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Mann unterhalten mußte. Der Antrag Preußens, dem sich die Niederlande und Würtemberg anschlossen, die ehemals deutschen Provinzen Lothringen und Elsaß nebst Straßburg wieder mit Deutschland zu vereinigen, ein Antrag, der mit den gewichtigsten Gründen von deutschen Staatsmännern und Feldherren (Gneisenau, Stein, Hardenberg, Humboldt, Münster u. A.) unterstügt wurde, scheiterte an dem Widerstande Rußlands und Englands, die zur Ruhe Europa's und zu einem dauernden Frieden ein starkes Frankreich für nothwendig hielten. Der Plan, den christlichen Orient vom Joche der Türken zu befreien, womit Alexander schon damals umging und zu dessen Verwirklichung er eines mächtigen Frankreichs bedurfte, und die Besorgniß, Deutschland möchte zu stark werden und seine freien Kräfte wider Rußland kehren, bestimmten den russischen Kaiser, sich der Schmälerung des französischen Gebiets zu widersetzen.

So war Frankreich, wenn es gleich im zweiten Pariser Frieden an Preußen Saarlouis und Saarbrücken, an Baiern das linke Ufer der Lauter mit Landau, an die Niederlande das Herzogthum Bouillon und an Sardinien einen Theil von Savoyen abtreten mußte, doch an Umfang größer als vor der Revolution, weil die Enclaven (Avignon, Mömpelgard u. a. D.) ihm überlassen und alle Feudalrechte in Lothringen und Elsaß aufgehoben blieben. Für Deutschland (sagt Pertz in Steins Leben) ging aus diesen Kämpfen und Verhandlungen die theuer erkaufte Lehre hervor, daß keine der großen europäischen Mächte aufrichtig sein Heil, seine Sicherheit und Kraft wünscht: daß jede derselben unter allen Umständen bereit ist, mit deutschem Blute und deutschen Waffen ihre Kriege zu führen, daß deutsche Mächte, die großen wie die kleinen, in der Stunde der Noth gesucht und gefeiert und mit den bündigsten Versprechungen zur Hingebung ermuntert werden; daß aber, so wie deutsche Heere den Sieg errungen haben und der gemeinschaftliche Feind niedergeworfen ist, keine deutsche Macht, weder große noch kleine, auf gerechte Entschädigung und auf die nothwendigen Bedingungen der Unabhängigkeit rechnen darf, sondern erwarten muß, daß die andern Mächte sich über Deutschlands Verluste die Hände reichen. Deutschland darf seine Hoffnung so wenig auf England als auf-Nußland oder Frankreich setzen, es darf auf Niemand rechnen als auf sich selbst; erst wenn kein Deutscher mehr sich zu des Fremden Schildknappen erniedrigen mag, wenn vor dem Nationalgefühl alle kleinen Leidenschaften, alle untergeordneten Rücksichten verstummen, wenn in Folge einträchtiger Gesinnung Ein starker Wille Deutschlands Geschicke lenkt, wird Deutschland wieder, wie in seinen früheren Zeiten, kräftig, stolz und gefürchtet in Europa stehen.“

E. Die Völker und Staaten Europa's von Stiftung des heiligen Bundes bis zur Julirevolution.

§. 780. Die heilige Allianz. Durch die Revolution und Napoleons Militärherrschaft waren die höchsten Schichten der Gesellschaft, die im gewöhnlichen Lauf der Dinge von den äußern Wechselfällen des Lebens wenig betroffen werden, durch harte Schicksalsschläge heimgesucht worden. Eine tiefere Betrachtung der gan= zen Revolutionsbewegung von ihrer Quelle bis zu ihrer endlichen Beruhigung deutete auf das Walten einer höhern Macht hin, die jedes frevelhafte Trachten, jedes

1815.

1818.

vermessene Selbstvertrauen zu Falle bringt. Religiöses Gefühl kehrte in die Herzen der Menschen zurück und bewirkte in den höhern Kreisen, daß Frömmigkeit und christlicher Glaube bald eben so die Oberhand erlangten, wie früher Zweifelsucht, Unglaube und Freigeisterei. Durchdrungen von diesem Gefühle schlossen die drei verbündeten Monarchen, der empfindsame von der religiösschwärmerischen Frau von Krüdener geleitete Kaiser Alexander, der fromme König Friedrich Wilhelm von Preußen und Kaiser Franz von Oesterreich, vor ihrem Abgang von 26. Sept. Paris den heiligen Bund, dem dann alle europäischen Mächte beitraten, mit Ausnahme des praktisch - klugen Englands und des hinter seine rechtgläubige AusDctober schließlichkeit sich bergenten Papstes. (Frankreich wurde nach dem Congreß von Aachen, wo es die Räumung seiner Festungen von den fremden Truppen erlangte, in den Bund aufgenommen.) In diesem, ohne Rücksicht auf Confessionsunterschiede geschlossenen heiligen Bunde gelobten die drei Herrscher,,gemäß den Worten der hei= ligen Schrift, die allen Menschen befiehlt sich als Brüder zu lieben, durch die Bande der wahren und unauflöslichen Bruderliebe verbunden zu bleiben, sich stets Beistand und Hülfe zu leisten; ihre Unterthanen als Familienväter zu beherrschen, die Religion, den Frieden und die Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten. Sie betrachten sich nur als Glieder einer und derselben christlichen Religion, von der Vorsehung beauftragt, die Zweige Einer Familie zu regieren. Sie fordern alle Mächte auf, die gleiche Grundsäße anerkennen, diesem heiligen Bunde beizutreten."— Durch diese Allianz, wornach somit die europäische Staatenwelt nur eine große Familie, die christliche Bruderliebe für Fürsten und Unterthanen das höchste Gesetz, und die Handlungen der Politik mit den Vorschriften des Religions- und Sittengesetzes ausgeglichen sein sollten, suchte man dem Staatsleben eine christlich-religiöse Grundlage zu geben, that aber dem Christenthum Gewalt an, indem man dasselbe zum Träger der monarchischen Form in möglichster Unbeschränktheit machte, nicht beachtend, daß die Religion des Evangeliums mit allen Staatsformen bestehen kann, und suchte weniger die christliche Moral als die religiöse Gläubigkeit und äußere Frömmigkeit zu fördern. Mochten auch bei dem weichen, für das Hohe und Gute nicht unempfänglichen und freisinnigen Ideen ergebenen Kaiser Alexander und bei dem gemüthvollen, from= men König Friedrich Wilhelm religiöse Motive und edle Vorfäße zum Grunde gelegen haben, so gab dagegen der Beitritt des profaischen, phantasielosen Kaisers Franz, und der Einfluß seines diplomatisch- klugen Rathgebers Metternich, welche schon während des Kampfes gegen Napoleon mit Sorge auf den neuen Aufschwung und die Volkserhebung geblickt und das freisinnige Verfahren ihrer fürftlichen Bundesgenossen mißbilligt hatten, dem mystisch - patriarchalisch gefärbten Bunde bald jene reactionäre allem freisinnigen Staatsleben abgewandte Richtung, durch welche er als ein schlauerfonnenes Werk der Heuchelei erschienen und zum Fluche der Völker geworden ist. Ueber ein Jahrzehent stand Europa unter dem Einfluß der heiligen Allianz; Unterdrückung aller Revolutionsideen durch Bekämpfung des Grundfazes der Volkssouveränetät und des Strebens nach demokratischen Verfassungsformen, Erhaltung des bestehenden Zustandes oder Rückführung des alten, Hebung des monarchischen Princips und der Regierungsgewalt durch Festigung der patriarchalischen Verhältnisse zwischen dem Landsherrn und den Unterthanen, dies und Anderes Gongres war das vornehmste Ziel des Bundes, der somit zu einem Bollwerk gegen jede Be118. Drohung der Legitimität umgewandelt ward. Und damit die Erinnerung daran stets Trovrau lebendig bliebe, wurden von Zeit zu Zeit Fürstencongresse (zu Aachen, TropLaybach vau, Laybach, Verona) angeordnet, zur Berathung der Mittel, wie das unter 1821 Metterniche Einwirkung aufgestellte Ziel in allen Ländern erreicht werden könne. 1822. Der Tod des Kaisers Alexander raubte dem heiligen Bunde die wichtigste 1825. Stüße und bereitete die gänzliche Zertrümmerung des Baues durch die folgenreiche

b. Aachen

Dct. 1820.

Verona

1. Dec.

Julirevolution vor, die in Frankreich ein „Bürgerkönigthum“ mit dem Grundsaß der Volkssouveränetät ins Dasein rief und die Schöpfung des Wiener Congresses durch die Losreißung Belgiens vom Königreich der Niederlande und durch die Erhebung Polens gegen Rußlands Oberherrschaft erschütterte.

1814.

Kirchliches. Die römische Curie ließ sich nicht von der Idee christlicher Toleranz hinreißen. Während die drei Monarchen ohne Rücksicht auf Confessionsverschiedenheit sich die Hand zum Bruderbunde reichten, erklärte der Papst die prote= stantischen Bibelgesellschaften für eine Pest und rief durch eine Bulle den Jesuiten 7. Aug. orden ins Leben zurück. Offen oder versteckt zogen die Väter Jesu bald wieder in die meisten katholischen Länder Europa's ein (Italien, Schweiz, Belgien, Irland, Desterreich, Frankreich u. a.), bemächtigten sich des Jugendunterrichts und streuten aufs Neue den Samen confessioneller Zwietracht. Als Gegenmittel gegen den auf= strebenden demokratischen Geist des nach Aufklärung trachtenden Volkes erlangten die Jesuiten und alle Förderer und Träger der hierarchischen, auf Hemmung des vorwärts eilenden Zeitgeistes gerichteten Bestrebungen Gunst und Unterstüßung bei den höhern Ständen, bei Fürsten, Adeligen und Regierungen. Die freien Regungen und die Forderungen nach zeitgemäßen Reformen, die sich in beiden Kirchen immer stärker fund gaben, fanden dagegen wenig Beachtung und Erhörung bei den Regierenden. -Der römische Hof, unzufrieden, daß der Wiener Congreß nicht allenthalben den alten Zustand zurückgeführt, beharrte in ohnmächtiger Protestation gegen dessen Beschlüsse und suchte sich den Charakter der Unwandelbarkeit zu wahren durch Rückfüh= rung veralteter Formen und abgestorbener Institute, die aber ohne alle Einwirkung auf die veränderte Richtung des Zeitgeistes blieben. Dazu gehörte auch die Wiederherstellung des Johanniter-Ordens, ein Act, der sogar später in dem protestan= tijchen Preußen Nachahmung fand, aber der zur Leiche gewordenen Verbrüderung kein Leben mehr einzuflößen vermochte. Die kirchlichen Verhältnisse wurden in den meisten Staaten durch Concordate neu regulirt, da das Bestreben des freisinnigen, vaterländischen Bischofs von Wessenberg, den Abschluß eines allgemein deutschen Concordats mit dem Papste herbeizuführen, ohne Erfolg geblieben war. -Die protestantische Kirche Deutschlands erhielt eine neue Gestalt, als der fromme auf eine Wiedergeburt der Kirche bedachte König von Preußen zum Jubelfeste der Reformation einen Aufruf zur freien Einigung der so lange getrennten luthe= 1817. rischen und reformirten Confessionen in eine unirte Kirche erließ. Freudig ergriffen die Anhänger beider Bekenntnisse diese dem Geiste der Zeit entsprechende Idee und vereinigten sich in den meisten Staaten zu einer protestantisch - evangelischen Kirche, welche die beiderseitigen Symbole in gebührender Achtung erhält, jedoch als Glau= bensgrund und Lehrnorm allein die H. Schrift anerkennt."

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§. 781. Verfassungen und Parteien. Zu spät hatte Napoleon einge= sehen, daß der Geist der Zeit eine Betheiligung der Völker an der Lenkung der Staaten und eine auf unwandelbaren Grundgesetzen beruhende Verfassung fordere. Die Wahrheit seiner bei der Landung in Cannes gegebenen Versicherung, künftig diesem Verlangen fördernd entgegen zu kommen, konnte nicht erprobt werden. Aber die Bölfer hatten während des Kampfes wider Napoleons Militärdespotie ihre Mündigfeit in solchem Grade beurkundet, daß ein längeres Widerstreben gegen diese Forderung als eine Ungerechtigkeit erscheinen mußte, die den mühsam begründeten Frieden im Innern wieder erschüttern konnte. Darum wurde von den verbündeten Mächten der Grundsatz anerkannt, daß die auf Englands Boden erwachsene und auf einer weisen Verbindung der Fürsten- und Volksrechte beruhende constitutionelle Monarchie oder gemischte Staatsordnung" die Regierungsform sei, die dem Zeitgeiste und den Volkswünschen am meisten entspreche; denn sie wahre die Würde des Königthums, sichere dem Volke die ihm gebührenden Rechte, Steuerbewilli

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gung, Mitaufsicht über die Verwendung der Staatseinkünfte und Theilnahme an der Gesetzgebung, und gebe durch die Freiheit der Presse der Nation und Regierung Gelegenheit zur Entwickelung und Ausbildung des Staatslebens und zur Abstellung von Mißbräuchen, Ungerechtigkeiten und unzeitgemäßen Einrichtungen. Darum wurde das Repräsentativ- System, wornach die Regierungsgewalt an die Zustimmung der Landstände (Volks-Repräsentanten) gebunden ist, die vorherrschende Verfassungsform in Europa und fand selbst da vorübergehend Eingang, wo Herkommen, Nationalcharakter oder mangelhafte Volksbildung einer erfolgreichen Wirksamkeit störend entgegenstanden, wie in der pyrenäischen Halbinsel und in Sta= lien. Auch den deutschen Staaten war in dem 13. Art. der Bundesacte eine landständische Verfassung in Aussicht gestellt und in Polen trat durch Alexander eine freisinnige Constitution ins Leben. Frankreich und die Niederlande erhielten ein neues Repräsentativ-System, indeß Ungarn und Schweden ihre alte Stände verfassung beibehielten. Nur Desterreich verschloß sorgfältig seine Länder dem neuen Verfassungswesen und gestattete dem Volke keine Einsicht in die Lenkung des Staatsorganismus (denn die in einzelnen Gebietstheilen der Monarchie bestehenden oder neu eingerichteten Landstände mit vorwiegender Vertretung des grundbesißenden Adels hatten nur das Recht, die Steuerforderung der Regierung zu bewilligen und zu vertheilen), und in Rußland, wo die Mehrzahl des Volkes aus leibeigenen Bauern bestand, fehlten alle Grundbedingungen zu einer constitutionellen Regierungsform. Kaum war nun das Geräusch der Waffen und der Kriegslärm zum Schweigen gebracht, so richteten die Völker ihre forschenden Blicke auf das innere Staatswesen und überlegten, was ihnen am meisten fromme. Da bildeten sich zwei mächtige Parteien, wovon die Einen (bald Aristokraten, bald Conservative, bald Servile genannt) dem Volke möglichst wenige, die Andern (Demokraten, Liberale oder, wenn sie das Aeußerste anstrebten, Radicale genannt) demselben möglichst viele Rechte eingeräumt wünschten, und während jene die Einführung constitutioneller Formen nach Kräften zu hindern, oder, wo sie eingeführt waren, sie auf jede Weise der demokratischen Elemente zu entkleiden suchten, war das ganze Streben der letztern auf Begründung und Fortentwickelung des constitutionellen Lebens, auf Verbreitung größerer Einsicht in das Staatswesen und auf Mehrung der bürgerlichen Rechte des Volks gerichtet. Aus den Kreisen jener wurden im Allgemeinen die Regierungen gebildet, daher die Liberalen als Opposition. galten. Diese beiden Heerlager spalteten sich in eine große Menge kleinerer Parteien von verschiedener Färbung, so daß das Parteiwesen die Seele des neuen politischen Lebens ward. Seit 1830 suchten die Leute der sogenannten rechten Mitte vers gebens die entgegengesetzten Bestrebungen zu versöhnen, sie vermehrten nur die Zahl der großen Parteien durch eine dritte, die von den beiden andern angefeindet, allen Gemäßigten, Unentschiedenen und zum Theil Furchtsamen einen gewünschten Zufluchtsort bot.

§. 782. Der deutsche Liberalismus. Ging auch die große Spaltung politischer Ansichten und die Parteistellung der Männer des Stillstandes oder Rückschritts zu den Männern des Fortschritts durch ganz Europa, so wurde doch DeutschLand vorzugsweise der Siß der liberalen Opposition gegen das Veraltete, Herkömm liche und Bestehende in Staat und Kirche. Die Ursache davon lag theils in dem Gang der öffentlichen Dinge, theils in der deutschen Natur. Bald nach dem Frieden nahm die Politik in Deutschland eine so volksfeindliche Richtung, daß alle vaterlän disch gesinnten Männer an der Verwirklichung der Verheißungen zu verzweifeln begannen und sich entweder mißvergnügt vom öffentlichen Leben zurückzogen oder sich mit Wert und Schrift, ihren einzigen Waffen, der trugvollen Staatskunst entgegen= sezten. Das deutsche Volk hatte sich im Vertrauen auf die Zusicherungen der Fürsten

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gegen den fremden Zwingherrn erhoben, um die Fesseln einer schmachvollen Knechtschaft abzuschütteln; als aber der äußere Feind besiegt war, wurden ihm die versprochenen Freiheiten und Güter vorenthalten oder verfümmert. Kein Wunder, daß sich das frühere Zutrauen in Mißtrauen verwandelte und daß daraus eine mächtige. Opposition gegen alle Regierungen und Obrigkeiten emporwuchs. Diese Opposition wurde um so nachdrücklicher, als sie auf dem Rechtsboden stand, als sie die öffentliche Treue und Moral gegen Falschheit und diplomatische Tücke vertheidigte, als sie sich auf die Ansichten und Bestrebungen der edelsten Patrioten, eines Stein, Schön, Arndt u. A., berufen konnte; und die Worte der Liberalen fanden um so mehr Anklang in der Nation, als das öffentliche Leben an schweren Gebrechen litt, und die Vorenthaltung der gebührenden Rechte eine tiefe Kluft zwischen Regierungen und Volk erzeugt hatte. Die Lenker der Staaten empfanden bald diese wachsende Opposition; statt aber durch billige Zugeständnisse dieselbe zu brechen, setzten sie ihr Gewalt, Verbote und Bestrafung entgegen und verliehen somit dem Staatsorganismus den Charakter eines Polizeistaats." Durch Zwang und Heimlichkeit hoffte man die widerstrebenden Kräfte zu bändigen, erhöhte aber dadurch nur den der deutschen Natur innewohnenden Widerwillen gegen jede Art von Hemmung der persön= lichen Freiheit. Die Liberalen, durch den Argwohn und die Abneigung der Regierun= gen von jeder Betheiligung am praktischen Staatsleben ausgeschlossen, folgten der angebornen Neigung der Deutschen zu Theorien und Systemen und setzten den bestehenden Zuständen ideale Gebilde entgegen. So erhielt der deutsche Liberalismus den Charakter des Unpraktischen und seine Opposition hatte weniger die Abstellung bestimmter Mängel und Gebrechen als die Aufstellung anderer schwer zu verwirkli= chender Staatsformen und Einrichtungen zum Ziel. Man verließ den Boden der Wirklichkeit und bewegte sich in einer eingebildeten, selbstgeschaffenen Welt; statt die neuerwachte Vaterlandsliebe zu pflegen, verfiel man wieder in die alte kosmopolitische Krankheit. Ueber dem Kampfe um allgemeine politische Theorien und Grundsätze verloren die Liberalen das Volksleben und die untern Klassen häufig aus dem Auge und wurden daher später von den socialen Fragen nicht minder überrascht, als ihre Gegner im Staatsregiment.

„Nur so war es möglich, daß der deutsche Liberale, anstatt eines an und für Deutschland durcharbeiteten Ideenvorraths, in der Regel sogleich eine fertige Weltreform in der Tasche tragen konnte, daß er von Neuem anstatt des doch hinreichend großen Vaterlandes einer ganzen Menschheit bedurfte, um etwas zu umschlingen, um seine hochaufbrodelnden Sympathien in irgend einen Busen auszuschütten, daß er im Ueberdrang des Kosmopoli tismus selbst solchen Erscheinungen lauten Beifall klatschen konnte, welche unserm Nationalinteresse schnurstracks zuwiderliefen, nur vorausgesezt, daß in ihnen das oft nur scheinbar liberale Princip den Sieg davon trug. Gewiß, es war ein großes Mißgeschich, daß eine solche Hintansezung der nächsten Interessen des Vaterlandes unter einer zahlreichen Klasse sonst braver und ehrenhafter Leute einriß." Es war gewiß kein Segen, daß man in, wenn auch gerechter, oppositioneller Bitterkeit gegen die Regierungen wohlthätige und nothwendige Maßregeln derselben nicht unterstützte, um nicht aus den Reihen eines systematischen Widerstandes herauszutreten, anerkannten Mißbräuchen und Unfugen nicht steuern half, um nicht den Schein des Polizeidienstes auf sich zu laden."

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1. Frankreich.

§. 783. Ludwig XVIII. In diesem tiefbewegten Reiche führte die Restauration einen merkwürdigen Umschwung der Dentweise und Gesinnung herbei. An= fangs siegten die den Revolutionsideen entgegengesetzten Richtungen und es trat hier der merkwürdige Fall ein, daß der wohlmeinende König sein von ihm entworfenes

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