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Adeligen raubte, glaubte die mißtrauische und aufgeregte Menge an eine absichtliche Begünstigung des zweiten Verbrechens, um nicht einen Herzog dem Grundsaß der Gleichheit vor dem Gesez und der Schmach einer öffentlichen Enthauptung preiszugeben. Das Gefühl, daß ein von so morschen und verfaulten Stüßen getragenes Regierungssystem unhaltbar sei, durchdrang die ganze Nation, ergriff alle politischen Parteien. Nur durch Erneuerung der Volks-Repräsentation vermittelst einer Ausdehnung des Wahlrechts konnte eine Aenderung und Verbesserung erzielt werden; nur wenn die Nation, oder doch der ganze Mittelstand, sich an der Deputirtenwahl betheiligte und dadurch eine Bestechung der Wähler oder der Gewählten unmöglich wurde, konnte die Kammer als der Ausdruck der Nationalgesinnung, als wahre Vertreterin des Volks gelten. Darum wurde der Ruf nach einer Wahlreform immer lauter; alle Stände und Meinungen waren in diesem Punkte einig; Wahlreform war die Losung des Tages, die Standarte der Legitimisten, Constitutionellen und Republikaner. Um diesem Grundsaß Oeffentlichkeit und Nachdruc zu verleihen und zugleich den Thatbestand ans Licht zu bringen, daß die dermalige Kammermehrheit nicht der Ausdruck des Volks sei, ordneten die Männer der Bewegung in mehreren Städten Frankreichs Reformbankette an, wobei häufig einige Abgeordnete der Linken (Opposition) zugegen waren und wo kühne Reden und Toaste die Gebrechen des herrschenden Regierungssystems schonungslos aufdecten. Die Vorgänge in Italien und der Schweiz, wo die Sympathien des franzëfischen Volks mit der von der Regierung befolgten Politik im entschiedensten Widerspruch standen, vermehrten die Aufregung und riefen immer neue Festmahle und kühnere Demonstrationen hervor. Unter dieser Stimmung fand die Eröffnung der Kammer statt und die Opposition beschloß zugleich, in Paris selbst ein solches Reform= bankett zu veranstalten und ihm, als Ausdruck der Volksgesinnung, eine besondere Bedeutung zu geben. Dies suchte die Regierung zu hintertreiben. Die Thronrede sprach von einer Bewegung, die durch feindliche oder blinde Leidenschaften angefacht werde", und ein verjährtes Gesetz vom Jahre 1790 mußte einem Verbot aller künftigen Reformbankette als Grundlage dienen. Diese Verlegung des sogar unter der Restauration geachteten Vereinsrechts und die Rückkehr auf ein Gesetz, das seit der Einführung des Napolecnischen Gesetzbuchs außer Kraft war, erregte großen Unwillen und erzeugte die Ansicht, daß man durch juristische Chicanen die constitutionellen Rechte zu vernichten trachte. Die Discussionen über die Adresse auf die Thronrede waren daher äußerst lebhaft und stürmisch. Man beschuldigte Guizot des Aemterverkaufs, man rügte die richterliche Parteilichkeit gegen die Oppositionspreffe, und Thiers unterwarf die Politik gegen die Schweiz, wo man die Jesuiten beschüßt, mit Oesterreich ein Bündniß geschlossen und das seit Jahrhunderten befreundete helvetische Volk verstoßen und verrathen habe, einer scharfen Kritik. Nichts desto weniger konnte sich die ministerielle Partei den Triumph nicht versagen, in die Antwortsadresse eine tadelnde Rüge einzuflechten,,,gegen die Wühlereien, welche feindliche Leidenschaften oder blindes Sichfortreißen lassen (entrainements) hervorriefen", und trotz des heftigsten Widers standes der Linken durchzusetzen. Einen ähnlichen Sieg hätte die Regierung auch in der Bankettfrage erlangt, hätte sie es allein mit der Kanimeropposition zu thun gehabt. Denn wie sehr auch die Häupter der Linken, ein Odilon Barrot, Garnier Pagès, Arago u. A. das Vereinsrecht verfochten und, trotz des Verbots, Anstalten zu einem Reformbankett trafen und Einladungen an die Nationalgarde u. A erließen - als die Regierung, nach Bekanntmachung eines von Marrast, dem Redacteur des National, verfaßten Programms über den Zug und die Festordnung, militärische Maßregeln traf und durch einen Polizeibefehl die Bersammlung und das Festmahl verbot, da schwankte die Opposition, stand zum großen Theil von dem

Reformbankett ab und beschloß dafür, in der nächsten Sigung einen Antrag zu stellen, daß das Ministerium wegen Verlegung der Verfassung in Anklagestand verjezt werde.

§. 846. Sturz des Julikönigthums. Allein das Volk war bereits zu aufgeregt, als daß es sich durch das zaghafte und schwankende Benehmen der Kammermitglieder und Festordner von den beabsichtigten Willensäußerungen und Demonstrationen hätte abhalten lassen. Schaaren von Arbeitern und Blousenmännern, die Studenten, die Zöglinge der polytechnischen Schule, die kecke Gassenjugend der belebten Hauptstadt, durchzogen unter dem Rufe:,,Reform! Nieder mit Guizot!" die Straßen und Pläße, umstellten das Deputirtenhaus, verlangten die Anklage der Minister. Ihre Zahl mehrte sich von Stunde zu Stunde; das Linienmilitär war schonend, die Nationalgarde sympathisirte mit dem Volke, die Polizeimannschaft (Municipalgarde) war der Menge nicht gewachsen; Barrikaden wurden in vielen Straßen errichtet und behauptet. Zwei Tage (22., 23. Februar) hatte der Kampf mit wachsender Erbitterung gedauert. Da entbot der König den frühern Minister Molé in die Tuilerien, entließ das Ministerium Guizot und versprach die Reform. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich gegen Abend diese Kunde und erzeugte unter dem aufgeregten Volke einen unermeßlichen Jubel. Unter Gesängen und Freudenrufen wogte die Menge durch die Straßen; die Barrikaden verschwanden; die Häuser wurden beleuchtet; man umarmte sich im Hochgefühl des Siegs. Da geschah es, daß gegen 10 Uhr eine Volksmasse mit Fahnen und Fackeln singend und lärmend über die Boulevards zog. Vor dem Ministerium des Auswärtigen hielt sie still und for= derte die Beleuchtung des Gebäudes. In dem Augenblicke fiel ein Schuß und verbreitete unter dem im Hause aufgestellten Militär die Meinung, es würde angegriffen. Es erfolgte plötzlich eine Salve auf die Menge und 52 stürzten todt oder verwundet zusammen. Eine unaussprechliche Wuth ergriff das Volk. Man belud eine Bahre mit Leichnamen und durchzog mit Fackelschein und unter dem Ruf: „Zu den Waffen! Man tödtet uns!" die Straßen der Hauptstadt. Um Mitternacht wurde die Sturm= glocke von Notre-Dame geläutet und am Morgen des 24. Februar war ganz Paris durch Barrikaden abgesperrt. Umsonst nahm jezt der König seine Zuflucht zur Linken und berief Thiers, Odilon Barrot u. A. ins Ministerium. Es war zu spät! Ihre Aufforderungen zur Ruhe fanden kein Gehör, ihre Verheißungen keinen Glau= ben. Der Sieg neigte sich immer mehr auf die Seite des Volks, die Linientruppen fielen zum Theil ab, zum Theil wurden sie überwältigt; die Nationalgarde, unter General Lamoricière's Oberbefehl gestellt, wirkte nur abwehrend, weigerte aber den Kampf gegen das Volk. Da sah Louis Philipp seine Täuschung und seine Gefahr ein. Er dankte ab zu Gunsten seines Enfels, des Grafen von Paris, ernannte die Herzogin von Orleans zur Regentin und eilte um 1 Uhr, als auch dieser Act keine Wirkung machte und die empörten Schaaren immer drohender gegen das Schloß vordrangen, mit seiner Gemahlin durch eine Hinterpforte dem Meere zu. Mehrere Tage irrte das königliche Paar an der Küste umher, ehe es mit Sicherheit nach England segeln konnte, wohin nach manchen Gefahren auf verschiedenen Wegen auch die übrigen Glieder der Familie gelangen. Die Herzogin von Orleans hatte, von Nemours begleitet, mit ihren beiden Kindern Schuß in der Deputirtenkammer gesucht; allein der Andrang bewaffneter Schaaren und der drohende Ruf nach einer Republik nöthigte sie zur Flucht. Die Einsetzung einer provisorischen Regierung unter dem Vorsitz des alten Dupont de l'Eure (1767-1855) war der Uebergang zur republikanischen Staatsform. Lamartine, Ledru-Rollin, Arago, Garnier- Pagès, Crémieux und Louis Blanc waren die bekann= testen Glieder dieser neuen auf dem Stadthaus eingerichteten Regierung. Indessen wurden die Tuilerien eingenommen, Möbel und Zierrathen verbrannt, der

Thron auf den Bastilleplaß getragen und unter der Julisäule zertrümmert, und n die Prunkgemächer des Schlosses zog ein Schwarm zerlumpter Proletarier ein. Plün derungen oder rohe Vergehungen gegen Leben und Eigenthum fanden nirgends statt, und die Kunstschäße schüßten die Studenten und Polytechniker. Wenige Stunden hatten hingereicht, die mächtigste Monarchie umzustürzen und den reichsten König zu einem Hülfe suchenden Flüchtling zu machen; die ministeriellen Deputirten flohen oder verbargen sich; die Legitimisten, der Clerus, die Beamten der Provinzen, das Heer, Alle beeilten sich, die neue Staatsform anzuerkennen; die Dynastie Orleans hatte keine Anhänger, keine Partei; ihre Herrschaft war auf Selbstsucht gegründet, darum fand ihr Fall keine Theilnahme, kein Mitleid.

§. 847. Die Republik. Aber der Rausch der republikanischen Jubeltage mit ihren Freudenfesten und ihrer Fahnenweihe, und die Begeisterung für den neuen Wahlspruch:,,Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!" war vorübergehend und die Wirklichkeit des praktischen, prosaischen Lebens schuf bald mancherlei Schwierigkeiten und Bedenken. Eine aus freiester Volkswahl zu bildende Nationalversammlung sollte die Verfassung der künftigen demokratischen Republik bestimmen und bis zu deren Zusammentritt im Mai die provisorische Regierung dem Staatswesen vorstehen. Edelmüthig hatte Lamartine die ersten Regungen eines gesteigerten Gefühls der Menschenwürde in der Brust des siegenden Volks benutzt, um die Entfer nung der blutrothen Fahne, die Annahme der Tricolore, die einst siegreich Europa durchzogen, und die Abschaffung der Todesstrafe für politische Verbrechen durchzufeßen. Da aber die Revolution das Werk der arbeitenden Klasse war, so mußte man deren Hebung und Besserstellung zur Hauptaufgabe der neuen Verwaltung machen. Man fügte der provisorischen Regierung einen Arbeiter, Albert, bei und gab Louis Blanc freie Hand, nach seinen Ideen die Arbeit zu organisiren und die ärmern Klassen zu beglücken. Nun zeigten sich aber die socialistischen Systeme in ihrer ganzen Haltlosigkeit. Die Zusicherung der Arbeit von Seiten des Staats machte die Erhaltung einer Legion brodloser, arbeitscheuer und unbeschäftigter Menschen nöthig und führte die Errichtung von Nationalwerkstätten herbei, die Millionen verschlangen, ohne etwas Namhaftes zu leisten. Die Unterstützung von zwei Franken, die dem Arbeitlosen täglich gereicht wurde, steigerte die Staatsausgaben ins Unend liche und mehrte die Zahl der bettelnden Proletarier mit jedem Tag. Daß eine solche Einrichtung in Kurzem den Ruin des Staats, die Verarmung der besizenden Klassen und den Untergang aller Civilisation herbeiführen müsse, leuchtete Jedermann ein, und es war daher eine der ersten Maßregeln der Nationalversammlung (nachdem sie durch die Bewältigung des drohenden Socialistenaufstandes vom 15. Mai in den Besitz der höchsten Gewalt getreten), diese Werkstätten zu schließen und den Arbeitern die Staatsunterstützung zu entziehen. Da versuchten die Arbeiter eine neue Umwälzung, um dem vierten Stande die Herrschaft zu erwerben; Legitimisten und Bonapartisten machten insgeheim mit ihnen gemeinsame Sache und unterstüßten sie Juni mit Geld. Dies führte die Gräuelscenen vom Juni herbei, wo die Anhänger der ,,rothen Republik" sich durch Thaten thierischer Rohheit und Barbarei schändeten. Sie mordeten den muthigen General Bréa und den frommen Erzbischof Affrè von Paris, als er ihnen Worte des Friedens brachte, sie füllten die Barrikaden mit den Leichnamen ihrer Gegner aus und trugen einzelne Fahnen mit der Inschrift: „Leben durch Arbeit oder Sterben im Kampf!" Entsett über die bei dem Aufstande sich kund gebende Verwilderung und Unmenschlichkeit der untern Volksklasse bekleidete die Nationalversammlung den General Cavaignac mit dictatorischer Gewalt. Dieser besiegte die Empörer nach einem viertägigen blutigen Straßenkampf, wobei 10,000 bis 12,000 Menschen ihren Tod fanden und sieben Generale theils auf dem Plage blieben, theils bald nachher an ihren Wunden starben, ließ die Führer

22.-26.

1848.

und Anstifter verhaften und deportiren und stellte dann Paris unter das Kriegsrecht. Geschützt durch diese Maßregeln sette hierauf die Versammlung ihre Berathungen über die neue republikanische Verfassung fort. Gern hätte sie auch bei der Präsi- 10. Dec. dentenwahl dem General Cavaignac die Stimmenmehrheit verschafft, aber die Nation, geblendet von dem Glanz des kaiserlichen Namens, wählte Louis Napoleon Bonaparte mit einer Stimmenzahl von 6 Millionen. Eben so gehorsam dem Gesetze und so ergeben dem Nationalwillen als tapfer und vaterlandsliebend, legte Cavaignac ohne Widerstreben seine hohe Gewalt in die Hände des glücklichern Mitbewerbers nieder. Unter allen diesen Erschütterungen haben die Franzosen drei 20. Dec. gute Eigenschaften beurkundet, Tapferkeit, Vaterlandsliebe und politischen Tact; Frankreichs Größe ist das Ziel aller Parteien.

III. Zug der Revolution durch Europa.

§. 848. Deutschland. War einst die Julirevolution mächtig genug gewefen, eine europäische Bewegung zu erzeugen, so mußte bei der herrschenden Gährung und der erstartten Opposition die Februar-Revolution noch viel erschütternder wirken. In Italien, Deutschland, Polen, Irland, der Schweiz heftige Parteiung, aufgeregte Meinungskämpfe, leidenschaftliches Nationalgefühl! Es war kein Wunder, daß enthusiastische Naturen, unpolitische Schwärmer, demokratische Fanatiker, Freunde einer schrankenlosen Freiheit auf die Idee einer universellen, europäischen Republik ge= riethen, mit Abstreifung aller nationalen und religiösen Verschiedenheiten und mit dem Wahlspruch: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! als Standarte. Die Aufstände, die in den meisten Ländern blißschnell erfolgten, bestärkten sie in ihren Hoffnungen, und eine Propaganda, die in der französischen Weltstadt ihren Sitz und Mittelpunkt hatte, schürte das revolutionäre Feuer und verbreitete republikanische Ideen mit socialistischer und communistischer Färbung als Reizmittel für die untern Volksklassen. Die Ansicht, daß die Revolution ihren Zug durch Europa machen würde, setzte sich in vielen Köpfen fest und trieb sie an, ihr fördernd entgegen zu kom= men. Die ersten Wirkungen zeigten sich in Deutschland, und zwar an der Grenze, in Baden. Das rege politische Leben, wodurch sich das Großherzogthum schen lange vor den übrigen deutschen Staaten ausgezeichnet, schien ihm das Recht zu geben, mit der Fahne des Fortschritts und der Neugestaltung voran zu gehen. Dringende Betitionen an die gerade versammelten Landstände, in stürmischer Weise überbracht, verlangten Preßfreiheit, Schwurgericht, Bürgerwehr unter freigewählten Führern, und ein deutsches Parlament, auf das kurz zuvor in der badischen. Kammer durch den Abgeordneten Bassermann ein Antrag gestellt worden war und das dem die Regierungen vertretenden Bundestag als Repräsentation des Volks zur Seite treten sollte. Die badische Regierung gewährte nicht nur diese Punkte, so viel in ihrer Macht stand, sondern erließ auch im Verein mit den Kammern ein Gesetz zur Aufhebung aller Feudallasten mit fünftiger Entschädigung der Betheiligten aus der Staatskasse und entfernte mehrere bei dem Volke unbeliebte Beamte und Hofleute von ihren bisherigen Stellen; unpopuläre Deputirte legten ihre Mandate in die Hände ihrer Wähler nieder und wurden durch an= dere erseht. Das Beispiel Badens wirkte auf die übrigen deutschen Staaten. Dieselben Forderungen wurden nach und nach allenthalben gestellt und gewährt und damit in den verschiedenen Ländern verschiedene andere verbunden. In Würtem= berg, Sachsen und andern Staaten wurden die Häupter der liberalen Opposition

in die Ministerien berufen, und die Zügel der Regierung in ihre Hände gelegt; stän dische Mißbräuche wurden abgeschafft, beschränkte Wahlgefeße einer Umänderung unterworfen, der Bundestag im liberalen Sinne umgestaltet und freisinnige Bertrauensmänner zur Berathung einer neuen Bundesverfassung ihm beigeordnet. Aber vollständig und sicher wurde der Sieg der Liberalen erst durch die Umwälzung in Wien und Berlin.

§. 849. Desterreich. Wie Louis Philipp galt auch der in den diplomatischen Künsten einer verwickelten Staatsweisheit ergraute Fürst Metternich als der größte Staatsmann und Volksregierer, und sein Rath und Wort wurde von den deutschen Regierungen wie ein Orakel angehört und befolgt. Aber auch seine Stunde hatte geschlagen. Er wollte die Macht des Zeitgeistes nicht anerkennen und hielt die morschen Grundpfeiler des Polizeistaats für stark genug, den stürmenden Andrang der jungen Freiheit zu bestehen. Ueber den Genüssen des Lebens hatte er nicht bemerkt, wie die Literatur der Opposition als Verführer sich in die österreichischen Lande eingeschlichen und das verfaulte Staatswesen schonungslos aufgedeckt hatte. Fürst Metternich hatte, wie sein Freund Gent, nach dem Grundsatz gelebt: wenn es nur uns noch aushält, mag auch die Nachkommen die Sündfluth bedecken! Doch es hielt ihn nicht mehr aus! Die Nachrichten aus Paris erzeugten im ganzen Kaiserstaat eine fieberhafte Aufregung. Die Stände von Ungarn, die eine selbständige Nationalregierung unter dem Erzherzog Palatin, eine Reform ihrer Verfassung, Minderung der Steuern, Befreiung von den Beiträgen zur österreichischen Staatsschuld und für das ungarische Militär das Vorrecht verlangten, nicht außerhalb ihres Königreichs dienen zu müssen, bestürmten die kaiserliche Hofregierung mit dringenden Petitionen; dasselbe geschah in Prag, wo im vorhergehenden Jahre die böhmischen Stände in ihren Rechten und ihrer Ehre tief gekränkt worden waren, und endlich in Wien selbst, wo im März die österreichischen Landstände zusammen traten. Der ungewisse Zustand des in den Schleier des Geheimnisses gehüllten Finanzwesens hatte ein tiefes Mißtrauen erweckt. Man weigerte hie und da die Annahme des Papiergeldes; Handel und Gewerbthätigkeit geriethen ins Stocken; die Zahl unbeschäftigter und dar bender Arbeiter mehrte sich. Unter diesen Umständen hatte das jugendliche überstürzende Beginnen der Wiener Studenten einen überraschenden Erfolg. Durch Betitienen an die Stände, an die Minister, an den Kaiser, in lärmender Weise verfaßt und überreicht, und durch stürmische Versammlungen brachten sie die Wiener Bevölkerung in eine solche Aufregung, daß, als das mit Schonung und Milde handelnde Militär an einigen Orten zurückgedrängt und die Studenten bewaffnet wurden, Fürst Metternich, nachdem die Gewährungen, die er früher bekämpft, nun aber sich Schritt vor 13. mars Schritt abnöthigen ließ, nicht mehr genügten, seine hohe Stelle niederlegte und als landesflüchtiger Greis eine Zufluchtsstätte in England suchte, noch bis zum leyten Augenblick die anmuthigen Formen des vollkommenen Cavaliers bewahrend, womit er in den Tagen der Macht die Freunde bezaubert, die Gegner geblendet hatte. Plünderungen, Zerstörungen und rohe Pöbelercesse kündigten die Auflösung der alten Ordnung, den Anfang eines gefeßlosen Zustandes an. Die allgemeine Bewaffnung, die nunmehr gestattet wurde, erhöhte die Unsicherheit. Jest zeigte sich das Metternichsche System in seinen traurigsten Folgen. Ein in der größten politischen Unwissenheit gehaltenes, für ein freies Staatsleben ganz unreifes Volk forderte und erlangte Freiheiten und Rechte, die es nicht zu gebrauchen verstand. Die Breßfreiheit erzeugte in Kurzem eine revolutionäre Tagesliteratur, die, aus aufreizenden Blättern und Maueranschlägen bestehend, alle Verhältnisse erschütterte und die Neus gestaltung des Staats auf dem Wege der Reform und Entwickelung störte; das freie Vereinsrecht wurde zu lärmenden Volksversammlungen und zur Bildung deme= kratischer Verbindungen benußt, welche die Thätigkeit des neuen aus volksthümlichen

1848.

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