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näherte sich der kriegerische Ban Jellach ich mit einem großen Heer wilder und räuberischer Kroaten und Grenzer den Marken der Hauptstadt und in Böhmen machte der gefürchtete Fürst Windisch-Gräz, der neue,,Städtebelagerer", kriegerische Bewegungen. Diese Anzeichen eines feindlichen Angriffs mit vereinten Streitkräften sezte die Bevölkerung der Kaiserstadt in eine fieberhafte Aufregung. Die Weigerung des Kaisers, den Ban Jellachich dem österreichischen Ministerium unterzuordnen, nahmen die Demokraten in Wien als einen Beweis, daß es auf eine Militärdictatur abgesehen sei; die Adressen des Reichstags zur Erwirkung der kaiserlichen Rückkehr blieben erfolglos; die Deputationen des städtischen im radicalen Sinne erneuten Gemeinderaths wurden nicht vorgelassen; so kam es, daß die Leitung der Dinge gänzlich in die Hände der Revolutionspartei gerieth, die mit der wachsenden Gefahr immer größere Rührigkeit kund gab. Der Studentenclub in der Aula bildete den Mittelpunkt der revolutionären Bewegung; ihm zur Seite wirkten verschiedene demokratische Ausschüsse; die bewaffnete Macht war der unter radicale Anführer gestellten Nationalgarde untergeordnet; ein allgemeiner Landst ur m sollte aufgeboten werden. Je mehr der Ausgang dieser revolutionären Erhebung von der Entscheidung der Waffen abhängig ward, desto mehr kam die Leitung des Ganzen von dem Reichstag und Gemeinderath an die Ausschüsse und Insurgentenführer. Der ehemalige Lieute nant Messenhauser wurde zum Oberbefehlshaber der Nationalgarden gewählt; der polnische General Bem, der später in Ungarn glänzende Beweise kriegerischer Befähigung ablegte, leitete an der Spiße der Artilleristen die Vertheidigungsanstalten; Freischaaren, die von allen Seiten in die Hauptstadt strömten, standen unter eigenen Führern, die sich meistens als Clubredner und Literaten einen Namen ge= macht. Feste Barrikaden waren an geeigneten Orten aufgerichtet, das Pflaster in den Straßen gelockert, für Unterhalt und Verpflegung von den städtischen Behörden Anstalten getroffen. Aber was vor Allem den Muth und die Hoffnung der Wiener Insurgenten belebte, war der erwartete und verheißene Zuzug der Magyaren, deren Hülfstruppen man schon von dem Beobachtungsort auf dem Stephansthurme zu bemerken glaubte. Unter diesen Anstalten und Zurüstungen hatte der Ban die südliche Seite der Stadt am Wienerberg mit 50,000 Mann kaiserlicher Truppen der verschiedensten Waffengattungen, Kriegstrachten und Nationalitäten beseßt. Ein buntes Völkergemenge, das an Wallensteins Lager erinnerte; Kroaten und Grenzer, mit und ohne Uniform, die gefürchteten Rothmäntel oder Sereschaner standen neben italienischen und polnischen Truppen und Husaren in prunkenden Gewändern. Eine mannichfaltig gemischte Kriegsmenge, durch das starre Commando und die militärische Zucht zu einem festen Körper verbunden, gegenüber einer beweglichen von dem vagen Begriffe der Freiheit getriebenen, an Zucht und Unterordnung nicht gewöhnten In12. Det. furgentenmasse. Graf Auersberg, der Gesinnung seiner Soldaten mißtrauend, räumte seine bisherigen Standorte, die sofort von der Studentenlegion besest wur 20. Det. den, und vereinigte sich mit Jellachich. Bald erschien auch Fürst Windisch-Gräz, den der Kaiser zum Oberbefehlshaber aller Truppen, mit Ausnahme der italienischen, ernannt und ihm zur Züchtigung der empörten Hauptstadt unumschränkte Vollmacht ertheilt hatte, mit großer Heeresmacht in der Nähe Wiens. Eine kaiserliche Procla mation, die ihm voranging, suchte die aufgeregten Gemüther des Volks zu beruhigen und von einer Betheiligung an der Erhebung abzumahnen, indem sie die Versicherung gab, daß die gewährten Rechte und Freiheiten ungeschmälert erhalten, die ver heißene Verfassung zur Vollendung geführt und das Gesetz über die Ablösung der bäuerlichen Lasten und Zehnten in Ausführung gebracht werden sollten. In Anwendung der militärischen Maßregeln solle nur so weit gegangen werden,,,als zur Herstellung der Ruhe und Sicherheit, zum Schuße aller getreuen Staatsbürger, so wie zur Aufrechthaltung der Würde des constitutionellen Thrones nöthig sein

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würde." Der besonnenere Theil der Wiener Bevölkerung hätte gern noch bei Zeiten eingelenkt, zumal da die schwankende Haltung der ungarischen Armee, die bald zau= dernd still hielt, bald rückgängige Bewegungen machte, wenig Aussicht auf kräftige Unterstützung bot; allein der revolutionäre Geist war schon zu mächtig geworden, die Leitung der Dinge war schon zu sehr in die Hände der äußersten Partei gerathen, als daß noch eine Vermittelung möglich gewesen wäre. Schleunige Flucht schien noch die einzige Rettung und viele Einwohner, darunter auch mehrere Mitglieder des Reichstags, ergriffen diesen Ausweg, ehe sie durch den Terrorismus im Innern oder durch die militärische Sperre von Außen daran gehindert wurden.

§. 865. Wiens Fall. Der zum Feldmarschall ernannte Fürst WindischGräz hatte bereits alle Anstalten zur völligen Einschließung der Stadt getroffen. Eine Proclamation,,an die Bewohner Wiens", die in energischen Worten die Stadt, die Vorstädte und die Umgebung in Belagerungsstand erklärte, alle Civilbehörden den Militärbehörden unterordnete und gegen die Uebertreter der Verfügungen das Standrecht verkündete, bewies den furchtbaren Ernst des Mannes mit der eisernen. Willenskraft. „Eure Stadt ist befleckt worden (heißt es darin) durch Gräuelthaten, welche die Brust eines jeden Ehrenmannes mit Entfeßen erfüllen. Sie ist noch in diesem Augenblick in den Händen einer kleinen, aber verwegenen, vor keiner Schandthat zurückschaudernden Faction. Euer Leben, euer Eigenthum ist preisgegeben der Willkür einer Handvoll Verbrecher. Ermannt Euch, folgt dem Rufe der Pflicht und Bernunft!" Dieser Aufruf, der trotz aller Wachsamkeit an mehreren Straßenecken angeschlagen ward, weckte aufs Neue die Wuth und Leidenschaft der Insurgenten, insbesondere der jugendlichen Krieger auf der Aula, die kurz zuvor durch die Entdedung eines furchtbar verstümmelten und durch barbarische Mißhandlung entstellten Studentenleichnams in die heftigste Aufregung gebracht und zur Nache entflammt worden waren. Eine Vermittelung konnte jezt keinen Erfolg mehr haben; und wie viele Versuche der Art auch noch von Seiten des städtischen Gemeinderaths, der noch anwesenden Glieder des Reichstags und der Commissäre der Frankfurter Nationalversammlung (§. 866) unternommen wurden, die Bedingungen, die der strenge Feld= herr am 23. October stellte, waren so hart und drohend, daß sie verworfen wurden. War doch darin die Auslieferung mehrerer noch näher zu bezeichnender Individuen verlangt, eine Forderung, durch deren Gewährung das Schwert des Damokles über allen Demokratenhäuptern geschwebt hätte. Die Entscheidung beruhte jetzt auf den Waffen; das Schwert der Empörung war so hoch geschwungen, daß die Scheide weggeworfen werden mußte. Von beiden Seiten wurden daher die kriegerischen Kräfte aufs Aeußerste angestrengt. Bem, Messenhauser und Fenneberg leiteten die Bertheidigungsanstalten; der demokratische Centralausschuß bildete zwei Freicorps, die mobile Garde und das Elitencorps, die auf der äußersten Warte fochten, und worin mehrere Literaten, darunter auch die Frankfurter Parlamentsglieder Robert Blum und Julius Fröbel, Dienste versahen; die Maßregeln des Schreckens, die von Außen gegen die Demokraten angeordnet worden, fanden im Innern ihre Anwendung gegen die Gemäßigten und Reactionäre. Gefechte und Ausfälle, täglich wiederholt, steigerten durch den blutigen Ausgang die Wuth und Rache auf beiden Seiten. Die Flammen, die jeden Abend von den brennenden Häusern glühend roth am nächtlichen Himmel emporstiegen, gewährten den angstvoll in der Ferne Harrenden einen grauenvollen Anblick. Ueber eine Woche wurde der blutige Kampf mit der größten Erbitterung Tag und Nacht fortgeführt. Die akademische Legion, die Arbei= ter, die Nationalgarde, die Freicorps machten jeden Fuß breit streitig: Mauern und Barrikaden gewährten ihnen Ersatz für die mangelnde Kriegskunst. Der Zorn der Soldaten wuchs mit dem Widerstand; besonders brannte das Regiment Latour, das mit umflorten Fahnen einherzog, vor Verlangen, den Tod des Generals zu rächen.

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Am 28. und 29. October war der Kampf am heißesten; schon waren die Außenwerke und Vorstädte erobert, den Insurgenten gebrach es an Lebensmitteln und Kriegsvorrath; die Stadt war unhaltbar, fernerer Widerstand drohte das Unglüc nur größer zu machen. Der Gemeinderath, nunmehr die einzige gesegliche Obrigkeit, da der Reichstag durch kaiserliche Botschaft geschlossen und auf den 15. November nach dem mährischen Städtchen Kremsier einberufen worden, beschloß die Stadt auf Gnade und Ungnade, wie der Sieger verlangte, zu übergeben. Am Abend be gann schon die Abführung der Waffen und am 30. October rückten die Truppen von allen Seiten bis zum Glacis vor. Da sah um 2 Uhr ein Wächter vom Stephansthurm gegen die ungarische Grenze hin Pulverdampf aufsteigen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch die Straßen:,,Die Ungarn kommen!" und weckte von Neuem den Kriegsmuth. Der Vertrag wurde gebrochen; die abgelieferten Gewehre den Zeughäusern wieder entnommen; die Kanonen auf die Wälle gepflanzt und neue Ausfälle gewagt. Die Stadt war gänzlich in den Händen des Proletariats" und verzweifelter Rotten von Freischaaren. Aber die Hoffnung der Insurgenten wurde getäuscht. Zwar waren die Ungarn wirklich im Anmarsch; aber ihr großentheils aus einem raschgebildeten Landsturm von jungen Leuten bestehendes Herr wurde von den Kroaten und dem österreichischen Militär an der Schwechat mit 30 Det. großem Verlust zurückgeschlagen und zum schnellen Abzug nach Preßburg gezwungen. Mit doppelter Wuth wurde nunmehr die Kaiserstadt von den über den Treubruch empörten Soldaten von Neuem bestürmt. Der Widerstand war schwach und von kurzer Dauer. Die Truppen drangen unter Begünstigung der über die Proletarierherrschaft entrüsteten Nationalgarden bis zum Stephansplat und auf den Hof des Kriegsgebäudes, wo der Laternenpfahl, an dem Latours Leiche gehangen, unter Geheul umgestürzt und zertrümmert wurde. Die Aula war leer, die Kalabreserhüte verschwanden plöglich. Wien bot einen Anblick des Schreckens und Jammers dar. ,,In den meisten Straßen Kugelspuren an den Häusern, in den Vorstädten ganze Straßenreihen niedergebrannt, an tausend Stellen Leichen und Blutlachen, überall Frauen oder Kinder, nach den Männern oder Vätern suchend, dazwischen Kroaten, nur auf Plünderung bedacht." Am 2. November hielt Jella chich feinen Einzug in die eroberte Stadt, über welche bereits Windisch-Gräz von seinem Hauptquartier Hezendorf aus den strengsten Belagerungszustand verhängt hatte. Nun begann die eiserne Herrschaft des Schwertes. Die Stadt wurde strenge abgeschlossen, die Einwohner entwaffnet, alle Häuser und Straßen durchsucht, alle Gefängnisse mit Schuldigen und Verdächtigen gefüllt. Wochenlang hielten die Nachrichten über die standrechtliche Behandlung mit Pulver und Blei" das deutsche Volk in Aufregung. Messenhauser, der von Wiedererneuerung der Feindseligkeiten ernstlich abge mahnt hatte, und viele Barrikadenhelden fanden ihr blutiges Ende durch die sieg reiche Militärmacht; Alfred Iulius Becher, der begabte Meister der Tonkunst, und der jugendliche Hermann Jellinek büßten für die revolutionäre Tendenz ihrer Zeitschrift der Radicale“ mit dem Leben; was aber vor Allem die Demokraten mit Wuth und Entfeßen füllte, war die Erschießung Robert Blums, des Führers der Frankfurter Linken. Hervorgegangen aus niederm Proletarierstande und aufgewachsen unter Druck und Entbehrung hatte er sich durch Anlage und Energie zum beredten Vorkämpfer der religiösen und politischen Freiheit in ihrer äußersten Gestalt herangebildet, und brachte ihr jetzt sein Leben als unfreiwilliges Opfer. Unberufen hatte er sich in das brausende Treiben der österreichischen Hauptstadt gestürzt, hatte in der Aula seine pathetische Beredtsamkeit bewiesen, hatte im Elitencorps am Kampfe Theil genommen, hatte bei seiner Verhaftung und beim gerichtlichen Verhör auf seine Eigenschaft als Mitglied der Reichsversammlung getroßt. Er hatte nicht an das weise Sprüchwort gedacht: „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um." Sein

Tod sollte als abschreckendes Beispiel allen ähnlichen Bestrebungen dienen; darum war auch,,Blums Todtenfeier" für die ganze Partei ein Erkennungszeichen und die großartige Unterstüßung, die seiner Frau und seinen Kindern zu Theil ward, bewies, welche Bedeutung der Mann und sein Fall für die Demokraten und Republikaner hatte. Mit derselben kalten Ruhe, die er so oft auf der Tribüne bewiesen, ist er auch den Todesweg gegangen. Sein minder bedeutender Gefährte und Gesinnungsgenosse Julius Fröbel wurde nach angstvollem Schweben zwischen Leben und Tod einige Tage später unverlegt entlassen. Bem, Fenner v. Fenneberg und der Demofratenrebner Dr. Schütte entkamen unter manchen Gefahren und Abenteuern durch glückliche Flucht. Der Erste begab sich nach Ungarn, wo er eine polnische Legion bildete. Haud, der Redacteur des radicalen Blattes,,Constitution" und Stifter und Anführer des Elitencorps, gerieth erst nach der Katastrophe in Ungarn in die Hände der Desterreicher und fand dann nachträglich noch seinen Tod durch Pulver und Blei.

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§. 866. Die Frankfurter Versammlung in der österreichischen Frage. Die ersten Nachrichten von der Wiener Octoberbewegung trafen das Frankfurter Parlament bei der Berathung über die Reichsverfassung. Wie sehr auch die gemäßigte Partei auf Beschleunigung dieses Hauptwerkes ihrer Thätig= teit drang, die Tagesereignisse schlugen zu mächtig an die Pforten der Paulskirche, als taß nicht die Frage über das Verhalten der deutschen Centralgewalt in diesem wichtigen Ereigniß sich in den Vordergrund gedrängt hätte. Zwar widerstand die Versammlung auch diesmal dem Andrang der Linken, welche die Wiener Erhebung als eine nationale Sache gegen eine widerstrebende undeutsche Regierung darzustellen suchte und an die Frankfurter Reichsgewalt das Ansinnen stellte, die Bewegung zu unterstüßen und die österreichische Regierung nöthigenfalls mit Waffengewalt zur Entfernung aller nichtdeutschen Truppen zu zwingen, und beharrte auf dem besonnenen Weg ruhiger Erwägung. Allein die öffentliche Stimme forderte zu dringend eine Bethätigung ihrer Theilnahme an diesem gewaltigen Kampfe, als daß sie dieselbe hätte überhören können. Sie bewirkte die Absendung zweier Commissäre, Mosle und Welder, nach Olmüß und in das Lager des kaiser= lichen Feldherrn und empfahl ihnen aufs dringendste die Geldendmachung des Ansehens der Centralgewalt, den Schutz der Interessen Deutschlands in Desterreich, die Sorge für friedliche und unblutige Lösung der österreichischen Wirren und die Wahrung der im März und Mai den österreichischen Völkern zugestandenen Rechte und Freiheiten"; und als die Vermittlungsversuche in Olmüz,,an der glatten Etikette des kaiserlichen Hofes abgeglitten", in Wien von dem Machtbewußtsein des kaiserlichen Feldherrn“ zurückgewiesen worden, so glaubte die Versammlung doch in so weit die Entrüstung der Linken über den Tod ihres Füh rers besänftigen zu müssen, daß sie das Änsinnen einer „Todesfeier“ für Robert Blum nicht ganz von der Hand wies, wenn sie derselben auch nicht das beabsichtigte feierliche Schaugepränge verlieh, wodurch sie zu einer,,Demonstration" hingerissen werden sollte. Diese Vorgänge drängten die Frage über die künftige Stellung Desterreichs zum deutschen „,Bundesstaat“ in den Vordergrund der Be rathung. Je mehr es zweifelhaft wurde, ob sich die österreichische Regierung unbedingt den Beschlüssen der Frankfurter Nationalversammlung unterwerfen werte, desto mehr drangen die unbedingten Anhänger eines deutschen Einheitsstaats mit monarchisch-constitutionellen Formen auf eine flare Auseinandersetzung der staatlichen Verhältnisse beider Reiche. Daher machten sich bei der Berathung bald drei Möglichkeiten geltend: 1) Desterreich löst sich in seine nationalen Bestandtheile auf, dann werden die deutsch-österreichischen Lande dem deutschen Reiche zufallen und an dessen Gesammtverfassung Theil nehmen. 2) Oesterreich bleibt in

seiner weltgeschichtlichen Bedeutung als ein Ganzes beisammen, dann wird der deutsche Theil Desterreichs sich von dem deutschen Bundesstaat ablösen müssen. 3) Der deutsche Bundesstaat und die österreichische Gesammtmonarchie werden zu einem großen mitteleuropäischen Reich in fester Union verbunden. Außer diesen drei Hauptrichtungen tauchten noch mehrere Vermittelungsvorschläge auf, die, von dem thatsächlichen Standpunkt ausgehend, entweder das gegenseitige Verhältniß noch einige Zeit unbestimmt lassen oder eine Ausnahmsstellung Desterreichs auf dem Wege der Vereinbarung mit bestimmten,,Modificationen" begründen wollten. Gegen die Ablösung der deutschen Lande von Oesterreich sprach die gegründete Furcht, daß dann die undeutschen Staatengebiete dem germanischen Elemente immer mehr entfremdet und dem Einflusse Rußlands gänzlich anheimfallen würden; gegen die Herbeiziehung des gesammten Desterreichs sträubte sich der Begriff einer natürlichen Staatsordnung und das Gefühl der Unmöglichkeit eines gefunden pos litischen Organismus. Daher schien der Plan einer friedlichen Auseinandersetzung und Lösung der allein ausführbare, und diesem Gedanken gab Heinrich v. Gagern eine bestimmtere Gestalt und mildere Fassung.

§. 867. Der engere und weitere Bund. Von der Ansicht ausgehend, daß das deutsche Element in Desterreich das einflußreichste sei und daß es eben so sehr dem nationalen Interesse Deutschlands widerstrebe als es für Defterreich eine rechtliche Unmöglichkeit" sei, die Staatseinheit zwischen den deutschen und nichtdeutschen Provinzen der österreichischen Monarchie zu lösen, suchte Gagern den Boden für ein Verhältniß zu gewinnen, wonach das außerösterreichische Deutschland sich bundesstaatlich fest aneinanderschließe; zwischen Desterreich aber, welches wegen seiner undeutschen Bestandtheile in diesen engsten Bund nicht eintreten fönne, und dem übrigen Deutschland eine anderweitige enge Verbindung bestehe." Dieses Band fand er in der Gemeinschaft der materiellen Interessen, und sein Antrag lautete daher: „Desterreich bleibt, in Berücksichtigung seiner staatsrechtlichen Verbindung mit nichtdeutschen Ländern und Provinzen, mit dem übrigen Deutschland in dem,,,,beständigen und unauflöslichen Bunde."" Die organischen Bestimmungen für dieses Bundesverhältniß, welche die veränderten Umstände nöthig machen, werden Inhalt einer besondern Bundes-Acte." Es lag also hier ein doppel tes Bundesverhältniß ver, ein engerer deutscher Bundesstaat und eine österreichischdeutsche Union mit gemeinsamen Handelsinteressen und mit Gründung eines gleich mäßigen Zollvereins. Die weitern Discussionen über diese Lebensfrage der deutschen Verfassung wurden nach Gagerns Wunsch bis zur zweiten Lesung ausgefeßt, damit die Centralregierung Zeit gewinne für eine Anfrage an Desterreich, wie sich dasselbe in Bezug auf Deutschland zu verhalten gedenke. Diese Anfrage aber unterblieb, weil der Leiter des Frankfurter Ministeriums, Schmerling, dem die Interessen seines österreichischen Vaterlandes mehr am Herzen lagen als die gedeihliche Entwickelung des deutschen Bundesstaats, dieses Verhältniß lieber noch einige Zeit in der Unbestimmtheit lassen wollte. Um Zeit zu gewinnen, hüllte er daher die ganze Sache in den Schleier diplomatischer Zurückhaltung und ränkevoller Politik, gab unbestimmte Antworten und suchte Anträge und Interpellationen, die eine flare Auseinandersetzung bezweckten, unter allerlei Vorwänden und scheinbaren Beweggründen fern zu halten oder durch eine kluge Wendung scheitern zu machen. Dieses Verfahren setzte Schmerling auch dann noch fort, als das neue österreichische Ministerium Schwarzenberg am 27. November in seinem dem Reichstage von Kremsier vor gelegten und von diesem mit lautem Beifalle begrüßten Programme den Standpunkt bezeichnet hatte, den es in der deutschen Frage einzunehmen gedächte und der mit Gagerns Plan vereinbar schien. Darin ist nämlich ein „,,Zerreißen der Monarchie" entschieden verworfen, und dagegen deutlich ausgesprochen, daß man die,,natürliche

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