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1812.

fängliche Plan, gen Kaluga zu ziehen, wurde nach der entsetzlichen Schlacht 24. Oct. von Malo-Jaroslaveß aufgegeben, und der Weg über das mit Leichen und Blut bedeckte Schlachtfeld von Borodino nach Smolensk eingeschlagen. Im November stieg die Kälte bereits auf 18 Grad und erreichte später 27. Wer vermöchte alle Leiden, Kämpfe und Mühseligkeiten zu schildern, durch welche die große Armee in dem strengen Winter allmählich aufgerieben wurde? Hunger, Frost und Ermattung richteten größere Verheerungen an als die Kugeln der Russen und die Lanzen der Kosacken. Es war ein Anblick zum Entsetzen, Tausende von verhungerten oder erfrornen Kriegern an der Heerstraße und auf den öden, grausigen, mit Schnee und Glatteis überdeckten Steppen, abwechselnd mit gefallenen Pferden, weggeworfenen Waffen und Trümmern aller Art und den reichsten, nun zur Last gewordenen Beutestücken liegen zu sehen! Kutusoff, der in einer Proclamation den Brand von Moskau den Franzosen zuschrieb, um das Volk noch mehr zum Haß gegen dieselben zu entflammen, wich mit seinen durch Pelzmäntel wider Sturm und Kälte geschütten Truppen den Feinden nicht von der Seite und zwang sie, jeden Schritt zu erkämpfen. Als um die Mitte Novembers Smolensk erreicht wurde, zählte das Heer noch etwa 40,000 streitbare Soldaten; über 30,000 wehrlose Nachzügler folgten ohne Zucht, Ordnung und Führung den Spuren der Borangegangenen, ein Bild des Jammers und Entsetzens. Und doch begann das größte Elend erst hier, weil durch fehlerhafte Anordnung die erwartete Zufuhr von Waffen, Kleidern und Lebensmitteln sich in Smolensk nicht vorfand und die durch neue Truppen verstärkten Russen den Ziehenden überall den Weg verlegten. Die größten Heldenthaten, die unter Napóleons Augen von Eugen, Davoust, Mürat, Dudinot, Victor u. A. vollführt wurden, hatten keinen weitern Erfolg, als daß sie den Untergang des ganzen Heeres um wenige Tage hinausschoben. Der Held des Rückzugs war Neh, der Führer der Nachhut, „der Tapferste der Tapfern." Sein Uebergang über den gefrornen, aber an beiden Ufern aufgethauten und von den Russen bewachten Dnepr zur Nachtzeit war eine der kühnsten Waffenthaten, deren die Weltgeschichte gedenkt. Freilich konnte er von 6000 Mann nur 2000 zu dem Heere 15, 20. führen, das unterdessen bei Krasnoi den Feind zurückgeschlagen und sich den Weg zur Beresina frei gemacht hatte. An diesen ewig denkwürdigen Fluß gelangte das Heer am 25. November. Im Angesicht der feindlichen Armee wurden zwei Brücken geschlagen, und der kleine Rest, der sich noch in Reih' und Glied bewegte, unter unzähligen Gefahren hinübergeführt, aber gegen 18,000 Nachzügler, die nicht zeitig genug ankamen, fielen in die Hände der Feinde und mit ihnen eine unermeßliche Beute. Wie viele in den kalten Fluthen des Flusses zwischen den Eisschollen ertranfen, oder bei dem entsch lichen Gedränge zertreten und zerdrückt wurden, konnte Niemand berechnen. Die Leiden an der Beresina" sind der Ausdruck für den höchsten Fammer 26.-29. geworden, der die Menschen im Krieg treffen kann. Nach dem Uebergang über die Beresina hatte Napoleon noch 8000 kampffähige Soldaten, und

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selbst diese trugen den Keim des Todes in sich; aus ihren bleichen Gesichtern sprach Stumpfsinn und Verzweiflung. Net war der letzte Mann der Nachhut. Nach amtlichen Berichten wurden in Rußland 243,600 feindliche Leichen eingescharrt. Weite Schneegefilde bedeckten wie mit einem weißen Grabestuche die gefallenen Krieger. Halb Europa hatte zu trauern. Am 3. December erließ Napoleon das berühmte 29. Bülletin, das den harrenden Völfern, die seit Monaten ohne Nachricht geblieben waren, die Kunde brachte, daß der Kaiser gesund, die große Armee aber so gut wie vernichtet sei. Zwei Tage später übergab er den Oberbefehl an Mürat und eilte nach Paris, um neue Rüstungen anzuordnen und durch seine persönliche Anwesenheit jede Bewegung niederzuhalten, da er mit großem Verdruß wahrgenommen, wie kurz zuvor das leere Gerücht von seinem Tode einen thörichten Aufstandsplan hervorrief, der beinahe den Umsturz seines Throns zur Folge gehabt hatte.

Schrecklich lauten die Berichte der Augenzeugen über diesen merkwürdigen Rückzug. Kriegszucht und Ordnung waren dahin, alle Bande gelockert und neben den edelsten Thaten der Großmuth und Selbstverleugnung begegnete man der unglaublichsten Entartung. Das furchtbare Elend hatte alle menschlichen Gefühle abgestumpft, nur der Hunger behauptete sein Recht in solchem Grade, daß man selbst nicht vor Menschenfleisch zurückschauderte, und nur das Hurrahgeschrei der Kosacken. war vermögend, die erstorbene Empfindung durch Entsetzen zu wecken.

D. Auflösung des Kaiserreichs und Begründung neuer Zustände.

1. Napoleons Sturz.

§. 767. Deutschlands Erhebung (1813). Talleyrands angebliche Aeußerung, daß der russische Feldzug der Anfang vom Ende sei, erwies sich bald als wahr. Zwar ergänzte eine drückende Conscription und das Aufgebot der National- und Ehrengarden bald wieder die Lücken im französischen Heere und die rastlose Thätigkeit, die der geniale Mann aufs Neue entfaltete, setzte die Welt in Erstaunen, aber der Zauber, den Napoleons vermeintliche Unüberwindlichkeit über die Völker verbreitet, war verschwunden, der Ausgang des russischen Feldzugs wurde wie ein Gottesgericht angesehen, und die frischen, größtentheils aus jungen, ungeübten Leuten gebildeten Armeen traten einem Feinde gegenüber, den theils der errungene Sieg, theils das neuerwachte Gefühl der Vaterlandsliebe zu Großthaten begeisterte. Schon am 30. December hatte der preußische General Yord, der unter Macdonald an der Ostseeküste stand, ein strenger, entschlossener Mann von ernstem, fin

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sterem Wesen, scharf wie gehacktes Eisen", mit dem russischen Feldherrn Diebitsch den Vertrag von Tauroggen geschlossen und war mit seinen Truppen vom weitern Kampfe abgestanden, und wenn gleich diese That in Berlin öffentlich getadelt und mißbilligt und Yorck sogar seiner Stelle entsegt ward, so war doch die schnelle Reise des Königs meistens auf ungebahnten Nebenwegen nach der schlesischen Hauptstadt Breslau, wo er aus dem Bereiche der Franzosen war und den Russen die Hand reichen konnte, ein Vorbote dessen, was da kommen würde. Die auf Anregung de Freiherrn von Stein von einigen vaterländischen Männern bewirkte Versammlung der preu1813. ßischen Stände in Königsberg und der daselbst gefaßte Beschluß einer allgemeinen Volksbewaffnung, bestehend in Landwehr und Landsturm, gab den Ausschlag. Ungeachtet die wichtigsten preußischen Festungen in Napoleons Händen und durch seine Besagungen gesichert waren, kam dennoch bereits im 28. Febr. Februar zwischen Preußen und Rußland der Bund von Kalisch zur Befreiung Europa's durch gemeinschaftlichen Kampf gegen Frankreich zu Stande. Die grenzenlose Mißhandlung Preußens hatte in der Nation einen solchen Groll gegen die fremde Zwingherrschaft erzeugt, daß des Königs „Aufruf 3. Febr. an sein Volk" zu freiwilliger Bewaffnung eine unglaubliche Kampflust hervorbrachte. In Kurzem stand nicht nur ein starkes, zum großen Theil aus Freiwilligen gebildetes Kriegsheer unter den Waffen, sondern eine in allen Städten und Dörfern organisirte und auf eigene Kosten ausgerüstete Landwehr war zum Aufbruch bereit, wenn die Noth des Vaterlandes sie ins Feld rufen würde. Die Hingebung des Volkes war über alle Erwartung. Während König und Regierung anfangs so wenig Vertrauen in den 9. Febr. Volksgeist seßten, daß man den Aufruf zur freiwilligen Bewaffnung sechs Toge später noch durch das Gebot der gezwungenen Conscription verschärfen zu müssen glaubte, sah man sich später genöthigt, dem Andrang zum Kriegsdienst Schranken zu sehen. Die Begeisterung ergriff alle Stände und Alter, Jünglinge und Männer entzogen sich den gewohnten Beschäftigungen und den Kreisen der Lieben, um der Befreiung des Vaterlandes ihre Kräfte zu widmen. Studenten und Lehrer verließen die Hörsäle, Beamte ihre Stellen, junge Edelleute den elterlichen Wohnsit; sie ergriffen Flinte und Tornister und stellten sich mit großartiger Selbstentsagung als gemeine Krieger in eine Reihe mit dem Handwerker, der aus der Werkstätte ausgezogen, und mit dem Bauer, der die Pflugschaar mit dem Schwerte vertauscht hatte. Wer nicht ins Feld ziehen konnte, theilte von seiner Habe mit; selbst die Armen und Geringen im Volk brachten dem Vaterlande bereitwillig ihre Gaben und Opfer dar. Es waren Tage der Erhebung, welche die Schmach und das Elend vieler Jahre vergessen ließen. Am kräftigsten äußerte sich dieser vaterländische Kriegsmuth in dem zum großen Theil aus Studirenden gebildeten Lüßowschen Freicorps, dem Theodor Körner (Anh. §. 101) durch seine Lieder und seinen Tod eine höhere Weihe verlieh. Schon im März verließen die Franzesen Berlin, wo sofort der russische General Wittgenstein und der in

seiner Würde und militärischen Ehre wiederhergestellte Graf Yorck einzogen. Der Orden des eisernen Kreuzes, gestiftet am Geburtstage der Königin 10. März. Luise (geb. 10. März 1776, gest. 19. Juli 1810), war den Tapfern ein Sporn, und der Aufruf von Kalisch, der außer der Auflösung des Rhein- 25. März. bundes und der Befreiung Europa's die „Herstellung der deutschen Verfassung in lebenskräftiger Verjüngung und Einheit, ohne fremden Einfluß, allein durch die deutschen Fürsten und Völker und aus dem ureigenen Geiste des deutschen Volkes" verhieß, erhöhte die Hoffnungen der Patrioten und steigerte die Begeisterung und Kampflust. Neben der vaterländischen Erhebung ging ein religiöser Ernst durch die Gemüther; „aus der Predigt und vom Genuß des Abendmahls weg zogen die Freiwilligen in den „heiligen" Krieg." Und von welchem Todesmuthe die neuen Truppen beseelt waren, bewiesen die siegreichen Gefechte bei Möckern, wo das preußische Heer die erste ruhmvolle Bluttaufe" empfing.

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5. Avril 1813.

Von Kalisch aus erließ nämlich Kutuseff einige Wochen vor seinem Tode († 28. Apr.) im Namen der beiden verbündeten Monarchen einen Aufruf an die Glieder des Rheinbundes, Napoleons Protectorat abzuschütteln und sich dem großen Kampfe anzuschließen. Die Nationen würden fünftig ihre gegenseitige Unabhängigkeit achten; man werde kein politisches Gebäude ferner auf den Trümmern vormals unabhängiger Staaten erheben; der Zweck des Krieges und Friedens sei, die Rechte, die Freiheit, die Unabhängigkeit aller Nationen sicher zu stellen;" so lautete der Grundsatz dieses und aller ähnlicher Aufrufe. Aber noch hielt die Furcht vor dem Mächtigen die Meisten gefesselt, zumal da die zögernde Haltung der Verbündeten dem thatkräftigen Gegner Zeit ließ, den Eindruck der russischen Niederlage zu verwischen und die Schwankenden im Bunde zu bestärken. Nur Siege konnten die Säumigen zum Entschlußz bringen, besonders seitdem Hamburg für seinen übereilten Abfall an den Oberst v. Tettenborn, den verwegenen Anführer der leichten 18. Marz. russischen Reiterei, und an die Kosacken unter Tschernitschef bei der Wiedereinnahme der Stadt durch Davoust und Vandamme, der den Trotz eines Bonaparte'- 31. Mai. schen Soldaten mit der Wildheit eines jacobinischen Schreckensmannes verband“, zum abschreckenden Beispiele furchtbar gezüchtigt worden war und die Dänen, statt sich an die Verbündeten anzuschließen und die Stadt zu schirmen, mit Napoleon den Bund erneuert und den Franzosen den Weg gebahnt hatten. Vor Allem wünschten die beiden verbündeten Monarchen den Beitritt des Königs von Sachsen. Allein Friedrich August, den Napoleon durch Freundlichkeit und manche Beweise von Gunst und Vertrauen an sich zu fetten gewußt, dem er das Herzogthum Warschau verliehen,,,eine Demüthigung für Preußen, eine Drohung für Rußland", wider= stand ihrer Aufforderung, so sehr auch Volk und Heer die vaterländische Begeiste= rung theilten. Mit Gold und Juwelen beladen flüchtete er sich nebst seiner Familie und dem ganzen Hof zuerst nach dem Voigtlande und begab sich dann nach Böhmen, in der Absicht, mit Desterreich und Bayern einen Neutralitätsbund zu schließen. Als aber das Wiener Kabinet, dem die Wiedergewinnung der verlornen Länder mehr am Herzen lag als die Befreiung Europa's und das bereits über die Volkserhebung in Norddeutschland, die,,jacobinische Gährung" bedenklich zu werden anfing, mit seiner Erklärung zögerte und Napoleon den König unter Androhung der Absetzung zur Rüdkehr aufforderte, folgte er seinem Geschicke und stellte sein Land, seine Festungen und seine Truppen dem Kaiser,,,seinem großen Alliirten", zur Verfügung.

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§. 768. Der deutsche Freiheitskampf. In den ersten Schlachten 20. Kat, bei Groß- Görschen (unweit Lüßen) und bei Baußen behaupteten zwar die Franzosen das Schlachtfeld und drängten ihre Gegner bis zur Oder zurück, aber der Heldenmuth der jungen deutschen Streiter, die ihre von Ehrgefühl und Vaterlandsliebe glühende Brust dem Kugelregen muthvoll entgegen trugen, bewies dem Feinde, daß ein anderer Geist, als den er bei Jena kennen gelernt, über die Preußen gekommen. Das Schlachtfeld war der einzige Preis der blutigen Tage. Die vaterländische Begeisterung, welche die Edelsten der Nation ins Lager trieb, hatte ihre Feuerprobe bestanden. „Selbst die Todten lagen da mit verklärtem Angesicht; sie waren mit dem Gefühle aus der Welt gegangen, daß sie ihr Vaterland und sich selbst gerächt."

Bei Groß-Görschen empfing Scharnhorst die Todeswunde. Seine lezten Kräfte benutte er noch zu einer Reise nach Desterreich, um den Beitritt des Kaiserstaates zu bewirken. Da ereilte den Ermatteten und Kranken der Tod in Prag, am 28. Juni 1813. Der größere Menschenverlust war auf Seiten der Feinde; unter den Tausenden, die die Wahlstatt deckten, befanden sich Bessières (bei Lützen) und Düroc (bei Bautzen). Der Tod des Letteren, den Napoleon wegen seiner Liebenswürdigkeit, Treue und Anhänglichkeit vor Allen liebte und schäßte, ging dem französischen Kaiser sehr nahe.

Zum erstenmal schien eine dunkle Ahnung über die Wechselfälle des Lebens Napoleons Brust zu beschleichen. Aber Stolz und Uebermuth rissen ihn fort. „Nicht ein Dorf soll von dem französischen Kaiserreiche mit allen seinen einverkörperten Provinzen gerissen werden!" erklärte er trogig, um durch diese Zuversicht Andere zu schrecken. Doch hielt er es für rathsam, eine Waffenruhe vorzuschlagen, angeblich zur Einleitung von Friedensverhandlungen, in der That aber, um neue Aushebungen zu machen und seine Heere durch Zuzüge zu verstärken; und die Verbündeten, denen eine längere Frist zur Ergänzung der Lücken in ihren Heeren und zu neuen Rüstungen sehr zu Statten kam, gingen willig darauf ein, so sehr auch die öffentliche Volksstimmung die 4. Juni ununterbrochene Fortsetzung des Krieges verlangte. Während dieser Waffen10. Aug. ruhe von Pläswiß (oder Poischwig) verständigte sich Desterreich mittelst 14 15. des Reichenbacher Vertrags, dem auch England beitrat, mit Preußen 12 zuli und Rußland und bemühte sich dann auf dem Congresse zu Prag durch 10. Aug. den Fürsten von Metternich, einen Frieden zu vermitteln. Aber Napo

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Juni.

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leon konnte es nicht über sich gewinnen, in die verlangten Abtretungen zu willigen. Ihre Souveräne, äußerte er unter Anderm in der berühmten neun28. Juni. stündigen Unterredung in Dresden zu Metternich, die auf dem Throne geboren sind, können die Empfindungen nicht begreifen, die mich bewegen; sie kehren überwunden in ihre Hauptstädte zurück und sind nicht weniger als sie vorher waren. Aber ich bin Soldat, ich bedarf der Ehre und des Ruhmes; ich kann mich nicht geschwächt inmitten meines Volkes zeigen; ich muß groß, ruhmvoll und bewundert bleiben. Die Zurückweisung der Vorschläge hatte die Kündigung der Waffenruhe und zwei Tage nachher Desterreichs

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