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1. Dec.

1826.

den nie schlummernden Gedanken einer Wiederbelebung des zerrissenen Vaterlandes in seiner alten Unabhängigkeit und Freiheit zu nähren. Die Mitglieder mußten schwören, alle Kräfte aufzuwenden zur Wiedergeburt ihrer unglücklichen aber ge= liebten Mutter und dafür Vermögen und Leben aufzuopfern." Umsonst warnte der Kaiser den Reichstag in feinen Eröffnungs- und Schlußreden vor revolutionären Umtrieben und verbot alle Verbindungen, auch den Freimaurerorden; der wachsende Widerstand gegen das restaurirte Königthum der Bourbonen in Frankreich erfüllte die patriotische Partei in Polen mit großen Hoffnungen, befestigte sie in ihren Gefinnungen und Bestrebungen und stärkte ihre Zahl und ihren Einfluß. Die geheimen Berbindungen der Unzufriedenen vermehrten sich; man füllte die Phantasie der Jugend auf Schulen und Universitäten mit Traumgebilden von der alten Größe und Herrlichkeit des Reichs; Schriftsteller und Dichter, wie Lelewel, Niemcewicz u. A. weckten nationale Gesinnung; die jüngern Offiziere, verletzt durch die eiserne Strenge des Großfürsten Constantin, des Militärgouverneurs von Warschau, und aufgeregt durch überspannte Parteiführer wie Uminski, Krzyzanowski u. A. schlossen geheime Verbrüderungen, die selbst in der russischen Armee ihre Verzweigungen hatten. Die Wahrnehmung dieser feindseligen Stimmung beschleunigte Alexanders Tod. Er starb am gebrochenen Herzen fern an Europa's Ostgrenze. 1825. Die gerichtliche Untersuchung, die nach dem gescheiterten Militäraufstand in Petersburg (§. 798) auch über die Mitglieder der geheimen Verbindungen in Polen verhängt wurte, endete mit der Freisprechung der Angeklagten durch den unter dem Einfluß der Volksstimmung handelnden Senat. Dieser Ausgang machte auf Kaiser Nicolaus einen ungünstigen Eindruck und erfüllte ihn mit Mißtrauen gegen die ganze Nation. Wie in den übrigen Ländern seines unermeßlichen Reiches suchte er daher auch in Polen den Ahsolutismus zur Herrschaft zu bringen, das constitutionelle und parlamentarische Leben allmählich zu unterdrücken und die nationalen Eigenthümlichkeiten und Einrichtungen zu schwächen und zu vernichten. Sein Bruder Constantin, der als Vicekönig das Land regierte, gestattete sich mancherlei Eingriffe in die Verfassung und in die verbrieften Rechte und erbitterte die reizbare und durch Geheimbünde und Verschwörungen unterwühlte Nation durch die Strenge der poli= zeilichen Ueberwachung und Censur. Mißvergnügte Edelleute, wie der reiche Fürst Adam Czartoryski, der, von der alten Königsfamilie der Jagellonen entsprossen, die russenfeindliche Gesinnung als Erbtheil seines Hauses überkommen und als Alexanders Vertrauter und Jugendfreund sich Hoffnungen auf die Statthalterwürde in Bolen gemacht hatte, der in den litthauischen Landschaften einflußreiche und thätige Graf Plater u. A. unterstützten die nationalen Bestrebungen. Aber bei den ge= theilten Interessen und Zielen der einzelnen Parteiführer und bei der Schwierigkeit der Lage inmitten dreier absoluten Reiche würden sich die Polen kaum zu einem allgemeinen Unternehmen entschlossen und geeinigt haben, hätte nicht die Nachricht von der Pariser Julirevolution den zündenden Funken in den aufgehäuften Brennstoff geworfen und in der erregbaren Nation eine enthusiastische Erhebung erweckt, die zum raschen Handeln führte und alle Bedenken und Ueberlegungen niederschlug. Die Nachricht, daß in Petersburg der Befehl gegeben worden sei, eine Anzahl polnischer Studenten und junger Militärs, die als Häupter oder Glieder geheimer Verbindungen bezeichnet worden, zu verhaften, beschleunigte den Ausbruch der Revolu= tion, indem die Schuldbewußten, denen schmachvoller Tod oder ewige Haft bevor= stand, dem drohenden Verderben zuvorzukommen beschlossen. - Es war am 29. November Abends sechs Uhr, daß 20 bewaffnete Jünglinge der Kadettenschule, Theilnehmer einer weitverbreiteten Militärverschwörung, unter der Leitung des Lieutenants Wysocki u. A. in das Belvedere, den Palast des Vicekönigs, drangen, um diesen zu tödten, während andere Verschworene das Volk der Hauptstadt zu den

1830.

Waffen riefen, andere sich des Arsenals bemächtigten. Nur mit Mühe entging Constantin dem ihm zugedachten Schicksale, dagegen fielen mehrere Personen aus seiner Umgebung und einige angesehene Generale als Opfer der Nationalrache in der dunfeln Schreckensnacht; zwei Tage nachher wich der Großfürst dem Sturme und zog mit seinen russischen Soldaten und Beamten aus dem Lande. Damit nicht die ungestüme Revolutionspartei sich der Gewalt bemächtige, nahm nun eine aus den Mitgliedern des Verwaltungsrathes und einigen volksbeliebten Männern, wie Lubedi, Czartoryski, Niemcewicz und dem General Chlo picki zusammengesette provisorische Regierung einstweilen die Leitung der Dinge in die Hand. Da fie aber den langsamen Weg der Unterhandlung einschlugen, statt den neuerwachten Kriegsmuth und die frische Begeisterung der patriotischen Bürger und der feurigen Jugend zum stürmenden Angriff gegen das unvorbereitete und ungerüstete Rußland zu gebrauchen, so nahm von vorn herein die Insurrection eine unglückliche Wendung. Parteiung lähmte die Unternehmungskraft; die Gemäßigten und Besonnenen strebten nach Abstellang der Mißbräuche, aber mit Beibehaltung der bisherigen Verfassung und Union, während die Volkspartei auf Wiederherstellung des alten Polenreichs mit demokratischen Formen und nationaler Unabhängigkeit lossteuerte. Kein Wunder, daß die meisten Glieder der provisorischen Regierung bald in den Verdacht des Verraths kamen und ihnen andere demokratisch gesinnte Männer, namentlich Professor Lelewel, das Haupt des,,patriotischen Clubs", an die Seite gesezt wurden. Chlopidi, ein alter General, der die Kriegszüge Kosziusko's mitgemacht und im französischen Heer mit Auszeichnung gedient, später aber, verstimmt über ungerechte Zurückseßung, den Dienst verlassen hatte, behielt die Leitung des Heerwesens und wurde auf Veranstaltung der aristokratischen und constitutionellen Bartei, die in dem ungestümen Treiben der kriegsluftigen Jugend und der republikanischen Clubs nur Unheil erblickten, zum Dictator ernannt. Wie konnte man hoffen, mit dem gezogenen Schwert in der Hand von dem zürnenden Machthaber in Petersburg Gnade oder Zugeständnisse zu ertrogen ? und doch traten Chlopidi und seine aristokratischen Rathgeber mit dem Kaiser in Unterhandlung, wiesen den Vorschlag der Patrioten, die unter österreichischer, preußischer und russischer Obmacht stehenden Provinzen des ehemaligen Polenreichs zur Empörung aufzurufen, entschieden ab und setzten, statt einen Volks- und Nationalkrieg zu organisiren, ihr Vertrauen auf Frankreichs gleißnerische Zusagen und auf diplomatische Unterhandlungen, durch die sie hofften, die polnische Revolution in den Augen der europäischen Mächte als eine legitime darzustellen und sich den Weg der Gnade bei dem Kaiser offen zu halten. Sie vergaßen die alte Lehre, daß, wer das Schwert zum Aufruhr erhebt, die Scheide wegwerfen müsse. Spaltung und Mißtrauen hemmten alle Unternehmungen, indef Kaiser Nicolaus Anstalten traf, ein Heer von 120,000 Mann mit 400 Kanonen unter Feldmarschall Diebitsch in Polen einrücken zu lassen. Der in Eile zusammen1830. gerufene Reichstag bestätigte die Dictatur Chlo picki's, stellte ihm aber eine aus Senatoren und Landboten bestehende Aufsichtscommission zur Seite. Zugleich wurde ein Manifest verbreitet, werin alle Rechtsverletzungen und Beschwer den aufgezählt waren, welche Polen von Rußland zu erleiden gehabt und zur Rechts fertigung des Aufstandes dienen konnten. Ueberzeugt, daß das polnische Heer in seiner dermaligen Verfassung den Russen nicht widerstehen könne, rieth Chlopidi noch zu Unterhandlungen, als der Kaiser seine feindseligen Absichten schon zu erkennen gegeben, und war nur für einen Vertheidigungskrieg. Deshalb mit dem Aufsichtsrath entzweit und von den Demokraten in Reden und Zeitschriften heftig angegriffen, legte der Dictator seine Würde nieder, ohne sich jedoch dem Vaterlande in der Noth zu entziehen. Sein Nachfolger als Oberbefehlshaber wurde der reiche, vaterländisch gesinnte Fürst Radzivil, dem, weil er des Krieges unkundig war, General Chlo

20. Dec.

1831.

April.

pidi als freiwilliger Rathgeber zur Seite stand; die Verwaltung leitete ein Colle= gium von 5 Räthen, unter denen Fürst Adam Czartoryski das meiste Ansehen besaß und auch die Volkspartei in Lelewel ihren Vertreter hatte. Wenige Tage nachher sprach der Reichstag, auf Anregung von Soltyk und Ostrowsky, die Entthronung des Kaisers Nicolaus und des Hauses Romanow in Polen 25. Jan. aus. Nach vollendeter Befreiung sollte eine conftitutionelle Monarchie auf neuer Grundlage errichtet werden. So schnitt man einerseits jede Versöhnung ab und unterließ doch anderseits die Erweckung eines Volks kriegs, der allein Polen hätte retten können, indem der Reichstag den Antrag verwarf, den Bauern Grundeigenthum zu ertheilen und die Frohnden in einen ablösbaren Bodenzins zu verwandeln. Die Hoffnung, daß Frankreich sich des alten Bundesgenossen annehmen würde, erwies sich als eitel. Ludwig Philipp war mehr auf Befestigung seiner jungen Krone, als auf Erwerbung von Kriegsruhm bedacht. Im Felde bewährte sich indessen die polnische Tapferkeit aufs Glänzendste. Trotz der Ueberlegenheit der russischen Streitkräfte waren die Polen in den meisten Gefechten siegreich oder bestanden doch mit Ehren. Chlopicki und Skrzynecki fochten mit Heldenmuth, und wenn auch Fürst Radzivil während seines Oberbefehls keine militärische Begabung zeigte und seine Unzulänglichkeit für den Posten, zu dem er berufen war, selbst bekannte, so hat er doch bei Freunden und Gegnern den Ruf persönlichen Muthes hinterlassen. Vom 17.-19. Februar folgte Gefecht auf Gefecht. Am Tage, wo Skrzynecki, ein Begünstigter der Czartoryski'schen Familie, bei Dobre den zweimal überlegenen Feind ruhmvoll aufhielt, schlug und zerstreute Dwernici glücklich und unerwartet die von Geismar befehligte Truppenabtheilung bei Sto= czeck, und bei Wavre widerstanden Szembeck und Zymirski mit Ehren den russischen Feldherren Rosen und Pahlen. Umsonst drang Diebitsch bis in die Nähe ter polnischen Hauptstadt vor; die blutige Schlacht bei Grochow, wo das schönste 19. u. 20. Reiterregiment der Russen großentheils vernichtet wurde, und Geschick und Tapferfeit auf beiden Seiten um die Palme rang, vereitelte den beabsichtigten Sturm auf Warschau und führte einige Zeit nachher seinen Rückzug herbei. Nunmehr trat, da Radzivil freiwillig dem Oberbefehl entsagte und Chlepicki verwundet war, Skrzy neci, der Held von Dobre und Grochow, an die Spitze des Heers. Aber so tapfer er auch im Felde war, so schadete er doch der polnischen Sache durch Unschlüssigkeit, Zögern und Unterhandeln, immer im Vertrauen auf die Vermittelung der Mächte und die beruhigenden Zusagen der Diplomaten, während Rußland mit Energie hanbelte. Statt die Bewohner Litthauens, die einer Erhebung geneigt waren, in den Kampf herein zu ziehen und dadurch den Russen im Rücken einen mächtigen Feind zu schaffen, ließ man dort die Bewegungspartei ohne Unterstützung, wodurch sich die revolutionäre Aufregung in einigen nuglosen Aufständen verflüchtigte; dagegen wollte ter tapfere Dwernidi Volhynien zum Anschluß bringen, fand aber feine Unterstügung und wurde durch die Uebermacht der Feinde so sehr ins Gedränge gebracht, daß er sich nur durch einen kühnen Marsch, der den größten Waffenthaten der neuern Kriegsgeschichte beizuzählen ist, auf österreichisches Gebiet retten konnte, wo er und feine 6000 tapfern Streiter als Kriegsgefangene zurückgehalten wurden. Endlich April. erwachte Skrzynecki aus seiner Unthätigkeit; er zog im Mai über den Bug, wurde aber von Diebitsch durch einen kühnen Eilmarsch erreicht und trotz des tapfersten Kampfes in der Schlacht von Ostrolenka besiegt. Sie war der Wendepunkt 26. Mai. ter polnischen Revolution. Zwietracht, Parteiung, Verrath und die Sirenenstimme der französischen Zwischenträger führten Polen seinem schnellen Untergang entgegen. Diebitsch starb an der Cholera. Sein Nachfolger wurde der unternehmende Paste 9. Juni. witsch (der von der Eroberung der persischen Stadt Eriwan mit dem umliegenden Gebiet (1828) den Beinamen Eriwanski führte). Dieser sette (unterstüßt von

Februar.

1831.

Sept.

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Preußen, das von dem Erfolg der polnischen Revolution den Abfall feiner östlichen Provinzen fürchtete) über die preußische Weichsel und näherte sich den Mauern ron Warschau, wo die größte Rathlosigkeit herrschte. Da erhob sich die Demokratie zu einer furchtbaren Blutthat. Im Glauben, daß das Mißlingen der Revolution von Verrath herrühre, drang ein Volkshaufen von Soldaten geführt in das Schloß, 16.8 mordete daselbst mehrere unter Aufsicht gestellte Generale und nahm dann, durch das Verbrechen fortgerissen, auch an andern als Aristokraten, Kundschafter und Russenfreunde verdächtigen und gehaßten Personen blutige Rache. Entseyt floh Czarteryski verkleidet in das Lager, wo Dembinski in Skrzynecki's Geist den Oberbefehl führte, und bewirkte durch seine Entfernung aus der Stadt des Schreckens, daß die Regierungsgewalt in die Hände eines Mannes gerieth, der entweder ein höchst beschränkter Kopf oder ein Verräther war; Krukowieci, ein General aus der Napoleonischen Zeit von demokratischen Grundsätzen und Skrzynecki's Feind, wurde von dem Reichstage zum Regierungs-Präsidenten mit dictatorischer Gewalt ernannt. Dieser gab, als Paskewitsch sich mit seinem großen Heere der Hauptstadt näherte, durch die widersprechendsten Maßregeln und verkehrtesten Einrichtungen seine Muthlosigkeit und Verzweiflung an jedem Erfolge zu erkennen. Tapfer widerstand die polnische Armee den stürmenden Feinden bei Wola, der alten Wahlstätte der Könige, und die Heldenthaten des vierten Regiments im dor tigen Kirchhofe wurden seither in Liedern gefeiert; über 11,000 Russen waren bei 67 dem zweitägigen Sturme bereits gefallen; da übergab Krukowiecki Warf cha u und Praga dem russischen Feldmarschall und überlieferte sich, von dem abziehenden Heer als Verräther ausgestoßen, dem siegreichen Feinde als Kriegsgefangenen. Regierung und Reichstag begaben sich mit der Armee nach Modlin. Unter fich ent zweit und von den Russen bedroht blieb ihnen kein Ausweg, als sich auf preußif dyes Gebiet zu flüchten. Hier wurden die tapfern Streiter, 24,000 Mann starf, entwaffnet und so lange verpflegt, bis, nach gänzlicher Bezwingung Polens, Kaiser 1. Nov. Nicolaus durch eine Amnestie den Meisten die Rückkehr gestattete. Dasselbe Schidsal hatte Ramorino, der sich schon vorher mit seinem Heer nach Galizien geflüchtet. Der Gnade des zürnenden Kaisers mißtrauend, kehrten die polnischen Patrioten zu Tausenden ihrem Vaterlande den Rücken und wanderten nach Frankreich, England, der Schweiz und andern Ländern aus, vorziehend, das Brod der Trübsal auf freiem, wenn auch fremdem Boden zu essen, als der allmählichen Bernichtung der polnischen Nationalität geduldig zuzusehen. Die Theilnahme der deat schen Völker, welche die Unglücklichen auf ihrem schweren Gange aufnahmen unt bewirtheten, war eine Linderung ihres Kummers. In Polen, Lithauen, Volhynien ergingen schwere Strafgerichte über die Schuldigen; Sibiriens Bergwerke und Schneeflächen bevölkerten sich mit Verurtheilten; einige wurden am Leben, eine große Anzahl an Freiheit, Ehre und Gut geschädigt. Die Ausgewanderten büßten Vermögen, Februar Nang und Bürgerrecht ein. Durch das,,organische Statut" verlor Bolen seine Verfassung, seinen Reichstag und seinen Reichsrath und wurde als ruffische Provinz mit abgesonderter Verwaltung und Rechtspflege dem großen Moskowitenreiche beigefügt und der strengsten Polizeiaufsicht unterworfen. Die Universitäten in Warschau und Wilna wurden aufgehoben, die Schäße der Kunst nach Rußland geführt, das pelnische Wappen zerbrochen, die Nationalarmee aufgelöst. Seitdem herrschte Paskewitsch der Sieger als kaiserlicher Statthalter mit eisernem Scepter in dem gedemüthigten Warschau, bis er zu Anfang des Jahres 1856 als lebensmüder Greis ins Grab sank. Abermals hatten die Polen bewiesen, daß sie wohl hochherziger patriotischer Regungen und tapferer Thaten, keineswegs aber eines einträchtigen Strebens und einer edeln Selbstaufopferung fähig seien. Die alten Erbübel des polnischen Adels, Parteiung, Zwietracht und Berrath, verbunden mit aristokra

14./26.

tischer Selbstfucht, vereitelten diesmal die Wiederbelebung des nationalen Staats, wie sie früher denselben zu Grunde gerichtet hatten.

7. Neuere und neueste Literatur des Auslandes.

Chiabrera

Forti

§. 800 b. A. 3talien (vgl. §§. 553. 554). Die schöpferische Kraft der Italiener ging im 17. und 18. Jahrhundert allmählich zu Grabe. Der geistige Drud, der von der Kirche wie von den vielen kleinen Regierungen ausgeübt wurde, hemmte die frühere Regsamkeit auf dem Gebiete der freien Kunst und Literatur und förderte Sinnengenuß und Schlaffheit. Man zehrte von der großen Vergangenheit und ahmte die Werke der Vorfahren nach. In der Lyrik lehnte man sich an die flangvollen, aber gedankenarmen Sonette und Canzonen Petrarca's oder folgte den griechischen und römischen Odendichtern, und im Heldengedichte war Lud. Ariosto, der Begründer des humoristischen Epos, das unerschöpfliche Vorbild für die ganze Folgezeit. Unter seinen Nachahmern erlangten den größten Ruhm Gabr. Chia- 1552 brera von Savona, der Verfasser von 5 epischen Gedichten (,,das befreite Italien;" 1637. "Florenz;" ,,Roger" u. a.), zugleich ein fruchtbarer Lieder- und Odendichter nach antifen Vorbildern (Pindar); und Nic. Fortiguerra von Rom durch sein guerra großes, dem karolingischen Sagenkreise angehörendes romantisch - humoristisches Hel- 1674dengedicht, Richardett" in 30 Gesängen. Dieses letztere Gedicht, das man trotz verschiedener Abweichungen in den historischen Angaben eine Fortsetzung des „, rasen= den Roland" nennen kann, ist reich an Geist, Wiß und Phantasie; doch trägt Fortiguerra die komischen und satirischen Farben stärker auf als Ariost. Selbst die einzige Gattung, die im 17. Jahrhundert mit Glück behandelt wurde, das eigentliche tomische Epos, lehnte sich an Ariost an, mag nun Alessandro Tassoni von Modena durch seinen,,geraubten Eimer" oder sein Zeitgenosse Franc. Brac- Bracciociolini durch seine Verspottung der Götter" der erste Begründer derselben 1566 gewesen sein, ein Prioritätsstreit, der einst in Italien mit großer Heftigkeit durchge= fochten wurde. Der Uebergang von Ariosto's heiterer Ironie zu Tasseni's und Bracciolini's komischem Scherz und Spott war nur ein kleiner Schritt.

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Den Stoff zu Tassoni's „Eimerraub" bildet eine wahre Geschichte aus den Parteifämpfen des Mittelalters und der Eimer, den die Modenesen im 13. Jahrhundert von ben Bolognesern erbeuteten, hängt noch jetzt an einer Kette zu Modena. Sämmtliche 12 Gesänge sind voll localer Satiren und Anspielungen und die Tendenz des ganzen Gedichtes eine Verspottung der vielen kleinen Kriege, welche die italienischen Städte zum großen Verderben des Ganzen mit einander geführt haben. Klarheit der Gedanken und Bilder, Präcision des Ausdrucks und Leichtigkeit und Eleganz der Sprache haben dem „Timerraub“ ein klassisches Ansehen bei den Italienern verliehen. — Bracciolini's,,scherno degli Dei“ hat keinen tiefern satirischen Hinterhalt; es ist eine niedrig-komische Verspottung der mythologischen Sagenwelt der Griechen, angeknüpft an die Rache, die Mars und Venus an Bulkan nehmen wollen dafür, daß er sie in dem künstlichen Bette gefangen und dem Gelächter der olympischen Götter preisgegeben hat.

1735.

Tafont

1565

1635.

fini

1645.

Das komische Heldengedicht blieb lange die Lieblingsgattung der Italiener, dech find die meisten Erzeugnisse jezt der Vergessenheit anheimgefallen; so,,das Leben des Mäcen" von Caporali und das mit florentinischen Sprüchwörtern ange= füllte komische Heldengedicht des Malers Lorenzo Lippi,,die Wiedereroberung von Malmantile" (,,Tischtuchsburg"). — Doch blieb auch die lyrische Poesie Lyrische nicht ohne Pflege. Kräftig und eigenthümlich erscheint sie in dem Grafen Fulvio Testi von Ferrara, der am Hofe des Herzogs von Modena in hohen Ehren lebte, gefti 1593 bis er, wahrscheinlich in Folge einer Hofcabale, als Staatsverbrecher im Kerker en- -1648.

Poesie.

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