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mächtig ertheilten Verfassung alle Rechtsgültigkeit versagte. Auch die Debatten über den Belagerungszustand waren lärmend und die,, deutsche Frage" bot schon jezt das Vorspiel des gewaltigen Widerstreits, der bald nachher durch die Beschlüsse der Paulskirche herbeigeführt ward und die zweite Kammer einer neuen Auflösung entgegenführte.

§. 874. Die Kaiserdeputation in Berlin. Es war am 3. April des Jahres 1849, als König Wilhelm IV. im Rittersaale seines Schlosses zu Berlin die Deputation empfing, die ihm im Namen der deutschen Nationalversammlung die erbliche Würde eines Kaisers der Deutschen antrug, vorausgesetzt, daß er damit auch die Reichsverfassung, das Ergebniß so heftiger Kämpfe und Wehen, nach allen ihren Bestimmungen anzunehmen und zu befolgen entschlossen wäre. Es war ein großer geschichtlicher Moment, und die Träger der Botschaft erhöhten durch ihre Namen und durch ihre geistige Bedeutung die Größe des Auftrags. Ueber dreißig Mitglie= der der Frankfurter Nationalversammlung, den würdigen und tactvollen Präsidenten Simson an der Spite, waren die Ueberbringer einer Gabe, die Deutschlands Einheit, Macht und Größe neu zu begründen versprach. Noch einmal richtete die deutsche Nation hoffende und theilnehmende Blicke auf die Versammlung der Paulskirche, die durch die Länge ihrer Berathungen bereits die Sympathien verscherzt hatte; die Reise der Botschafter war ein Triumphzug, ähnlich dem, der einst bei der Wahl des Reichsverwesers stattgefunden. Aber die Hoffnung der Patrioten, daß die Reichsverfassung die Revolution schließzen und eine neue Zeit begründen würde, wurde vereitelt. Friedrich Wilhelm IV. gab nach Anhörung der Rede des Präsidenten Simfon eine unbestimmte Antwort, aus der man jedoch die Berneinung und Ablehnung heraushörte; eine Antwort, die um so mehr überraschte und verstimmte, als man aus einer Rede des Ministers Brandenburg in der ersten Kammer auf einen ganz andern Ausgang geschlossen hatte. Und wirklich soll der König bis zur entscheidenden Stunde nicht abgeneigt gewesen sein, aus Hingebung für die deutsche Einheit dem Rufe zu folgen, und vorbehaltlich der Zustimmung der übrigen Regierungen den Beschluß der Nationalversammlung anzunehmen; aber trotz der warmen Unterstügung, die dieser patriotische Aufschwung in der königlichen Umgebung gefunden, änderte Friedrich Wilhelm,, in der zwölften Stunde" seine Ansicht und wies eine Krone zurück, die nicht,, von Gottes Gnaden" fam, sondern ihren Ursprung in einer revolutionären Bewegung hatte. Die anfangs noch unbestimmte Ablehnung trat nur zu bald als gewiß hervor und die Minister gingen allmählich auf die Sinnesänderung ein. Die Deputation der Frankfurter Nationalversammlung, bekümmert über das Fehlschlagen. ihrer Hoffnungen, gekränkt durch unfreundliche Worte und im Innersten verlegt über die laue Aufnahme, die ihr allenthalben zu Theil wurde, und wofür nur die wohlwollende Behandlung im Hause des Prinzen von Preußen einigen Ersatz gewährte, tehrte nach etlichen Tagen in die Mainstart zurück, nachdem sie noch in einer Zuschrift an den Minister von Brandenburg die Erklärung abgegeben, daß die unbedingte Anerkennung der Reichsverfassung mit der Annahme der Kaiserwürde unzertrennlich verbunden wäre.,,Wie Triumphatoren waren sie ausgezogen, fast wie versprengte Flüchtlinge kehrten sie zurück." So scheiterte die deutsche Reichsverfassung, das mühevolle Werk heißer Arbeiten und Kämpfe, und die Hoffnungen der Nation auf Einheit waren abermals in die ungewisse Zukunft verwiesen. König Friedrich Wilhelm IV. hatte die hohe Berufung, sein Herrscherhaus ohne Krieg und Eroberung mit neuem Glanz zu umgeben und ihm die schöne Bestimmung zu verleihen, Droner, Gebieter und Erhalter des verjüngten Deutschlands zu werden, von sich gewiesen. Seine Annahme hätte wohl den Beitritt der übrigen Regierungen herbeigeführt, sein Ablehnen machte das ganze Unternehmen scheitern.

1849.

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Die Bertheidiger der Ablehnung hoben die Mängel und Ungleichartigkeiten einer durch ein „, Compromiß“ mit kleiner Stimmenmehrheit entgegengesetzter Parteibestrebungen zu Stande gebrachten Verfassung hervor und tadelten insbesondere das demokratische Wahlgesetz, als unvereinbar mit einer starken monarchischen Regierung; die Anhänger der Reichsverfassung machten dagegen geltend, daß das Wahlgesetz nicht als integrirender Theil der Verfassung angesehen worden; daß von der Begeisterung und Freudigkeit des Volks über die errungene Einheit zu erwarten gewesen wäre, daß die nächsten Wahlen das Gepräge dieser Freudigkeit über den Aufschwung des Vaterlandes an sich getragen und einen Reichstag ins Leben gerufen haben würden, der sich willig der Aufgabe gefügt hätte, in ruhigern Tagen das Verfassungswerk von seinen Mängeln und Auswüchsen zu reinigen. Man müsse in bewegten Zeiten auch dem Enthusiasmus des erregten Volkes einige Rechnung tragen, dürfe nicht Alles mit der Wage des Verstandes und der diplomatischen Klugheit prüfen und erwägen. Der Präsident des Reichsministeriums soll bei seiner frühern Anwesenheit in Berlin die Versicherung erhalten haben, daß Preußen ablehnen würde, und es wird ihm daher zum Vorwurf gemacht, daß er dennoch mit seiner Partei auf dem ,,doctrinären" Wege beharrte. Aber konnte er nicht hoffen, daß die Macht der Verhält nisse, der Ruf des Vaterlandes, der Reiz des wirklich erfolgten Antrags, daß unvorhergesehene Umstände und Einflüsse eine Sinnesänderung bei einem Fürsten erzeugen möchten, dessen erregbare Natur durch äußere Eindrücke sich leicht lenken und bestimmen läßt, und dessen Gemüth für vaterländische Regungen und deutsche Größe so empfänglich ist, zumal da durch die vorausgesetzte freiwillige Zustimmung der übrigen Fürsten seinem Gerechtig keitssinn nicht der geringste 3wang angethan ward?

§. 875. Die Frankfurter Nationalversammlung nach Ableh= nung der Kaiserkrone. Die preußische Regierung hatte ihre Absichten noch nicht bestimmt ausgesprochen; die Reichsverfassung mit der Kaiserkrone im Gefolge war noch nicht definitiv abgelehnt. Deshalb suchte die erbkaiserliche Partei in Frankfurt so lange zu,, temporisiren", als noch Hoffnung auf eine günstige Wendung vorhan den war. Fest entschlossen, die Verfassung unverändert zu erhalten und sie als Standarte aufzupflanzen, wies sie alle übereilten Anträge zurück, die eine Abänderung derselben in der Oberhauptsfrage herbeigeführt hätten. Der von einer kleinen Zahl Vereinbarungs-Männer auf der Rechten gestellte Vorschlag der Vertagung, um den Regierungen Zeit zur Berathung und Einigung zu lassen, fand wenig Unterstüßung, da man nicht hoffen konnte, durch Unterhandlungen mit so vielen Regierungen zum Ziel zu kommen. Auch die Aenderungsvorschläge der Directorialpartei konnten nicht durchgeführt werden; und da bald nachher die meisten österreichischen Abgeordneten 18. April in Folge eines Abberufungsschreibens von Olmüß aus der Nationalversammlung ausschieden, so verlor diese Partei ihren Haltpunkt und ihre Bedeutung. Desto mehr Macht und Ansehen gewann die Linke. Die,,erbkaiserliche" Partei mußte daher ihren alten Groll gegen dieselbe ablegen und zu einer Versöhnung und gemeinsamen Wirksamkeit auf dem Grund der Reichsverfassung die Hand bieten. Die Linke, die in der Reichsverfassung nicht ihr Ziel, sondern nur eine Uebergangsstufe zur Republik erkannte, wurde durch diesen Bund mit den „, Männern der Ruhe und Ordnung“ von übereilten Schritten abgehalten und diese erlangten durch die Annäherung an die,, Männer des Fortschritts" die verscherzte Volksgunst wieder. Daher waren von Neuem die Blicke der deutschen Nation erwartungsvoll auf Frankfurt gerichtet und von allen Seiten kamen der Versammlung Zustimmungsadressen von Landständen und Vereinen zu. Aber diese ruhige Haltung konnte bei der Ungeduld des Volks und bei der Rührigkeit der auf entschiedenes Handeln dringenden Linken nicht lange andauern, um so mehr, als die preußische Regierung mit ihrer offenen Erklärung immer noch zurückhielt. Zwar wurde der Antrag Ludwig Simons, die Versamm lung folle eine Aufforderung an alle Fürsten zur Anerkennung der Rechtsgültigkeit

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der Reichsverfassung ergehen lassen und unter den Zustimmenden den Mächtigsten als Oberhaupt wählen, in dieser Fassung nicht angenommen und damit der erste entscheidende Schritt zum Bruch mit Preußen vermieden; aber durch den von Mathy beantragten und von der Versammlung gebilligten Zusat:,,die Regierun= gen sind zu veranlassen, sich aller Anordnungen zu enthalten, durch welche dem Volke die verfassungsmäßigen und gesetzlichen Mittel, seinen Willen kund zu geben, in diesem entscheidenden Augenblick geschmälert oder entzogen würden, insbesondere von ihrem Rechte, die Ständeversammlungen zu vertagen oder aufzulösen, keinen Gebrauch zu machen vielmehr dieselben in Thätigkeit zu sehen oder zu belassen, bis die Reichsverfassung zur Anerkennung gebracht sein wird", gab sie ihren festen Entschluß zu erkennen, sich zur Durchführung des Verfassungswertes aller gesetzlichen Mittel zu bedienen. Bis zum 14. April hatten bereits 28 Regierungen, voran der Großherzog von Baden, ihren Zutritt zu der Reichsverfassung in Frankfurt erklärt; aber die Königreiche Bayern, Hannover, Sachsen und Würtemberg zögerten mit ihren Beitrittserklärungen, theils aus confessionellen und particularistischen Interessen, theils geleitet von österreichischen Einflüssen; und um nicht durch ihre Stände zu einer Anerken= nung gedrängt zu werden, entledigten fie fich derselben durch Vertagungen. Zu einem ähnlichen Verfahren schritt nunmehr auch die preußische Regierung und vergrößerte dadurch den Bruch zwischen Berlin und Frankfurt. Die zweite Kammer hatte näm= lich, hauptsächlich bestimmt durch eine flare und überzeugende Rede Vinde's, eine Adresse an die Krone beschlossen, worin die Annahme der Reichsverfassung und Kaiserwürde als Wunsch der Nation empfohlen wurde; dieser unter stürmischen Debatten erfolgte Beschluß so wie die aufgeregten Verhandlungen bei Gelegenheit eines die Aufhebung des über Berlin verhängten Belagerungszustandes bezweckenden Antrags von Waldeck bestimmten das Ministerium, am 27. April die Auflösung der zweiten und die Vertagung der ersten Kammer auszusprechen. Bei der behufs der Durchführung der Reichsverfassung in allen deutschen Landen sich erhebenden Bewegung wünschte das preußische Ministerium die Hände frei zu haben und nicht durch eine starke Kammeropposition in seinen Handlungen gehindert und ge= lähmt zu sein. Durch dieses Verfahren im eigenen Land und durch die gleichzeitigen Bemühungen, die deutschen Regierungen zur Uebertragung der provisorischen Centralgewalt an die Krone Preußen zu vermögen und somit ohne Mitwirkung der Nationalversammlung und ohne unbedingte Anerkennung der Reichsverfassung die oberste Leitung der deutschen Angelegenheiten in die Hände zu bekommen, zerriß das Ministerium das letzte Band zwischen Preußen und der Frankfurter Paulskirche. Graf Brandenburg hatte bereits am 21. April durch jenes bedeu= tungsvolle,, Niemals! Niemals! Niemals!" die bestimmte Ablehnung der Reichsverfassung ausgesprochen,,, weil bei der zweiten Lesung die von der Regierung Sr. Majestät in Gemeinschaft mit andern deutschen Regierungen aufgestellten Erinne= rungen größentheils ganz, ganz unberücksichtigt geblieben", und hinzugefügt: ,,Anzuerkennen sei allerdings die Macht der öffentlichen Meinung; wenn man sich ihr aber hingebe, ohne das Steuerruder fest in der Hand zu behalten, so werde das Schiff nie den rettenden Port erreichen!" Und was hier angedeutet war, verkündete eine durch den preußischen Bevollmächtigten Camp hausen der Centralgewalt mitgetheilte Note vom 28. April mit Bestimmtheit. v. Radowit war nach Berlin berufen worden. Durch sein ungemeines Talent und durch seine gewandte, fügsame Natur, die sich in alle Personen und Verhältnisse leicht zu finden wußte, hatte dieser Mann die Vorurtheile, die ihm als dem Träger und Repräsentanten vormärzlicher Staatskunst beim Eintritt in die Paulskirche entgegentraten, allmählich besiegt, aber Vertrauen in seine Redlichkeit hatte er sich nie zu erwerben vermocht. Seine Zurückhaltung und sein zweideutiges Benehmen in der Oberhauptsfrage hatte dieses Miß

trauen noch gesteigert; und wenn die Versammlung in seiner Berufung noch einen Schimmer von Hoffnung erblickt hatte, so schien jetzt die Note kund zu geben, daß er gegen die erbkaiserliche Einheitspartei nicht aufrichtiger gehandelt habe, als Schmerling. Nun war der Würfel gefallen! Diese preußische Note und eine frühere bayerische, die ebenfalls die Reichsverfassung zurückwies und eine Abänderung derselben auf dem Wege der Vereinbarung forderte, verschaffte der Linken immer mehr das Uebergewicht. Durch ihren Einfluß war der Beschluß durchgesezt worden, „daß das Präsidium ermächtigt sein solle, zu jeder Zeit und an jedem Orte nach eigenem Befinden der Zweckmäßigkeit Sitzungen anzuordnen, daß auf das Verlangen von 100 Abgeordneten eine außerordentliche Sigung statt haben und die Zahl von 200 Mitgliedern zu einem Beschlusse genügen solle; " durch ihren Einfluß wurde gegen die von der preußischen wie von der hannöverschen Regierung verfügte Auflösung der Ständefammern eine öffentliche Mißbilligung ausgesprochen und die schleunige Vornahme neuer Wahlen gefordert. Und um den immer dringlicher werdenden Anträgen auf Errichtung einer,, Reichsregentschaft“ zu begegnen, ließ sich die Versammlung am 4. Mai mit einer Mehrheit von zwei Stimmen zur Annahme eines von Bydenbrugt mit stilistischer und legischer Vollkommenheit formulirten, aber den Rechtsboden überschreitenden Antrags hinreißen, der den widerstrebenden Regierun gen die willkommene Veranlassung zur Abberufung ihrer Mitglieder bot. Umsonst hatte Bederath vor diesem übereilten Schritt gewarnt, und eine Vertagung ange= rathen, die Umstände schienen ein neues kräftiges Lebenszeichen der Versammlung zu heischen; Beckerath legte daher noch vor der Abstimmung sein Mandat nieder.

Der Wydenbrugk'sche Antrag lautet, nach Aufzählung der Beweggründe: 1) Die Nationalversammlung fordert die Regierungen, die geseßgebenden Körper, die Gemeinden der Einzelstaaten, das gesammte deutsche Volk auf, die Verfassung des deutschen Reiches vom 28. März zur Anerkennung und Geltung zu bringen. 2) Sie bestimmt den (22. Aug. d. 3.) als den Tag, an dem der erste Reichstag auf Grund der Verfassung in Frankfurt a. M. zusammen zu treten hat. 3) Sie bestimmt als den Tag, an welchem im deutschen Reiche die Wahlen für das Volkshaus vorzunehmen sind, den (1. August). 4) Sollte, abgesehen von Deutsch-Oesterreich, einer oder der andere Staat im Reichstage nicht ver treten sein und deshalb eine oder die andere Bestimmung der für ganz Deutschland gegebenen Verfassung nicht ausführbar erscheinen, so erfolgt die Abänderung derselben auf dem in der Verfassung selbst vorgeschriebenen Wege provisorisch bis zu dem Zeitpunkte, wo die Verfassung überall in Wirksamkeit getreten sein wird. Die zwei Drittel der Mitglieder find dann mit Zugrundelegung derjenigen Staaten, welche zum Volks- und Staatenhause wirklich gewählt haben, zu ermitteln. 5) Sollte insbesondere Preußen im Reichstage nicht vertreten sein und also bis dahin weder ausdrücklich noch thatsächlich die Verfassung aner® kannt haben, so tritt das Oberhaupt desjenigen Staats, welcher unter den im Staatenhaus vertretenen Staaten die größte Seelenzahl hat, unter dem Titel eines Reichsstatthalters in die Rechte und Pflichten eines Reichsoberhaupts ein. 6) Sobald aber die Verfassung von Preußen anerkannt ist, geht damit von selbst die Würde des Reichsoberhaupts nach Maßgabe der Verfassung auf den zur Zeit der Anerkennung regierenden König von Preußzen über. 7) Das Reichsoberhaupt leistet den Eid auf die Verfassung vor der Nationalvers sammlung und eröffnet sodann den Reichstag. Mit der Eröffnung des Reichstags ist die Nationalversammlung aufgelöst. 8) Die Nationalversammlung vertagt sich auf unbestimmte Zeit mit Zurüdlassung ihres Büreau's und überträgt dem legtern die Befugniß, fie nöthigenfalls wieder einzuberufen.“

§. 876. Preußen und die deutsche Verfassungsfrage. Hatte die preußische Regierung gehofft, durch die Ablehnung der Reichsverfassung mit der dar gebotenen Kaiserkrone und durch die gleichzeitige Erklärung, Preußen würde, „um

den zerstörenden und revolutionären Bestrebungen nach allen Seiten hin mit Kraft und Energie entgegenzutreten", solche Maßregeln treffen,,,daß den verbündeten Regierungen die etwa gewünschte und erforderliche Hülfe rechtzeitig geleistet werden könnte", den Dank der Regierungen zu verdienen und sie zur freiwilligen Uebertra= gung der Centralgewalt an Preußen zu bewegen, so erfuhr sie eine bittere Täuschung. Sie konnte bald wahrnehmen, wie schwer es sei, die Regierungen, die nicht durch patriotische Erhebung, sondern nur durch den mächtigen Impuls des Volkswillens sich den Einheitsbestrebungen gefügt hatten, nun zu einer freiwilligen Uebereinkunft zu bringen, die ihre Selbständigkeit und Souveränetät zu beschränken drohte. Es war keine leichte Aufgabe, die Gelegenheit, die man in stolzem Selbstgefühl hatte entwischen lassen, nun,,am kahlen Scheitel wieder einzufangen." Und wie sehr man auch der Kraftentfaltung und Consequenz des preußischen Ministeriums,,der retten= den That" Anerkennung zollen muß, den Vorwurf eigenmächtiger Handlungen, wodurch das Vertrauen des Volks tief erschüttert wurde, kann es nicht von sich wälzen und die Leiden und Unglücksfälle, die über viele deutsche Staaten hereinbrachen, hatten in der Verwerfung des Verfassungswerkes ihren Ursprung. Sowohl die Cen= tralgewalt als die deutschen Einzelregierungen widersetzten sich den preußischen Hoheitsbestrebungen. Der Erzherzog - Reichsverweser, der nie seine österreichische Abfunft vergaß, hatte an dem Tage, wo die Oberhauptsfrage sich zu Gunsten des Königs von Preußen entschied, der Nationalversammlung seinen Entschluß kundgegeben, sein hohes Amt niederzulegen, wie es schien aus Verdruß über Oesterreichs Zurückseßung. Diesen Entschluß hatte er dann auf Bitten der Versammlung und auf Zureden der österreichischen Wortführer bis zu dem Zeitpunkt verschoben, wo dies,ohne Nachtheil für die öffentliche Ruhe und Wohlfahrt Deutschlands irgend geschehen könne.“ Desterreichische Einflüsse, denen sich der Reichsverweser von nun an immer mehr hingab, bestimmten ihn, auf seinem Posten auszuharren; und von welcher Seite die Bestrebungen ausgingen, ihn zum Weichen zu bringen, sie scheiterten an dem beharr= lichen Willen des schweigsamen Greises. Mit seiner Uebereinstimmung erklärte Gagern auf die obige Note Preußens, daß nur der provisorischen Centralregierung die vollziehende Gewalt in allen Angelegenheiten, welche die allgemeine Sicherheit und Wohlfahrt des deutschen Bundesstaats betreffen, zustehe, und daß kein Einzelstaat einen Anspruch auf die Leitung solcher allgemeinen Maßregeln erheben könnte. Auf diesem Grundsaß beharrte die Centralregierung in Frankfurt auch, nachdem Gagern abgetreten und die Nationalversammlung ihr nicht mehr zur Seite stand. Alle Versuche der preußischen Regierung, die Leitung der deutschen Angelegenheiten provisorisch an sich zu reißen, wurden vereitelt. Troß Hohn und Schmähungen harrte ein "großdeutsches" Reichsministerium bei dem Erzherzog aus und verhinderte dadurch die Zerreißung des Fadens, womit Desterreich an Deutschland geknüpft war. PreuBen war stark genug, diese machtlose,,Centralgewalt“ zu ignoriren und bei Seite zu schieben; es war rücksichtslos genug, mit Umgehung der Frankfurter Reichsregierung, in die Angelegenheiten anderer Staaten, wo seine Hülfe gewünscht wurde, handelnd einzugreifen, allein es betrat dadurch denselben Weg der Eigenmächtigkeit, den es an der Nationalversammlung und der Centralgewalt so sehr gerügt hatte. Und wäre nicht das spätere Reichsministerium und die ganze Centralgewalt so ohne allen Halt im Volf gewesen, und hätten nicht die stürmischen Ereignisse die Nothwendigkeit eines kraftvollen Regiments zu einleuchtend gemacht, Preußen würde durch dieses eigenmächtige Verfahren alle Sympathien verscherzt haben. Nicht geringern Widerstand fand Preußen für sein Bestreben, die deutsche Oberhauptswürde ohne die Nationalversammlung an sich zu bringen, bei den deutschen Einzelregierungen. Zwar war der Weg, den das preußische Ministerium dabei einschlug, klug ausgesonnen: Durch das „Niederwerfen der Revolution, sowohl derjenigen, die auf offenem Felde

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