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krankhafte, die Sitten gefährdende Richtung. In Königsberg wurden in einem von vornehmen Personen besuchten pietistischen (Mucker-) Kreise schamlose Mysterien begangen. In Sachsen sammelte der Pastor Stephan, ein durch populäre Beredsamkeit auf einfache, ungebildete Menschen wirkender Geistlicher von niedriger Denkart und geheimer Lasterhaftigkeit, eine ihm bis zum äußersten Fanatismus ergebene Gemeinde von Altlutheranern um sich. Mit Untersuchung bedroht, „befahl er die Auswanderung als göttliches Gebot“, und zog mit etwa 600 Gemeindegliedern nach Nordamerika. Als geistlicher und weltlicher Herrscher anerkannt, überließ er sich hier seinen sündhaften Lüften und endete, von seiner zu spät enttäuschten Gemeinde abgesetzt und verjagt, in der katholischen Kirche. — Aehnliche Richtungen gaben sich in dem gläubigen Würtemberg kund, wo einzelne Separatistengemeinden sich mit Bewilligung und unter Aufsicht der Staatsbehörden eine eigenthümliche bürgerliche und kirchliche Verfassung gaben, andere nach dem sectenreichen Amerika auswanderten und als Harmoniten unweit Pittsburg ein Gemeindewesen mit patriarchalischen Einrichtungen und mit Gütergemeinschaft gründeten. Auch in Schweden und den deutschen Kantonen der Schweiz kamen krankhafte Religionsschwärmereien zum Vorschein, dort in den „rufenden Stimmen“ einiger jungen Leute beiderlei Geschlechts, die in leidenschaftlich gesprochenen biblischen Ausdrücken zur Buße aufforderten, hier, besonders im Kanton Zürich, in den Wildenspucher Schwärmereien als Nachwirkung des Aufenthalts der Frau v. Krüdener.

1838.

1846.

Die vers

Schule.

Während der deutsche Geist, ohne die ihm gebührende Beschäftigung im staat- mittelnde lichen Leben zu finden, sich in diesen religiösen Extremen zu verzehren drohte, mangelte es doch auch nicht an gesunden Fortschritfen auf dem Gebiete der Religion. Die religiöse Innigkeit des bessern Pietismus, seine aufopfernde Thätigkeit auf dem Felde des praktischen Christenthums (Armen- und Krankenpflege, Ret= tungsanstalten verwahrloster Kinder u. dgl., innere und äußere Missionen) wirkten anregend auch auf Viele, denen seine sonstige Einseitigkeit und Engherzigkeit mißfiel, und füllten das kirchliche Leben mit reichern und tiefern Interessen. Diese wurden mit zunehmendem Eifer und Geschick gepflegt durch Träger aus der vermittelnden Schule der Theologie, welche mehr und mehr an Zahl und positivem Boden nicht durch Anfeindung der Wissenschaft, sondern durch rege Befreundung mit derselben gewann. Ihr wissenschaftliches und praktisches Wesen stärkte viele vom Zweifel erschütterte Gemüther und stellte in weiten Kreisen das Vertrauen wieder her zu der ewigen Wahrheit und unbesieglichen Kraft des evangelischen Christenthums unter den unverkennbar drohenden schweren Kämpfen der Gegenwart und nächsten Zukunft (Nitsch, Lücke, Ullmann u. A.).

§. 818. Friedrich Wilhelm IV. Lichtfreunde. Gustav Adolf Friedrich Wilh.IV. Verein. Als Friedrich Wilhelm IV. den preußischen Thron einnahm, erwarteten die Orthodoxen und Pietisten ein neues goldenes Zeitalter; aber wie sehr auch der= selbe die strengkirchliche Richtung begünstigte, so besaß er doch zu viel Einsicht und Bildung, als daß er sich einer kleinen Partei ausschließlich hingegeben hätte. Bielmehr stellte er sich als Vorfämpfer der religiösen Gläubigkeit und christlichen Kirchlichkeit, in welcher Gestalt sie auch auftrat, der flachen, unkirchlichen, auflösenden Richtung, die in schrankenloser Religionsfreiheit ihr Ziel sah, schroff entgegen. Er stiftete in Verbindung mit der Königin von England das Bisthum Jerusalem nach anglikanischer Kirchenlehre und hob den Prinzen von Wales aus der Taufe; er erbaute fich bei der Dombaufeier in Köln am katholischen Prachtcultus, errichtete den Schwanenorden und begünstigte in Deutschland jede religiöse Lebensthätigkeit, die auf dem Boden der Kirchlichkeit und Gläubigkeit ihre Wurzeln hatte. So kam es, daß im preußischen Staate bei Besetzung von Kirchen-, Schul- und Lehrämtern, felbst bei Verwaltungs- und Richterstellen, die religiöse Gesinnung der Bewerber berücksichtigt ward, indem das Cultus-Ministerium und das Kirchenregiment, aus

Licht

strengkirchlichen Männern zusammengesetzt, seinen Sympathien als Richtschnur folgte. Bei diesem Streben mochte der König von der Idee geleitet sein, der protestantischen Kirche, als dem in Deutschland maßgebenden kirchlichen Elemente, diejenige Einigkeit, Haltung und Festigkeit zu verleihen, die ihr zwischen dem streng organisirten Katholicismus Frankreichs und der griechischen Kirche Rußlands eine würdige Stellung gegeben hätte. Aber dieser Gedanke scheiterte theils an dem religiösen Freiheitsgeist des deutschen Mittelstandes, theils an den Männern, die der König als Rathgeber und Vollstrecker seiner Pläne gewählt. Im Gegensatz zu dieser von nun an sogenannten Hof- und Consistorialkirche und ihrem pietistischen freunde. Anhang bildete sich ein Verein protestantischer Lichtfreunde zur Beförde rung eines vernunftgemäßen praktischen Christenthums nach den Forderungen des Zeitgeistes. Die Seele des Vereins war der sächsische Prediger Uhlich), ein freisinniger Mann, der Beharrlichkeit mit Weltklugheit verband, sein Panier „der Rationalismus des gefunden Menschenverstands", seine Stüße der Mittelstand und die mächtige,,Partei des Fortschritts". Beunruhigt durch den Anklang, den diese Richtung im Bürgerstande fand, und bange vor den Felgen des Unglaubens, der durch einige allzurasch vorwärts eilende, excentrische und verworrene Männer dieser Partei, wie Wislicenus, in den Gemüthern des Volks erregt werden könnte, schritt das Kirchenregiment mit Verboten ein, machte allen Geistlichen das unbedingte Festhalten an dem Buchstaben der symbolischen Bücher und Confessionsschriften zur heiligen Pflicht und verfuhr mit Censuren, Suspensionen und Amtsentsegungen gegen die Widerstrebenden. Dies Loos traf Wislicenus in Halle und Rupp in Königsberg, die sich sofort beide von der Staatsfirche lossagten und freie Gemeinden" um sich sammelten. Ihr Beispiel fand Nachahmung an andern Orten. Uhlich, als Prediger und Seelsorger in Magdeburg einflußreich wirkend, wurde, weil er sich Abweichungen von der Agende erlaubte, von der unnachsichtigen Kirchenbehörde verwarnt, suspendirt und, als er trotz eines am Vorabend des Reichstags erlassenen 1847. Toleranzedicts, das den vom Staate anerkannten Secten bürgerliche Rechte zuerkannte, nicht aus der Landeskirche ausscheiden wollte, seines Amtes entfest, was auch dort die Gründung einer freien Gemeinde zur Folge hatte. Eine nach Berlin 1846. entbotene Generalsynode, die zwischen Lehrfreiheit und Symbolzwang einen Mittelweg einschlug, aber, vor dem Schluß vertagt, nicht im Stande war, durch allgemeine Begründung der Synodal- und Presbyterialverfassung die Gemeinden mehr an dem kirchlichen Leben zu bethätigen, hatte keine Wirkung auf die Nation.

März

Adolph

1843.

=

Bei dem regen Interesse des deutschen Volks für Religion und Kirche fand der in Sachsen entstandene, durch einen Aufruf aus Darmstadt verbreitete Gedanke einer Gustav- Gründung des Gustav Adolf-Vereins zur Aufrechthaltung evangelischer Berein. Gemeinden, welche in katholischer Umgebung der Mittel zum kirchlichen Leben entbehren", großen Anklang. Seit der Versammlung zu Frankfurt, wo die Statuten entworfen, ein Centralvorstand (in Leipzig) angeordnet und periodisch wiederkehrende Hauptversammlungen von Abgeordneten des in viele Zweigvereine gegliederten Bundes festgesetzt wurden, wuchs der Verein zu einer volksthümlichen Macht empor, als bedeutungsvoller Gegensatz zu dem aristokratischen Dombau-Verein in Köln. Von der bayerischen Regierung geächtet, von Preußen nur nach einigem Bedenken unterstügt, gewann der Verein desto größere Bedeutung durch die massenhafte Betheiligung des Volks, das an seiner freisinnigen Haltung Gefallen fand und darin ,,ein heiliges neutrales Gebiet für alle Parteien in der evangelischen Kirche" erkannte, ,,die sich hier wieder zum erstenmal als eine einzige Macht darstelle". Diese Ansicht erfuhr eine große Erschütterung, als auf der Berliner Generalversammlung der Abgeordnete des Königsberger Vereins, Rupp, zurückgewiesen wurde und der Grund

faz Geltung fand, daß nur die Landeskirchen in ihrer Gesammtheit, mit Aussaluß der Secten, die in den Frankfurter Statuten bezeichnete evangelische Kirche. bildeten. Ein lauter Schrei des Unwillens ging durch das protestantische Deutschland, ein Sturm von Protestationen erhob sich gegen diesen Beschluß, der den,,freien Bund der Liebe zu einem Glaubensgerichte" umgestalte, ein lebhafter Schriftenwechsel und Zeitungskampf hielt alle Glieder in Aufregung. Die drohende Spaltung wurde jedoch durch den freiwilligen Rücktritt Rupps und durch die versöhnenden Beschlüsse der nächsten Bersammlung in Darmstadt vermieden.

§. 819. Anglikanische Kirche. Calvinismus in Schottland und Waadt. Auch in andern protestantischen Ländern kamen kirchliche Bewegungen zum Borschein, wenn gleich in minderer Stärke, weil ein freies Staatsleben den unruhigen Geistern einen anderweitigen Kampfplatz gewährte.

ters.

Zrving

17921834.

In England ging das bunte,,Gewirr" der Dissentergemeinden nicht in neue England. a) DissenSpaltungen über, mit Ausnahme der von dem phantasievollen mit alttestamentlicher Prophetensprache vertrauten presbyterianischen Prediger Irving gestifteten schwärmerischen Secte,,,welche die apostolischen Kirchenämter mit alttestamentlichen Ansprüchen erneute“ und sich die Gabe der Weissagung beilegte. Vielmehr beurkundete sich unter ihnen das Streben nach freier Einigung zu größern Gemeinschaften, um der starren Staatskirche mit befferm Erfolg entgegentreten zu können. Und wirklich war selbst in dem glaubenssteifen England die öffentliche Meinung mächtig genug, den Dissenters eine freiere Stellung zu erwirken. Der Aufhebung der Testacte (§. 621), die ihnen das Parlament 1836. öffnete, folgte die Entbindung ihrer Taufen und Trauungen von der bischöflichen Geist= lichkeit und der Zutritt zu der freien Londoner Universität, dagegen blieben sie der Staatskirche steuerpflichtig und die alten Landesuniversitäten mit ihren ausgelebten orthodoxen Formen" wurden durch das Oberhaus vor ihrem Eindringen geschützt.

feyismus.

Bald gab sich in der englischen Staatskirche selbst eine Spaltung kund zwischen b) Puz der hochkirchlichen und der evangelischen Partei; jene, mehr das katho= lische Element der bischöflichen Kirche hervorhebend, sieht ihr Heil nur in der ununterbrochenen Continuität der anglo-katholischen Kirche mit der apostolischen und betrachtet die Reformation nur als einen Act der Selbstreinigung durch die legitimen Kirchenbehörden; diese, mehr das protestantische Element darstellend, legt grö= ßeres Gewicht auf die Uebereinstimmung des Kirchenglaubens mit der heiligen Schrift als mit den Satzungen der Kirche und hält die Fortbildung des Lehrbegriffs durch zeitgemäße Reformen für ein wesentliches Erforderniß. Das katholische Ele= ment steigerte sich in den Orforder Gelehrten Newman und Pusey zu solcher Höhe, daß sie ihre nach den Glaubenslehren der katholischen Kirche geformten religiösen Ansichten nur durch gezwungene sophistische Deutungen mit den 39 Artikeln in Uebereinstimmung bringen konnten, was die ehrlichen unter den Puseyiten beweg, lieber zur fatholischen Kirche überzutreten, als eine zweideutige Stellung voll Heuchelei einzunehmen. Diese Uebertritte, verbunden mit der immer offenfundiger werdenden Aehnlichkeit des Puseyismus mit dem römisch - katholischen Kirchenwesen und dem hoffnungsvollen Triumphgeschrei der Papisten schäften das protestantische Bewußtsein in England und bewirkten, daß auch von den hechkirchlichen. Bischöfen der Puseyismus als der wahre Ausdruck der anglo-katholischen Kirche nicht anerkannt ward. Durch Gründung neuer Bisthümer (z. B. Manchester) aus den Ersparnissen, ohne Mehrung der Site im Oberhause, suchten sich die Whigs die Gunst der hochkirchlichen Partei zu erwerben. Als die römische Curie in Ueber= schätzung der katholischen Sympathien Englands den irischen Prälaten Wiseman

1850.

Schott

1834.

Waadts

zum Cardinal und Bischof von Westminster ernannte, erwachte wieder der altenglische Religionseifer und der No-Popery-Ruf mit solcher Stärke, daß Regierung und Parlament, trotz des Widerspruchs der Katholiken und der Anhänger unbeding ter Religionsfreiheit, durch ein Geseß (,,Titelacte“) diesen und ähnlichen Uebergriffen des kirchlichen Oberhaupts begegnen zu müssen glaubten. — In dem glaubenseifriand gen Schottland erzeugte das wiedererwachte puritanische Unabhängigkeitsgefühl einen mächtigen Kampf gegen das durch weltliche Gewalt eingeführte Patronats= recht, vermöge dessen es in der Macht der Patrone stand, den Gemeinden mißfälLige Geistliche aufzubringen. Als das von der kirchlichen Generalversammlung angesprochene Verwerfungsrecht (Veto) der Gemeinde vor den Gerichtshöfen keine Geltung fand, und auch das Parlament die Patrone in ihrem Rechte schüßte, trennten sich die Verfechter der Kirchenfreiheit (Nonintrusionists) von der herrschenden Kirche und gründeten von den freiwilligen Gaben des schottischen Volks die presbyterianische Freikirche." Der troßige Sinn des demokratischen Knox lebte in seiner Kirche fort. Die kraftvolle, charakterfeste Geistlichkeit, den gemüthreichen Chalmers an der Spitze, entsagte ihren Einfünften und ihren Gotteshäusern, um nicht mit ihrem Gewissen in Zwiespalt zu kommen, und protestirte feierlich gegen die Schmach, ,,der Krone Christi angethan durch die weltliche Macht." In Kurzem waren von dem glaubensstarken Volke Millionen aufgebracht für die Bedürfnisse der freien land. schottischen Nationalkirche. Im Waadtland und in andern Kantonen der französischen Schweiz hatte der religiösen Lauheit der Landeskirche gegenüber in hö hern und niedern Ständen ein strenger Methodismus Boden gewonnen. Die Anhänger dieser,,methodischen Frömmigkeit", vom Volke spottend Mommiers genannt und wegen ihres geistlichen Hochmuths verhaßt, pflegten ihrer Andacht in erbaulichen Abendversammlungen, die meistens von Geistlichen ihrer Gesinnung geleitet wurden. Nach dem Sieg der Radicalen in Lausanne wurden diese von der gestürzten (aristokratischen) Partei besuchten Versammlungen vom Pöbel bedroht und gestört und die Landesgeistlichen verwarnt, daran Theil zu nehmen, und wo sie es dennoch thaten, suspendirt. Empört über diesen Gewissenszwang weigerten sich viele Geistliche, die von der Regierung ihnen zugefertigte Proclamation zum Lobe der demokratischen Verfassung von den Kanzeln herab zu verlesen, weil dies nur in Sa chen der Religion zu geschehen habe. Deshalb vor Gericht gefordert und mit einjäh riger Amtsenthebung bestraft, entsagte die Mehrzahl derselben ihrem Amt und ihrem Gehalt. Aber verlassen von der protestantischen Kirche des Auslandes und ihren fürstlichen Schirmherren und ohne Halt in der Volksgesinnung" waren sie auf fremde Unterstützung angewiesen und vermochten ihren unabhängigen Sinn nur in den Conventikeln der Vornehmen fortzupflanzen, indeß die Regierung die Bedürfnisse anderweitig zu befriedigen bedacht war.

1845.

Nord: amerika.

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Das mannichfaltigste Kirchen- und Sectenwesen findet sich in den Vereinig ten Staaten Nordamerika's, wo die unbeschränkteste Religionsfreiheit herrscht. Der Staat kümmert sich verfassungsmäßig um keine Kirche, erweist seinen christlichen Charakter blos durch ein Sabbathgesetz und gewährt Jedem, der an Einen Gott glaubt, volles Staatsbürgerrecht. -,, Jede Gemeinde ist für sich, doch streben Ge meinden desselben Bekenntnisses nach möglichst großen Synodalverbindungen." Bei aller Freiheit besteht in Amerika ein eifriges Kirchenthum mit,,puritanischer Strenge und methodistischer Aufregung," da das kirchliche Interesse fast die einzige geistige Lebensäußerung des amerikanischen Mischvolks ist.

II. Staatengeschichte.

A. Die constitutionellen Staaten.

1. Frankreich.

§. 820. Charakter der Juliregierung. Die französische Revolution hatte die mittelalterliche Scheidung der Stände vollends gelöst, dem Adel und der Geistlichkeit ihre Vorrechte entrissen und dem Mittelstande die Herrschaft verliehen. Die Bourbons erkannten dieses Resultat nur mit Widerstreben an und suchten die Zustände, wie sie vor der Revolution bestanden, wieder zurückzuführen. Thron und Altar schloffen einen innigen Bund; der Adel brüstete sich mit dem eiteln Ruhm. seiner Vorfahren und pries die Großthaten und den Heldensinn der Kreuzfahrer, von denen er seinen Ursprung herleitete; der Mittelstand sollte wieder zurückkehren zu der alten Dienstbarkeit. Da erfolgte die Julirevolution und trieb die letten Sprößlinge einer Familie, die mit allen Wurzeln an die französische Nation geknüpft war, abermals in die Fremde. Louis Philipp, Herzog von Orleans, erlangte als König der Franzosen" die Krone. Die Häupter der liberalen Opposition, verbunden mit den aus der Verbannung heimgekehrten Anhängern der Napoleonischen Herrschaft, umgaben den neuen, auf den unsichern Boden der Volkssouveränetät gestellten Thron. Diese rasche Gestaltung der neuen Ordnung war das Werk des Bürgerstandes, der, auf Erwerb und auf Besiß und Genuß des Erworbenen bedacht, nur in einer von freien Institutionen und liberaler Gesetzgebung getragenen conftitutionellen Monarchie sein Heil und Ziel finden kann und der daher eben sowohl die Beweglichkeit einer von Parteiung und politischen Leidenschaften durchwühlten Republik als den Stillstand einer auf Ständevorrechten und Mili= tärgewalt aufgebauten, von aristokratischen und hierarchischen Einrichtungen umge= benen absoluten Monarchie scheut. Verstimmt über diesen Ausgang traten sowohl die Anhänger der Bourbons (Legitimisten, Karlisten) als die eifrigen Republikaner der neuen Ordnung feindlich entgegen, jene, indem sie sich vom Hof und von den Staatsämtern fern hielten und in legitimistischen Journalen alle Handlungen und Bestrebungen, alle Schritte und Pläne der Regierung verdächtigten und tadelten; diese, indem sie bald durch geheime Verbindungen, bald durch wiederholte Aufstandsversuche in Paris, Lyon u. a. D., später auch durch Mordanfälle auf Louis Philipp, das,, Bürgerfönigthum" zu stürzen suchten. So lange der König, ein fluger, gewandter und durch ein sturmbewegtes, wechselvolles Leben an Verstellung und diplomatische Ränke gewohnter Fürst, den Grundsäßen der Julirevolution treu blieb und sich auf den Mittelstand stüßte, war seine Regierung sicher und fest. Selbst daß er bei der in ganz Europa herrschenden Aufregung und Parteiung nicht durch bewaffnete Intervention in Polen, Italien u. a. D. die Losung zu einem europäischen Kriege gab, sah ihm die Mehrheit der sonst so sehr nach Kriegsruhm stre= benden Nation mit Freuden nach, da der Bürgerstand das Ziel seiner Lebensthätig= feit mehr bei friedlicher Entwickelung als in stürmischen Kriegszeiten erreichen konnte. Allein nur zu bald entfremdete sich Louis Philipp das Herz des Volks, indem er sich in seiner Politik immer mehr den Grundsägen der Bourbons und der alten Höfe näherte und Eigenschaften zu Tage kehrte, die ihm die Liebe und Achtung der Nation rauben mußten. Statt durch freie Institutionen den Volksgeist für die neue Ordnung zu gewinnen und durch Ausdehnung des Wahlrechts den ganzen Mittelstand und alle Glieder der untern Volksklassen, die durch Fleiß, Regsamkeit und Ordnung in

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