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aller jener Maßregeln, die Deutschlands Staatsleben verkümmerten und seine edelsten Bestrebungen und Kräfte lähmten, während unter seinem Einfluß in Spanien, in Portugal, in der Schweiz die Priesterpartei gegen die Männer des Fortschritts Unterstüßung fand, und überall der Reaction und dem Obscurantismus gegen die Freiheit und Aufklärung die helfende Hand geboten wurde.

2. Preußen.

§. 838. In Preußen wurde bis zum Tode des vielgeprüften Königs Friedrich Wilhelm III. (7. Juni 1840) der alte Zustand mit möglichster Gleichförmigkeit festgehalten, nur daß mit dem Alter auch das von Rathgebern wie Kamps u. A. herbeigeführte Mißtrauen des Königs gegen die freisinnigen Bestre bungen der Zeit wuchs, und eine zunehmende Strenge wider die Liberalen sich kund gab. Die Beschlüsse des deutschen Bundestags zur Beschränkung des freien Staatslebens in den constitutionellen Ländern, zur Unterdrückung der in Baden auf turze Zeit eingeführten Preßfreiheit, zur Schärfung der Censur und zur Ueberwachung der periodischen Presse und des Buchhandels wurden meistens von Preußen beantragt oder doch unterstützt. Was der König in andern Staaten unterbrüden ließ, duldete er noch weniger in feinen eigenen. Weit entfernt, durch Einführung einer reichsständischen Verfassung sein Königswort in vollem Maße und zur Zus friedenheit der Völker zu lösen, minderte er noch stets die Befugnisse und das Bereich der Provinzialstände und benahm ihnen dadurch alle Bedeutung; eine übermüthige Beamten hierarchie („Büreaukratie"), wenngleich aus intelligenten Månnern bestehend und die Regierungsmaschine mit Geschick führend, hüllte ihre Handlungen und Vorhaben in das Gewand der Heimlichkeit und verlegte durch den absprechenden, büreaukratischen Ton einer gebieterischen Amtssprache (,,beschränkter Unterthanenverstand"); die Finanzverwaltung war, wenn auch gewissenhaft geführt, von geheimnißvollem Dunkel umgeben, und in der Besteuerung blieb eine nach Provinzen, Ständen und herkömmlichen Rechten obwaltende, den geringen Mann schwer drückende Verschiedenheit herrschend. Im Gerichtswesen behielt man das alte schriftliche und geheime Verfahren bei und bemühte sich nicht, durch Eingehen in den Geist der Zeist, der auf Oeffentlichkeit, Mündlichkeit und Geschworene drang, das Zutrauen des Volks zu erhöhen; vielmehr unterließ man nicht, eine gewisse Abneigung gegen diese in den Rheinprovinzen heimischen volksthümlichen Institutionen zu beurkunden und Umänderungen damit vorzunehmen. Der,,erimirte Gerichtsstand" und die,,Patrimonialgerichtsbarkeit" der Bevorrechte ten stand der allgemein geforderten Rechtsgleichheit aller Staatsbürger hemmend im Wege. Zwar besaß Preußen als Errungenschaft aus der unglücklichen und doch für dasselbe so großen Zeit der fremden Vorherrschaft demokratische Einrichtungen, die es über viele andere Staaten emporhoben; einen von Grundlasten großzentheils entfesselten Boden, einen des Zunftzwangs ledigen Gewerbstand, eine volksthümliche Wehrverfassung, eine freisinnige Gemeindeordnung; allein an ftrenger Ueberwachung der Kirche, Schule und Presse gab es dem österreichischen Regierungssystem wenig nach. Die Universitäten standen unter strenger Aufsicht der Regierung; die Lehr freiheit wurde durch das Verbot gegen den Besuch mancher Hochschulen und durch die Einstellung mißliebiger Vorträge vielfach beeinträchtigt; das Unterrichtswesen unterlag der strengsten Beaufsichtigung. Die periodische Presse wurde nicht nur durch die Censur und Nachcensur aufs Aeußerste beschränkt, sondern es durften auch innere Angelegenheiten keiner kritischen Beleuchtung unterworfen werden, und gefährlich scheinende Bücher kamen nicht in den Buchhandel. Besonders unterlagen Kirche und Glaubenslehre einer genauen Ueberwachung, was in der vorherrschend religiösen

1844.

Richtung des Königs seinen Grund hatte. Er duldete in der protestantischen Kirche teine Abweichung von der Unionsurkunde und bestrafte die Widerstrebenden mit dem Verluste der politischen Rechtsgleichheit; und auch gegen die katholische Kirche beurfundete er seinen ernsten Herrscherwillen durch die befohlene Haftnahme des Erzbischofs von Köln (§. 815). Sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm IV., der Sohn einer hochgebildeten Zeit und einer geistreichen Umgebung, in deffen empfäng= licher Seele die Strahlen aller in Berlin, der,,Metropole der Intelligenz", sorgfäl= tig gepflegten Wissenschaften wie in einem Brennpunkte sich vereinigten, verließ theilund stoßweise des Vaters Bahn, aber von wandelbarem Sinn lenkte er bald wieder in dieselbe ein. Im Vertrauen auf die Ueberlegenheit seines Verstandes lockerte er anfangs, gegen die Vorstellungen Metternichs und des Wiener Cabinets, die Fesseln, womit sein Vorgänger die Freiheit der Presse, der Rede und der Gedanken gebän= bigt, in der Meinung, er werde schon der losgelassenen Geister wieder Herr werden; als er aber merkte, wie mächtig die Schwingen einer auch nur halb gelösten Presse die freiheitburstige Zeit aufregten, da gab er zu, daß die Regierung die Zügel allmählich wieder straffer anzog, namentlich seit der verbrecherischen That des abge= festen Bürgermeisters Tschech, der aus Privathaß ein gefährliches Attentat auf das Leben des Königs machte. Ein Fürst von lebhaftem Geiste, gewandter Rede und 26. Just raschem Wesen fand Friedrich Wilhelm IV. an dem ruhigen, gewohnten Gange der Staats- und Kirchenverwaltung kein Wohlgefallen; er wollte wirken und schaffen, aber nach eigener Einsicht; er wollte reformiren, aber nur so weit als sein Herrscherfinn für gut fand; daher das Schwanken zwischen Stillstand und Bewegung, das viel verspottete Schaukelsystem des gehemmten Fortschritts". Viele große Gedanken und Pläne keimten in feiner Seele, aber die Ausführung scheiterte bald an seinem Königsstolze, der dem Zeitgeiste keine Zugeständnisse machhen wollte, bald an seinen mittelalterlichen und aristokratischen Vorurtheilen, die am historischen Rechte fefthielten und den reformirenden Liberalismus als ein Erzeugniß der Revolution haßten, bald an seiner Strenggläubigkeit, die das religiöse Leben und den kirchlichen Fortschritt nur in so weit gestatten wollte, als die symbolischen Bücher die Grundlage und Schranke bildeten. Das große Ziel aller volksthümlichen Staatskunst, Deutschlands Einheit, fand in dem patriotischen Sinn des Königs und vieler seiner Räthe Anklang und Halt; allein wie sehr auch die Regierung durch Beförderung und Erweiterung des Zollvereins diesem Streben entgegenkam, die sichtliche Antipathie gegen den füddeutschen Liberalismus, der sich in der kleinlichen Ausweisung zweier badischen Abgeordneten aus den preußischen Staaten kund gab, zerstörte wieder das Bertrauen des Volks in die Lauterkeit ihrer Absichten. Diese Antipathie gegen die Liberalen und ihre Bestrebungen war es auch vorzugsweise, was den Monarchen abhielt, dem Reich eine „Constitution“ zu geben, wie sie die öffentliche Meinung forderte, und nach jahrelangen,,Verfassungsmythen" bewog, durch das königliche Patent vom 3. Februar 1847 das mittelalterliche Ständewesen wieder zu erwecken. Bei allen Verordnungen und Einrichtungen merkte man in Friedrich Wilhelm IV. einen Kampf und ein stetes Schwanken zwischen hohen, freien Ideen und tiefwurzeln= den Vorurtheilen; zwischen großartiger, edler Politik und Mißkennung und Mißachtung der öffentlichen Meinung; zwischen Herrschergröße und Fürstenstolz; zwischen eifrigem Trachten nach Volksliebe und Volksgunst und einem selbstgefälligen Bewußtfein seiner Königswürde,,von Gottes Gnaden" und seiner geheiligten Majestät.

3. Rußland.

§. 839. Russische Zustände. Nach Bewältigung einer blutigen Militär- 24. Dec. Revolution, deren Urheber theils auf dem Schaffot starben, theils in Sibiriens Eis-1825. feldern schmachten mußten, gelangte Kaiser Nicolaus zum ruhigen Besitz des mäch= 1825-55.

Nicolaus

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tigsten Thrones (§. 798). Mit derselben Entschlossenheit, Kraft und Energie, womit er der weitverzweigten Verschwörung Meister geworden, führte er seitdem die Zügel der Herrschaft nach Innen und Außen, gleich einem Imperator von altrömischer Kraft. Die liberalen Grundsäße Alexanders, welcher der Presse eine freie Bewegung gestattet, die Fesseln der Leibeigenschaft, so viel er vermochte, zu lösen gesucht und feierlich erklärt hatte:,,die freisinnigen Prinzipien allein können das Glüc der Völker begründen", fanden keine Gnade vor den Augen des neuen Machthabers, der den Absolutismus in seiner unmittelbarsten Gestalt zu seinem ausschließlichen Regierungsprincip erhob. Der Cäsareopapismus, seit Peter dem Großen der Grundgedanke des russischen Kaiserthums, wurde von Nicolaus nach Innen und Außen mit aller Consequenz durchgeführt. Sein Bestreben ging dahin, zunächst „innerhalb des Reiches eine Propaganda der Orthodoxie zu organisiren, alle abweichenden Elemente mehr und mehr in der Staatskirche aufgehen zu lassen“; und sodann:,,alle außer= halb Rußlands befindlichen Elemente der griechisch orthodoxen Kirche an das Oberhaupt derselben in Rußland, also an den Czaren, zu fetten." Freilich sind noch immer die Völker und Zustände des russischen Weltreichs in kimmerische Nacht gehüllt und die Oeffentlichkeit, die im übrigen Europa die Ruhe des Beamtenstaats und das patriarchalische Regiment der Fürsten so häufig stört, ist noch nicht in Rußlands Verwaltung, Rechtspflege, Militärwesen und Staatsleben gedrungen; allein die wenigen Notizen, die neugierige Reisende oder unzufriedene Edelleute und Beamte über russische Zustände der Welt mitgetheilt haben, ließen doch einen Blick thun in das Land, wo ein einziger Many über Leben, Gut und Freiheit von Millionen unumschränkt und mit eiserner Hand gebot. Der Kaiser ist das Oberhaupt des Staats und der Kirche, die Quelle aller Macht und Gesetzgebung; die Civil-, Justiz- und Militär-Beamten sind kaiserliche Diener, die nur die höhern Befehle vollziehen, sich aber für die Knechtschaft, in der sie dienen, durch grenzenlosen Betrug, Unterschleif und Bestechlichkeit schadlos zu halten suchen. Der Adel ist im Besitze unermeßlicher Güter und Reichthümer, ist aber dem Kaiser gegenüber eben so rechtlos, wie der leibeigene Bauer gegenüber dem Edelmann; ja es ist eine klugberechnete Politik, den Adel durch die Furcht vor den Leibeigenen in Gehorsam und Unterwürfigkeit zu halten; deshalb dürfen alle Erleichterungen, die das Loos der Leibeigenschaft nach und nach mildern, nur vom Thron ausgehen, damit sie als Ausfluß der kaiserlichen Gnade erscheinen und damit es nicht in der Macht eines Edelmanns stehe, sich durch Humanität oder Freigebigkeit die Liebe und Anhänglichkeit seiner leibeigenen Unterthanen zu erwerben. Denn auf der Furcht und dem Knechtgefühl beruht die absolute Herrschaft. Die Todesstrafe ist dem Namen nach abgeschafft, aber entehrende, unmenschliche, das Leben vernichtende Strafen sichern den kaiserlichen Befehlen (Utasen) und Gesetzen Gehersam; die Knute des Zuchtmeisters und lebenslänglicher Soldatendienst halten jede Art von Widerspenstigkeit nieder. Dieser Soldatendienst, wozu der Leibeigene auf zwanzig und mehr Jahre ausgehoben wird, ist ein die Zuchthausstrafe civilisirter Länder an Härte übertreffendes Loos. Der Tag der Aushebung ist ein Tag der Thränen und des Kummers; denn der Soldat wird nicht blos auf immer den Angehörigen entrissen und in ferne Gegenden geführt, auch die tägliche Nahrung und Löhnung wird ihm durch die Raubsucht der Vorgesetzten geschmälert und entzo gen. In die Lehmhütte des Leibeigenen dringt kaum ein Strahl von Civilisation und Aufklärung; in einem Zustand von Sklaverei, blindem Aberglauben und roher Sinnenlust bringt er unter Schmutz und stumpfer Gewöhnung sein düsteres, freuden= leeres Dasein hin. Die höhern Klaffen des Volks haben sich den äußern Anstrich der Cultur angeeignet; die wahre Bildung ist aber dem größten Theile fremd geblieben; ohne das erhebende Gefühl der Ehre und Menschenwürde betrachtet der vornehme Russe Befriedigung seiner Lüsternheit und Genußsucht als Ziel und Zweck des Lebens

und sucht aus allen Stellen und Lagen Vortheil zu ziehen; ohne ideales Streben, ohne höhere Motive berücksichtigt er bei seinen Handlungen nur den eigenen Gewinn und die sinnliche Lust; kriechend vor dem Vornehmen, despotisch gegen den Unterge= ordneten. Die russische Politik hat zum Zweck: Einförmigkeit im Innern, Erweiterung der Macht und Herrschaft nach Außen. Um das erstere zu erreichen, suchte fie alle Stamm-, Sprach- und Religionsverschiedenheit allmählich zu vernichten und russisches Wesen und griechische Religion allenthalben zu begründen. In Polen wurden seit dem organischen Statut alle Mittel angewendet, um die Nationalsitten, die Religion der Vorfahren, die polnische Sprache, Literatur und Geschichte in Bergeffenheit zu bringen, damit sich die alte Republik Polen als eine Nummer in die Zahl der russischen Provinzen einreihe; den unirten Polen raubte man ihren katholischen Glauben und ihre kirchlichen Institute; den Juden verbot man die Nationaltracht und die Bärte; den evangelischen Bauer der Ostseeprovinzen suchte man durch trügerische Versprechungen, durch Geld und persönliche Vortheile zur griechischkatholischen Kirche zu locken und bei Mischehen duldete man nur griechisch-katholische Kindererziehung. Auf den Universitäten Dorpat und Wilna, auf den polnischen und deutschen Schulanstalten wird die russische Sprache und mit ihr der militärischrussische Organismus immer fester begründet und die einheimische Literatur, Lehrweise und Wissenschaft verdrängt. Alle Einrichtungen werden nach Einer Form getroffen, das ganze geistige und religiöse Leben soll sich in gleicher Richtung bewegen; eine militärische Uniformität mit soldatischer Unterordnung und Zucht soll allenthalben herrschend sein.

§. 840. Aeußeres. Was die äußere Politik angeht, so suchte sie die schwächern Staaten durch List oder Drohung unter ihren Einfluß zu bringen, die mächtigern durch kluge diplomatische Künste, worin die Russen allen andern Nationen überlegen sind, zu bestriden. Die Türkei wurde durch schlaue Verträge (Tractat von Untiar teleffi, 8. Juli 1833) ganz in das russische Interesse gezogen. Die Moldau und Walachei sind zinspflichtige Wahlfürstenthümer unter russischem Schuß geworden und die Wahl des Hospodars und somit der Charakter der Verwaltung wird durch russischen Einfluß geleitet und bestimmt; Preußen ließ sich wiederholt zu einem der öffentlichen Meinung sehr widerstrebenden Cartel-Vertrag be= wegen, während ein undurchdringlicher, von Kosacken bewachter Grenzcordon den Bewohnern der preußischen Ostländer jeden Verkehr abschnitt; die deutschen Fürsten wurden durch Ehebündnisse an den Petersburger Hof gefettet; mit Persien ward zuerst ein glücklicher Krieg geführt, wedurch zwei Provinzen jenseit des Kaukasus mit der Stadt Eriwan an das russische Reich kamen, und nach hergestelltem Frie- 1828. den bediente sich die russische Diplomatie ihres Einflusses auf den schwachen Schah von Persien, um die englischen Colonien im Osten dieses Reichs zu beunruhigen. Dafür versah dieses praktisch-kluge Inselvolk die streitbaren Bergbewohner des Kausus, die ihre Freiheit und nationale Selbständigkeit mit wunderbarer Tapferkeit id Ausdauer gegen den,,nordischen Koloß" vertheidigten, mit Waffen und Kriegsedarf. Noch bis zur Stunde ist es nicht geglückt, das ritterliche Räubervolk der in verschiedene Stämme gespaltenen, unter patriarchalisch-feudalen Einrichtungen lebenden und größtentheils der Lehre Mohammeds folgenden Tscherkessen zur Unterwerfung und Huldigung zu bringen. Streitbare Fürsten, unter denen Schamyl (wie Abd-el-Kadér Priester und Stammhäuptling) sich den größten Namen erwarb, und ritterliche Familienhäupter mit zahlreichem Kriegsgefolge trotzten bisher der ganzen russischen Militärmacht und ihren mit unermeßlichen Kosten errichteten Grenzfesten und Standplätzen. Die kriegerischen Heldenthaten und räuberijchen Ueberfälle dieses kühnen, kräftigen und gewandten Vergvolks gaben Stoff zu romantijchen

Schilderungen und unterbrachen das eintönige Friedensleben der europäischen Culturstaaten. Die prahlerischen Siegesberichte der Russen, die bisher Geld und Streitkräfte im erfolglosen Kampfe eingebüßt, fanden so wenig Glauben, wie einst Napoleons Bülletins. Sie lieferten vielmehr den Beweis, daß Rußlands Macht drohender erscheint als sie wirklich ist.

G. Die jüngsten Revolutionsstürme.

Blus IX.

geb.1792.

1. Die Vorboten.

1. Italien.

"

§. 841. Italien. 3m Juni 1846 starb Papst Gregor XVI., ein Mann von einfacher, strenger Sitte, aber ein Feind der neuen politischen und religiösen Bildung und ohne Sorgfalt für die Wohlfahrt seines Staats und das Glüd der Bl792 Völker. Ihm folgte in rüstigem Mannesalter Mastai Ferretti als Pius IX., ein Mann des Fortschritts, der,,durch den Enthusiasmus des römischen Volks einerseits, durch den Gegensatz, der sich wider ihn erhob, anderseits, zum Gefühle einer göttli chen Bestimmung als Reformator und Retter des Kirchenstaats erhoben ward." Seine Milde und Leutseligkeit gewannen ihm die Herzen des Volks; seine raschen Reformen erweckten kühne Hoffnungen. Er begann die Ersparnisse am eignen Haushalte, gestattete der Presse eine freiere Bewegung, verstärkte die vorgefundenen Commissionen für Gesezbücher und Gerichtsverfahren mit Männern des öffentlichen Vertrauens, genehmigte den Bau von Eisenbahnen, öffnete den Laien die Bahn zu höhern Staatsämtern, beschloß eine Besteuerung der Klöster des Kirchenstaats, berief aus den Provinzen erwählte Notablen zu seinem Staatsrathe, gab der Stadt Rom eine freisinnige Municipalverfassung und traf Einleitung zu einem italienischen Staatenbunde." Zur Bewältigung einer offen und geheim gegen diesen,, verzehrenden Keim und Chef des jungen Italiens" auftretenden und von den bedrohten Fürsten der italienischen Halbinsel genährten Opposition schuf er eine neue Bürgerwehr. So stellte sich Pius IX. an die Spiße der Nationalbewegung und machte das Papstthum wieder zum,,politischen Mittelpunkt Italiens." Eine mächtige Aufregung gab sich alsbald in dem ganzen von der Natur so gesegneten, von Militärdespotismus und Pfaffenthum so gedrückten und mißhandelten Lande kund. Pio nono! war der laute Ruf des Tages, die Losung der Liberalen, die Hoffnung der Patrioten; ein Evviva auf den Papst galt in Neapel, in Modena, in der Lombardei für revolutionär. Im Königreiche Neapel und Sicilien, wo fremde Miethtruppen, ein verweichlichter Hof und eine reiche Beamtenaristokratie vom Marke des Landes zeh ren, wo ein zahlreicher Clerus und eine träge, ignorante Klostergeistlichkeit im Besiß unermeßlicher Güter und Reichthümer ist und das Volk in Unwissenheit und Aberglauben erhält, wo die Polizei und ein zur Parade dienendes Heer die Provinzen nicht gegen Raubgesindel und Banditen zu schüßen vermag, da wurde der Ruf nach Reformen und einem freien Staatswesen immer lauter und drohender, besonders seitdem die gedrückte, verarmte Insel Sicilien, wo eine aus den verschiedensten

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