dem Thiermärs chen oder Thierepos; jene gehört dem Driente und dem Alterthum an, während dieses einen mieders ländischen Ursprung hat. In den Niederlanden, wo in den gewerbreichen Städten frühzeitig ein reges Volkleben zu Hause war und bürgerliche und demokratische Elemente vorberrichten, war für die stille Betrachtung der Natur und die Beobachtung der Thierwelt ein besonders geeigneter Boden. Daher nahm diese Dichtung frühe den Gharakter tes Satirischen gegen die bevorzugten Stände an, indem sie die Sitten und Lebens: weise des Adels und Klerus mit plebejijchem Spotte überschüttete, wenn gleich die Bearbeitungen dieser Volkssage größtentheils aus flandrischen Klöstern hervorgingen. Die Eigenschaften der gemeinen Menschens natur, Eigennus, Selbstsucht, woraus Betrügereien und Uebervortheilungen des Dummen durch den Kugen hervorgehen, niedrige Denkart und ungebändigte Triebe und Leidenschaften, wie sie in den untern Bolkke klasen so häufig vorkommen, werden hier versinnlicht dargestellt an dem Treiben der Thiere, besonders del Fuchses (Reinecke), der durch seine Schlauheit, sein lügenhaftes Wesen und seine mit Klugheit und Beredsamkeit gepaarte Frechheit über seine Feinde, den Wolf (Isengrim) und den Båren (Brun)}, ftets den Sieg davonträgt. Der Löwe (Nobel) bekleidet das Königthum, das ursprünglich dem Båren, als dem stärksten einheimischen Thiere, angehört zu haben scheint. Die älteste Darstellung, worin sich die Bolkssage am reinsten erhalten hat, ist die niederländische Renaert de Vos. Von dieser wurden dann lateinije (Reinardus vulpes) und französische (Le roman du Renard) Bearbeitungen gemacht, wobei aber viele in'i Gemeine gezogene Zusäße und Erweiterungen mit einliefen. Die bereits im 12. Jahrhundert entstandene hochdeutsche Bearbeitung, Reinhard der Fuchs, scheint einem französischen Originale, in der die Sagt noch reiner erhalten war, nachgebildet zu sein, während unser niederdeutscher Reinecke, der in der Folge Typus der Sage ward, und von welchem nicht nur eine Menge Ausgaben, sondern auch leberfebungen und Nachbildungen in fast allen europäischen Sprachen veranstaltet wurden, unmittelbar aus dem flandrischen Urterte hervorgegangen sein mag. Flandern und die angrenzenden Länder, Nordfrankreich und Niederdeutschland, waren und blieben der echte Boden der Thiersage. Unter den Bearbeitungen ist die ven Goethe die bekannteste und gelungenfte, nur Schade! daß darin das Metrum des Originals mit dem Herameter vertauscht wurde.

Das merkwürdige, aus tiefer Welt- und Menschenkenntniß hervorgegangene Buch gibt ein treues Abbild von jener tüdischen Staatskunst, Macchiavellismus genannt, die gerade damals an den italienischen Höfen ausgebildet wurde und nach welcher die Befrie» digung der Selbstsucht für das höchste Ziel der Herrschaft galt, dem Recht und Moral weichen mußten. Außer den Großen der Welt, die jede Schlechtigkeit, wenn sie mit List und Klugheit gepaart ist, für erlaubt halten, wird besonders der Prälatenstand mit seiner Sinnlichkeit, Gleißnerei, Habsucht und Käuflichkeit im Buche gegeißelt. geschichtliche Beziehungen zu dem herzoglichen Hofe von Lothringen darin finden.

Man wollte

Der Inhalt des Gedichts ist ein lebendiges Gemälde von einem hofe, dessen Regent sich von den Raths schlägen eines frechen und niederträchtigen Schmeichlers leiten läßt, und enthält die Lehre, daß Schlaubeit, Keckheit und geistige Ueberlegenheit über alles Recht den Sieg davonträgt. Alle Thiere treten gegen Reineđe

ale Kläger auf; er hat mit Ehe, Religion, Völkerrecht, Eid und jeder Tugend Hohn getrieben, aber durch Lug und Trug, durch Heuchelet und Verleumdung, durch Verrath und Tücke, durch Intrigue und Schmeis chelei triumphirt er über seine Feinde, erntet Dank und Ehre und kehrt als Sieger von vielen Freunden begleitet in seine Burg Maleyartus zurück.

Thomas
Murner

1536.

§. 35. Thomas Murner (1476-1536). Der Franziscanermönch Th. Murner war ein Landsmann und Nachahmer von Seb. Brandt, stand aber an Charakter und sitt- 1476– licher Würde demselben weit nach. Murner war eben so unbeständig, unruhig und leidenschaftlich, wie Brandt ruhig und besonnen, und während dieser die Ausbrüche einer ungebändigten Natur in Literatur und Leben zu hemmen suchte, gefiel sich Murner in der Gemeinheit und bereicherte die „grobianische“ Literatur mit rohen, plebejischen Ausdrücken, mit Flüchen und Schimpfwörtern. Wie er sich im Leben bald im Elsaß, bald in der Schweiz, bald in England, bald in Deutschland (Heidelberg) umhertrieb, nirgends geliebt und vielfach verfolgt, so war er in seinen Ansichten eine unftete Wetterfahne. Anfangs galt er, wie Reuchlin, Hutten u. A., für einen Anhänger der neuen Richtung und in diesem Geiste sind auch seine ersten Werke, die Narrenbeschwörung und die Schelmenzunft (1512), gedichtet. Später änderte er seine Gesinnung und ward ein Feind Luther's und der Reformatoren, die er nun mit Schmähungen überschüttete und in Spottgedichten angriff (,,von dem großen lutherischen Narren, wie ihn Dr. Murner beschworen hat"), dafür aber von seinen ehemaligen Meinungsgenossen mit gleicher Münze bezahlt wurde. In seinem Gauch mat wiederholen sich die frühern Witze mit wenig Abwechselung.

In der Narrenbeschwörung verhöhnt er auf's Derbste die unpraktische Gelehrsamkeit, die Habsucht, Unwissenheit und Entartung des Klerus, die Verkehrtheit der Regenten und Fürsten, die Rabulifterei der Advokaten; in der Schelmenzunft (worin Svrichwörter das Thema zu den Satiren abgeben) züchtigt er die Lafter und Gebrechen des geselligen Verkehrs, die Unfitte der Schelmerei, die Thorheit der politischen Kannegicberei.

Johann

§. 36. Johann Fisch art (geb. zwischen 1545 u. 1550, gest. 1589). Fischart (aus art Mainz, lebte lange in Straßburg und starb als Amtmann in Forbach) ist der fruchtbarste † 1589. und witzigste Schriftsteller in der satirischen Volksmanier. Die Zahl seiner verschiedenartigen Werke beläuft sich auf mehr als fünfzig. Er war bewandert in der alten und neuen Literatur aller civilisirten Völker und besaß eine merkwürdige Sprachphantasie, durch die er sich zu den verwegensten Wort, Saß- und Tonbildungen, zu den ausschweifendsten Gedankenverbindungen, zu den komischsten Verdeutschungen fremder Wörter, zu einem wahren Sprachgewirre verleiten ließ. Im Uebermuthe seiner Einbildungskraft und im Bertrauen auf seinen Witz und seine Gewandtheit überschritt er auf die keckste Weise die soliden Grenzen der Sprach- und Wortbildung, die Luther gesteckt. Eben so ließ er sich auch von dem Reichthum seines Wissens und der Mannichfaltigkeit seiner Kenntnisse zu dunkeln und unverständlichen Anspielungen verleiten. Das ganze Volksleben seiner Zeit mit allen hervorragenden Namen und Erscheinungen ist in seinen Satiren abgespiegelt. Seine Hauptwerke find folgende: 1) Das glückhafte Schiff, „ein Lobspruch von der glücklichen und wolfertigen Schifffahrt, einer bürgerlichen Gesellschaft aus Zürich auf das ausgeschriebene Schießen gen Straßburg", ein erzählendes Gedicht, das die Mitte hält zwischen dem niedern Volkston und der ernsten Sprache der Heldendichtung. Es ist ein Ehrengedicht auf ein Schüßenfeft, das im Jahr 1576 die Straßburger anstellten und wobei die Zürcher sich vermaßen, die viertägige Wasserfahrt nach Straßburg in Einem Tage zu machen und einen in Zürich gekochten Hirsenbrei noch warm zu überbringen, zum Beweis, daß sie ihren Freunden in der Noth beistehen könnten.

Solche Ehrengedichte von bestellten Pritschmeistern oder Spruchsprechern waren damals bei jeder Bolksbeluftigung üblich, aber Fischart's schöne Beschreibung, die hie und da einen echt poetischen Schwung bat und seine Bekanntschaft mit den Alten verräth, übertrifft alle ähnlichen Gedichte.

2) Der satirische Heldenroman Gargantua, dessen Titel schon Fischart's übertriebene Witz- und Sprachverschwendung bezeichnet *). In dieser, dem französischen Satiriker Rabelais (§. 627) nachgebildeten „Geschicht klitterung" stellt Fischart derbe Natur

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