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Entwickelung des noch nicht vollendeten Umgestaltungsprozesses" beider Staaten abwarten wolle und erst,,,wenn das verjüngte Desterreich und das verjüngte Deutschland zu neuen und festen Formen gelangt seien", würde es möglich sein,,,ihre gegen= seitigen Beziehungen staatlich zu bestimmen." Selbst nicht gehindert in der gesonder= ten Constituirung ihrer Gesammtmonarchie schien also die österreichische Regierung auch die Ausbildung eines deutschen Bundesstaats nicht hindern zu wollen. Aber das deutsche Verfassungswerk konnte nicht zu Ende geführt werden, so lange das Verhältniß Oesterreichs ungeordnet blieb, weil von dem Verbleiben oder Ausscheiden dieser Großmacht die Oberhauptsfrage bedingt war. Im erstern Falle konnte man nicht füglich eine einheitliche Spitze aufstellen, sondern mußte einem Fürstendirectorium von Dreien den Vorzug geben; im leßtern Falle schien es natürlich, daß das Oberhaupt des mächtigsten unter den rein deutschen Staaten an die Spitze des Bundesstaats trete. So wurde die österreichische Frage eine neue Scheidungslinie für die Parteistellung im Frankfurter Parlament und je mehr die Verfassung ihrem Ende entgegenrückte, desto schroffer trat der mächtige Zwiespalt, der nationale und con= fessionelle Dualismus hervor. Die Verfechter eines Bundesstaats mit klaren con= ftitutionellen Formen, worin geordnete Freiheit im Innern mit einer starken Execu= tivgewalt nach Außen gepaart erscheine, suchten Deutschland von Oesterreichs Oberleitung und bestimmendem Einfluß zu befreien und mit Preußen, das mit seinem Gesammtgebiet dem deutschen Bunde beigetreten, enger zu verbinden, und zwar so, daß demselben nicht nur die,,Hegemonie“ zukäme, sondern daß das deutsche und preußische Oberhaupt in Einer Person vereinigt wäre und die Stellung und Macht des leztern dem deutschen Bundesstaate zu Gute käme. Diesem Streben, das erst allmählich in seiner ganzen Consequenz und Klarheit hervortrat, erstanden viele Gegner. Nicht blos daß die österreichischen Abgeordneten einem Plan abhold waren, der sie selbst und 13 Millionen Deutsche von dem künftigen Reiche ausschloß, auch die Mitglieder aus Bayern und aus den meisten Staaten Süddeutschlands waren theils aus confeffionellen Bedenken, theils aus Particularismus oder Abneigung gegen Breußen dieser Bevorzugung Norddeutschlands entgegen und die ganze Linke widerstrebte einer Staatsform, die von ihrem republikanischen Ideale so fern als möglich lag und die einen Mann zum Verfechter hatte, den sie als ihren heftigsten Widerfacher aufs bitterste haßte und schmähte, weil er in ihren Augen ein Abtrünniger von der Sache der Freiheit" war, für die er früher gekämpft und gelitten. So schuf die österreichische Frage eine veränderte Parteistellung; die bisher um Gagern geschaarte Majorität fah mehrere ihrer Glieder, darunter auch Welder und Jürgens, den Verfasser des gelehrten Werks über Luthers Leben, aus ihrer Mitte scheiden. Sie nannten sich die großdeutsche Partei und zogen dadurch ihren Widersachern den ungerechten, mit einer leisen verächtlichen Nebenbeziehung beladenen Namen der Kleindeutschen" zu. Der Austritt des Herrn von Schmerling, dessen politische Windungen und diplomatische Künste vor der mißtrauisch gewordenen Nationalversammlung keine Geltung mehr fanden, aus dem Reichsministerium und die Uebertragung der ministeriellen Vorstandschaft an Heinrich von Gagern bildete einen bedeutsamen Abschnitt in der Lebensthätigkeit der Frankfurter Staatsgewalten. Der Abgeordnete Simson aus Königsberg war ein würdiger und fähiger Nachfolger Gagerns auf dem Präsidentensiße der Paulskirche. Die großdeutsche“ Partei, aus den verschiedenartigsten Elementen zusammengesetzt und in den meisten übrigen Fragen weit auseinandergehend, wurde durch Schmerlings Gewandtheit in steter Opposition gegen den Gagernschen Plan gehalten. Sie schuf sich später ein Organ in der,,Frankfurter Zeitung", die als Motto den Schlußvers des Arndtschen Liedes: Das ganze Deutschland soll es sein!" an der Stirn trug. Der,,Pariser Hof" diente ihr als Versammlungsort.

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1848.

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§. 868. Gagerns Ministerprogramm. Gagern besaß nicht die diplomatische Gewandtheit seines Vorgängers, den er einst in einem Augenblick der Uebereilung seinen Freund“ genannt, und der jezt sein gefährlichster Gegner ward. Aber wo sein Name das Banner war, da schloffen sich edle Kräfte an. Seine bedentende Persönlichkeit, sein offenes und gerades Wesen, seine unbestrittene Baterlandsliebe, seine kernhafte, deutsche Natur und sein reines von wahrer Begeisterung getragenes Streben fesselte Alle, die in seine Nähe kamen. Mit gewohnter Aufrichtig18. Dec. feit stellte er auch gleich in seinem Programme die österreichische Frage als die Lebensfrage seiner ministeriellen Wirksamkeit hin, indem er, von dem Nichteintritt Desterreichs in den zu errichtenden deutschen Bundesstaat ausgehend, nur ein Unionsverhältniß zwischen den beiden Reichen herstellen wollte, wozu durch Unterhandlungen auf gesandtschaftlichem Wege, die sich jedoch nicht auf die Verfassung des deutschen Bundesstaates erstrecken dürften, Einleitungen getroffen werden sollten. Aber als er die Nationalversammlung zur Ermächtigung zu dieser gesandtschaftlichen“ Verbindung anging, erfuhr er heftigen Widerspruch. Ein Mitglied der Linken (Venedey) sprach von einem,,Hinauswerfen" Defterreichs, von einer „Theilung“ Deutschlands, die an Schmach der Theilung Bolens gleichfäme. Und damit nicht der Vorwurf dieser „Theilung" auf Desterreich falle, begab sich Schmerling über die Weihnachtsferien nach Wien und Olmüş, um andere Ansichten, als das Ministerprogramm von Kremsier aufgestellt, zur Geltung zu bringen. Zum Bevollmächtigten Desterreichs bei der Centralgewalt ernannt erschien der gewesene deutsche Ministerpräsident, der indessen vor seinen Wiener Wählern in einer merkwürdigen Rede das Bekenntniß abgelegt, daß ihm die Aufrechthaltung der Integrität des österreichischen Staats,,das Höchste und Wichtigste im Leben sei", nach Neujahr wieder in Frankfurt und überreichte eine Note seiner Regierung, worin die Behauptung ausgesprochen war, Gagern habe jenes Novemberprogramm von Kremsier falsch ausgelegt. Ohne sich über die künftige Gestaltung der österrei chischen Monarchie im Geringsten auszulassen, behielt sich die Olmüßer Regierung ausdrücklich die Freiheit des Eintritts in den Bundesstaat vor, verbat sich den blos ,,gesandtschaftlichen Verkehr“ und „,gab endlich der Centralgewalt so wie der Natio nalversammlung die Lehre, daß die gedeihliche Lösung des deutschen Verfassungswerks nur auf dem Wege der Verständigung mit den deutschen Regierungen, unter welchen die kaiserliche den ersten Plaß einnehme, zu erreichen sei." Der Eindrud, den diese Note und das versteckte Benehmen Schmerlings auf die Nationalversamm lung machte, war dem Gagernschen Plan günstig und zog viele Mitglieder auf seine Seite. Der Weg der Vereinbarung, der hier vorgezeichnet war, verlegte die Berfechter der Nationalsouveränetät. Und als nun Gagern selbst die Schärfe seines 5. 3an. Programms durch einige Modificationen milderte, indem er das Ausscheiden Desterreichs nicht als bereits erklärt annahm und den Antrag vom 18. December dahin abänderte,,,daß das Ministerium ermächtigt werde, zu geeigneter Zeit und in geeigneter Weise mit der Regierung des österreichischen Kaiserreichs, Namens der Centralgewalt, über das Verhältniß Oesterreichs zu Deutschland in Verhandlung zu treten“, so versöhnte sich die Mehrheit der Versammlung allmählich mit dem Gedanken. Zwar war der zur Prüfung des Antrags niedergesetzte Ausschuß der Mehrzahl nach gegnerisch gesinnt, und der gewandte Dialektiker v. Wydenbrugt aus Weimar deckte die Blößen des Plans mit Kunst und Geschicklichkeit auf; aber Beckeraths warnende Worte, daß,,das Warten auf Desterreich das Sterben der deut 13. 3an. schen Einheit" sei; Vince's kräftige Unterstützung und vor Allem Gagerns verföhnende und überzeugende Rede selbst verschafften seinem Antrag den Sieg. Die nationale Einheitsidee, ein so mächtiger Factor bei der Neugestaltung Deutschlands, widerstrebte dem Gagernschen Plane und wie verschieden auch die Beweggründe der

1849.

Widersacher waren, fie fußten alle auf diesem einen vaterländischen Grunde. Aber die Geschichte des deutschen Volks in so vielen drangsalvollen Jahren schien die warnende Lehre zu begründen, daß nur dann ein gesundes, freies und starkes Staatsleben in Deutschland erblühen könne, wenn es sich von Oesterreich,,emancipire." Wie sehr also die Gagernsche Partei auch bemüht war, den Vorwurf einer,,Theilung Deutschlands“ von sich zu weisen, das Endergebniß ihres Strebens war, wenn es zum Ziel kam, eine Trennung der beiden Bundesstaaten. Sie brachte ein gefährdetes Glied zum Opfer, um dem übrigen Körper wieder Gesundheit und neue Lebenskraft zu verleihen.

§. 869. Die deutsche Reichsverfassung. Mittlerweile war die deutsche Reichsverfassung ihrem Abschluß nahe gekommen und auch die zweite Lesung der ,,Grundrechte“ wurde noch vor Ablauf des Jahres 1848 zu Ende geführt. In einigen Punkten hatte man eine gemäßigtere Fassung erlangt, aber die Aufhebung der Todesstrafe, und der vage Saß, „daß Niemand verpflichtet sci, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren", war noch ein Zugeständniß an die auf dem Boden des Humanismus und der schrankenlosen Freiheit fußende Linke. Trotz des Sträubens der auf der Rechten sizenden Partei der Vereinbarung, die vor der eigenmächtigen und gesonderten Bekanntmachung dieses Theils der Verfassung von Seiten der Centralgewalt mit guten Gründen warnte, wurde die Publication der Grundrechte beschlossen und durch das Reichsgesetzblatt vom 28. Dec. vollzogen. Die Linke betrieb vorzugsweise die Separatveröffentlichung. Man hatte schon am 24. Nov. auf ähnliche Art eine deutsche Wechselordnung" als Reichsgesetz bekannt gemacht, und die Regierun= gen hatten dasselbe fast ohne Ausnahme angenommen; sollte nicht hier der gleiche Fall eintreten? So wurden die Grundrechte als Weihnachtsgabe in zahllosen Abdrücken der deutschen Nation dargeboten; doch verhehlte man sich nicht, daß einerseits „das Volk die Grundrechte mit ihren überreichen Freiheitsgaben mit Begier ergreifen fönnte, um vielleicht später die conservativen Zugaben der Verfassung zu verschmähen", und andererseits die Regierungen der Anerkennung und Einführung allerlei Bedenken und Schwierigkeiten entgegenstellen möchten. Das letztere ist in reichlichem Maße geschehen.

Was die Verfassung anbelangt, so suchte man bei Begründung der „Reichsgewalt“ sowohl die,,centripetale“ Richtung, die einen Einheitsstaat anstrebte, als den „centrifugalen“ Particularismus, der den losen Staatenbund zurückführen wollte, zu vermeiden; man ficherte den einzelner deutschen Staaten ihre Selbständigkeit und alle staatlichen Hoheiten und Rechte", aber man suchte zugleich durch Aufstellung eines allgemeinen Staatsorganismus mit einer mächtigen Reichsgewalt der politischen Lebensthätigkeit einen würdigen Ausdruck zu geben und der Sehnsucht der deutschen Nation nach Einheit und Macht Befriedigung zu gewähren. Aus einem losen, mechanischen Nebeneinander der Staaten sollte ein organisch Gegliedertes erwachsen“ und über der ungehemmten Thätigkeit der Einzelnen die höhere Ordnung als Ziel und Nichtschnur schweben. Darum mußte der Reichsgewalt vor Allem anheimgegeben werden: 1) Die Vertretung nach Außen durch Gesandtschaften und Consuln und das ausschließliche Recht, Staatsverträge zu schließen. 2) Die Kriegsmacht und das Heerwesen; das Reichsoberhaupt bestimmt über Krieg und Frieden und verfügt über die militärischen Kräfte der Einzelstaaten wie über die Seemacht und die Reichsfeftungen, daher auch die Verpflichtung zur Treue gegen das Reichsoberhaupt und die Reichsverfassung in den Fahneneid an erster Stelle aufzunehmen ist. 3) Die Beschaffung seiner finanziellen Hülfsmittel, wozu außer den Reichszöllen und den Matricularbeiträgen der Einzelstaaten auch das Recht eigenmächtiger Besteuerung und Reichsanlehen gehörte. Im Interesse der staatlichen Einheit wurde das gesammte deutsche Land zu Einem Zoll- und Handelsgebiet umgestaltet und daher die Oeffnung der Verkehrswege, die Be

freiung der deutschen Ströme, die oberste Leitung der Eisenbahnen, Poften u. bergl. der Reichsgewalt zugetheilt und ihrer Sorge zugleich die Einführung eines gleichen MünzMaaß- und Gewichtssystems, so wie die Wahrung des „Reichsfriedens“, die Aufrechthaltung der innern Sicherheit und Ordnung anheimgegeben. – Die Aufrichtung eines oberften Reichsgerichts", welches, allen Verfassungsgewalten übergeordnet, den Streit zwi schen Ständen und Regierung, zwischen Staat und Staat, zwischen Reichsgewalt und Einzelregierung schlichten sollte, verlieh der Verfassung,,die Bürgschaft ewiger Rechtsordnungen." Unter großen Parlamentskämpfen kamen die Sahungen über den „Reichstag" zu Stande. Die Anträge der Linken zu Gunsten des Einkammersystems, der beliebten Theorie aller Radicalen, erlagen bald der überzeugenden Beweisführung der Verfechter des Zweikammersystems. Ein Vorschlag, wornach ein Zustand von Unstätigkeit und haltloser Beweglichkeit in die geseßgebende Gewalt eingeführt worden wäre, konnte vor einer gesunden Staatsweisheit, die Vernunft, Geschichte und Erfahrung auf ihrer Seite hatte, nicht bestehen. Man beschloß eine zweigegliederte Vertretung: ein Staatenhaus, auf dem Grundsatz der Selbständigkeit der Einzelstaaten beruhend, dessen Mitglieder daher aus der gemeinsamen Wahl der Regierungen und Ständeversammlungen hervorgehen und fich an Zahl nach dem Umfang der absendenden Einzelstaaten richten sollten, und ein Volks. haus, das, auf dem Boden der Nationalsouveränetät erwachsen, der Einheit des Volks als Träger und Erhalter dienen und aus freier Volkswahl nach einem besondern Wahlgesetz hervorgehen sollte; für jenes wurde eine sechs-, für dieses eine dreijährige Erneuerungsperiode festgesetzt. Zu einem Beschluß sollte die Theilnahme von wenigstens der Hälfte der geseßlichen Anzahl der Mitglieder erforderlich sein. Weigert sich aber die Reichsregierung, den Beschluß der beiden Häuser als Gesetz einzuführen, welche Bestimmungen sollen dann gelten? soll dem Reichsoberhaupt ein unbeschränktes oder nur ein verschiebendes Einspruchsrecht (absolutes oder suspensives Veto) zustehen? für jenes trat Dahl, mann in die Schranken und kämpfte, wie einst Mirabeau, für die Würde der Krone, deren Glanz auf den Staat selbst zurückfalle; allein wie sehr er und seine Gesinnungsgenossen auch nachwiesen, daß ein wahrhaft conftitutioneller Regent sich wohl hüten würde, von einem solchen Vorrecht Gebrauch zu machen, daß aber dessen Schmälerung dem Ansehen der Krone schaden würde, das von Fallati in Antrag gebrachte suspensive Beto erhielt die Stimmenmehrheit und wurde in folgender Fassung zum Beschluß erhoben: „Ist von dem Reichstage in 3 sich unmittelbar folgenden Sitzungsperioden derselbe Beschluß unverändert gefaßt worden, so wird derselbe, auch wenn die Zustimmung der Reichsregierung nicht erfolgt, mit dem Schlusse des dritten Reichstages zum Geseß." —

Die Verhandlungen über den delicatesten Punkt der deutschen Verfassung, das Reichsoberhaupt, nahmen erst im Januar 1849 ihren Anfang, als das Ga= gernsche Programm in Betreff Desterreichs bereits von der Nationalversammlung anerkannt worden war. Durch diese Annahme war aber auch ein großer Schritt zur Entscheidung dieser Frage gethan und Gagern selbst hatte sich bereits für ein „einheitliches und erbliches Oberhaupt" ausgesprochen. Gelang es nun, Desterreich von dem deutschen Bundesstaat fern zu halten, so war kein Zweifel, daß in diesem viel gegliederten,, Westreich",,der Schwerpunkt dahin fallen müsse, wo er factisch liegt." Zum Abschluß konnte die Frage aber nicht geführt werden, so lange die Unterhandlungen mit Desterreich noch in der Schwebe waren. Man mußte sich also vorerst damit begnügen, alle der 3dee eines preußischen Erbkaiserthums" widerstrebenden Ansichten zu beseitigen und somit den Boden zu bestellen, in dem dann bei der zweiten Lesung diese erbkaiserliche Schöpfung als Krone und Schlußstein der Verfassung wurzeln und gedeihen könne. Die verschiedenartigsten Vorschläge tauchten auf und wurden berathen; von einer Umgestaltung und Erneuerung des Bundestages, wie die Altconservativen und Reactionäre verlangten, bis zu einer

Präsidentschaft, wozu jeder volljährige Deutsche sollte gelangen können, was die Republikaner erstrebten, lag eine bunte Reihe mittlerer Vorschläge vor, die, von den bestehenden Verhältnissen ausgehend, theils eine Mehrheit, theils einen Einzigen. der regierenden Fürsten mit der Leitung des Reichsregiments betraut wissen wollten, aber in der Form, wie dies zu bewerkstelligen, weit auseinandergingen. Die Einen bestanden auf einem Directorium (,,Fürstencollegium") von mehr oder weniger Gliedern unter dem abwechselnden Vorsiß von Desterreich und Preußen, oder sie er= neuten die alte Idee einer dreiheitlichen Oberleitung (,,Trias") und begingen dabei die doppelte Ungerechtigkeit, Bayern den beiden Großmächten als gleichberechtigt zur Seite zu stellen und dadurch zwei katholische süddeutsche Häupter dem Einen norddeutschen protestantischen entgegenzusehen. Da man an diesem collegialischen Reichsregiment hauptsächlich den Mangel eines raschen, einmüthigen und kräftigen Handelns und einer constanten Politik" rügte, so gewann allmählich die Ansicht, daß eine „einheitliche Spiße" größere Vorzüge habe, einen festen Boden; aber ob die Oberhauptswürde in den mächtigern Herrscherfamilien abwechseln, d. h. ein,,Turnus" eintreten sollte, oder ob das Reichsoberhaupt durch Wahl, sei es auf Lebenszeit, sei es auf eine längere oder kürzere Reihe von Jahren, zu dieser Würde gelangen oder endlich ob ein erbliches Kaiserthum geschaffen werden solle, darüber waren die Meinungen im Verfassungsausschuß wie in der Versammlung sehr verschieden. Es war keine schwierige Aufgabe, aus der Geschichte den Vorzug der Einheit und Erblichkeit der Herrscherwürde vor einer gespaltenen oder durch Wahl oder Wechsel gelähmten oder geschwächten nachzuweisen; ob aber diese in der Theorie vor= züglichere Verfassungsform für Deutschlands vielgegliedertes Staatswesen möglich und ausführbar sei, darüber wurden nicht zu verachtende Bedenken laut. Allein wie viele Stimmen auch gegen die, hauptsächlich von Dahlmann und Beseler verfochtene,,,romantische Kaiseridee" ankämpften, wie sehr der ultramontane Katholi= cismus (in E. v. Lasaulį) Verwahrung einlegte gegen die,,historische Sentimentalität" einer Erneuerung des Kaiserthums, wie stark sich der Particularismus der verschiedenen Stämme und Länder und die,,Großstaatssucht" der Bayern gegen die Bevorzugung eines einzelnen Staats vor den übrigen ereiferten; wie verächtlich die Partei der Linken und die Großdeutschen im „Pariser Hof“ die Idee einer künstlichen Wiederbelebung des deutschen Kaiserthums behandelten die Verfassungsparagra= phen, daß die Würde des Reichsoberhaupts einem der regierenden deutschen Fürsten übertragen werde, und daß dieser den Titel: „Kaiser der Deutschen“ führe, wurden von der Mehrheit der Versammlung angenommen; nur über die Erblichkeit konnte 23. Jan. vorerst nicht die erforderliche Stimmenzahl erlangt werden. Der,,Reichsrath", den der Verfassungsentwurf als ,,begutachtende Behörde“ zur Wahrung der Interessen der Einzelstaaten dem Reichsministerium zur Seite gestellt hatte, schien als Hemmschuh für die Wirksamkeit der Centralgewalt" gefährlich und wurde daher in der Folge beseitigt.

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§. 870. Preußens und Desterreichs Haltung zur Frankfurter Nationalversammlung und das Wahlgeset. Am 3. Februar 1849 war die erste Lesung der deutschen Reichsverfassung vollendet, und es kam nunmehr den Regierungen zu, sich über dieselbe zu äußern. Die mittleren und kleineren Staaten hatten sich bereitwillig erklärt, das Werk der Nationalversammlung anzuerkennen, aber die Königreiche hatten bis jetzt geschwiegen. Allein schon befand sich in den Händen der Centralregierung eine von dem preußischen Ministerium an sämmtliche deutsche Regierungen erlassene Circularnote, welche, wenn gleich behutsam und in gemessenen Ausdrücken abgefaßt, einem Plan, wie ihn das Gagernsche Programm vorgezeichnet, beizustimmen schien. Es war darin angedeutet, daß man den bestehenden deutschen Bund in allen seinen Beziehungen aufrecht erhalten wissen wolle, daß aber der nach

1849.

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