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erhält zurüc: (von Rußland) Ost-Galizien, (von Bayern) Tirol und Salzburg und, als Entschädigung für Belgien und Vorderösterreich, in Italien das Lombardisch-Benetianische Königreich, Dalmatien und die Anwartschaft auf Parma; diese Gebiete bilden in Verbindung mit den übrigen Bestandtheilen der österreichischen Monarchie und mit den von Frankreich wieder gewonnenen und zu einem Königreich Illyrien erhobenen illyrischen Provinzen ein geographisch - geschlossenes Ganze. Die Erwerbung des Veltlin mit Cleven (Chiavenna) und Worms (Bormio) förderte den Zusammenhang der italienischen Lande mit dem deutschen Gebiete. „So bewährte Defterreich aufs Neue seine alte Kunst, aus Niederlagen mit zäher Kraft wieder aufzustehen.“ 2) Um eine starke Nordgrenze gegen Frankreich zu erhalten, wurde die Vereinigung sämmtlicher niederländischer Provinzen zu einem Königreich der Niederlande beschlossen und Wilhelm von Oranien als souveräner König eingesetzt; auch wurde ihm das zum deutschen Bunde gehörende Herzogthum Luxemburg zugetheilt. Aber die besten Colonien Hollands in Guyana, die indischen Comptoirs, Ceylon und das Cap blieben im Besitz der Engländer. 3) In Italien bekamen die von Napoleon ihrer Territorien beraubten Fürstenhäuser ihre ehemaligen Besitzungen mit Gewinn zurück: a) Das Königreich Sardinien, das dem König Victor Emanuel zurückgegeben wurde, erhielt eine Gebietserweiterung durch Einverleibung der Republik Genua und im zweiten Bariser Frieden durch Nückerstattung des anfangs bei Frankreich verbliebenen Theils von Savoyen, um einen starken Staat gegen Frankreich zu bilden. Genua bekam für den Berluft seiner ihm anfangs von Großbritannien zugesicherten republikanischen Verfassung gewisse Vorrechte, die ihm aber keinen Ersaß für die verlorene Freiheit und Unabhängigkeit boten. In einer rührenden Bekanntmachung vom Januar 1815 kündigte die von Lord Bentinck eingeseßte provisorische Regierung ihre Auflösung an. b) Das Herzogthum Modena und das Großherzogthum Toscana wurden Gliedern des österreichischen Hauses verliehen, das somit das Uebergewicht in Italien erlangte. Modena kam an den absolutistisch gesinnten Herzog Franz IV., den Sohn einer Tochter des vertriebenen Herkules von Efte, Toscana an den Großherzog Ferdinand, Bruder des Kaisers Franz. c) Lucca wurde dem spanisch-bourbonischen Prinzen statt des an Marie Louise, Napoleons Gemahlin, abgetretenen Herzogthums Parma überlassen und demselben durch einen spätern Vertrag die Anwartschaft auf Parma zugesichert. d) Der Kirchenstaat, wohin Papst Pius VII. aus seiner Gefangenschaft zurückkehrte, wurde in seinem frühern Umfange wiederhergestellt. Die Legationen," sagt Pertz in Steins Leben, hätte Desterreich gern behalten, auch Mürat bemächtigte sich ihrer zum zweiten Mal; sie gelangten durch Englands Einfluß an den Papst zurück. Der Knecht der Knechte Gottes, dem seine katholischen Söhne Kaiser Franz und Mürat seine Regierungsgeschäfte zu erleichtern wünschten, dem der allergetreuste König Avignon und Venaissin gewaltsam abnahm oder vorenthielt, fand damals in den uneigennützigen Kezern oder Schismatikern England, Preußen und Rußland seine Stüßen; auch verordnete er damals keine achttägigen Gebete, damit sie würden wie seine rechtgläubigen Söhne." e) Neapel wurde nach Mürats tragischem Ausgange (§. 776) mit Sicilien zu einem Königreiche beider Sicilien vereinigt und dem frühern König Ferdinand zurüdgegeben. Die Königin Karoline, ihrer leidenschaftlichen Unruhe wegen von den Engländern aus Sicilien entfernt, war kurz vorher kummervoll in Desterreich gestorben. Nach ihrer Entfernung hatte der englische Gouverneur Lord Bentind der Insel Sicilien eine von den Ständen berathene und der englischen Constitution nachgebildete treffliche Verfassung verliehen (1812), die aber nach der Restauration nicht beachtet wurde, daher die gekränkte, mißhandelte, aller Rechte und alles politischen Lebens beraubte Insel nur mit Unwillen und Widerstreben dem neapolitanischen Königshaus gehorchte und wiederholt, aber ohne Erfolg, den Versuch machte, das drückende Joch mit Gewalt abzuschütteln. f) Die Republik der sieben ionischen Inseln wurde, mit einer freien Verfassung beschenkt, unter den Schuß GroßBeber, Geschichte. II. 9. Aufl.

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britanniens gestellt, das dadurch und durch den Besitz von Malta und Gibraltar die Seeherrschaft im Mittelmeer erlangte. 4) Der Thron von Spanien ward dem noch von Napoleon der Haft entlassenen König Ferdinand VII. zurückgegeben und in Portugal trat wieder die Königsfamilie von Braganza in ihre alten Rechte. Aber König Johann VL. weilte noch einige Jahre in dem zu einem Kaiserthum erhobenen Brasilien und ließ Portugal durch den englischen Marschall Beresford verwalten. 5) Die skandinavischen Reiche Schweden und Dänemark verblieben in dem schon früher bestimmten Zustande (§§. 753. 768). 6) Rußland ging gestärkt und vergrößert (durch Finnland, Bessarabien, einen Theil der Moldau u. a. m.) aus dem großen Kampfe; das mit Rußland als Königreich Polen verbundene Herzogthum Warschau erhielt von Alexander eine freie constitutionelle Verfassung, wornach der Senat und die Landbotenkammer mit dem Monarchen die gesetzgebende Gewalt theilte, eine getrennte, von einem Vicekönig und einem verantwortlichen Ministerium geleitete Verwaltung, unabhängiges Gerichtswesen, Preßfreiheit mit Rechtsschutz gegen Mißbräuche, eine städtische Communalordnung mit selbstgewählten Munizipalbeamten und andere gute Einrichtungen. Auch blieb die Leibeigenschaft, die schon bei der Gründung des Herzogthums Warschau in Folge des daselbst eingeführten Tode Napoleon aufgehoben worden war, für alle Zukunft abgeschafft. Allein das Gefühl der Abhängigkeit und die Sehnsucht nach Wiederbelebung der nationalen Selbständigkeit waren einer vollkommenen Versöhnung mit den mächtigen stammverwandten Nachbarn entgegen. Posen fiel an Preußen; Krakau wurde zu einem Freistaat unter dem Schuße Desterreichs, Rußlands und Preußens erhoben, bis wiederholte Aufstände die Einverleibung in den österreichischen Kaiserstaat herbeiführten. 7) Die Schweiz erhielt eine Territorial Vergrößerung durch die Beifügung der ihr von Napoleon entrissenen Kantone Wallis, Genf und Neufchatel (letzteres unter Preußens Oberhoheit) und die Anerkennung ihrer beständigen Neutralität und ihrer republikanischen Föderativ - Verfassung, deren Reform, nach Aufhebung der Vermittelungs - Acte, ihrer von Abgeordneten der 22 Kantone gebildeten Tagsabung überlassen blieb. Waadt und Aargau behielten ihre Selbständigkeit. Der Vorort sollte wechseln zwischen Zürich, Bern und Luzern. Die Tagsaßung war, wie der deutsche Bundestag, ohne Ansehen und ohne die Macht, irgend welche gemeinsame Interessen zu fördern. Nur das Band eines einheitlichen Heerwesens und eine geschlossene Stellung dem Ausland gegenüber hatte die Schweiz vor Deutschland voraus. 8) Auf große Schwierigkeiten stieß die neue Organisation Deutschlands. Nachdem man die Gebietsstreitigkeiten dahin geschlichtet hatte, daß Preußen für seine Opfer, An strengungen und Verluste nicht nur durch Zurückgabe der im Tilsiter Frieden abgetretenen deutschen Landestheile, sondern auch noch durch Verleihung eines Theils von Polen (Pojen, Danzig u. a. D.), der Hälfte des Königreichs Sachsen, des bisherigen Groß. herzogthums Cleve-Berg und der schönen, gewerbsamen, mit blühenden Städten bedeckten Länder am Mittel- und Unterrhein (die ehemals den geistlichen Kurfürften zugehörten) belohut, Bavern für seine an Oesterreich überlassenen Gebietstheile mit der Rhein-Pfalz entschädigt, Hannover zu einem Königreich erhoben und durch den Erwerb des vorher preußischen Ostfriesland vergrößert, und die übrigen Fürsten im Verhältniß ihrer Verluste oder Verdienste befriedigt werden sollten, wurde zur innern Organisation von Deutschland geschritten. Da sich weder Preußen noch die Fürsten des Rheinbundes ihrer Souveränetätsrechte wieder entäußern wollten, so wurde das deutsche Reich mit seinem Wahlkaiserthum nicht wiederhergestellt, sondern alle Staaten, die entweder ganz aus deutschen Ländern zusammengesetzt waren, oder zu Deutschland gehörige Länder besaßen (wie Dänemark und Niederland), vereinigten sich für diese Länder in einen unauflöslichen deutschen Bund zur Erhaltung der innern und äußern Sicherheit Deutschlands und Unverleglichkeit der einzelnen Bundes. staaten. Die Zahl dieser souveränen Bundesstaaten betrug 38: Ein Kaiserreich (Oesterreich); fünf Königreiche (Preußen, Bayern, Hannover, Sachsen, Würtemberg);

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ein Kurfürstenthum (Hessen-Kassel); sieben Großherzogthümer (Baden, Darmstadt, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, Sachsen-Weimar, Luxemburg, Oldenburg); neun Herzogthümer (drei sächsische: Meiningen, Koburg-Gotha, Altenburg; drei anhaltsche: Dessau, Köthen, Bernburg; Nassau, Braunschweig, Holstein); zehn Fürftenthümer (zwei Hohenzollern, zwei Schwarzburg, zwei Reuß, zwei Lippe, Waldeck, Liechtenstein); die Landgrafschaft Hessen-Homburg und vier freie Städte (Frankfurt, Hamburg, Bremen, Lübeck). Die Angelegenheiten des Bundes werden durch die Bersammlung der Bundestagsgefandten unter Desterreichs Vorsitz gemeinschaftlich berathen und besorgt; der Siß des Bundestags ist Frankfurt a. M. Der deutsche Staatenbund ist gegen das Ausland eine Gesammtmacht mit einem durch Contingente gebildeten Bundesheer von 300,000 Mann und den drei Bundesfestungen Mainz, Luxemburg und Landau (wozu noch Rastatt und Ulm gekommen sind); Streitigkeiten der Bundesglieder unter einander müssen friedlich durch Austra g 8 - (Austrägal-) Gerichte geschlichtet werden; für Streitigkeiten zwischen Regierungen und Unterthanen dagegen ist durch keine unparteiische Gerichtsbehörde gesorgt worden. Die schlimmen Folgen der Zerstückelung Deutschlands kamen bald zum Vorschein und fanden mit Recht viele bittere Tadler; doch hatte sie auch ihre guten Seiten, fie bewahrte der Nation ihr Volksthum und die individuelle Stammentwickelung und förderte eine naturgetreue vielseitige Bildung. Der Körper der Einigung, die Einheit, entging Deutschland, der Geist der Einigkeit erstarkte wohl aber dadurch, der allein die einheitliche Form auf die Dauer erschaffen kann. Indem man jetzt nur die Gebrechen, die Zerflüftung des Ganzen und den Mangel der Selb, fländigkeit der einzelnen Staaten empfand, rückten sich die Geister und Gesinnungen mit den Bedürfnissen einander näher." Für eine staatliche Einheit war das Volk damals noch nicht reif. „Den Völkern aber ist nur zum Eigenthum beschieden, was die Frucht ihres Schweißes ist." - Ueber die Wirkung und Folgen dieser ohne alle Rücksicht auf historische und nationale Verhältnisse getroffenen Einrichtungen in Bezug auf Preußen und Oesterreich äußert sich Pert im Leben des Freiherrn v. Stein folgendermaßen: „Man tröstete sich in Berlin darüber, und glaubte, daß die patriotischen Klagen ohne Grund seien; denn man hatte ja die arithmetisch erforderliche Zahl Seelen erhalten. Man übersah nur die Art und Neigung dieser Seelen. Daß Polen ohne alle Nücksicht auf den innern Zusammenhang seiner Provinzen, Sachsen durch die längstmögliche Linie zerrissen waren, zeigte in der Seelenrechnung keine Störung. Nur die 10,000 Bettler, die damals in Köln vor den Kirchthüren saßen und ihren Töchtern die Erbschaft ihrer Pläße als Aussteuer mitgaben, machten ganz dieselbe Seelenzahl wie 10,000 dieser rüstigen Franken aus den Markgrafschaften, dieser kühnen Ostfriesen, die mit ihren Schiffen alle Meere Europa's besuchten. Und was höher als aller äußere Gewinn, die Treue, worin ein edles Volk mit einem edlen Fürstenhause unwandelbar in guten und bösen Tagen zusammensteht, die dem Herzog Friedrich mit der leeren Tasche, dem Gustav Wasa, Karl Stuart in den Hütten des Volts Zuflucht und Sicherheit gab, wie sie König Friedrich Wilhelm III. durch Ströme Bluts von der Oder bis zur Seine siegreich fortgetragen hat, findet in den statistischen Tabellen keine Stelle und keinen Werth. Wohl aber erkannte man es gleich damals bei Eingehen dieser Verhältnisse, daß Preußens Stellung in Deutschland dadurch wesentlich verändert ward. Getrennt durch Stücke Norddeutschlands, und nachdem seit dem 17. Jahrhundert der große Kurfürft und die Könige Friedrich I., Friedrich Wilhelm I. und II. den Rhein zu schüßen ihre Heere geführt hatten, nun durch großen Besitz an dem Nordwesten befestigt, mußte Preußen selbständig den Schuß Norddeutschlands gegen Westen wie gegen Often übernehmen. Es kam dadurch in die Lage, von nun an nothwendig mit Deutschland ganz verwachsen zu müssen: es konnte nicht mehr daran denken, sein Geschick von dem des gemeinsamen Vaterlandes zu trennen, dessen gleichmäßige Belebung und Kräftigung die Bedingung seiner eigenen Größe war. In dieser Hinsicht unterschied sich die preußische Politik gründlich von der Desterreichs, welches, in seiner

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neuen Abänderung sich selbst genug, das übrige Deutschland als Ausland betrachtete, und es bald für höchste Weisheit hielt, sich gegen dessen Leben nach Möglichkeit abzuschließen, indessen seine niederen Stände dem Genuß, die höheren Stände der Abhängigkeit von französischer Literatur, Sitte und Denkungsart mehr und mehr verfielen. Mag in dieser Stellung an beiden Grenzen Deutschlands, wohin es wider Willen durch die kurzsichtigen Nänke der Gegner gedrängt worden ist, Preußen seine Schwäche oder seine Stärke finden, es muß sie erfüllen; es kann sich nicht aufgeben, ohne Deutschland aufzugeben, dessen Leben und Größe seitdem an Preußens Leben und Größe unauflöslich geknüpft sind. Der Gedanke, Preußen zu zertrümmern, um aus seinen Theilen mit dem übrigen Deutschland gemischt ein neues, kräftigeres Deutschland aufzurichten, dieser Plan, den der Wahnsinn des Jahres 1848 auswarf, gleicht dem Wahnsinn der Töchter des Pelias, welche die Glie der ihres Vaters zerstückelten, um sie aus dem Zauberkessel zu einem verjüngten Leben wieder hervorgehen zu schen.“

§. 774. Die erste Zeit der Restauration. Die provisorische Regierung hatte in der Eile eine Verfassung entworfen, worin den Bourbonen die Königsmacht, den Senatoren Erblichkeit und Unabseßbarkeit von ihren Würden, dem Heer Erhaltung aller Grade und Ruhegehalte und dem Volke Unantastbarfeit der Schuld und der verkauften Nationalgüter, Sicherheit der Personen, Glaubens12. Avril und Preßfreiheit zugetheilt war. Als jedoch der Graf von Artois in Paris erschien und einstweilen die Statthalterschaft übernahm, gab er bald zu erlen nen, daß der Grundsaß der Revolution, wornach die königliche Würde von der Nation vertragsweise verliehen, nicht durch Gottes Gnade dem Erkorenen beschieden worden, in den Augen der Bourbonen keine Geltung habe. Darum verwarf Ludwig XVIII. gleich nach seiner Ankunft die Verfassung der provisorischen Regierung, welcher der Senat seine Zustimmung gegeben; aber zu der Ueberzeugung gelangt, daß eine Regierung ohne Beiziehung des Volks dem Geiste der Zeit widerstrebe, und von Kaiser Alexander, Talleyrand, Pozzo di Borgo und andern wohlmeinenden Rathgebern beredet, verlieh er der franzö4. Sunt fischen Nation aus eigenem Antrieb ein Staatsgrundgeset (Charte), das, wäre es eine Wahrheit“ gewesen, die Billigung der Nation erlangt hätte, wenn es auch in vielen wesentlichen Punkten und in den Prinzipien von der „Senatsverfassung“ abwich.

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Nach diesem Staatsgrundgesetz, das der „König von Gottes Gnaden“ „gewährt, zugestanden und bewilligt" hatte und das nur die Kammern beschwören sollten, ist der conftitutionelle König mit der Fülle der ausübenden Macht bekleidet und die Quelle der Gesetzgebung; diese Gesetzgebung üben gemeinschaftlich mit ihm, aber nur nach den Vorlagen der Regierung, zwei Kammern, eine vom König ernannte Kammer erblicher, mit dem Majoratsrechte versehener Pairs, aus deren Reihe man jedoch Alle strich, die als Bonapartisten oder Republikaner bekannt waren, und eine durch Wahl gebildete Deputirtenkammer; dieser steht das Recht der Steuerbewilligung und die Einsicht in die Verwendung der Staatsgelder zu. Der Census eines Deputirten betrug 1000 Fr. directer Steuer, der eines Wahlherrn 300 Fr., die übrigen Hauptpunkte waren: Verantwortlichkeit der Minister; Unabhängigkeit der Gerichte mit Geschwornen; Religions- und Preßfreiheit, Anerkennung des Verkaufs der Nationalgüter, der Staatsschuld und des alten und neuen Adels; gleiche Berechtigung aller Bürger zu den Staatë, und Kriegsämtern u. dgl. Auch sollte Niemand seiner bisherigen Meinungen und Abftimmungen wegen verfolgt und beunruhigt werden. Aber alle freifinnigen Bestimmungen waren durch widersprechende oder zweideutige Zusätze schwankend gemacht und endlich die ganze Charte durch den Artikel, dem König solle gestattet sein, „die Verordnungen zu erlassen, die zur Ausführung der Gesetze und für die Sicherheit des Staates nöthig seien,“ in ihrer Kraft und Wirksamkeit gelähmt oder vernichtet.

Nur zu bald zeigte es sich, daß die Bourbons nichts gelernt und nichts vergessen hatten." Die Erinnerungen der Revolution und der Kaiserzeit wurden so viel als möglich vertilgt; die dreifarbige Nationalcocarde wurde durch die weiße erseßt; die alten Aristokraten behandelten die neuen Emporkömmlinge mit Hohn und Uebermuth und verdrängten sie aus der Nähe des Hofes, wo der hoffärtige und tückische Graf von Artois und die finstere, mit Haß und Groll gegen die Revolutionsmänner erfüllte und jeder versöhnlichen Regung unzugängliche Herzogin von Angouleme (Techter Ludwigs XVI.) den Ton angaben. Die verabschiedeten Garden mußten gutbezahlten Schweizern weichen; die Öffiziere der großen Armee wurden mit hal= bem Solde entlassen und durch kränkende Reden verlegt; die Ehrenlegion durch Verleihung zahlloser Kreuze an Unwürdige gemein und verächtlich gemacht; dem verbannten Kaiser selbst und seiner Familie der Vertrag von Fontainebleau nicht ge= halten. Der Hof lebte im Ueberfluß, indeß das Volk von der Last der unverminderten Abgaben und von den Folgen der Kriegsleiden schwer gedrückt ward; der Klerus und die Emigranten, die im Schlosse besonders Gnade fanden, dachten an die Wiedererlangung ihrer verlornen Güter, Zehnten und Feudalrechte, obschon die Güter durch Kauf meist schon in andere Hand gekommen waren; man sprach davon, alles seit 25 Jahren Geschehene für nichtig zu erklären. Dabei war Ludwig XVIII. ein förperlich unbeholfener Mann, ohne Würde und Ansehen, wenn auch nicht ohne Verstand und Herzensgüte, ohne Ernst und Tiefe anmaßend und eigensinnig und voll Vorurtheile gegen die neuen Zeitideen, und sein Günstling Blacas, von dem alle Staatsgeschäfte geleitet wurden, ein beschränkter Kopf. Die Zeit, die Ordnungen, die Ideen, die der einen Seite als der Gipfel aller vaterländischen Größe galten, wollte die andere Seite als Verirrung, Schmach und Verbrechen brandmarken oder wo möglich in Aller Erinnerung austilgen. Die Geistlichkeit wollte zum großen Theile nach der mittelalterlichen Dunkelheit zurück, der Adel zu seinen feudalen Ordnungen, der Hof zu seiner früheren Allgewalt." Eine große Verstimmung bemäch= tigte sich der Nation; der Wunsch einer Aenderung wurde aufs Neue rege, besonders als gegen 100,000 Soldaten theils aus der Kriegsgefangenschaft, theils aus den fremden Festungen in die Heimath zurückkehrten und ihre bonapartische Gesinnung im ganzen Land verbreiteten.

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3. Die Herrschaft der hundert Tage.

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§. 775. Napoleons Wiederkunft. Als Napoleon die Fehlgriffe der Bourbons erkannte, als er vernahm, daß man den Emigranten ihre Gütter zurückgeben wollte, weil sie auf der geraden Bahn gewandelt“, als er von Fouché, Davoust, Carnot, Maret, der Herzogin von St. Leu und andern seiner Anhänger, die mit ihm in ununterbrochenem Verkehr standen, über die Stimmung des Volts unterrichtet wurde, da versuchte er abermals sein Glück. Mit neunhundert Mann seiner Getreuen landete er an Frankreichs Südküste 1. Mårs (bei Cannes), durch mehrere klug berechnete und rasch verbreitete Proclamationen, in denen er dem Volke den Fortbesitz seines Eigenthums und aller durch die Revolution erworbenen Vortheile, dem Soldaten Kriegsruhm und die Tricolore, und dem gebildeten Bürgerstande eine den Forderungen der Zeit angemessene Verfassung und Regierungsweise verhieß, gewann er sich schnell Aller Herzen. Pomphaft verkündete er,,,daß sein Adler von Thurm zu Thurm bis Notre Dame fliegen werde,“ und diese vermessene Weissagung

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